TE Vwgh Erkenntnis 1997/7/10 95/20/0772

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Veröffentlicht am 10.07.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 95/20/0773

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerden 1. des ST, und 2. der AT, beide wohnhaft in W, beide vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide jeweils vom 23. Oktober 1995, Zl. 4.321.668/12-III/13/95 (betreffend den Erstbeschwerdeführer, protokolliert zur hg. Zl. 95/20/0772) und 4.327.189/9-III/13/95 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin, protokolliert zur hg. Zl. 95/20/0773), jeweils betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Geschwister iranischer Staatsangehörigkeit. Der Erstbeschwerdeführer reiste am 25. August 1991, die Zweitbeschwerdeführerin am 10. November 1991 in das Bundesgebiet ein. Am 27. August 1991 stellte der Beschwerdeführer, am 11. November 1991 die Zweitbeschwerdeführerin Anträge, ihnen Asyl zu gewähren. Anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 5. September 1991 gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an:

"Ich bin Angehöriger der armenischen Minderheit und des christlichen Glaubens im Iran. Aus diesen Gründen werden wir ständig diskriminiert und verachtet. Ich hatte vor allem in der Schule Probleme, da wir unsere Muttersprache nicht mehr erlernen durften. Unsere armenischen Schulen wurden nämlich nach der Machtergreifung durch das Khomeni-Regime vom Staat enteignet. Es wurde nicht mehr armenisch unterrichtet. Auch der christliche Religionsunterricht wurde aus dem Lehrprogramm gestrichen. Unsere Lehrer sind seit 1979 nur mehr Moslems. Sie haben uns in der Schule sehr unterdrückt, deshalb verließ ich die Schule 1990, ein Jahr vor dem Maturaabschluß. Im Sommer 1990 nahm ich an einer Feier bei einer armenischen Familie in Teheran teil. Dabei stürmten die Revolutionswächter in diese Wohnung und nahmen uns alle fest. Ich war zwei Tage festgehalten und durfte nach Zahlung von 200.000 Rial wieder gehen. Politisch habe ich mich nie betätigt und gehörte auch keiner politischen Partei an. Ich will über Österreich nach Amerika auswandern, um dort ein neues Leben in Freiheit zu beginnen."

Die Zweitbeschwerdeführerin hat anläßlich ihrer niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 19. November 1991 zu ihren Fluchtgründen folgendes angegeben:

"Ich gehöre der armenischen Minderheit im Iran an. Ich konnte meine Religion nicht frei und ungehindert ausüben. Ich war nie Mitglied einer politischen Organisation in meiner Heimat.

In den Augen der Moslems waren wir "Schmutzige". Wir sind auf der Straße verspottet worden, durften beim Einkauf keine Waren berühren und wurden auch gezwungen, die Bekleidungsvorschriften einzuhalten. Sind wir von den Revolutionswächterinnen angehalten worden, wurden wir auf offener Straße diskriminiert und des öfteren auch angespuckt. Das Leben im Iran als "Nichtmoslem" war eine Katastrophe. Wir hatten zwar eine eigene Kirche, wurden aber immer daran gehindert, diese zu betreten.

In der Schule wurde ich immer schlechter benotet. Wir mußten auch aus dem Koran lesen. Als ich auf die Uni gehen wollte, wurde mir das verboten bzw. untersagt, da ich keine Moslemin bin. Ich hätte nur gehen können, wenn ich als Studienfach das islamische Recht genommen hätte.

Als mein Bruder vor vier Monaten geflohen ist, wurden wir zu Hause von den Revolutionswächtern belästigt, indem man uns laufend befragte und auch das Haus durchsuchte. Im Iran gibt es keine Demokratie und wir sind Menschen zweiter Klasse. Aus diesen Gründen möchte ich in die USA auswandern."

Mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 9. September 1991 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) bzw. 20. November 1991 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) wurde festgestellt, daß die Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllten. Ein Eingehen auf die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Fluchtgründe erfolgte in den formularmäßigen Bescheiden nicht. In den gegen diese Bescheide gerichteten wortgleichen Berufungen wurden keine neuen, von den Angaben in erster Instanz abweichenden Umstände geltend gemacht. Mit Bescheiden jeweils vom 11. Oktober 1993 wies die belangte Behörde diese Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerden hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinen Erkenntnissen vom 2. März 1994, Zl. 94/19/0965 (hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers) bzw. vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0359 (hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin) diese Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes (infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) auf, sodaß die Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurden. Im fortgesetzten Berufungsverfahren erstatteten die Beschwerdeführer jeweils Berufungsergänzungen, die - im wesentlichen wortgleich - Übersetzungs- und Begründungsfehler der belangten Behörde geltend machten, in welchen aber wiederum über die Ermittlungsergebnisse erster Instanz hinausgehende Angaben nicht gemacht wurden.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG (neuerlich) ab. Dabei begründete sie dies nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage im wesentlichen dahingehend, den Beeinträchtigungen, denen die Beschwerdeführer als armenische Christen wegen ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt gewesen seien, komme nicht die Qualifikation von asylrechtlich beachtlichen Diskriminierungen zu, da sie sowohl für sich allein als auch in ihrer Gesamtschau mangels Intensität noch nicht den Tatbestand einer Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention erfüllten. Weder Einschränkungen im Bereich des Schulwesens (hinsichtlich des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers) noch die verweigerte Aufnahme an die Universität (hinsichtlich des Vorbringens der Zweitbeschwerdeführerin) erfüllten den Tatbestand einer asylrechtlich relevanten Verfolgung, zumal dadurch keine massive Bedrohung der Lebensgrundlage gegeben gewesen sei und Beschränkungen des Lebens und der Ausbildung in totalitären Systemen für sich allein nicht jene Intensität erreiche, die nach der Genfer Konvention gefordert werde. Der vom Erstbeschwerdeführer ins Treffen geführten Festnahme im Sommer 1990 und Freilassung gegen Kaution fehle die Intensität einer Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention, weil Asylrelevanz nur dort angenommen werden könne, wo die Zustände im Heimatland eines Asylwerbers auch aus objektiver Sicht betrachtet, so seien, daß ein weiterer Verbleib dort unerträglich wäre. Auch stelle die subjektive Ablehnung des im Heimatland der Beschwerdeführer herrschenden Gesellschaftssystems keinen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dar. Der Zweitbeschwerdeführerin antwortete die belangte Behörde darüber hinaus, auch die Beobachtung und Einhaltung der islamischen Bekleidungsvorschriften könne nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention angesehen werden, handle es sich dabei doch vielmehr um die "Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral" und um ein allgemein gültiges Recht, das von allen weiblichen Bürgern ihres Heimatlandes gleichermaßen zu beachten sei. Auch Hausdurchsuchungen und Verhöre oder Befragungen allein stellten keine Verfolgungshandlungen dar. Da keiner der Gründe des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 gegeben gewesen sei, sei im Sinne des § 20 Abs. 1 leg. cit. vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz auszugehen gewesen. Auch die Furcht eines Asylwerbers, bei Rückkehr in seinen Heimatstaat wegen Übertretung paß- oder fremdenpolizeilicher oder sonstiger den Aufenthalt im Ausland regelnder Vorschriften bestraft zu werden, sei kein Anerkennungsgrund.

Gegen diesen Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach deren Verbindung infolge ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Insoweit die Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machen, die Behörde habe ihrer Ermittlungs- und Begründungspflicht nicht Genüge getan, es sei auch möglich, daß Übersetzungsfehler die vollständige Darlegung der Fluchtgründe der Beschwerdeführer gehindert habe, ist ihnen zu entgegnen, daß sie im Berufungsverfahren Übersetzungsfehler nicht behauptet haben und auch Ermittlungsfehler nicht einmal erkennbar gerügt wurden, zumal die Sachverhaltsschilderung in den Berufungsergänzungen mit den Angaben der Beschwerdeführer in erster Instanz im wesentlichen übereinstimmen. Der Behauptung von Verfahrensmängeln fehlt es aber in den - wortgleichen - Beschwerden an der entsprechenden Relevanzbehauptung. Verfahrensmängel können nämlich nur zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof führen, wenn von dem Beschwerdeführer dargetan wird, daß bei Vermeidung dieser Verfahrensverletzungen die Behörde zu einem anderen, für die Partei günstigeren Bescheid hätte gelangen können. Diese hat damit die Wesentlichkeit der der Behörde unterlaufenen Verfahrensverletzungen zu behaupten. Derartige Behauptungen lassen die Beschwerden vermissen, weshalb schon aus diesem Grunde eine Aufhebung infolge der behaupteten Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht erfolgen kann (vgl. auch hg. Erkenntnisse vom 2. Dezember 1976, VwSlg. Nr. 9191/A, vom 3. April 1985, Zl. 95/03/0006, vom 31. Jänner 1986, Zl. 85/18/0394, u.a.).

Ausgehend von den erstinstanzlichen Angaben der Beschwerdeführer kann der Verwaltungsgerichtshof aber auch keine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erkennen. Denn zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 AsylG 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet im Sinne dieser Bestimmungen sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation eines Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die belangte Behörde bewegt sich in ihrer rechtlichen Beurteilung auf dem Boden der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn sie die in erster Instanz von den Beschwerdeführern geltend gemachten Umstände (allgemeine Diskriminierung, kurzfristige Anhaltungen, Einschränkungen und Beeinträchtigungen in der Glaubensausübung sowie Benachteiligungen im Schul- und Ausbildungswesen, sofern nicht jegliche Existenzgrundlage damit entzogen wird, zwangsweise Befassung mit dem Koran und Einhaltung der Bekleidungsvorschriften) als nicht geeignet angesehen hat, begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 AsylG 1991 glaubhaft zu machen.

Die Beschwerden waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200772.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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