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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des B H, vertreten durch Mag. Christoph Arnold, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Stafflerstraße 2, gegen das am 26. Februar 2020 mündlich verkündete und mit 4. Mai 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, I408 2131297-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber - ein irakischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und sunnitischen Glaubensbekenntnisses - stellte am 1. Februar 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Zu seinen Fluchtgründen gab er im Zuge der Erstbefragung an, den Irak wegen des dort herrschenden Krieges und aus Angst um sein Leben verlassen zu haben. In seiner Heimatstadt Mossul regiere der IS. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte er zudem vor, er sei im Irak verheiratet, habe aber eine Beziehung zu einer Frau aus einem anderen Familienstamm gehabt. Seine ehemalige Geliebte sei von ihrer eigenen Familie getötet worden, diese verfolge seitdem auch ihn.
2 Mit Bescheid vom 4. Juli 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies mit dem nach Durchführung einer Verhandlung am 26. Februar 2020 mündlich verkündeten und am 4. Mai 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
5 Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei zu seinen Feststellungen betreffend das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers (wonach er den Herkunftsstaat verlassen habe, weil er von der Familie seiner Geliebten verfolgt worden sei) auf Grundlage qualifiziert unschlüssiger Beweiswürdigung gelangt. Entgegen der Annahme des BVwG habe der Revisionswerber die fluchtauslösenden Ereignisse durchaus nachvollziehbar, ausführlich und konkret geschildert. Das BVwG habe sich mit den ausführlichen Angaben des Revisionswerbers jedoch nicht gehörig auseinandergesetzt, dessen Aussagen teilweise aus dem Zusammenhang gerissen gewürdigt und nicht berücksichtigt, dass vom Revisionswerber nachvollziehbar begründet worden sei, warum er nicht alle seine Fluchtgründe bei der Erstbefragung angegeben habe.
6 Als Rechtsinstanz ist der Verwaltungsgerichtshof zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht im Einzelfall die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 31.8.2020, Ra 2020/19/0116 bis 0118, mwN).
7 Der Revision gelingt es nicht aufzuzeigen, dass das BVwG im vorliegenden Fall die Beweiswürdigung in einer solchen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte:
Es hat sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass der Revisionswerber die beiden fluchtauslösenden Ereignisse nicht durch eine widerspruchsfreie, klare und nachvollziehbare Schilderung habe glaubhaft machen können. Mit dem pauschal gehaltenen Vorbringen, dem nicht zu entnehmen ist, womit sich das BVwG nicht gehörig auseinandergesetzt hätte und welche Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen gewürdigt worden wären, vermag die Revision nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung unvertretbar erfolgt wäre. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG auch die Begründung des Revisionswerbers für die Steigerung seines Vorbringens, wonach er die Verfolgung durch die Familie seiner ehemaligen Geliebten in der Erstbefragung deshalb nicht erwähnt habe, weil ein weiterer Asylwerber anwesend gewesen sei, einer Würdigung unterzogen.
8 Die Revision macht in diesem Zusammenhang zudem eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Asylrelevanz einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung geltend. Nach ständiger Rechtsprechung könne auch einer solchen Verfolgung Asylrelevanz zukommen, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen zu unterbinden. Indem das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers betreffend eine Verfolgung durch die Familie seiner ehemaligen Geliebten rechtlich als nicht asylrelevant angesehen habe, widerspreche die angefochtene Entscheidung der genannten Rechtsprechung.
9 Mit diesem Vorbringen übersieht die Revision, dass das BVwG der behaupteten Verfolgung durch Private - bei Unterstellung deren Glaubwürdigkeit - nicht für sich genommen die Asylrelevanz abgesprochen hat, sondern auf Grundlage des abgeführten Ermittlungsverfahrens zu dem Ergebnis gelangt ist, der Revisionswerber habe keine fallbezogenen Umstände aufgezeigt, die im gegenständlichen Fall gegen eine Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden in der Autonomen Region Kurdistan spezifisch ihm gegenüber sprechen würden.
10 Schließlich rügt die Revision, das BVwG sei dem Antrag des Revisionswerbers, zum Beweis dafür, dass die allgemeine Situation im Irak weiterhin (und möglicherweise verschärft) massiv instabil sei, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasse, - in qualifizierter Verletzung der amtswegigen Ermittlungspflicht - nicht nachgekommen. Stattdessen habe es seine Feststellungen zur Lage im Irak auf ein veraltetes Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20. November 2018 samt einer ebenso veralteten integrierten Kurzinformation vom 30. Oktober 2019 gegründet.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in der Unterlassung einer Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (vgl. VwGH 24.1.2020, Ra 2020/18/0008).
Anders als von der Revision nahegelegt, beantragte der Revisionswerber in seiner Beschwerde lediglich, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasst. Er führte hingegen nicht aus, zu welchen über die in den Länderberichten enthaltenen Aussagen zur Sicherheitslage im Irak hinausgehenden Fragen Erhebungen durchgeführt werden sollten.
Soweit die Revision das Unterbleiben einer amtswegigen Einvernahme rügt, ist darauf zu verweisen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2020/19/0051, mwN).
12 Werden Verfahrensmängel - wie hier Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 7.5.2020, Ra 2020/19/0081, mwN).
Eine solche Relevanzdarlegung gelingt der Revision mit dem pauschalen und unsubstantiierten Vorbringen, es sei Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen, nicht.
13 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190205.L00Im RIS seit
02.02.2021Zuletzt aktualisiert am
02.02.2021