TE OGH 2020/11/25 7Ob187/20f

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Dr. Alexander Bosio, Rechtsanwalt in Zell am See, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Pallauf Meißnitzer Staindl & Partner, Rechtsanwälte in Zell am See, wegen 2.992 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 20. Juli 2020, GZ 53 R 70/20f-20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 23. Jänner 2020, GZ 17 C 323/19g-16, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit sie einen Teilbetrag von 2.500 EUR sA und das Feststellungsbegehren abweisen, bestätigt, sodass die Entscheidung insoweit als Teilurteil lautet:

„I. Das Klagebegehren,

1. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 2.500 EUR samt 4 % Zinsen seit 17. April 2019 zu zahlen;

2. es werde festgestellt, dass aufgrund des erlittenen Freizeitunfalles der klagenden Partei am 23. Februar 2017 an seinem vormaligen Wohnsitz in *****, eine Dauerinvalidität im Sinne der Versicherungsbedingungen der mit der beklagten Partei abgeschlossenen Unfallversicherung zu Polizzennummer: ***** vorliege und die beklagte Partei gemäß den Versicherungsbedingungen bis zu der mit der Versicherung vereinbarten Höchstgrenze für notwendige Leistungen aus dem Titel Dauerinvalidität im jeweiligen Ausmaß gegenüber der klagenden Partei hafte,

wird abgewiesen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Im Übrigen, im Umfang der Klageabweisung von 492 EUR samt Zinsen, werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hatte mit der Beklagten einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die Allgemeinen Bedingungen für den Premium-Unfallschutz (AUVB 2012) in der Fassung 7/2013 zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 7

Was versteht man unter 'Dauernder Invalidität'?

Wie wird der Invaliditätsgrad bemessen?

1. Dauernde Invalidität liegt vor, wenn die versicherte Person durch den Unfall auf Lebenszeit in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist.

Der Eintritt dauernder Invalidität ist notwendige Voraussetzung für Zahlungen aus den Leistungsarten 'Unfallkapital', 'Zusatzkapital' und 'Unfallrente'.

[...]

2. Die dauernde Invalidität muss

- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein und

- innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall durch einen ärztlichen Befundbericht festgestellt und bei uns geltend gemacht werden. Aus dem ärztlichen Befundbericht müssen Art und Umfang der Gesundheitsschädigung und die Möglichkeit einer auf Lebenszeit dauernden Invalidität hervorgehen.

[...]

Artikel 12

Taggeld

1. Wir zahlen Taggeld bei dauernder oder vorübergehender Invalidität, abgestuft nach dem Grad der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person in ihrem ausgeübten Beruf.

[...]

4. Übt die versicherte Person im Unfallzeitpunkt keinen Beruf aus, wird die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach allgemeiner medizinischer Erfahrung bzw nach Maßgabe der Beeinträchtigung körperlicher oder geistiger Funktionen ermittelt.

[...]

Artikel 13

Genesungsgeld

1. Wir zahlen ein Genesungsgeld, wenn durch einen Unfall eine stationäre Behandlung in einem Spital innerhalb von zwei Jahren nach dem Eintritt des Unfalles medizinisch notwendig wird.

[...]

Sind aufgrund eines Unfalles mehrere stationäre Behandlungen notwendig, werden für die Bemessung der Höhe des Genesungsgeldes die Aufenthaltstage zusammengerechnet.

[...]

Artikel 17

Was gilt bei Meinungsverschiedenheiten?

1. Im Fall von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, in welchem Umfang die eingetretene Beeinträchtigung auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallfolgen durch Krankheit oder Gebrechen sowie im Falle des Art. 7, Pkt. 7 entscheidet die Ärztekommission.

[...]

2. In den nach Pkt. 1. der Ärztekommission zur Entscheidung vorbehaltenen Meinungsverschiedenheiten sind Sie berechtigt, innerhalb von 6 Monaten nach Zugang der Ergebnisse bzw der Entscheidung (siehe Artikel 16, Pkt. 1),

- Widerspruch zu erheben und

- mit Vorlage eines ärztlichen Befundberichts über Art und Umfang der Unfallfolgen unter Bekanntgabe der Forderung gemäß Art. 16, Pkt. 1 die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen.

[...]

Das Recht, die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen, steht auch uns zu und ist unsererseits binnen 6 Monaten nach Entstehen der Meinungsverschiedenheit zu beantragen.

[...]“

Nach dem Unfallversicherungsvertrag beträgt das Taggeld 12 EUR. Das Genesungsgeld steht ab einem Krankenhausaufenthalt von sechs Tagen zu und beträgt bei einem Aufenthalt bis zu 10 Tagen 2.500 EUR.

Der Kläger erlitt am 23. 2. 2017 infolge eines Sturzes einen „Freizeitunfall“ und verletzte sich im Bereich des rechten Schultergelenks. Er war als Baggerfahrer beschäftigt und vom 19. 9. bis 24. 9. 2018 sowie vom 2. 10. bis 6. 11. 2018 arbeitsunfähig. Er befand sich aufgrund von Schmerzen in der rechten Schulter und dadurch erforderlicher Operationen zwei Tage im Oktober 2018 in einem Krankenhaus und vom 26. 2. bis 1. 3. 2019 in einem Sanatorium. Bereits am 21. 2. 2019 stand fest, dass die „Revisionsoperation“ am 27. 2. 2019 stattfinden wird.

Der Kläger machte nicht innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall bei der Beklagten eine dauernde Invalidität geltend. Zwar übermittelte er dem Versicherungsvertreter der Beklagten kurze Zeit nach dem Unfall ärztliche Befundberichte, allerdings berichtete er diesem von einer dauernden Invalidität erst nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Unfall.

Die Beklagte gab dennoch – einige Monate nach Ablauf der 15-Monatsfrist – ein Gutachten zur Beurteilung der dauernden Invalidität des Klägers in Auftrag. Da in diesem Gutachten angeführt ist, das derzeit noch leicht bestehende Funktionsdefizit am rechten Schultergelenk sei auf eine vorbestehende Schultereckgelenksarthrose zurückzuführen, lehnte sie aus diesem Grund die Ansprüche des Klägers ab.

Keine der Parteien rief die Ärztekommission an.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 2.500 EUR an Genesungsgeld für seinen (insgesamt) sechstägigen Krankenhausaufenthalt, 492 EUR an Taggeld aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit in den Monaten September, Oktober und November 2018 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten aufgrund der durch den Unfall erlittenen Dauerinvalidität. Er habe seinem Versicherungsvertreter innerhalb eines Jahres nach dem Unfall unter Vorlage ärztlicher Befunde das Vorliegen einer Dauerinvalidität bekannt gegeben. Da die Beklagte ein Gutachten zur Frage der Dauerinvalidität eingeholt habe, habe sie konkludent auf die Geltendmachung der Verfallfristen verzichtet.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen die Unzulässigkeit des Rechtswegs und die mangelnde Fälligkeit ein, weil bei Meinungsverschiedenheiten die Ärztekommission anzurufen sei. Die geltend gemachten Ansprüche basierten auf einer Vorschädigung des Klägers und seien nicht unfallkausal. Das Genesungsgeld stehe ab einem Krankenhausaufenthalt von sechs Tagen innerhalb von zwei Jahren nach dem Unfall zu, was nicht der Fall gewesen sei. Die dauernde Invalidität sei weder innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten, noch sei der geforderte ärztliche Befundbericht binnen 15 Monaten vorgelegt worden. Dem Kläger fehle das rechtliche Interesse für das Feststellungsbegehren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Anrufung der Ärztekommission sei für den Kläger nicht zwingend gewesen; auch die Beklagte habe diese Kommission nicht angerufen. Der Rechtsweg sei zulässig. Taggeld gebühre mangels Einkommensverlusts infolge Arbeitsunfähigkeit nicht. Das Genesungsgeld sei deshalb nicht zu zahlen, weil lediglich ein zweitägiger Aufenthalt im Krankenhaus innerhalb der 2-Jahres-Frist stattgefunden habe. Ein bloß absehbarer Krankenhausaufenthalt innerhalb dieser Zeit könne kein Genesungsgeld rechtfertigen. Der Kläger habe die 15-Monats-Frist nach Art 7 AUVB 2012 zur Geltendmachung der dauernden Invalidität versäumt. Ein stillschweigender Verzicht auf die Einwendung der Verfristung könne nicht daraus abgeleitet werden, dass die Beklagte ein Gutachten eingeholt habe. Der Verzicht sei einschränkend auszulegen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger auf die Ausschlussfrist des Nachweises der Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall hinzuweisen. Die – erfolgte – bloße Mitteilung des Unfalls und der unmittelbaren Verletzungsfolgen genüge für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs für Dauerfolgen noch nicht. Der Beklagten könne nicht unterstellt werden, auf die eingetretene „Verjährung“ verzichtet zu haben, nur weil sie lange nach Ablauf der 15-monatigen Ausschlussfrist ein Gutachten betreffend die dauernde Invalidität des Klägers in Auftrag gegeben habe. Sie sei nicht gehalten gewesen, dem Kläger den Ablauf dieser Ausschlussfrist „aufzuzeigen“. Für das Genesungsgeld sei nach Art 13 AUVB 2012 Voraussetzung, dass die stationäre Behandlung nach einem Unfall in einem Spital innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Unfalls medizinisch notwendig geworden sei. Stationäre Behandlungen außerhalb von zwei Jahren nach dem Unfall seien für das Genesungsgeld nicht bedeutsam, auch wenn sie bereits vor Ablauf der 2-Jahres-Frist absehbar gewesen seien. Das Taggeld hänge nicht von einem Einkommensverlust ab. Beim Anspruch auf Taggeld handle es sich um eine Summenversicherung, bei der die Leistung unabhängig vom Nachweis eines konkreten Vermögensnachteils in voller Höhe gebühre. Die Abweisung des Anspruchs auf Taggeld sei aber richtig, weil keine dauernde oder vorübergehende Invalidität vorgelegen habe, was eine notwendige Voraussetzung für die Zahlung gewesen wäre. Bei der erstmals in der Berufung relevierten Verletzung der Aufklärungspflicht des Versicherungsvertreters der Beklagten über die Geltendmachung der dauernden Invalidität handle es sich um eine unzulässige Neuerung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und erklärte nachträglich die Revision gemäß § 508 Abs 3 ZPO für zulässig, weil es „zu einem Verzicht auf die Verjährungseinrede gekommen sein“ könnte, sei doch die Beklagte nicht nur zur Einholung eines Gutachtens nach Ablauf der „Verjährungsfrist“ bereit gewesen, sondern habe sie sich allein wegen des Inhalts dieses Gutachtens auf die Leistungsfreiheit berufen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig. Sie ist auch teilweise im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Kläger hat sich unter anderem darauf berufen, die Beklagte habe mit Schreiben vom 22. 2. 2019 eine Versicherungsleistung endgültig abgelehnt und damit (erkennbar) schlüssig auf das Verfahren vor der Ärztekommission im Sinn des Art 17 AUVB 2012 verzichtet. Ein solcher Verzicht auf ein – wie auch hier – nur fakultativ vorgesehenes Sachverständigenverfahren wird von der Rechtsprechung unter bestimmten Umständen anerkannt (vgl RS0080481; RS0081393; RS0116382), verwehrt dem Versicherer den Einwand der mangelnden Fälligkeit (vgl RS0081369; RS0080481) und ermöglicht die Erhebung einer Leistungsklage durch den Versicherungsnehmer (RS0080471 [T3, T7]).

Der erkennende Senat hat auch schon ausgesprochen, dass eine Klage des Versicherungsnehmers vor Ablauf der in den AUVB vorgesehenen 6-Monats-Frist möglich ist, es sei denn, der Versicherer würde innerhalb der Frist auf seinem Recht der Anrufung der Ärztekommission bestehen; mit Rücksicht auf den Zweck der Einrichtung der Ärztekommission, Meinungsverschiedenheiten rasch beizulegen, ist von einem Versicherer, der – wie hier – noch vor Ablauf der in den AUVB vorgesehenen 6-Monats-Frist vom Versicherungsnehmer klageweise in Anspruch genommen wird, zur Vermeidung von Verzögerungen zu verlangen, dass er den Einwand, seinerseits die Ärztekommission anrufen zu wollen, ungesäumt erhebt; widrigenfalls ist ein Verzicht der Beklagten, ihrerseits die Ärztekommission zu beantragen, anzunehmen (RS0116382 [T7]).

Die Beklagte behauptete – auch im Prozess – nicht, den Antrag auf Entscheidung durch die Ärztekommission stellen zu wollen oder bereits gestellt zu haben. Vielmehr beschränkte sie sich auf den Einwand der mangelnden Fälligkeit vor „Anrufung der Ärztekommission“. Dieser Einwand ist daher nicht stichhältig (vgl 7 Ob 56/02i; 7 Ob 222/09m). Es ist von einem Verzicht, die Entscheidung der Ärztekommission zu beantragen, auszugehen, wie bereits zutreffend das Erstgericht darlegte.

2. Feststellung der Versicherungsleistung

2.1. Die Feststellungsklage ist bei gleichem Rechtsschutzeffekt subsidiär zur Leistungsklage (RS0038849; vgl auch RS0038817). Kann der Kläger bereits Leistungsklage erheben, fehlt seinem Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse (RS0039021 [T5]). Das Feststellungsinteresse ist Voraussetzung für die Berechtigung des Feststellungsbegehrens (vgl RS0039177). Es ist vom Kläger durch Geltendmachung konkreter Umstände zu behaupten und (erforderlichenfalls) zu beweisen (RS0037977 [T1]; RS0039239). Der Mangel rechtlichen Interesses an der Feststellung ist auch im Rechtsmittelverfahren von Amts wegen wahrzunehmen (RS0039123).

2.2. Eine Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers ist zwar dann zulässig, wenn er diese dem Grunde nach bestreitet, der Schaden nicht außer Streit steht und ein nach den Versicherungsbedingungen vorgesehenes (fakultatives) Sachverständigenverfahren noch nicht stattgefunden hat (7 Ob 163/03a mwN; vgl RS0038854). Der Kläger hat aber ein solches Sachverständigenverfahren nicht in Anspruch genommen und die Beklagte hat – jedenfalls konkludent – auf ein solches verzichtet. Unter diesem Gesichtspunkt ergibt sich aber keine Grundlage für ein Feststellungsbegehren des Klägers (7 Ob 206/18x mwN).

2.3. Die Leistung aus der Unfallversicherung ist üblicherweise eine Kapitalzahlung („Unfallkapital“; vgl Art 8 AUVB 2012; siehe 7 Ob 206/18x). Dass dem Kläger sonstige Leistungsansprüche aus dem mit der Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag zustehen könnten, die er bislang nicht geltend machen kann, behauptet er nicht. Vielmehr liegen alle Tatsachen vor, die für die Beurteilung der Ansprüche aus dem Unfallversicherungsvertrag relevant sind. Dem Kläger wäre eine Ausmessung des Anspruchs, allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen vor Erhebung der Klage, möglich gewesen (vgl 7 Ob 120/10p).

2.4. Das fragliche Feststellungsinteresse und die Notwendigkeit zur Umstellung auf ein Leistungsbegehren müssen nicht erörtert werden, weil die Beklagte durch ausdrückliche Bestreitung des Feststellungsinteresses im erstgerichtlichen Verfahren bereits auf die Schwäche im Prozessvorbringen des Klägers hingewiesen hat (7 Ob 206/18x; vgl RS0122365). Das Feststellungsbegehren ist daher abzuweisen.

3. Genesungsgeld

3.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§ 914 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0017960; RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insbesondere T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

3.2. Das Genesungsgeld (Art 13 AUVB 2012) ist seiner Funktion nach dazu bestimmt, dem Versicherten Mittel für seine Genesung zur Verfügung zu stellen. Dem Versicherten sollen nach dem unfallbedingten Spitalsaufenthalt für eine Übergangszeit finanzielle Mittel für Mehraufwendungen im Zusammenhang mit der Genesung zur Verfügung stehen. Es bezweckt nicht den Ausgleich eines allgemeinen Verdienstausfalls. Auch kommt es nicht darauf an, ob und wie sich das Einkommen des Versicherten tatsächlich verringert hat. Diese Leistung wird auch gewährt, wenn die Behinderung der Arbeitsfähigkeit oder der Spitalsaufenthalt keinerlei Vermögensnachteile gebracht hat (Summenversicherung; 7 Ob 19/11m mwN).

3.3. Der Kläger macht geltend, ein Krankenhausaufenthalt sei nach Art 13 1. AUVB 2012 bereits dann innerhalb der Frist „medizinisch notwendig“, wenn feststehe, dass er zu einem späteren, außerhalb der Frist liegenden Zeitpunkt stattfinden werde. Diese Ansicht trifft nicht zu.

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Anspruchsvoraussetzung des Genesungsgeldes, „wenn durch einen Unfall eine stationäre Behandlung in einem Spital innerhalb von zwei Jahren nach Eintritt des Unfalls medizinisch notwendig wird“, dahin verstehen, dass ein Spitalsaufenthalt, der durch den Unfall medizinisch veranlasst wird, innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach Eintritt des Unfalls tatsächlich stattfindet. Diese Bestimmung stellt nicht auf die bloße Absehbarkeit einer stationären Behandlung innerhalb von zwei Jahren nach dem Unfalltag ab.

Dem Kläger steht daher das Genesungsgeld nicht zu, weil er im Zeitraum von zwei Jahren nach dem Unfall nur zwei Tage im Krankenhaus war und Genesungsgeld erst ab einer Aufenthaltsdauer von sechs Tagen zusteht. Der zweite Spitalsaufenthalt, der außerhalb der 2-Jahres-Frist liegt, ist nicht zu berücksichtigen.

4. Taggeld

4.1. Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausführte, hat Taggeld, auch wenn seine Funktion darin zu erblicken ist, unfallbedingte Einkommensverluste abzudecken, keinen Unterhaltscharakter (RS0107257). Beim Anspruch auf Taggeld kommt es – entgegen der Ansicht des Erstgerichts – nicht darauf an, ob und wie sich das Einkommen des Versicherten unfallkausal tatsächlich verringert hat (siehe Art 12 4. AUVB 2012). Taggeld wird auch gewährt, wenn die Behinderung der Arbeitsfähigkeit keinerlei Vermögensnachteil brachte. Beim Anspruch auf Taggeld handelt es sich ebenfalls um eine Summenversicherung, weil die Leistung unabhängig vom Nachweis eines konkreten Vermögensnachteils in voller Höhe gebührt (7 Ob 82/11a mwN = ecolex 2011, 1086 [Ertl]; vgl RS0081358 [T3]).

4.2. Taggeld zahlt die Beklagte bei „dauernder oder vorübergehender Invalidität, abgestuft nach dem Grad der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit der versicherten Person in ihrem ausgeübten Beruf“ (Art 12 1. AUVB 2012). Der erste Satzteil stellt die Grundvoraussetzung für die Zahlung von Taggeld auf, nämlich die dauernde oder vorübergehende Invalidität. Der zweite Satzteil spricht aus, dass der Versicherer nicht nur bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit, sondern auch bei teilweiser Beeinträchtigung leistet.

Nach Art 7 1. AUVB 2012 liegt dauernde Invalidität vor, wenn die versicherte Person durch den Unfall auf Lebenszeit in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Zwar wird „vorübergehende Invalidität“ in den Versicherungsbedingungen nicht ausdrücklich definiert, jedoch erklärt sich diese aus der „dauernden Invalidität“. Im Gegensatz zur dauernden Invalidität, die eine Beeinträchtigung auf Lebenszeit voraussetzt, ist die Beeinträchtigung bei einer vorübergehenden Invalidität zeitlich begrenzt.

Die Begriffserklärung „Dauernde Invalidität“ in Art 7 1. AUVB 2012 (und daraus abgeleitet die „vorübergehende“ Invalidität) ist keine Definition, die lediglich für die unmittelbar folgenden Leistungsbeschreibungen maßgeblich ist, sondern strahlt begrifflich über Art 7 auf weitere folgende „Versicherungsleistungen“ aus. Diese weiteren Versicherungsleistungen hängen – wie hier das Taggeld – zum Teil vom Vorliegen einer solchen (vorübergehenden oder dauernden) Invalidität ab. Der Begriff „dauernde Invalidität“ ist maßgeblicher Anknüpfungspunkt nicht nur für die Zahlung von „Unfallkapital“, „Zusatzkapital“ und „Unfallrente“, sondern für weitere, in den Art 8 ff AUVB 2018 beschriebene Versicherungsleistungen, insbesondere für Taggeld (vgl 7 Ob 182/19v).

4.3. Voraussetzung für die Leistung ist, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres ab dem Unfall eintritt und unter Vorlage eines ärztlichen Befundes innerhalb von 15 Monaten geltend gemacht wird (Art 7 2. AUVB 2012). Diese Bedingungslage gilt auch für die Zahlung von Taggeld, setzt dieses doch das Vorliegen dauernder (oder vorübergehender) Invalidität voraus, deren Eintritt und Geltendmachung besonderen Ausschlussfristen unterliegt (vgl RS0109447 [Eintritt der Invalidität]; RS0082222; RS0082292 [Geltendmachung]; 7 Ob 169/17d Pkt 4. mwN). Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird nicht annehmen, dass gerade für die Versicherungsleistung Taggeld diese Ausschlussfristen nicht gelten sollen und er sich zeitlich unbeschränkt auf eine solche Invalidität berufen kann.

4.4. Die Beklagte behauptete erstmals im Prozess, der Kläger habe seinen Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität nicht innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltag an geltend gemacht. Der Kläger hielt diesem Einwand entgegen, die Beklagte habe konkludent auf die Geltendmachung dieser Frist verzichtet, weil sie sich außergerichtlich auf keine Verfallsfrist berufen und ein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Damit macht er dem Inhalt nach auch den Verstoß der Beklagten gegen Treu und Glauben geltend.

Der Fachsenat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Berufung des Versicherers auf den Ablauf einer Ausschlussfrist gegen Treu und Glauben verstoßen kann (7 Ob 47/19s mwN; vgl RS0082222). Die Berufung auf den Fristablauf kann beispielsweise treuwidrig sein, wenn sich der Versicherer nach Fristablauf noch auf Verhandlungen einlässt und neue Gutachten anfordert (RS0016824 [T3]; RS0082179 [T1]).

Der Kläger übermittelte der Beklagten zwar kurz nach dem Unfall ärztliche Befundberichte, allerdings machte er eine dauernde Invalidität erst nach Ablauf der 15-Monatsfrist geltend. Die Beklagte gab nach Ablauf dieser Frist ein medizinisches Gutachten zur Beurteilung der dauernden Invalidität des Klägers in Auftrag und lehnte auf der Grundlage dieses Gutachtens infolge Vorerkrankung die Ansprüche des Klägers ab. Auf die verspätete Geltendmachung wies sie nicht hin. Dadurch, dass sie trotz Kenntnis von der unterlassenen Geltendmachung der dauernden Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall, ihre Leistungen aus dem Unfallversicherungsvertrag allein aus inhaltlichen Gründen ablehnte, erzeugte sie beim Kläger die Erwartung, dass sie sich auch im Prozess nur auf inhaltliche Einwände gegen seinen Anspruch beruft. Unter diesen Umständen verstößt der erstmals im Prozess erhobene Einwand des Ablaufs der 15-Monatsfrist des Art 7 2. AUVB 2012 gegen Treu und Glauben (vgl 7 Ob 34/89) und ist daher unbeachtlich.

4.5. Das Berufungsgericht begründete die Abweisung des Taggeldes damit, dass keine Invalidität vorliege und bezog sich auf die erstinstanzliche Feststellung, im Gutachten des von der Beklagten außergerichtlich beigezogenen Sachverständigen vom Februar 2019 sei ausgeführt worden, dass das noch leicht bestehende Funktionsdefizit am rechten Schultergelenk auf eine vorbestehende Schultergelenksarthrose zurückzuführen sei. Diese Feststellung reicht aber zur Beurteilung des Anspruchs auf Zahlung von Taggeld nicht aus.

Für diese Beurteilung fehlen insbesondere Feststellungen, ob es sich um einen Unfall im Sinn der Versicherungsbedingungen handelte und dieser zu einer vorübergehenden oder dauernden Invalidität des Klägers sowie zu seiner (teilweisen) Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit führte. Fest steht bislang nur, dass der Kläger Ende Februar 2017 einen „Freizeitunfall“ erlitt und vom 19. bis 24. 9. 2018 sowie vom 2. 10. bis 6. 11. 2018 arbeitsunfähig war. Das Verfahren ist daher ergänzungsbedürftig.

5. Mit Ausnahme der Aufhebung im Umfang von 492 EUR sA (Taggeld) sind die Entscheidungen der Vorinstanzen als Teilurteil zu bestätigen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50 Abs 1, 52 Abs 1 und 4 ZPO.

Textnummer

E130221

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00187.20F.1125.000

Im RIS seit

07.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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