TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/3 Ra 2020/20/0262

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Veröffentlicht am 03.12.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §35
BFA-VG 2014 §13 Abs4
FrPolG 2005 §26
VwRallg

Beachte


Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2020/20/0258 E 22.01.2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und MMag. Ginthör sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision der H S, vertreten durch Mag. Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2020, W212 2206969-1/28E, betreffend Versagung eines Visums nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft Ankara), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 13. März 2017 - ebenso wie ihre vier Kinder - bei der Österreichischen Botschaft Ankara elektronisch einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) iVm § 35 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Ihren Antrag begründete die Revisionswerberin damit, dass ihrem Ehegatten (dem Vater der vier gemeinsamen Kinder) in Österreich am 21. Dezember 2016 der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

2        Zur Vorgeschichte wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Jänner 2020, Ra 2019/19/0124 bis 0128, verwiesen, mit welchem die in dieser Sache zuvor ergangenen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufgehoben wurden. Darin wurde festgehalten, dass Gegenstand der Prognoseentscheidung nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005 allein sei, ob unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 AsylG 2005 die Gewährung von internationalem Schutz im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 wahrscheinlich sei. § 35 AsylG 2005 sehe nicht vor, dass - was das Bundesverwaltungsgericht gefordert hatte - für die Erteilung eines Einreisetitels nach § 26 FPG Reisedokumente im Sinn des § 15 FPG vorliegen müssten. Die Prüfung der Richtigkeit der Prognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hätte fallbezogen insbesondere die Prüfung der Angehörigeneigenschaft sowie der Tatbestandsvoraussetzungen gemäß § 35 AsylG 2005 zu beinhalten gehabt. Weil das Bundesverwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage keine entsprechenden Feststellungen getroffen habe, habe die Rechtmäßigkeit der Abweisung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht überprüft werden können (Rn. 21 ff).

3        Im zweiten Rechtsgang wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Revisionswerberin mit dem angefochtenen Erkenntnis neuerlich als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Begründend führte es im Wesentlichen aus, die Prognose des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sei zutreffend, weil die Revisionswerberin lediglich Kopien von Dokumenten vorgelegt habe, sodass der Behörde die Feststellung der Identität und Prüfung der Angehörigeneigenschaft im Sinn des § 35 AsylG 2005 nicht möglich gewesen sei. Es sei keine persönliche Vorsprache bei der Österreichischen Botschaft Ankara erfolgt. Die Ermöglichung der Durchführung einer DNA-Analyse samt der geforderten organisatorischen Hilfestellung sei für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl jedoch nur über die Österreichische Botschaft Ankara und damit in der Türkei möglich gewesen, nicht jedoch in Syrien und damit am Aufenthaltsort der Revisionswerberin. Angesichts der Tatsache, dass die Revisionswerberin nicht in die Türkei habe einreisen können, komme eine Belehrung über die Möglichkeit der Durchführung einer DNA-Analyse samt Hilfestellung durch die Österreichische Botschaft Ankara nicht in Betracht.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil die Österreichische Botschaft Ankara die Revisionswerberin nicht über die Möglichkeit der Durchführung einer DNA-Analyse belehrt habe. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts hätte eine solche Belehrung und die Leistung „entsprechender organisatorischer Hilfestellung“ jedenfalls erfolgen müssen, zumal sich die Revisionswerberin bereits im behördlichen Verfahren bereit erklärt habe, eine DNA-Analyse vornehmen zu lassen. Sie habe bereits in der Beschwerde erklärt, dass ihr nunmehr die Einreise in die Türkei gelungen sei. Wäre die Revisionswerberin dem Gesetz entsprechend aufgeklärt worden, hätte sie nach Möglichkeiten suchen können, mithilfe einer internationalen Organisation eine DNA-Analyse vor Ort durchzuführen. Damit hätte das Angehörigenverhältnis zwischen dem Ehegatten der Revisionswerberin und deren Kindern festgestellt werden können. Ausgehend davon wären auch Zweifel am Bestand der Ehe ausgeräumt worden.

6        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

7        Die Revision ist zulässig und berechtigt.

8        § 13 Abs. 4 BFA-VG lautet:

„(4) Gelingt es einem Fremden nicht, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis, auf das er sich in einem Verfahren vor dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht oder in einem Verfahren gemäß § 35 AsylG 2005 beruft, durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, so hat ihm das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht auf sein Verlangen und auf seine Kosten die Vornahme einer DNA-Analyse zu ermöglichen. Der Fremde ist über diese Möglichkeit zu belehren. Das mangelnde Verlangen des Fremden auf Vornahme einer DNA-Analyse ist keine Weigerung des Fremden, an der Klärung des Sachverhaltes mitzuwirken. Im weiteren Verfahren darf nur die Information über das Verwandtschaftsverhältnis verarbeitet werden; allenfalls darüber hinaus gehende Daten sind zu löschen. Das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht hat dem Fremden die Kosten der DNA-Analyse auf Antrag zu erstatten, wenn das behauptete Verwandtschaftsverhältnis durch das auf der DNA-Analyse beruhende Gutachten festgestellt wurde und sich der Fremde im Bundesgebiet aufhält.“

9        Eingangs ist festzuhalten, dass § 13 Abs. 4 BFA-VG auch im Verfahren zur Erteilung eines Einreisetitels nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 anzuwenden ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0131 bis 0133).

10       Mit der Bestimmung des § 13 Abs. 4 BFA-VG wird nicht vom amtswegigen Ermittlungsgrundsatz (unter Beachtung der Mitwirkungspflicht des Fremden) abgegangen. Sie kommt daher nur zur Anwendung, wenn es einem Fremden nicht gelingt, ein behauptetes Verwandtschaftsverhältnis durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachzuweisen, und hinsichtlich der Ergebnisse des bisherigen Ermittlungsverfahrens Zweifel bestehen.

11       Daraus folgt als logischer erster Schritt, dass die Behörde (im Beschwerdeverfahren das Bundesverwaltungsgericht) einem Fremden bestehende, konkrete Zweifel an einem behaupteten Abstammungsverhältnis mitzuteilen hat. Darüber hinaus hat sie dem Fremden auf sein Verlangen eine DNA-Analyse gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG „zu ermöglichen“; dieser ist auch über diese Möglichkeit zu belehren. Die in der Bestimmung angesprochene „Ermöglichung“ der DNA-Analyse zum Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses kann im Lichte der Gesetzesmaterialien nur so verstanden werden, dass sie eine organisatorische Hilfestellung der Behörde und des Gerichts bei der Durchführung der DNA-Analyse mitumfasst, nicht jedoch die Übernahme der Kosten. Diese Regelung verfolgt den Zweck, es einem Fremden auf sein Verlangen auf einfache Weise zu ermöglichen, bestehende Zweifel an einem Verwandtschaftsverhältnis mittels DNA-Analyse auszuräumen, sofern er sich zur Übernahme der Kosten bereit erklärt. Daher sind einem Fremden im Rahmen dieser organisatorischen Hilfestellung die praktischen Modalitäten - etwa wo er sich zu welchen Zeiten zur DNA-Analyse einzufinden hat und welche Kosten damit verbunden sind - bekannt zu geben.

12       Bevor ein Antrag gemäß § 35 AsylG 2005 aufgrund von Zweifeln an einem Verwandtschaftsverhältnis abgewiesen wird, haben jedenfalls gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG eine organisatorische Hilfestellung zur Beibringung des DNA-Nachweises und die entsprechende Belehrung zu erfolgen (vgl. zum Ganzen VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0131 bis 0133, mwN).

13       Im gegenständlichen Fall ging das Bundesverwaltungsgericht davon aus, das Angehörigenverhältnis der Revisionswerberin (und der Kinder) zur Bezugsperson könne aufgrund der im Verfahren (in Kopie) vorgelegten Urkunden nicht festgestellt werden.

14       Hat, wie im vorliegenden Fall, das Bundesverwaltungsgericht Zweifel an der Angehörigeneigenschaft der Revisionswerberin (und an dem Abstammungsverhältnis der Kinder) zur Bezugsperson, so wäre im Sinn der dargestellten Rechtsprechung eine Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG aber geboten gewesen. Auch wenn sich durch eine DNA-Analyse ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen der Revisionswerberin und ihrem Ehemann nicht feststellen lässt, kann eine solche Untersuchung unter Einbeziehung aller hier in Rede stehenden Personen aber ein taugliches Beweismittel zur Frage der Glaubwürdigkeit der behaupteten Eheschließung zwischen der Revisionswerberin und der Bezugsperson darstellen. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren aufgrund der Ergebnisse von DNA-Gutachten das Abstammungsverhältnis der Kinder sowohl zur Bezugsperson als auch zur Revisionswerberin beweisen lassen, müsste auch die Frage, ob der Revisionswerberin als deren Mutter und behaupteter Ehefrau der Bezugsperson die Einreise zu gestatten ist, einer neuen darauf Bedacht nehmenden Beurteilung unterzogen werden.

15       Eine solche Belehrung haben sowohl die ÖB Ankara als auch das Bundesverwaltungsgericht jedoch unterlassen, obwohl sich die Revisionswerberin bereits in ihrem Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels zur Durchführung einer DNA-Analyse bereit erklärt und um eine entsprechende Belehrung gemäß § 13 Abs. 4 BFA-VG ersucht hat. Dieses „Ersuchen um Belehrung“ kann nur so verstanden werden, dass damit die behördliche organisatorische Hilfestellung im bereits dargestellten Sinn, somit eine Anleitung betreffend die Modalitäten der Durchführung einer DNA-Analyse, angesprochen wurde (vgl. dazu erneut Ra 2017/18/0131 bis 0133).

16       Darüber hinaus wurde die Revisionswerberin im gesamten Verfahren nicht mit den praktischen Modalitäten der vorzunehmenden DNA-Analyse - etwa, wann und an welchem konkreten Ort sie sich dafür einzufinden habe - konfrontiert, sodass schon aus diesem Grund die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die „fehlende Möglichkeit einer DNA-Analyse“ rechtfertige die Abweisung des Antrages der Revisionswerberin, nicht nachvollziehbar ist.

17       Wenn das Bundesverwaltungsgericht das Unterbleiben einer solchen Belehrung im Zusammenhang mit der nicht erfolgten persönlichen Vorsprache der Revisionswerberin bei der Österreichischen Botschaft Ankara sieht, ist ihm entgegenzuhalten, dass die in § 13 Abs. 4 BFA-VG geregelte Verpflichtung des Bundesverwaltungsgerichts nicht an eine bereits erfolgte persönliche Vorsprache geknüpft ist.

18       Soweit das Bundesverwaltungsgericht § 11 Abs 1 und Abs. 7 FPG (lediglich) zitiert, ergibt sich weder aus den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses noch aus der Aktenlage, dass die Aufforderung der Österreichischen Botschaft Ankara zur persönlichen Vorsprache eine Androhung einer Zurückweisung des verfahrenseinleitenden Antrages enthalten hätte. Die Versagung des Visums wurde dementsprechend auch nicht auf die in § 11 Abs. 7 FPG normierten Rechtsfolgen gestützt.

19       Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

20       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. Dezember 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200262.L00

Im RIS seit

19.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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