TE Vwgh Beschluss 2020/12/21 Ra 2020/01/0446

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

E6J
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Staatsbürgerschaft

Norm

B-VG Art133 Abs4
StbG 1985 §27 Abs1
VwGG §34 Abs1
62017CJ0221 Tjebbes VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Kleiser als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des R O in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/I, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 25. September 2020, Zl. LVwG 70.20-1507/2019-15, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 2. Mai 2019 stellte die belangte Behörde fest, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 27 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) durch den Wiedererwerb der nigerianischen Staatsangehörigkeit verloren habe.

2        Der dagegen vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) mit Erkenntnis vom 20. Dezember 2019 Folge und behob den angefochtenen Bescheid.

3        Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof infolge einer Amtsrevision der belangten Behörde mit Erkenntnis vom 29. April 2020, Ra 2020/01/0043, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

4        Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof - nach umfänglichen Hinweisen auf seine Rechtsprechung - zusammengefasst aus, dass nach den Vorgaben des EuGH im Urteil Tjebbes u.a. zu prüfen ist, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig sei. Dies bedeute, dass das Unionsrecht dem ex lege eintretenden Verlust der Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG nur bei Vorliegen besonders gewichtiger bzw. außergewöhnlicher Umstände (des Privat- und Familienlebens des Betroffenen) entgegen stehe.

5        Im vorliegenden Fall habe das LVwG die Unverhältnismäßigkeit des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft des Revisionswerbers lediglich mit „besonderen Schwierigkeiten“ des Mitbeteiligten, seine familiären Kontakte aufrecht zu erhalten und seine berufliche Tätigkeit auszuüben, begründet, dabei aber nicht ansatzweise dargelegt, worin diese Schwierigkeiten für den Mitbeteiligten im Fall des Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft konkret bestünden, zumal es fallbezogen auch entscheidend ins Gewicht falle, dass sich der Revisionswerber bereits in der Vergangenheit bis zu fünf Monate im Jahr nicht in Österreich aufgehalten habe.

6        Das LVwG habe sich auch mit der Frage, inwieweit dem Mitbeteiligten die Möglichkeit der Erlangung eines Aufenthaltstitels - und damit der Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens in Österreich - offenstehe, nicht auseinander gesetzt.

7        Nicht zuletzt habe das LVwG dem Umstand, dass der Revisionswerber die nigerianische Staatsangehörigkeit aus freien Stücken angenommen habe, ohne die ihm eingeräumte Möglichkeit (der Beantragung) der Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 28 StbG wahrzunehmen, keine Beachtung geschenkt. Gerade diesem Umstand komme nach der Rechtsprechung bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung aber maßgebliche Bedeutung zu.

8        Das LVwG sei aus den genannten Gründen von den vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätzen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung abgewichen und habe seinen Anwendungsspielraum überschritten.

9        Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 25. September 2020 wies das LVwG im fortgesetzten Verfahren die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den erwähnten Bescheid vom 2. Mai 2019 ab.

10       Begründend führte das LVwG zu der - nach Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung - (neuerlich) vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfung aus, der Vertreter der belangten Behörde habe zu Protokoll gegeben, dass ein Aufenthaltstitel für den Revisionswerber im Wege des Familiennachzugs unter der Voraussetzung eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels der Ehegattin durchaus möglich erscheine. Einschränkungen in der Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers seien kein zwingender Umstand, der der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstünde. Es bestehe die Möglichkeit, die „Inlandsantragstellung zu beantragen“.

11       Der Revisionswerber habe keine besonderen Schwierigkeiten vorgebracht. Er könne augenscheinlich leicht einen Aufenthaltstitel erlangen und habe auch nicht vorgebracht, nach „Aberkennung“ der österreichischen Staatsbürgerschaft staatenlos zu sein. Nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes sei auch zu berücksichtigen, dass der Revisionswerber die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht beantragt habe und sich bis zu fünf Monaten im Jahr nicht in Österreich aufhalte.

12       Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die sich zu ihrer Zulässigkeit - mit näheren Ausführungen - gegen die vom LVwG vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung wendet. Das LVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Kriterien der unionsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung abgewichen.

13       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

14       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

15       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16       Das LVwG hat - nach Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung - neuerlich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen. Es hat dabei die nach den tragenden Aufhebungsgründen des erwähnten hg. Erkenntnisses Ra 2020/01/0043 maßgeblichen Kriterien beachtet (zur Bindungswirkung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG vgl. etwa VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0091, mwN) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Revisionswerber „keine besonderen Schwierigkeiten“ bedeute.

17       Nach den Vorgaben des EuGH im Urteil Tjebbes u.a. ist zu prüfen, ob fallbezogen Umstände vorliegen, die dazu führen, dass die Rücknahme der österreichischen Staatsbürgerschaft ausnahmsweise unverhältnismäßig ist. Dies bedeutet, dass das Unionsrecht dem ex lege eintretenden Verlust der Staatsbürgerschaft nach § 27 Abs. 1 StbG nur bei Vorliegen besonders gewichtiger bzw. außergewöhnlicher Umstände (des Privat- und Familienlebens des Betroffenen) entgegen steht.

18       Eine (derartige) unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG und daher vom Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nur aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten hat oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hat bzw. die Entscheidung auf einer verfahrensrechtlich nicht einwandfreien Grundlage erfolgte (vgl. zu allem aus der mittlerweile ständigen Rechtsprechung VwGH 23.9.2020, Ro 2020/01/0014; 22.10.2020, Ra 2020/01/0371).

19       Durch die von der Revision im Einzelnen geltend gemachten Mängel der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des vorliegenden Einzelfalls (noch) nicht dargelegt.

20       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

21       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 21. Dezember 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0221 Tjebbes VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010446.L00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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