TE Vwgh Beschluss 2020/12/9 Ra 2020/18/0474

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M G, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2020, L514 1238264-2/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 4. Februar 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, im Jahr 2013 an den regierungskritischen Demonstrationen am Gelände des Istanbuler Gezi-Parks teilgenommen zu haben. Deshalb sei er einmal von der Polizei festgenommen, angehalten und gefoltert worden. Er wisse zwar nicht, ob gegen ihn ein Strafverfahren geführt werde, fürchte aber bei Rückkehr wieder festgenommen und eingesperrt zu werden, weil die Sicherheitsbehörden ihn noch immer suchten.

2        Mit Bescheid vom 7. April 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber sei im Zuge der „Gezi-Park-Proteste“ von den türkischen Sicherheitsbehörden willkürlich mitgenommen und angehalten worden. Im Rahmen der Anhaltung sei es auch zu körperlichen Übergriffen gegen ihn gekommen. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass ihm bei nunmehriger Rückkehr in die Türkei Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder Folter drohen werde. Er sei keine politisch exponierte Person und habe auch nicht glaubhaft machen können, dass gegen ihn - wegen der festgestellten Demonstrationsteilnahme - strafrechtliche Verfahren geführt würden. Es sei aus näher dargestellten Gründen auch nicht nachvollziehbar, dass er, wie von ihm behauptet, von den Sicherheitsbehörden noch immer gesucht werde.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit Beschluss vom 22. September 2020, E 2786/2020-7, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das BVwG habe nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entsprochen, aktuelle und zeitnahe Länderberichte seiner Entscheidungsfindung zu Grunde zu legen. Insbesondere zur Frage, ob „Austro-Kurden“ bei Rückkehr in die Türkei „eine Gefahr“ drohe, stütze sich das BVwG nicht auf aktuelle Länderberichte, sondern auf Berichte aus dem Jahr 2019. Die letzten Kurden-Demonstrationen hätten aber im Juni 2020 in Wien stattgefunden. Dabei sei es zu zahlreichen Auseinandersetzungen gekommen, wobei unter anderem auch die türkische Regierung für die Ausschreitungen verantwortlich gemacht worden sei.

7        Das angefochtene Erkenntnis entspreche auch nicht den höchstgerichtlichen Vorgaben an eine schlüssige und nachvollziehbar begründete Beweiswürdigung. Dazu werde er in den Revisionsgründen näher Stellung beziehen. Auch hier bedürfe es einer Klarstellung durch den Verwaltungsgerichtshof „zu den Grenzen der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung“, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch für andere Fälle zu schaffen.

8        Hinzu komme, dass das BVwG seiner Verpflichtung zur amtswegigen Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts nicht entsprochen habe, weil es unterlassen habe, die Angaben des Revisionswerbers durch entsprechende Nachforschungen vor Ort zu überprüfen.

9        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen hat, ist er nicht verpflichtet, solche anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 28.5.2020, Ra 2020/18/0161, mwN).

11       Insoweit die Revision in der Zulassungsbegründung somit auf die weiteren Ausführungen verweist, verkennt sie, dass dieser Verweis nicht genügt, um dem Erfordernis, gesondert die Gründe zu nennen, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, zu entsprechen (vgl. etwa VwGH 15.9.2020, Ra 2020/18/0229, mwN).

12       Die bloße Behauptung in der Zulassungsbegründung, die Beweiswürdigung des BVwG sei unvertretbar und nicht nachvollziehbar begründet, bzw. das BVwG wäre verpflichtet gewesen, von Amts wegen - nicht näher präzisierte - Nachforschungen im Herkunftsstaat zu den Angaben des Revisionswerbers anzustellen, reichen nicht aus, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darzulegen, von der die Lösung der Revision abhinge.

13       Ungeachtet dessen vermag die Revision insgesamt auch nicht darzulegen, dass die näher begründete Einschätzung des BVwG, die einmalige (willkürliche) Festnahme und Anhaltung des Revisionswerbers im Zuge der Gezi-Park-Proteste begründe in seinem Fall keine Rückkehrgefährdung, nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes fehlerhaft erfolgt wäre.

14       Soweit die Revision dem BVwG vorwirft, auf aktuelle Ereignisse, wie die Auseinandersetzungen im Rahmen einer Demonstration von Kurden in Wien im Juni 2020 nicht hinreichend eingegangen zu sein, ist darauf hinzuweisen, dass das BVwG diesem (vom Revisionswerber bereits in der mündlichen Verhandlung ins Treffen geführten) Vorbringen unbestritten entgegenhielt, dass der Revisionswerber an diesen Demonstrationen nicht teilgenommen hat. Weshalb der Revisionswerber wegen dieser Ereignisse als politisch exponiert und deshalb gefährdet anzusehen wäre, vermag die Revision nicht darzulegen.

15       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180474.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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