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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des I O, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Steyrergasse 103/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. August 2020, Zl. I417 2153391-1/8E, betreffend AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) in der Sache - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den Antrag des Revisionswerbers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, auf internationalen Schutz als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig sei und setzte eine Frist zur freiwilligen Ausreise. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit vorliegend relevant - aus, mit Parteiengehör sei dem Revisionswerber vom Verwaltungsgericht Gelegenheit gegeben worden, zum aktuellen Länderinformationsblatt für Nigeria Stellung zu nehmen. Weiters sei er aufgefordert worden, bekanntzugeben, ob hinsichtlich seiner persönlichen und privaten Verhältnisse in Österreich oder seines Gesundheitszustandes Änderungen eingetreten seien. Gemeinsam mit einer Stellungnahme habe der Revisionswerber sodann unter anderem eine Heiratsurkunde vorgelegt, wonach er seit dem 19. Februar 2019 mit einer slowakischen Staatsangehörigen verheiratet sei, das Paar ein gemeinsames Kind habe und ein aufrechtes Familienleben bestehe.
3 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung im Wesentlichen aus, die Kriterien für ein derartiges Unterbleiben träfen im vorliegenden Fall in Bezug auf den Antrag auf internationalen Schutz zu. Der Sachverhalt weise aufgrund des Umstandes, dass dem Revisionswerber mit Parteiengehör neuerlich die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme geboten und diese auch wahrgenommen worden sei, die gebotene Aktualität auf. Es könne nicht erkannt werden, dass die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung weitere entscheidungswesentliche Tatsachen hervorbringen würde.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
5 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es wäre nach näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der vorliegenden Rechtssache öffentlich mündlich zu verhandeln gewesen.
6 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
7 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. dazu grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 10.9.2020, Ra 2020/01/0094, mwN).
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat auch in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass die im Beschwerdeverfahren eingeräumte Möglichkeit, zum Inhalt aktueller Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat schriftlich Stellung zu nehmen, grundsätzlich die Durchführung einer Verhandlung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 10.7.2018, Ra 2018/01/0080, mwN).
9 Entgegen dieser Rechtsprechung stützte das Verwaltungsgericht das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf die Auffassung, dass der Sachverhalt aufgrund des Umstandes, dass dem Revisionswerber mit Parteiengehör neuerlich die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme geboten und diese auch wahrgenommen worden sei, die gebotene Aktualität aufweise.
10 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
11 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010383.L00Im RIS seit
22.02.2021Zuletzt aktualisiert am
22.02.2021