TE OGH 2020/11/25 7Ob137/20b

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. G***** W*****, vertreten durch die Pilz & Burghofer Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Otto Ranzenhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 300.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. April 2020, GZ 133 R 105/18s-17, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. August 2018, GZ 10 Cg 11/18z-11, teilweise bestätigt wurde,

beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

2. Das angefochtene Teilurteil wird als Teilurteil bestätigt, sodass es zu lauten hat:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 288.461,54 EUR binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

3. Das angefochtene Teilurteil wird im Übrigen, nämlich im Zuspruch von 4 % Zinsen aus 288.461,54 EUR aufgehoben und insoweit dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

4. Insoweit sind die Kosten des Revisionsverfahrens weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger stellte am 1. 6. 2005 einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung mit einem Einmalerlag von 300.000 EUR. Der Vertrag mit der Beklagten begann mit 1. 7. 2005 zu laufen.

Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Beklagten enthielten folgenden Hinweis:

„Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG

Sie können binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrages von diesem zurücktreten.“

Der Kläger hat sämtliche Rechte aus dem Vertrag mit der Beklagten an die Ö***** AG (folgend: Pfandgläubigerin) verpfändet.

Die Pfandgläubigerin übermittelte der Beklagten ein vom Kläger unterzeichnetes, an die Beklagte gerichtetes Schreiben vom 6. 6. 2005 mit (ua) folgendem Inhalt:

„[...]

Ich teile Ihnen mit, daß ich alle Ansprüche, die mir jetzt und in Zukunft aus der oben genannten Polizze zustehen, insbesondere auch Gewinnbeteiligung, Indexsteigerungen und alle anderen Nebenleistungen rechtsverbindlich an die [Pfandgläubigerin] verpfändet habe. Ich beantrage, das Bezugsrecht für den Ab- und Erlebensfall inklusive Gewinnbeteiligung, Indexsteigerungen und allen anderen Nebenleistungen auf die Dauer der Verpfändung zu Gunsten der genannten Bank zu ändern.

[...]“

Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 29. 11. 2006 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag gestützt auf Irrtumsanfechtung, den die Beklagte nicht anerkannte. Eine darauf gestützte Klage blieb erfolglos.

Mit Schreiben vom 14. 9. 2009 stützte der Kläger seine Rücktrittserklärung vom 29. 11. 2006 hilfsweise auch auf § 5b VersVG (aF). Dies anerkannte die Beklagte wiederum nicht, was der Kläger zunächst akzeptierte. Mit Schreiben vom 21. 1. 2011 erklärte der Kläger ein weiteres Mal den Vertragsrücktritt, stützte sich dabei wiederum auf § 5b VersVG (aF) und führte im Rücktrittsschreiben aus, er habe die Versicherungsbedingungen erstmals am 7. 1. 2011 erhalten. Die Beklagte lehnte diesen Vertragsrücktritt mit Schreiben vom 24. 1. 2011 ebenfalls ab.

Mit Schreiben vom 26. 5. 2017 erklärte der Beklagte neuerlich den Rücktritt vom Vertrag mit der Begründung, über die Dauer seines Rücktrittsrechts unrichtig belehrt worden zu sein. Die Beklagte wies diese Rücktrittserklärung mit Schreiben vom 20. 6. 2017 zurück.

Die Pfandgläubigerin teilte dem Kläger mit einem dem Erstgericht als Beweisurkunde vorgelegten Schreiben vom 25. 10. 2017 (ua) mit:

„…

[Der Kläger] hat uns sämtliche Rechte aus dem Vertrag mit der [Beklagten] verpfändet.

Hiermit legitimieren wir [den Kläger] in eigenem Namen, trotz Verpfändung, Klage gegen die [Beklagte] einzubringen. Bedingung ist, dass ein etwaiger Erlös dem Kredit bei der [Pfandgläubigerin] zugute kommt.

…“

Ergänzend teilte die Pfandgläubigerin dem Kläger mit einem dem Erstgericht ebenfalls als Beweisurkunde vorgelegten Schreiben vom 4. 7. 2018 weiters mit:

„[...] wir sind damit einverstanden, dass [der Kläger] vom Versicherungsvertrag mit der [Beklagten] zurückgetreten ist. In Ergänzung unseres Briefes vom 25. 10. 2017 sind wir damit einverstanden, dass [der Kläger] den Erlös aus dem Verfahren gegen die [Beklagte] zugezählt erhält und im eigenen Namen die Klage einbringt. Er hat sich lediglich im Innenverhältnis verpflichtet, mit dem Realisat aus dem Prozess den bei uns laufenden Kredit zurückzubezahlen. […]“

Der Kläger begehrte mit seiner am 3. 11. 2017 eingebrachten Klage von der Beklagten wegen unrichtiger Belehrung über die Frist für die Ausübung des ihm zustehenden Rücktrittsrechts die Zahlung von 300.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2005 aus dem Titel der Bereicherung. Er sei aktivlegitimiert, weil ihn die Pfandgläubigerin zur klagsweisen Geltendmachung des Anspruchs autorisiert habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, dass die in § 165a VersVG (aF) normierte Kündigungsfrist mit dem Zustandekommen des Vertrags zu laufen begonnen habe und zwar unabhängig von einer unrichtigen Belehrung. Der Kläger habe mehrfach versucht, vom Versicherungsvertrag zurückzutreten, was nach mehr als 12 Jahren rechtsmissbräuchlich sei und gegen Treu und Glauben verstoße. Der Kläger habe aufgrund seines widersprüchlichen Verhaltens gegen das Verbot des venire contra factum proprium verstoßen. Es sei auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Kläger von dritter Seite über sein Rücktrittsrecht vollständig aufgeklärt worden sei. Das Rücktrittsrecht verjähre dann in drei Jahren. Dem Kläger stehe jedenfalls nur der Rückkaufswert zu. Der Kläger habe außerdem weder einen Anspruch auf Rückerstattung der Versicherungssteuer noch auf Zinsen in Höhe von 4 %. Zudem verjährten Zinsen aus der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung eines Vertrags innerhalb von drei Jahren.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung der vom Kläger begehrten 300.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2005. Es traf ergänzend zum eingangs zusammengefassten Sachverhalt eine Negativfeststellung zur Behauptung der Beklagten, dass der Kläger bereits vor Mai 2017 (von dritter Seite) Kenntnis vom Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG (aF) erlangte habe, und es vermochte auch keine Feststellung über die Höhe der von der Beklagten bezahlten Versicherungssteuer sowie über jene der Risikokosten zu treffen. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass der Kläger infolge Zustimmung der Pfandgläubigerin aktivlegitimiert sei. Dem Kläger stehe wegen der unrichtigen Belehrung über § 165a VersVG (aF) ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu, was zur vollen Klagsstattgebung führe. Abzüge für Risikokosten und Versicherungssteuer gebührten der Beklagten nicht, weil deren Höhe jeweils nicht feststellbar gewesen sei.

Mit seinem infolge Berufung der Beklagten ergangenen Teilurteil bestätigte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichts im Umfang des Zuspruchs von 288.461,54 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2005 und unterbrach das Verfahren betreffend das Begehren auf Zuspruch von 11.538,46 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 7. 2005 bis zur Entscheidung des EuGH über das vom Obersten Gerichtshof am 23. 10. 2019 zu 7 Ob 211/18g gestellte Vorabentscheidungsersuchen (C-803/19, WWK Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit). Es übernahm die von der Beklagten bekämpfte erstgerichtliche Negativfeststellung zu einer Kenntnis des Klägers vom Rücktrittsrecht vor Mai 2017 nicht und verneinte einen von der Beklagten geltend gemachten erstgerichtlichen Verfahrensmangel betreffend die unterbliebene Klärung der Höhe der Risikokosten mit der Begründung, die Beklagte habe dazu nur die Durchführung von Erkundungsbeweisen begehrt. Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass bei Erklärungen nicht bevollmächtigter Vertreter oder nicht (ausreichend) geschäftsfähiger Personen eine fehlende (gesetzliche) Genehmigung auch nachträglich eingeholt werden könne. Gleiches müsse für die hier erfolgte Zustimmung der Pfandgläubigerin zum vom Pfandschuldner (Kläger) der beklagten Drittschuldnerin erklärten Vertragsrücktritt gelten. Der Kläger sei daher aktivlegitimiert. Die Beklagte habe den Kläger unrichtig über die bei Vertragsabschluss nach § 165a Abs 1 VersVG (aF) maßgebliche Rücktrittsfrist (14 Tage statt richtig 30 Tage) belehrt, weshalb der Kläger zum Spätrücktritt berechtigt gewesen sei. Das Recht auf Vertragsrücktritt sei auch nicht verjährt, weil die Rücktrittsfrist infolge fehlerhafter Belehrung nicht zu laufen begonnen habe. Dem Kläger stehe infolge Vertragsrücktritts die Rückzahlung der vollen Versicherungsprämie zu und nicht bloß der Rückkaufswert. Soweit die Beklagte einwende, dass bei dem vom Kläger gewählten Versicherungsprodukt Wertverluste eingetreten seien und die Beklagte entreichert sei, verstoße sie gegen das Neuerungsverbot. Das Rücktrittsschreiben des Klägers vom 26. 5. 2017 sei der Beklagten am 1. 6. 2017 zugegangen. Dem Kläger stünden daher ab 2. 6. 2017 die gesetzlichen Verzugszinsen zu. Für den Zeitraum davor gebührten dem Kläger analog § 4 KSchG Vergütungszinsen, sei doch die Beklagte wegen ihrer unrichtigen Rücktrittsbelehrung unredliche Bereicherungsschuldnerin. Zur Höhe der Risikokosten habe die Beklagte in erster Instanz nichts vorgebracht. Der Kläger habe allerdings die Behauptung der Beklagten, der Einmalerlag habe auch die Versicherungssteuer (4 % der Nettoversicherungsprämie) enthalten, nicht substanziiert bestritten, wovon daher auszugehen gewesen sei. In diesem Umfang (11.538,47 EUR sA) sei das Verfahren bis zur Entscheidung des dazu erfolgten Vorabentscheidungsersuchens zu unterbrechen gewesen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen sein Teilurteil zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Beginn und Dauer der Verjährungsfrist für Zinsen beim Spätrücktritt von Lebensversicherungen fehle.

Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise diese abzuweisen.

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage und weil die Entscheidung des Berufungsgerichts betreffend die Vergütungszinsen von der zwischenzeitig ergangenen Rechtsprechung des Fachsenats abweicht, zulässig und teilweise auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1. Forderungen des Versicherungsnehmers „aus der Versicherung“ (§ 15 VersVG) können als Geldforderungen im Allgemeinen ohne weiteres abgetreten, verpfändet oder gepfändet werden, ohne dass dadurch das Versicherungsverhältnis zwischen Versicherer und Versichertem berührt würde (7 Ob 157/12g; RS0011319).

1.2. Der Kläger verpfändete hier „alle Ansprüche, die [diesem] jetzt und in Zukunft aus der oben genannten Polizze zustehen, insbesondere auch Gewinnbeteiligung, Indexsteigerungen und alle anderen Nebenleistungen rechtsverbindlich an die [Pfandgläubigerin]“ und beantragte, „das Bezugsrecht für den Ab- und Erlebensfall inklusive Gewinnbeteiligung, Indexsteigerungen und allen anderen Nebenleistungen auf die Dauer der Verpfändung zu Gunsten der genannten Bank zu ändern“. Diese Pfandvereinbarung bezieht sich nach Wortlaut, Sinn und Zweck auf alle aus dem Versicherungsvertrag resultierenden Leistungsansprüche. Dass davon auch Gestaltungsrechte, wie das Rücktrittsrecht, umfasst wären, ergibt sich daraus nicht (vgl 7 Ob 20/20x). Schon aus diesem Grund stand dem Kläger das Recht auf Geltendmachung des Vertragsrücktritts weiterhin zu.

1.3. Der Kläger begehrt hier die Auszahlung des sich aus der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung ergebenden Betrags an sich selbst. Verpfändet aber der Versicherungsnehmer seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag, wird dem Pfandgläubiger das Vorrecht vor dem Bezugsberechtigten eingeräumt, sich bei Nichterfüllung seiner Forderung aus den verpfändeten Vermögensstücken zu befriedigen (7 Ob 36/18x; RS0011299). Der Pfandgläubiger ist nach der Pfandreife bis zur Höhe seiner Forderung zur Einziehung der Versicherungsleistung berechtigt (7 Ob 61/16w; RS0080565). Eine schuldbefreiende Leistung des Versicherers an den Versicherungsnehmer kann nur mit Zustimmung der Pfandgläubigerin erfolgen (7 Ob 20/20x; Schauer in Fenyves/Schauer, VersVG § 166 Rz 41). Diese Zustimmung hat hier die Pfandgläubigerin noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz mit Schreiben vom 4. 7. 2018 erklärt. Der Kläger hat dieses Schreiben als Beweismittel vorgelegt und damit der Beklagten zur Kenntnis gebracht. Der Kläger war daher aktiv klagslegitimiert. Eine allfällige (Teil-)Zahlung der Beklagten an die Pfandgläubigerin nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz ist eine unbeachtliche Neuerung.

2.1. Nach der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses maßgeblichen Fassung des § 165a Abs 1 Satz 1 VersVG (aF) war der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten. Die Belehrung der Beklagten in deren AVB, wonach der Versicherungsnehmer nach § 165a VersVG (aF) binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurücktreten könne, war demnach unrichtig.

2.2. Der Fachsenat hat von den Entscheidungen des EuGH 19. 12. 2013, C-209/12, Endress, und 10. 4. 2008, C-412/06, Hamilton, ausgehend bereits wiederholt ausgesprochen, dass aufgrund fehlerhafter Belehrung über die Dauer der Rücktrittsfrist bei richtlinienkonformer Auslegung des § 165a Abs 2 VersVG (aF) dem Versicherungsnehmer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zusteht (7 Ob 107/15h). Dies gilt namentlich für den auch hier vorliegenden Fall der unrichtigen Angabe der Rücktrittsfrist von 14 Tagen anstatt richtig 30 Tagen (7 Ob 8/20g; 7 Ob 20/20x [jeweils zu § 165a VersVG idF BGBl I 2004/62]), wird doch damit dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben (7 Ob 40/20p).

2.3. Aus der Beantwortung der Vorlagefrage 2 in EuGH C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner (ua) folgt, dass in einem Fall, in dem der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine fehlerhafte Information über dessen Rücktrittsrecht mitgeteilt hat, die Frist für das Rücktrittsrecht selbst dann nicht zu laufen beginnt, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Weg von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt haben sollte (7 Ob 19/20z; 7 Ob 15/20m; 7 Ob 8/20g). Das Berufungsgericht konnte daher – entgegen der Ansicht der Beklagten – mit Recht und ohne dass dies einen Verfahrensmangel begründen könnte, ungeklärt lassen, ob der Kläger allenfalls von dritter Seite schon vor Mai 2017 Kenntnis von seinem Rücktrittsrecht erlangt hat.

3. Die Ausübung des Rücktrittsrechts Jahre nach dem Abschluss des Vertrags ist im vorliegenden Kontext – entgegen der Ansicht der Beklagten – weder rechtsmissbräuchlich noch widersprüchlich. Zunächst hat es die Beklagte aufgrund ihrer unrichtigen Belehrung selbst zu vertreten, dass der Kläger nicht schon früher zur Ausübung seines Rücktrittsrechts verhalten war. Das Rücktrittsrecht dient der Wahrung der Entscheidungsfreiheit des Versicherungsnehmers und ist an keine besonderen Voraussetzungen gebunden. Der Kläger hat schon kein Verhalten gesetzt, aus dem erkennbar gewesen wäre, dass er endgültig die Wahrnehmung von Ansprüchen aus einem sogenannten Spätrücktritt aufgeben wolle. Vielmehr hat der Kläger mehrfach (aus anderen Gründen) versucht, sich vom Versicherungsvertrag zu lösen, sodass er sich mit der nunmehrigen Ausübung des Rücktritts infolge unrichtiger Belehrung durch die Beklagte gerade nicht widersprüchlich verhalten, sondern sein bisheriges Ansinnen konsequent weiterverfolgt hat. Die Ausübung des Rücktritts begründet demnach in der gegebenen Situation keinen Rechtsmissbrauch (vgl 7 Ob 8/20g).

4. Der Behauptung der Beklagten, es fehle am Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw an der Kausalität ihrer unrichtigen Belehrung, weil der Kläger selbst im Fall einer ordnungsgemäßen Rücktrittsbelehrung durch die Beklagte nicht innerhalb von 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrags zurückgetreten wäre, musste das Berufungsgericht nicht nachgehen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch beruht allein auf dem zulässig erklärten Rücktritt vom Vertrag und der daraus resultierenden bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Das Vorliegen schadenersatzrechtlicher Anspruchsvoraussetzungen ist dafür nicht erforderlich und musste daher nicht geprüft werden. Von der Beklagten daraus abgeleitete Mängel des Berufungsverfahrens und sekundäre Feststellungsmängel liegen daher nicht vor.

5. Zur Negativfeststellung über die Höhe der Risikokosten hat das Berufungsgericht das Vorliegen eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels verneint. Dieser schon vom Berufungsgericht verneinte Vorwurf der unrichtigen Annahme eines Erkundungsbeweises durch das Erstgericht ist daher nicht revisibel (1 Ob 183/14i; 1 Ob 37/15w). Auf den von der Beklagten in der Revision neuerlich relevierten, aber der Höhe nach wiederum nicht konkretisierten Abzug aus dem Titel der Risikokosten ist daher nicht einzugehen.

6. Als Zwischenergebnis folgt: Infolge unrichtiger Belehrung über die Dauer des Rücktrittsrechts (14 Tage anstatt 30 Tage), welcher Fehler dem Kläger die Möglichkeit genommen hat, sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben, ist dessen Spätrücktritt grundsätzlich berechtigt. Auf eine Information des Klägers über sein Rücktrittsrecht durch einen Dritten kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Ein rechtsmissbräuchliches oder widersprüchliches Verhalten des Klägers lag betreffend sein Recht auf einen Vertragsrücktritt nach § 165a VersVG (aF) nicht vor. Erwägungen über den Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw die Kausalität des Belehrungsfehlers der Beklagten sind im Rahmen der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nicht anzustellen. Risikokosten sind infolge eines vom Berufungsgericht insoweit verneinten Verfahrensmangels im Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen. Auf eine Beschränkung der Rückabwicklung auf den bloßen Rückkaufswert, die dem Unionsrecht widersprechen würde (7 Ob 15/20m; 7 Ob 14/20i), kommt die Beklagte in ihrer Revision zu Recht nicht mehr zurück. Die allfällige Auszahlung dieses Rückkaufswerts an die Pfandgläubigerin nach Schluss der Verhandlung in erster Instanz ist eine unbeachtliche Neuerung. Damit erweist sich der Zuspruch im Umfang des gesamten Klagsbetrags als berechtigt.

7. Soweit sich allerdings die Beklagte gegen den Zuspruch von Vergütungszinsen für den gesamten Zeitraum ab 1. 7. 2005 wendet, ist sie teilweise im Recht:

7.1. Alle Arten von Zinsen aus einer fälligen, zu erstattenden Geldsumme ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Zahlungspflicht, darunter auch Zinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme („Vergütungszinsen“), verjähren gemäß § 1480 ABGB (RS0031939; RS0033829; RS0032078; RS0038587). Unkenntnis des Anspruchs hindert den Beginn der Verjährung im Allgemeinen nicht. Wer etwa einen wegen Irrtums (auch eines Rechtsirrtums) ohne Rechtsgrund geleisteten Geldbetrag zurückfordert, ist zwar bis zur Aufdeckung dieses Willensmangels gar nicht in der Lage, Zinsen von dem rechtsgrundlos gegebenen Kapital zu fordern; das hindert aber nicht den Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 1480 ABGB, ist doch der Beginn der Verjährungsfrist grundsätzlich – von Ausnahmebestimmungen wie etwa § 1489 ABGB abgesehen – an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung geknüpft. Die Möglichkeit zu klagen ist im objektiven Sinn zu verstehen; subjektive, in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse, wie ein Irrtum des Berechtigten oder überhaupt Unkenntnis des Anspruchs, haben in der Regel auf den Beginn der Verjährungsfrist keinen Einfluss (RS0034337; RS0034445 [T1]; RS0034248). Mehr als drei Jahre vor dem Tag der Klagseinbringung rückständige Vergütungszinsen sind daher verjährt (4 Ob 584/87). Bereits in mehreren Entscheidungen hat der erkennende Fachsenat diese Rechtsprechung auch für den Fall der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung nach einem (Spät-)Rücktritt des Versicherungsnehmers von einem Lebensversicherungsvertrag ausdrücklich aufrechterhalten (7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 88/20x).

7.2. Ausgehend von der Entscheidung des EuGH 19. 12. 2019, C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rust-Hackner (ua), hat der Senat aber weiters ausgesprochen (7 Ob 10/20a; 7 Ob 11/20y; 7 Ob 88/20x): Im Grundsatz steht das Unionsrecht einer Verjährung des Anspruchs auf die Vergütungszinsen binnen drei Jahren nicht entgegen, wenn dies die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst nicht beeinträchtigt. Der EuGH hob deutlich hervor, dass das Rücktrittsrecht nicht dazu dient, dass der Versicherungsnehmer eine höhere Rendite erhalten oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen spekulieren kann. Allerdings wurde auch darauf hingewiesen, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob eine solche Verjährung des Anspruchs auf Vergütungszinsen geeignet ist, die Wirksamkeit des dem Versicherungsnehmer unionsrechtlich zuerkannten Rücktrittsrechts selbst zu beeinträchtigen, zumal Versicherungsverträge rechtlich komplexe Finanzprodukte sind, die je nach anbietendem Versicherer große Unterschiede aufweisen und über einen potentiell sehr langen Zeitraum erhebliche finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen können. Wenn unter diesen Umständen die Tatsache, dass die für mehr als drei Jahre fälligen Zinsen verjährt sind, dazu führen sollte, dass der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht nicht ausübt, obwohl der Vertrag seinen Bedürfnissen nicht entspricht, wäre eine solche Verjährung geeignet, das Rücktrittsrecht zu beeinträchtigen, insbesondere wenn der Versicherungsnehmer nicht richtig über die Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts informiert wurde. Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren.

7.3. Daraus folgt für den vorliegenden Fall: Die grundsätzlich anzuwendende dreijährige Verjährungsfrist beginnt im Zeitpunkt der objektiven Möglichkeit der Rechtsausübung, dh mit der Zahlung der Prämie. Mehr als drei Jahre rückständige Vergütungszinsen berechnet von dem Tag der Klagseinbringung wären daher grundsätzlich verjährt, sofern dieser Umstand nicht der effektiven Ausübung des Rücktrittrechts im zuvor dargestellten Sinn entgegenstünde. Diese Voraussetzungen waren aber bislang nicht Gegenstand des Verfahrens und wurden nicht mit den Parteien erörtert. Es ist daher den Parteien Gelegenheit zu geben, Vorbringen zu erstatten und im Weiteren zu klären und festzustellen, ob der Vertrag im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses den Bedürfnissen des Klägers entsprach, sowie ob und inwiefern dieser durch die Verjährung der Vergütungszinsen binnen drei Jahren daran gehindert worden ist, sein Rücktrittsrecht geltend zu machen. Nur wenn der Vertrag im konkreten Einzelfall nicht den Bedürfnissen des Klägers entsprach – was im vorliegenden Fall der besonderen Berücksichtigung des Umstands bedarf, dass sämtliche Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag zur Kreditbesicherung verpfändet waren – und er durch die Verjährung am Rücktritt gehindert wurde, wird die dreijährige Verjährungsfrist nicht anzuwenden sein.

8. Im Ergebnis folgt:

8.1. Die Berufung der Beklagten erweist sich lediglich im Umfang des Zuspruchs von 4 % Zinsen aus 288.461,54 EUR im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags als berechtigt. Das Erstgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren nur mehr mit diesem Teil des Zinsenbegehrens zu befassen und dabei auf der Grundlage eines von den Parteien dazu ergänzenden Vorbringens jene Umstände zu klären haben, bei deren Vorliegen im Sinn von Punkt 7.3. die dreijährige Verjährungsfrist ausnahmsweise nicht anzuwenden ist. Sind solche Umstände nicht erweislich, wird der noch offene Teil des auf Bereicherungsrecht beruhenden Zinsenbegehrens abzuweisen sein.

8.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 und 4 ZPO.

Textnummer

E130222

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00137.20B.1125.000

Im RIS seit

07.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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