TE OGH 2020/11/26 4Ob183/20w

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*****, vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl Kommandit-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 30.500 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Juli 2020, GZ 3 R 30/20h-17, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 29. März 2020, GZ 68 Cg 4/20z-10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.332,54 EUR (darin 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Der klagende Verein ist ein gemeinnu?tziger und mildtätiger österreichischer Verein, der ua freiwillige Blutspenden organisiert und durchfu?hrt. Diese Tätigkeit unterliegt dem österreichischen Blutsicherheitsgesetz 1999 (BSG). Der Klägerin obliegt ua die Organisation und Durchfu?hrung des freiwilligen Blutspendedienstes im Sinne der klinischen Transfusionsmedizin einschließlich der Präparation zur Lagerung und der Bereitstellung der hergestellten Blutprodukte bzw Blutkomponenten fu?r medizinische Zwecke. Die Mittel der Klägerin werden gemäß § 16 ihrer Satzung durch „Mitgliedsbeiträge, Subventionen, Spenden aller Art, Sammelaktionen, Lotterien und sonstige ähnliche Veranstaltungen und sonstige Einku?nfte" aufgebracht. 2018 haben in Österreich insgesamt 231.002 Personen bei der Klägerin Blut gespendet, dabei konnten insgesamt 344.088 Vollblutspenden abgenommen werden. Die Spenden bei der Klägerin erfolgen unentgeltlich.

[2]            Die beklagte GmbH, Teil eines staatlichen Unternehmens in französischem Besitz, betreibt sieben Plasmazentren in Österreich, stellt lebensrettende Medikamente aus Plasma her und vermarktet sie. Sie wirbt damit um Blut-(plasma-)spender, dass sie ihnen eine pauschalierte Aufwandsentschädigung von 25 EUR pro Spende, zusätzliche Prämien für wiederholte Plasmaspenden sowie eine Prämie von 50 EUR für die Vermittlung von Neuspendern versprach und diese Beträge auch bezahlte. Anders als beim Blutspenden beim Kläger müssen Spender bei der Beklagten von Gesetzes wegen vor der Spende eine Eignungsuntersuchung und alle vier Monate eine Routineuntersuchung dulden.

[3]            Die Klägerin wirft der Beklagten vor, sich dadurch einen unlauteren Vorteil im Wettbewerb um Blutkomponentenspenden zu verschaffen, dass sie das Vorliegen eines tatsächlichen Aufwands iSd § 8 Abs 4 BSG nicht prüfe, sondern fixe Tarife vorsehe. Sie ersetze den Spendern weit mehr als den tatsächlichen Aufwand. Der von der Beklagten bezahlte „Aufwandersatz“ sei daher nichts anderes als ein Entgelt fu?r die Plasmaspende.

[4]            Das Erstgericht verbot der Beklagten, bis zum Abschluss des Hauptverfahrens

a) einen als „Prämie“ oder „Treueprämie“ bezeichneten Gewinn für die Blut- oder Plasmaspende zu versprechen oder auszuzahlen;

b) Personen, die Blut- oder PlasmaspenderInnen vermitteln, für diese Vermittlung Prämien zu versprechen oder auszuzahlen.

[5]            Hingegen wies es das Mehrbegehren ab, der Beklagten zu verbieten,

a) einen als „pauschalierte Aufwandsentschädigung“ bezeichneten Gewinn für die Blut- oder Plasmaspende zu versprechen oder auszuzahlen;

b) Blut- oder PlasmaspenderInnen für wiederholte Blut- oder Plasmaspenden eine Prämie zu versprechen oder auszuzahlen;

c) im geschäftlichen Verkehr, im Internet und im öffentlichen Raum mit Gegenleistungen für Blutspenden zu werben.

[6]       Das von beiden Parteien angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zur Auslegung des § 8 Abs 4 BSG 1999 nachträglich zu.

[7]            Der nur vom Kläger gegen den abweisenden Beschluss erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO iVm §§ 78, 402 EO).

Rechtliche Beurteilung

[8]       1.1. Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien kommt dem Obersten Gerichtshof keine Leitfunktion zu (RIS-Justiz RS0116438). Er ist daher zur Fällung grundlegender Entscheidungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts nicht berufen, sodass die Auslegung verwaltungsrechtlicher Normen auch keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO begründen kann, solange den Vorinstanzen dabei keine krasse Fehlentscheidung unterlaufen ist (RS0113455 [insb T3]; vgl 4 Ob 193/15h mwN).

[9]            1.2. Ein lauterkeitsrechtlich relevanter Rechtsbruch liegt nur vor, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht (RS0077771; RS0123239). Die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht ist aufgrund des Wortlauts und des offenkundigen Zwecks der angeblich verletzten Norm – sowie gegebenenfalls der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und der beständigen Praxis von Verwaltungsbehörden – zu beurteilen (vgl 4 Ob 58/12g mwN; RS0077771 [T4]; RS0123239 [T8]).

[10]     Hat das Rekursgericht die Vertretbarkeit bejaht, geht es auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung der Entscheidung beim Obersten Gerichtshof hinzutretenden – Stufe nicht um die Frage, ob das zweitinstanzliche Gericht die Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (vgl RS0124004).

[11]     2. Das Rekursgericht begründete die teilweise Abweisung des Sicherungsantrags damit, dass pauschalierte Aufwandersätze für Reisekosten und Zeitaufwand von 25 EUR pro Plasmaspende – auch im Lichte der Gesetzesmaterialien und des § 273 ZPO – vertretbar als mit dem in § 8 Abs 4 BSG 1999, BGBl I 1999/44, normierten Grundsatz der Unentgeltlichkeit vereinbar angesehen werden könnten und dass es auch vertretbar sei, sich als zum Bewerben solcher Aufwandsentschädigungen berechtigt zu erachten.

[12]           3. Warum dem Rekursgericht damit eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen sein sollte, zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.

[13]           3.1. Nach § 8 Abs 4 BSG 1999 ist es untersagt, Spendern von Blut oder Blutbestandteilen oder dritten Personen für eine Spende einen Gewinn zukommen zu lassen oder zu versprechen. Erfolgt die Blutspende (Vollblut) für Produkte zur direkten Transfusion, so hat die Spende gänzlich unbezahlt zu erfolgen. Ein Aufwandersatz ist in diesen Fällen nur dann zulässig, wenn der Spender aufgrund eines unmittelbaren Bedarfs in einer akuten Notfallsituation von der Blutspendeeinrichtung zur unverzüglichen Spende aufgefordert wurde.

[14]           Nach den Materialien (ErläutRV 1430 BlgNR 20. GP 38 f) soll das Verbot eines Gewinns für eine Spende das Prinzip der Selbstversorgung mit freiwilligen, unentgeltlichen Blutspenden verwirklichen. Aus verwaltungsökonomischen Gründen und zur Sicherung der nationalen Selbstversorgung erscheine eine pauschalierte Abgeltung der Reisekosten und eine angemessene Vergütung für den mit der Spende von Blutbestandteilen, wie bei der Plasma- und Thrombozytapherese, verbundenen Zeitaufwand in einem diese Umstände berücksichtigenden Ausmaß mit dem Verbot der Gewinnerzielung durch Blutspenden vereinbar, weil dem Spender durch seine Spende keine Kosten entstehen sollen. Diese pauschalierte Aufwandsentschädigung müsse allerdings in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen Aufwand stehen. Die Möglichkeit, in Werbematerialien einen Hinweis auf eine angemessene Aufwandsentschädigung aufzunehmen, bleibe unberührt.

[15]           3.2. Der Kläger führt in seinem Revisionsrekurs ins Treffen, dass der Begriff des verpönten „Gewinns“ auch den Erhalt einer (pauschalierten) Zuwendung für bloßen Zeitaufwand auch ohne Verdienstentgang umfasse und die auszulegende Bestimmung nur konkreten Verdienstentgang für ersetzbar erkläre.

[16]           Warum das Auslegungsergebnis des Rekursgerichts unvertretbar sein sollte, wird damit nicht nachvollziehbar begründet, zumal auch die Materialien auf eine angemessene Vergütung für den mit der Spende verbundenen Zeitaufwand abstellen.

[17]           Auch aus dem behaupteten Umstand, dass andere Verwaltungsgesetze und Rechtsmaterien auf andere Abgrenzungen zwischen Gewinn und Aufwandersatz abstellten, kann nicht abgeleitet werden, dass das vom Rekursgericht erzielte Auslegungsergebnis, die Beklagte habe hier vertretbar davon ausgehen dürfen, zur Zahlung und Bewerbung ihrer (pauschalen) Aufwandersätze auch ohne Nachweis eines konkreten Verdienstentgangs berechtigt zu sein, unvertretbar wäre.

[18]           Da nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Vertretbarkeit der Auslegung von verwaltungsrechtlichen Normen die Behördenpraxis Bedeutung hat, liegt in der Mitberücksichtigung auch der Rechtsansicht des Ressorts des mit der Vollziehung des § 8 BSG 1999 allein betrauten Bundesministers für Gesundheit (§ 26 leg cit), wonach pauschalierte Aufwandersätze fu?r Reisekosten und Zeitaufwendungen mit dem in § 8 BSG normierten Grundsatz der Unentgeltlichkeit vereinbar seien, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen Aufwand stehen, weder ein Verfahrensmangel noch ein Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Auch in einer auf § 273 ZPO Bezug nehmenden Plausibilitätsbetrachtung durch das Rekursgericht liegt kein Verfahrensmangel.

[19]           3.3. Mit der für die Beurteilung der Erheblichkeit der mit dem Rechtsmittel angesprochenen Frage, ob die lauterkeitsrechtliche Vertretbarkeit vom Rekursgericht in unvertretbarer Weise angenommen wurde, setzt sich der Revisionsrekurs nicht auseinander (vgl 4 Ob 90/16p); er zeigt insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage auf und war daher zurückzuweisen.

[20]           4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 und §§ 402, 78 EO iVm §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in der ihr vom Rekursgericht freigestellten Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

Schlagworte

Blutplasmaspende,

Textnummer

E130205

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00183.20W.1126.000

Im RIS seit

07.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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