TE OGH 2020/11/27 2Ob196/19s

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.11.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M***** K***** als Insolvenzverwalter in der Insolvenz der „i*****“ ***** GmbH in Liqu., Rechtsanwalt, *****, gegen die beklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Frieders Tassul & Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen 34.356,30 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. September 2019, GZ 133 R 75/19f-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 4. Mai 2019, GZ 35 Cg 39/16y-35, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Geschäftsmodell der (trotz mittlerweiliger Insolvenz und der daraus resultierenden Berichtigung der Parteibezeichnung auf den Insolvenzverwalter weiter so bezeichneten) klagenden Partei war es, bei Bauprojekten dem Bauherrn Einsparungsmöglichkeiten aufzuzeigen und durchzusetzen; dafür wurde eine Kombination aus Fix- und Erfolgshonorar vereinbart. Die beklagte Partei war Rechtsvertreterin der klagenden Partei in einem Vorprozess vor dem Handelsgericht Wien, in dem die klagende Partei einen Honoraranspruch aus einem solchen Bauprojekt gegen den Bauherrn geltend machte. Dafür war ihr von der klagenden Partei uneingeschränkte Prozessführungsvollmacht erteilt worden.

[2]            In dem Vorprozess begehrte die klagende Partei zuletzt 223.973,67 EUR samt 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz des vorangegangenen 30. 6. und 31. 12.

aus 96.000 EUR vom 23. 10. 2007 bis 25. 6. 2008 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 21. 3. 2008 (Klagszustellung),

aus 13.050 EUR vom 14. 2. 2008 bis 25. 6. 2008 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 21. 3. 2008 (Klagszustellung),

aus 604.303,91 EUR seit 26. 6. 2008 bis 12. 10. 2011 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 14. 9. 2009,

aus 322.337,14 EUR seit 13. 10. 2011 bis 18. 10. 2012 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 14. 9. 2009,

aus 307.065,46 EUR seit 19. 10. 2012 bis 5. 3. 2014 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 19. 10. 2012,

aus 223.973,67 EUR seit 6. 3. 2014 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 6. 3. 2014 sowie Kostenersatz.

[3]            Im erstinstanzlichen Urteil des Vorprozesses wurde die dort beklagte Partei schuldig erkannt, der klagenden Partei 69.072,26 EUR samt Zinsen in Höhe von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz des vorangegangenen 30. 6. bzw 30. 12.

aus 96.000 EUR vom 23. 10. 2007 bis 25. 6. 2008 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 21. 3. 2008 (Klagszustellung),

aus 13.050 EUR vom 14. 2. 2008 bis 25. 6. 2008 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 21. 3. 2008 (Klagszustellung),

aus 340.352,50 EUR vom 26. 6. 2008 bis 12. 10. 2011 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 14. 9. 2009,

aus 167.885,73 EUR vom 13. 10. 2011 bis 18. 10. 2012 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 14. 9. 2009,

aus 152.614,05 EUR vom 19. 10. 2011 bis 5. 3. 2014 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 14. 9. 2009 und

aus 69.072,26 EUR seit 19. 10. 2012 samt Zinseszinsen in Höhe von 4 % seit 14. 9. 2009 zu zahlen.

[4]       Das Mehrbegehren, die dort beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei „weitere 154.901,41 EUR samt Zinsen daraus in der Höhe von 8 % über dem jeweiligen Basiszinssatz des vorangegangenen 30. 6. bzw 30. 12. seit 26. 6. 2008 samt 4 % Zinseszinsen seit Klagszustellung zu zahlen sowie das darüber hinausgehende Mehrbegehren hinsichtlich Zinsen und Zinseszinsen“ wurde abgewiesen.

[5]            Vor Einlangen dieses Urteils in der Kanzlei der beklagten Partei erklärte der Geschäftsführer der klagenden Partei gegenüber dem Geschäftsführer der beklagten Partei im Zuge einer Auseinandersetzung um Honorarnoten der beklagten Partei, dass er die Arbeitsleistungen in der Kanzlei der beklagten Partei so gering wie möglich halten wolle und er werde der beklagten Partei genaue Anweisungen erteilen, was und in welchem Umfang, nämlich nur das Notwendigste, zu tun sei.

[6]            Am 9. 6. 2015 langte in der Kanzlei der beklagten Partei das erstinstanzliche Urteil des Vorprozesses ein. Die beklagte Partei leitete das Urteil an die klagende Partei weiter. Vereinbart wurde, dass in einer gemeinsamen Sitzung das Urteil angeschaut werde und dann die relevanten anzufechtenden Punkte des Urteils herausgearbeitet werden sollten. Der Geschäftsführer der klagenden Partei bestand auch darauf, dass von ihm erstellte Unterlagen dabei Verwendung fänden und in die Berufung einbezogen werden. Bei dieser und folgenden Besprechungen bemängelte der Geschäftsführer der klagenden Partei den Zinsenzuspruch des Gerichts aus einem Kapitalbetrag von 340.352,50 EUR vom 26. 6. 2008 bis 12. 10. 2011 nicht. Der Geschäftsführer der beklagten Partei machte ihn auch nicht darauf aufmerksam, dass aufgrund der getroffenen Feststellungen und Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ein um 109.050 EUR zu geringer Kapitalbetrag bei diesem Zinsenzuspruch aus 340.352,50 EUR im Spruch angeführt worden war.

[7]       Hätte die beklagte Partei die vom Erstgericht als berechtigt angesehenen Forderungen den vom Erstgericht festgestellten Zahlungen gegenüber gestellt, so hätte sie bei Überprüfung des Ausspruchs über die Zinsen festgestellt, dass das Erstgericht Zinsen aus einem Kapitalbetrag von 109.050 EUR nicht berücksichtigt hatte. Hätte die beklagte Partei die klagende Partei auf diesen Umstand hingewiesen, hätte die klagende Partei die beklagte Partei angewiesen, diesen Punkt in die Berufung aufzunehmen.

[8]            Die klagende Partei begehrte zuletzt 34.356,30 EUR sA aus dem Titel des Schadenersatzes. Begründend brachte sie vor, dass im erstinstanzlichen Urteil des Vorprozesses sowie in der dazu ergangenen Rechtsmittelentscheidung irrtümlich in der Zinsstaffel Zinsen und Zinseszinsen vom 26. 6. 2008 bis 12. 10. 2011 aus einem unzutreffenderweise um 109.050 EUR zu geringen Betrag zugesprochen worden seien, obwohl aus der rechtlichen Beurteilung erkennbar zu schließen gewesen sei, dass die Gerichte auch Zinsen für diesen Betrag zusprechen hätten wollen. Die beklagte Partei habe dies übersehen und hätte das Urteil auch insoweit bekämpfen müssen.

[9]       Die beklagte Partei wendete ein, der Geschäftsführer der klagenden Partei habe wegen des großen Umfangs des Akts und aus Gründen der Kostenersparnis große Teile des Urteils, insbesondere den Zinsenzuspruch, selbst kontrolliert. Er habe aus Kostengründen die beklagte Partei nur damit beauftragt, die von ihm als berufungsrelevant bezeichneten Punkte des erstinstanzlichen Urteils des Vorprozesses mit Berufung zu bekämpfen, darin sei der fehlende Zinsenzuspruch nicht enthalten gewesen.

[10]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang ab. Es verwies auf seine Feststellungen aus dem ersten Rechtsgang und traf über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende (teilweise bekämpfte) Feststellungen:

[11]           Der Geschäftsführer der klagenden Partei erteilte der beklagten Partei den Auftrag, Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Vorprozesses zu erheben. Dabei erklärte der Geschäftsführer der klagenden Partei bei gemeinsamer Durchsicht des Urteils gegenüber dem Geschäftsführer der beklagten Partei, dass dieser sich die Zinsen nicht anschauen müsse, die Zinsen werde er selbst überprüfen. Der Geschäftsführer der klagenden Partei war nämlich aufgrund der Vereinbarung eines Stundenhonorars bestrebt, die Kosten so gering wie möglich zu halten und legte deshalb die Punkte, wo Berufung erhoben werden soll, selbst fest. Aus diesem Grund überprüfte die beklagte Partei den Zinsenausspruch des erstinstanzlichen Urteils samt den diesbezüglichen Feststellungen in diesem Urteil nicht. Mit der Entscheidung des Berufungsgerichts im Vorprozess wurden aufgrund der Berufung der dort Beklagten Aktenwidrigkeiten in den Feststellungen des Erstgerichts beseitigt und korrigiert, sodass ein um 2.750,47 EUR reduzierter Kapitalbetrag zugesprochen wurde. Hätte die hier klagende Partei im Vorprozess Berufung gegen den Zinsenausspruch des dortigen Erstgerichts erhoben, hätte sie auf Basis eines zusätzlichen Kapitalbetrags von 109.050 EUR abzüglich des Minderzuspruchs von 2.750,47 EUR, also auf Basis von 106.299,53 EUR, 31.721,27 EUR an Zinsen und 2.635,04 EUR an Zinseszinsen, zusammen 34.356,30 EUR, durch das dortige Berufungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zugesprochen erhalten.

[12]     Das Erstgericht führte begründend aus, die klagende Partei habe gegenüber der beklagten Partei den Auftrag zur Verfassung einer Berufungsschrift insofern eingeschränkt, als sie sich die Prüfung des Urteils im Zinsenpunkt selbst vorbehalten und daher die beklagte Partei den Zinsenausspruch samt den damit verbundenen Entscheidungsgründen nicht auf Berufungspunkte zu prüfen gehabt habe.

[13]     Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab, ohne die Beweisrüge der klagende Partei inhaltlich zu behandeln, und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

[14]     Es sei davon auszugehen, dass sich die Einschränkung des Auftrags, Berufung zu erheben, nur auf die Prüfung des abgewiesenen Teils des Klagebegehrens bezogen habe. Nur soweit habe die in prozessualer Hinsicht jedenfalls als rechtsunkundig anzusehende klagende Partei erkennen können, allenfalls beschwert zu sein. Auch wenn die Parteien eine Einschränkung der Prüfpflicht des Urteils dahingehend vereinbart hätten, dass die Klägerin „sich die Zinsen anschaue“, gehöre es zur allgemeinen anwaltlichen Sorgfaltspflicht, die formellen Anforderungen eines Urteils auch in Bezug auf seine Wirkungen zu überprüfen. Dazu zähle auch die Prüfung, ob das Klagebegehren vollständig erledigt worden und inwieweit der Mandant durch den Urteilsspruch beschwert sei oder ob ein Teil des Begehrens insgesamt dadurch „unter den Tisch gefallen“ sei, dass er weder beim Zuspruch noch bei der Abweisung erkennbar erwähnt sei. Die Beklagte hätte die Klägerin auf den Fehler des Gerichts aufmerksam machen müssen, weshalb sie für den eingetretenen Schaden hafte.

[15]     Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, das erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise begehrt sie die Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungs- oder das Erstgericht.

[16]           Die klagende Partei beantragt in der ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[17]     Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[18]           Die beklagte Partei macht geltend, das Berufungsverfahren sei mangelhaft, weil das Berufungsgericht von den Feststellungen des Erstgerichts ohne Beweiswiederholung abgewichen sei und den erhobenen Mitverschuldenseinwand nicht erledigt habe. Es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den Sorgfalts- und Aufklärungspflichten des Rechtsanwalts bei einer Einschränkung des Mandats. Die beklagte Partei sei an die Weisung der klagenden Partei gebunden gewesen. Sie habe ihre Sorgfaltspflicht dadurch, dass sie sich mit dem Kläger geeinigt habe, er werde die Zinsenberechnung durchführen, erfüllt. Der Geschäftsführer der klagenden Partei sei dazu auch in der Lage gewesen. Etwaige Unklarheiten der Weisung gingen zu Lasten der klagenden Partei. Diese treffe ein Mitverschulden, weil sie durch ihre Weisung die Gefahr eines Schadenseintritts wesentlich erhöht und die Weisung nicht hinreichend deutlich formuliert habe.

Rechtliche Beurteilung

[19]     Hiezu wurde erwogen:

[20]           1. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor:

[21]     1.1 Gegenstand einer Tatsachenfeststellung sind die von den Parteien abgegebenen Erklärungen sowie ihre diesen Erklärungen etwa nicht entsprechende, jedoch übereinstimmende Absicht. Dagegen ist es eine Frage der rechtlichen Beurteilung der Sache, welche Rechtswirkungen hiedurch erzielt wurden (RS0017882 [T1]).

[22]           Mit den Ausführungen des Berufungsgerichts, es sei davon auszugehen, dass sich die Einschränkung des Auftrags, Berufung zu erheben, nur auf die Prüfung des abgewiesenen Teils des Klagebegehrens beziehe, nimmt es eine Auslegung des objektiven Erklärungswerts der Äußerungen des Geschäftsführers der klagenden Partei und damit eine rechtliche Beurteilung vor (dazu Punkt 2.). Gleiches gilt für die Beurteilung, eine (allfällige) haftungsbeschränkende Wirkung beziehe sich nur auf die rechnerische Richtigkeit der Zinsenentscheidung, nicht jedoch auf die Prüfung des Urteilsspruchs dahin, ob nicht ein Teil des Begehrens insgesamt dadurch „unter den Tisch gefallen“ sei, dass er weder beim Zuspruch noch bei der Abweisung erkennbar erwähnt sei.

[23]     1.2 Bei einem Sachantrag handelt es sich um einen Entscheidungsantrag an das Gericht (vgl RS0039255), dessen unvollständige Erledigung einen Verfahrensmangel bedeutet (RS0041472). Der Mitverschuldenseinwand ist kein solcher (unerledigter) Sachantrag, sondern ein materiell-rechtlicher Einwand, der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu behandeln ist.

[24]     2. Die Streitteile vereinbarten, dass die beklagte Partei die Entscheidung über die begehrten Zinsen nicht prüfen sollte:

[25]     2.1 Die Auslegung einer Erklärung ist am Empfängerhorizont zu messen, wobei die aus der Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen sind, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war. Auf konkrete Umstände, namentlich auf den Geschäftszweck und die Interessenlage ist hierbei Bedacht zu nehmen (RS0113932). Die maßgeblichen Auslegungskriterien müssen immer dem Vertrag selbst oder den ihn begleitenden maßgeblichen Umständen zu entnehmen sein (RS0113932 [T5]). Zur Auslegung von rechtsgeschäftlichen Erklärungen sind alle Umstände heranzuziehen, aus denen Schlüsse auf die Absicht der Parteien zu ziehen sind (RS0017817). Die Entstehungsgeschichte eines Vertrags fällt für dessen Auslegung wesentlich ins Gewicht, wenn aus ihr ein entscheidender Parteiwille erkennbar wird (RS0017838).

[26]           2.2 Nach den Feststellungen wollte der Geschäftsführer der klagenden Partei die Kosten so gering wie möglich halten und legte deshalb die Punkte, in denen Berufung erhoben werden sollte, selbst fest. Er erklärte bei gemeinsamer Durchsicht des Urteils gegenüber dem Geschäftsführer der beklagten Partei, dass dieser sich die Zinsen nicht anschauen müsse, die Zinsen werde er selbst überprüfen.

[27]           Daraus ergibt sich zunächst, dass dem Geschäftsführer der klagenden Partei die Notwendigkeit einer Überprüfung der Entscheidung über die begehrten Zinsen bewusst war. Der Geschäftsführer der beklagten Partei durfte aufgrund der Art der Geschäftstätigkeit der klagenden Partei auch annehmen, dass deren Geschäftsführer damit die Überprüfung nach Höhe des Zinssatzes, des zu verzinsenden Betrags und der Zinsperiode meinte und zu einer solchen Überprüfung auch im Stande war. Zutreffend weist die beklagte Partei in ihrer Revision darauf hin, dass der klagsstattgebende Teil des Urteils eine Zinsstaffel mit sechs verschiedenen Zinsperioden und jeweils anderen Kapitalbeträgen aufgrund der verschiedenen Fälligkeiten der einzelnen Forderungen enthielt, der klagsabweisende Teil hingegen lediglich einen einzigen Zinszeitraum sowie eine pauschale Abweisung des Zinsenmehrbegehrens. Eine Überprüfung der Entscheidung über die Zinsen wäre durch eine bloße Kontrolle des klagsabweisenden Teils daher gar nicht möglich gewesen. Darüber hinaus lag der Erklärung des Geschäftsführers der klagenden Partei der dem Erklärungsempfänger bekanntgegebene Zweck zugrunde, das Stundenhonorar und damit die Arbeitszeit der beklagten Partei so gering wie möglich zu halten. Der Geschäftsführer der beklagten Partei musste die Erklärung daher dahin verstehen, dass die beklagte Partei aus Kostengründen die gesamte Entscheidung über die begehrten Zinsen nicht prüfen sollte. Der Auftrag an die beklagten Partei, gegen das Urteil Berufung zu erheben, war daher insoweit eingeschränkt. Auch ein diesbezüglicher Honoraranspruch der beklagten Partei bestand damit nicht.

[28]           3. Eine Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten durch die beklagte Partei lag nicht vor:

[29]           3.1 Der Vertrag zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Klienten ist grundsätzlich ein Bevollmächtigungsvertrag, auf den in erster Linie die Vorschriften der Rechtsanwaltsordnung, hilfsweise die Bestimmungen des ABGB über die Bevollmächtigung anzuwenden sind (RS0038703). Gemäß § 9 RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die Rechte seiner Partei mit Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Diese Bestimmung ergänzt § 1009 ABGB, der den Gewalthaber verpflichtet, das ihm durch den Bevollmächtigungsvertrag aufgetragene Geschäft umsichtig und redlich zu besorgen. Daraus ergeben sich für den Anwalt eine Reihe von Pflichten wie zB Warn-, Aufklärungs-, Informations- und Verhütungspflichten (RS0112203). Ein Rechtsanwalt hat bei Wahrung der Interessen seiner Auftraggeber so vorzugehen, wie es ihm aufgrund der erhaltenen Informationen und seiner sonstigen Kenntnisse als sachgerecht erscheinen muss (RS0038695 [T4]). Die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsberaters dürfen jedoch nicht überspannt werden. Bei der Beurteilung dieser Frage müssen auch der Auftrag und das im Einzelfall davon betroffene Geschäft berücksichtigt werden. Welche konkreten Pflichten aus den von der Rechtsprechung allgemein entwickelten Grundsätzen abzuleiten sind, richtet sich daher immer nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Einzelfalls (9 Ob 22/15y; vgl RS0026584).

[30]           3.2 Zwar wurde im Zusammenhang mit der Pflicht des Rechtsanwalts, seinen Mandanten vor drohenden Nachteilen zu schützen, bereits ausgesprochen, dass den Rechtsanwalt die Pflicht trifft, auch über den ursprünglichen Auftrag hinausgehende Rechtshandlungen zu setzen, wenn dies für die Abwendung eines Schadens unbedingt erforderlich ist, sodass sich der Anwalt nicht damit entschuldigen kann, dass er die vom Klienten aufgetragenen Schritte ohnehin ausgeführt habe, ihm aber weitere nicht aufgetragen worden seien (2 Ob 224/97y [Verjährung anderer Ansprüche]). Im vorliegenden Fall sind jedoch nicht Fragen der Belehrung oder Warnung des unkundigen Mandanten vor Gefahren, die ihm nicht bekannt waren, Gegenstand der Beurteilung. Vielmehr erfolgte eine unmissverständliche Einschränkung des Auftrags an die beklagte Partei dahin, bestimmte Teile des Urteils nicht zu überprüfen. Der Geschäftsführer der beklagten Partei durfte angesichts der Geschäftstätigkeit der klagenden Partei auch davon ausgehen, dass es sich beim Geschäftsführer der klagenden Partei um eine Person mit betriebswirtschaftlicher Erfahrung handelte und dieser jene Zinsbeträge erfassen konnte, die der klagenden Partei vom Erstgericht des Vorprozesses dort nicht zugesprochen worden waren. Es würde eine Überspannung der Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Rechtsberaters bedeuten, wenn man ihn angesichts des klaren gegenteiligen Auftrags dennoch zur Überprüfung der Entscheidung über die begehrten Zinsen verpflichtete.

[31]           4. Die Entscheidungsgründe des Berufungsgerichts tragen die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung somit nicht.

[32]           5. Das Berufungsgericht ist aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht auf die in der Berufung erhobene Tatsachenrüge nicht eingegangen. Mit dieser hat die klagende Partei die entscheidungswesentlichen Feststellungen über die Erklärung des Geschäftsführers der klagenden Partei, er werde die Zinsen selbst überprüfen, bekämpft und die Ersatzfeststellung begehrt, eine solche Erklärung sei nicht erfolgt.

[33]           6. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung an das Berufungsgericht erweisen sich somit als unumgänglich. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Berufungsgericht mit der in der Berufung erhobenen Tatsachenrüge auseinanderzusetzen haben. Bleibt es bei der bekämpften Feststellung, wird der Berufung – entsprechend den obigen Ausführungen – nicht Folge zu geben sein. Hat die Beweisrüge Erfolg, träfen die rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur allgemeinen anwaltlichen Sorgfaltspflicht zu, die auch die Prüfung umfasste, ob das Klagebegehren vollständig erledigt wurde oder ob ein Teil des Zinsenbegehrens dadurch unberücksichtigt blieb, dass er weder beim Zuspruch noch bei der Abweisung Erwähnung fand. Die beklagte Partei hätte dann die klagende Partei auf den Fehler des Gerichts aufmerksam machen müssen, weshalb sie für den eingetretenen Schaden haftete.

[34]           7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E130207

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00196.19S.1127.000

Im RIS seit

07.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten