Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §41 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und die Hofräte Dr. Grünstäudl und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des M K in T, vertreten durch Mag. Alois Pirkner, Rechtsanwalt in 5580 Tamsweg, Kuenburgstraße 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 5. August 2020, Zl. 405-4/3383/1/4-2020, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Tamsweg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Mit Bescheid vom 26. Mai 2020 entzog die belangte Behörde dem Revisionswerber gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 FSG die Lenkberechtigung für die Klassen A, B und F zum Lenken eines Kraftfahrzeugs und sprach aus, dass dem Revisionswerber bis zur Wiedererlangung der gesundheitlichen Eignung keine neue Lenkberechtigung erteilt werden dürfe. Begründend stützte sich die belangte Behörde auf ein amtsärztliches Gutachten, nach dem der Revisionswerber zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1 nicht geeignet sei.
2 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde.
3 Mit Verfügung vom 2. Juli 2020 beraumte das Landesverwaltungsgericht Salzburg eine öffentliche mündliche Verhandlung am 10. Juli 2020 an. Dieses Schreiben wurde dem Revisionswerber nachweislich am 7. Juli 2020 zugestellt. Der Revisionswerber nahm an dieser Verhandlung teil.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers mit einer hier nicht relevanten Maßgabe ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, bei einer verkehrspsychologischen Untersuchung zur Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Revisionswerbers habe dieser deutliche Einschränkungen in den Bereichen „formal-logische Intelligenz“, „visuelle Gedächtnisleistung“, „Sensomotorik“ (Zweihandkoordination), „Beobachtungsfähigkeit“, „Reaktionsverhalten“ und „Konzentrationsvermögen“ erzielt. Die vom Revisionswerber in den jeweiligen Teilbereichen erzielten Prozentränge würden deutlich unter dem erforderlichen Normwert von 16 liegen, zum Teil sogar nur zwischen 0 und 6. Diese Werte dokumentierten eine deutlich von der Norm abweichende Ausprägung der jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale, die für das Lenken von Kraftfahrzeugen relevant seien. Von der Fachärztin für Psychiatrie sei festgestellt worden, dass sich der Revisionswerber bei der psychiatrischen Untersuchung sehr wahnhaft präsentiert habe, wobei er auch immer wieder klare Sequenzen aufgewiesen habe, in welchen er von seinen Wahnthemen gut umlenkbar gewesen sei. Aus psychiatrisch-fachärztlicher Sicht könne dem Revisionswerber eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 nicht bzw. nur stark eingeschränkt erteilt werden. Es solle unbedingt eine Probefahrt durchgeführt werden. Von der Fachärztin für Psychiatrie seien weitere fachärztliche Kontrollen sowie Demenztestungen empfohlen und vorgeschlagen worden, eine weitere Abklärung im Rahmen eines stationären oder ambulanten Aufenthaltes in einem Krankenhaus durchzuführen. Die augenfachärztliche Stellungnahme sei von der Amtsärztin zur Beurteilung der gesundheitlichen Eignung des Revisionswerbers nicht herangezogen worden. Diese fachärztlichen Befunde seien inhaltlich nicht in Zweifel gezogen worden. Der Revisionswerber sei den fachärztlichen Beurteilungen und der verkehrspsychologischen Beurteilung nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.
6 Gemäß § 3 Abs. 1 Z 4 FührerscheingesetzGesundheitsverordnung - FSG-GV sei als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 Führerscheingesetz - FSG gesundheitlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften aus ärztlicher Sicht über die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verfüge. Gemäß § 18 Abs. 1 FSG-GV sei die Überprüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit nach dem jeweiligen Stand der verkehrspsychologischen Wissenschaft mit entsprechenden Verfahren vorzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden verkehrspsychologische Untersuchungen eine Grundlage für das zu erstattende ärztliche Sachverständigengutachten bilden (Verweis auf VwGH 23.3.2004, 2002/11/0131). Es begegne daher keinen Bedenken, wenn die Amtsärztin die nachvollziehbare verkehrspsychologische Beurteilung für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung des Revisionswerbers zum Lenken von Kraftfahrzeugen herangezogen habe. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung einer Testfahrt seien nicht vorgelegen, weil es sich nicht um einen Zweifelsfall handle.
7 Da der Revisionswerber die gemäß § 8 FSG iVm. § 3 Abs. 1 Z 4 FSG-GV erforderliche kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit nicht aufweise, sei die Lenkberechtigung wegen gesundheitlicher Eignung zu entziehen gewesen. Bei diesem Ergebnis seien eine abschließende augenfachärztliche Beurteilung und eine abschließende fachärztlich-psychiatrische Beurteilung des Verdachts einer psychischen Erkrankung (Wahnvorstellungen) nicht mehr erforderlich gewesen. Selbst eine „gesundheitliche Eignung“ in diesen Teilbereichen hätte an der rechtlichen Beurteilung nichts geändert, da die festgestellten gravierenden Defizite in den Persönlichkeitsmerkmalen, die für das Lenken von Kraftfahrzeugen relevant seien, für sich alleine die fehlende gesundheitliche Eignung ausreichend begründen würden.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.
9 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 3.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zunächst vor, der Revisionswerber habe für die mündliche Verhandlung keine ausreichende Vorbereitungszeit gehabt (Verweis auf VwGH 10.12.2013, 2013/05/0206). Er habe lediglich Zeit gehabt, ein Taxi für den Weg zur Verhandlung zu organisieren, aber keine Zeit, um sich für die Verhandlung ausreichend vorzubereiten, sich beraten zu lassen oder einen Vertreter zu beauftragen. Der Revisionswerber sei in rechtlichen Angelegenheiten völlig unerfahren, weshalb ihm nicht bekannt gewesen sei, dass er eine Vertagung der Verhandlung hätte beantragen können.
13 Gemäß § 41 Abs. 2 AVG, der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 17 VwGVG sinngemäß anzuwenden ist, ist die Verhandlung so anzuberaumen, dass die Teilnehmer rechtzeitig und vorbereitet zur Verhandlung erscheinen können. Wird die Verhandlung so kurzfristig anberaumt, dass eine Vorbereitung nicht mehr möglich ist, ist dies ein Verfahrensmangel. Der Beteiligte muss aber auch bei zu knapper Anberaumung zur Verhandlung erscheinen, diesen Mangel dort geltend machen und die Vertagung verlangen, andernfalls dieser Mangel als geheilt gilt (vgl. VwSlg. 2785 A/1952; VwGH 18.12.1997, 97/06/0164; 30.6.2011, 2010/07/0208).
14 Der Revisionswerber hat an der mündlichen Verhandlung teilgenommen. Aus den Verfahrensakten ergibt sich nicht, dass er eine Vertagung der Verhandlung verlangt hätte. Auch in der Revision wird das nicht behauptet. Die Revision bringt jedoch vor, dem rechtlich unerfahrenen Revisionswerber sei die Möglichkeit eines Vertagungsantrages nicht bekannt gewesen. Auch damit wird eine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargelegt, weil die Revision nicht ausführt, was der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hätte, wenn er früher von dieser verständigt worden wäre oder einen Vertreter für die Verhandlung beauftragt hätte (zur Notwendigkeit der Relevanzdarstellung vgl. VwGH 18.12.1997, 97/06/0164; 30.6.2004, 2001/04/0204, Pkt. 6.3.2.; 23.8.2012, 2010/05/0006).
15 3.2. Die Revision begründet die Zulässigkeit weiters damit, das Verwaltungsgericht habe gegen die Manuduktionspflicht verstoßen. Der Revisionswerber habe in seiner Beschwerde erkennbar die fachärztlichen Befunde in Zweifel gezogen, weswegen ihn das Verwaltungsgericht hätte anleiten müssen, ob damit ein Antrag auf Gutachtenserörterung oder -ergänzung oder ein Antrag auf Einholung eines neuen Gutachtens gemeint gewesen sei.
16 Auch damit zeigt die Revision keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG auf: Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geht die Manuduktionspflicht des § 13a AVG (iVm. § 17 VwGVG) nicht so weit, dass eine Pflicht dazu bestünde, Unterweisungen zu erteilen, wie ein Vorbringen zu gestalten ist, damit einem Antrag allenfalls stattgegeben werden kann, oder dass die Partei auf das Erfordernis der Widerlegung eines Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene hingewiesen werden müsste (vgl. VwGH 11.9.2020, Ra 2019/11/0100, mwN).
17 3.3. Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem psychiatrischen Gutachten auseinandergesetzt, wonach dem Revisionswerber eine Lenkberechtigung nicht oder „nur sehr stark eingeschränkt“ erteilt werden könne, und nicht begründet, warum die Erteilung einer derart eingeschränkten Lenkberechtigung nicht möglich sei. Dadurch habe das Verwaltungsgericht gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, wonach sich der Amtsarzt und die Behörde mit einer solchen fachärztlichen Stellungnahme auseinandersetzen müssten (Verweis auf VwGH 27.9.2007, 2004/11/0057).
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis 2004/11/0057, mit Nachweisen auf seine Vorjudikatur, ausgeführt, dass sich bei Vorlage einer fachärztlichen Stellungnahme im Sinne des § 13 Abs. 1 FSG-GV, in der auch kraftfahrspezifische (psychophysische) Leistungsfunktionen der Person, deren gesundheitliche Eignung in Frage steht, beurteilt worden sind, der Amtsarzt und in weiterer Folge auch die Behörde selbst mit einer solchen Stellungnahme auseinander zu setzen und, bevor sie die gesundheitliche Eignung verneinen, zu begründen haben, warum sie die fachärztliche Stellungnahme für unrichtig oder unschlüssig halten.
19 Die Revision zeigt schon deswegen kein Abweichen von dieser Rechtsprechung auf, weil das im Revisionsfall gegenständliche psychiatrische Gutachten nur zur Frage Stellung nimmt, ob der Revisionswerber aus psychiatrisch-fachärztlicher Sicht zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist (vgl. § 3 Abs. 1 Z 1 iVm. § 13 Abs. 1 FSG-GV). Es lässt hingegen nicht erkennen, dass darin die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit des Revisionswerbers mitbeurteilt worden wäre (vgl. § 13 Abs. 1 letzter Halbsatz FSG-GV und dazu VwGH 28.5.2002, 2002/11/0061).
20 Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht die Entziehung der Lenkberechtigung aber darauf gestützt, dass der Revisionswerber nicht iSd. § 3 Abs. 1 Z 4 FSG-GV über die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit verfüge, und sich dafür auf das amtsärztliche Gutachten gestützt, welches wiederum auf der verkehrspsychologischen Stellungnahme aufbaut.
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat sowohl hinsichtlich der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit als auch hinsichtlich der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung bereits wiederholt betont, dass verkehrspsychologische Stellungnahmen eine nachvollziehbare Grundlage für das zu erstattende ärztliche Sachverständigengutachten bilden, wenn aus ihnen die durchgeführten Tests und die dabei erzielten Ergebnisse hervorgehen und begründet wird, warum Testergebnisse außer der Norm liegen (vgl. VwGH 23.3.2004, 2002/11/0131, mwN).
22 Dass die vorliegende verkehrspsychologische Stellungnahme diesen Anforderungen nicht entsprechen würde, bringt die Revision nicht vor.
23 4. In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 9. Dezember 2020
Schlagworte
Anforderung an ein Gutachten Gutachten Auswertung fremder BefundeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020110198.L00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021