Index
E000 EU- Recht allgemeinNorm
AÜG §17 Abs2Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des C S in S, Deutschland, vertreten durch die Stolitzka & Partner Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Kärntner Ring 12, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich jeweils vom 13. Juli 2020, 1.) Zl. LVwG-302277/28/BZ (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0170), 2.) Zl. LVwG-302276/26/BZ (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0171), 3.) Zl. LVwG-302275/26/BZ (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0172), jeweils betreffend Übertretung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revisionen werden im Umfang der Anfechtung der Schuldsprüche der angefochtenen Erkenntnisse jeweils zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
In ihrem über die Schuldsprüche hinausgehenden Umfang werden die angefochtenen Erkenntnisse jeweils wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber jeweils Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40, insgesamt somit € 4.039,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 1. Mit drei Straferkenntnissen der belangten Behörde jeweils vom 1. Februar 2019 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der G. GmbH mit Sitz in Deutschland zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat jeweils näher genannte, von ihr nach Österreich entsandte Arbeitnehmer im Rahmen eines näher genannten Bauvorhabens in Oberösterreich in jeweils spezifizierten Zeiträumen eingesetzt bzw. beschäftigt habe, wobei sie
zu 1.) (Ra 2020/11/0170) die Lohnunterlagen gemäß § 22 Abs. 1 leg. cit. in deutscher Sprache für sechzehn dieser Arbeitnehmer nicht am Arbeits(Einsatz)Ort bereitgehalten und diese Unterlagen der Abgabenbehörde auch nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht habe,
zu 2.) (Ra 2020/11/0171) die Meldung über die Arbeitsaufnahme betreffend sechzehn dieser Arbeitnehmer nicht vor der jeweiligen Arbeitsaufnahme der Zentralen Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem LSD-BG erstattet habe, sowie
zu 3.) (Ra 2020/11/0172) die Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung (Sozialversicherungsdokument A1) von dreizehn entsandten Arbeitnehmern nicht am Arbeits(Einsatz)Ort bereitgehalten und diese Unterlagen den Organen der Abgabenbehörde auch nicht unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich gemacht habe.
2 Wegen dieser Übertretungen des LSD-BG wurden über den Revisionswerber zu 1.) gemäß § 28 Z 1 iVm § 22 Abs. 1 LSD-BG, zu 2.) gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm § 19 Abs. 1 und 2 LSD-BG und zu 3.) gemäß § 26 Abs. 1 Z 3 iVm § 21 Abs. 1 Z 1 LSD-BG jeweils Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.
3 2.1. Mit den hier angefochtenen Erkenntnissen gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) den Beschwerden des Revisionswerbers - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - insofern Folge, als es die Schuldsprüche zu 1.) und 2.) jeweils hinsichtlich eines bestimmten Arbeitnehmers einschränkte. Im übrigen Umfang wurden die Schuldsprüche der bekämpften Straferkenntnisse bestätigt. Die verhängten Geld- bzw. Ersatzfreiheitsstrafen und Kostenbeiträge wurden vom Verwaltungsgericht herabgesetzt. Die Erhebung einer ordentlichen Revision erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.
4 2.2. Diesen Entscheidungen legte das Verwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - übereinstimmend folgende Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde:
5 Der Revisionswerber sei handelsrechtlicher Geschäftsführer der G. GmbH mit Sitz in Deutschland. Dieses Unternehmen sei im Verkauf und der Montage von Prozessanlagen im Lebensmittelbereich sowie im Servicebereich (Wartung der Anlagen etc.) tätig. Die G. GmbH habe einen Auftrag der S. GmbH über die Lieferung, Montage und Inbetriebnahme der Neuordnung Offenwarenbereich an einem bestimmten Ort in Österreich übernommen. Für die Ausführung dieses Auftrages habe die G. GmbH unter anderem die Fa. W. mit Sitz in Polen beigezogen.
6 Sie habe mit der Fa W. mehrere Verträge geschlossen, wobei diese unter anderem gelautet hätten: „Verlegearbeiten von Kabelleitungen (...), 2 Mann (Elektriker), Zeitraum 17.7.2017 bis 31.8.2017“, „Bauleitung Elektro, 1 Mann, Zeitraum 17.7.2017 bis 31.8.2017“, „Verrohrung Heißwasserleitung in Trasse 1, 1 Supervisor (German Speaking) (part time 50 %), 4 welder/fitter (all-rounder), time frame 3.7.2017 bis 31.8.2017“ und ein Vertrag betreffend „Construction according to drawing: (...)“. Die Verträge hätten Liefertermine, Lieferfristen, Preise, Zahlungsbedingungen, Gewährleistungs- und Haftungsregeln enthalten.
7 Unstrittig sei, dass die G. GmbH zwei ihrer eigenen Arbeitnehmer als Bauleiter nach Österreich entsandt habe. Im Übrigen habe die G. GmbH kein eigenes Montagepersonal bei diesem Projekt eingesetzt. Weiter sei auf der Baustelle ein Bauleiter auf Werkvertragsbasis für die G. GmbH tätig gewesen. Die Bauleiter seien für die Arbeitsabstimmung, Überwachung und Qualitätskontrolle zuständig gewesen.
8 Von der Fa W. seien neben einem Vorarbeiter zwölf Arbeiter in unterschiedlichen Zeiträumen auf der Baustelle anwesend gewesen. Der Vorarbeiter der Fa W. habe die Einteilung der Arbeiter vorgenommen, die Mitteilung der Vorgaben sowie die Abklärung von Fragen mit den Bauleitern der G. GmbH. Die übrigen polnischen Arbeiter hätten die deutsche Sprache nicht beherrscht.
9 Die Arbeitsaufzeichnungen der polnischen Arbeiter seien von den Bauleitern der G. GmbH kontrolliert und gegengezeichnet worden. Der Bauleiter habe selbst auch Aufzeichnungen geführt und festgehalten, welcher Arbeiter welche konkreten Arbeiten ausgeführt habe. Die direkten Arbeitsanweisungen hätten die Arbeiter von ihrem polnischen Vorarbeiter erhalten. Jedoch hätte der Bauleiter der G. GmbH jeweils angeordnet, wie viele Arbeiter für die Verrichtung einer bestimmten Aufgabe einzusetzen seien. Urlaubs- und krankheitsbedingte Abwesenheiten von Arbeitern seien dem Bauleiter gemeldet worden, der darüber entschieden hätte, ob und in welcher Zahl Ersatzarbeiter zum Einsatz kommen müssten. Diesbezüglich habe sich die G. GmbH direkt mit der Fa. W. in Verbindung gesetzt. Der Bauleiter der G. GmbH habe täglich Qualitätskontrollen an den durchgeführten Arbeiten vorgenommen und gegebenenfalls Verbesserungen aufgetragen. Das benötigte Material und größere Maschinen seien von der G. GmbH bereitgestellt worden. Das übrige Werkzeug hätten die polnischen Arbeiter mitgebracht.
10 Anlässlich einer Kontrolle durch Organe der Finanzpolizei am 27. Juli 2017 seien am Werksgelände der S. GmbH ein Arbeitnehmer der G. GmbH sowie zwölf Arbeitnehmer der Fa. W arbeitend angetroffen worden. Es seien zu diesem Zeitpunkt - mit Ausnahme von Arbeitszeitaufzeichnungen - keine Unterlagen im Sinne des § 22 Abs. 1 LSD-BG für die genannten Arbeitnehmer bereitgehalten oder unmittelbar vor Ort in elektronischer Form zugänglich gemacht worden. Bezüglich der eigenen Arbeitnehmer habe die G. GmbH die Arbeitsverträge samt Darstellung der Lohneinstufung, Lohnzettel für April bis Juli 2017, Arbeitszeitaufzeichnungen sowie Aufstellungen hinsichtlich der Aufwendungen für Verpflegung, Übernachtung und Reisekosten nachgereicht. Für die polnischen Arbeitnehmer seien jeweils Arbeitsverträge, Dokumentationen der Arbeitszeiten sowie Lohnzettel für zumindest einen Monat, meist für mehrere Monate vorgelegt worden.
11 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz - aus, es sei den festgestellten Verträgen zwar zu entnehmen, dass es sich um die Erstellung von Verlege-, Verkabelungs- bzw. Verrohrungsarbeiten gehandelt habe. Jedoch spreche schon die vertraglich fixierte Anzahl der einzusetzenden Arbeiter gegen das Vorliegen eines Werkvertrages, da bei letzterem die primäre vertragliche Verpflichtung die Herstellung des Endproduktes umfasse. Der Bauleiter der G. GmbH habe die Arbeitsaufzeichnungen der Arbeiter kontrolliert und auch eigene Aufzeichnungen über die Arbeitszeiten geführt. Auch habe dieser bestimmt, wie viele Arbeiter eine bestimmte Arbeit zu verrichten gehabt hätten, tägliche Kontrollen der Arbeiten vorgenommen und über den allfälligen Ersatz von abwesenden Arbeitern entschieden. Insbesondere sei das Material von der G. GmbH zur Verfügung gestellt worden. Insgesamt sei bei Abwägung dieser gesamten Umstände und angesichts der Gestaltung der Arbeitsabläufe am Arbeitsort infolge der Integration der polnischen Arbeitnehmer in den Betrieb der G. GmbH von einer Arbeitskräfteüberlassung der Fa. W. an die G. GmbH als Beschäftigerin auszugehen. Die G. GmbH habe die - ihr von der Fa. W. überlassenen - polnischen Arbeitnehmer auf die Baustelle nach Österreich entsandt.
12 Vor diesem Hintergrund seien die objektiven Tatbestände der vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen verwirklicht. In Ansehung des diesbezüglichen Vorbringens des Revisionswerbers sei zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt nicht vom Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems auszugehen, da die diesbezüglichen Verfahrensanweisungen den Passus „gültig ab 28.2.2020“ - somit den Verweis auf einen Zeitpunkt nach dem Tatzeitpunkt - enthalten würden und zudem nicht dargelegt worden sei, dass eine bestimmte Person für die Einhaltung der entsende- und melderechtlichen Pflichten bestimmt sei.
13 Es könne auch nicht von der wirksamen Bestellung eines verwaltungsstrafrechtlich Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz VStG ausgegangen werden, weil die dem zum Nachweis einer solchen vorgelegten Gesellschafterbeschluss angeschlossene „Geschäftsordnung für die Geschäftsführung“ erst nach dem Tatzeitpunkt in Kraft getreten sei. Zudem sei die dort enthaltene bloße Aufteilung der Geschäftsbereiche nach der Rechtsprechung nicht hinreichend für die Delegation der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung. Von der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten gemäß § 24 LSD-BG könne nicht ausgegangen werden, weil die ins Treffen geführte Person den vorgelegten Beschluss nicht unterfertigt habe. Das Verschulden des Revisionswerbers sei sohin als gegeben anzunehmen.
14 3. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
15 Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
16 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhanges verbundenen Revisionen erwogen:
17 4.1. Ad I.: (Schuldsprüche) Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
18 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
19 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
20 4.1.1. Die Revisionen bringen zur Begründung der Zulässigkeit zunächst übereinstimmend vor, das Verwaltungsgericht sei bei der Abgrenzung, ob das Vertragsverhältnis zwischen der G. GmbH und der Fa. W. als Arbeitskräfteüberlassung oder als Werkvertrag zu beurteilen sei, von dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-586/13, Martin Meat, sowie näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Zum einen stelle der Umstand, dass der Dienstleistungserbringer die Folgen der nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich vereinbarten Leistung zu tragen habe, ein wesentliches Kriterium dafür dar, ob ein Werkvertrag oder eine Arbeitskräfteüberlassung vorliege. Zum anderen erlaube der Umstand, dass das Unternehmen, dem die betreffende Leistung zugutekomme, kontrolliere, ob diese vertragsgemäß sei, oder allgemeine Anweisungen an die Arbeitnehmer des Dienstleistungserbringers erteilen könne, als solcher nicht die Schlussfolgerung, dass eine Überlassung von Arbeitskräften vorliege. Abweichend davon habe das Verwaltungsgericht den Umstand, dass der Bauleiter der G. GmbH tägliche Kontrollen über die ordnungsgemäße Montage durch die Arbeitnehmer der Fa. W. durchgeführt und bei Mängeln deren sofortige Verbesserung aufgetragen habe und die fachliche Weisung der konkreten Vorgabe der Mindestzahl von erforderlichen Dienstnehmern der Fa. W. für die Erbringung bestimmter Arbeiten trotz der konkreten Einteilung dieser Dienstnehmer durch die Fa. W. als für eine Arbeitskräfteüberlassung sprechend gewertet.
21 Nach der - von den Revisionen ins Treffen geführten - Judikatur des Europäischen Gerichtshofes ist für die Beurteilung, ob ein Sachverhalt als grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung zu beurteilen ist, aus unionsrechtlicher Sicht „jeder Anhaltspunkt“ zu berücksichtigen. Im Speziellen sind dabei entsprechend dem Urteil Martin Meat die Fragen, ob die Vergütung/das Entgelt auch von der Qualität der erbrachten Leistung abhängt bzw. wer die Folgen einer nicht vertragsgemäßen Ausführung der vertraglich festgelegten Leistung trägt, ob also der für einen Werkvertrag essenzielle „gewährleistungstaugliche“ Erfolg vereinbart wurde, wer die Zahl der für die Herstellung des Werkes jeweils konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt und von wem die Arbeitnehmer die genauen und individuellen Weisungen für die Ausführung ihrer Tätigkeiten erhalten, von entscheidender Bedeutung (vgl. VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068).
22 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind in einem Fall wie dem vorliegenden eindeutige Sachverhaltsfeststellungen dahin zu treffen, ob und welche der für die Arbeitskräfteüberlassung ausschlaggebenden Kriterien verwirklicht sind, um im Rahmen einer rechtlichen Gesamtbeurteilung fallbezogen das Vorliegen von grenzüberschreitender Arbeitskräfteüberlassung bejahen oder verneinen zu können (vgl. erneut VwGH 22.8.2017, Ra 2017/11/0068). Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen nicht revisibel. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht diese Gesamtabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bei Abwägung im Einzelfall etwa VwGH 27.2.2019, Ra 2018/05/0280; vgl. etwa VwGH 20.9.2017, Ra 2017/11/0024 bis 0029 und Ra 2017/11/0016).
23 Eine die Zulässigkeit der Revisionen begründende Unvertretbarkeit der rechtlichen Beurteilung durch das Verwaltungsgericht wird in den Zulässigkeitsvorbringen nicht aufgezeigt: Entgegen den dortigen Vorbringen stellte das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall zwar (auch) fest, dass die zwischen der G. GmbH und der Fa. W. abgeschlossenen Verträge Gewährleistungsklauseln enthalten würden. Andererseits stützte es seine rechtliche Schlussfolgerung, dass eine Arbeitskräfteüberlassung vorliege, jeweils nicht alleine auf den Umstand, dass die G. GmbH die Arbeitsausführung kontrolliert habe. Vielmehr verwies dieses auf den Umstand, dass bereits vertraglich die Zahl der für die Herstellung des „Werkes“ konkret eingesetzten Arbeitnehmer bestimmt worden sei und der Bauleiter der G. GmbH im Falle von Abwesenheiten darüber entschieden habe, ob und gegebenenfalls wie viele Ersatzarbeiter benötigt worden seien. Materialbeistellung und laufende Qualitätskontrollen hätten ebenfalls gegen die Annahme eines Werkvertrages gesprochen.
24 Das Verwaltungsgericht hat im Sinn der Anforderungen der Rechtsprechung mehrere einzelfallbezogene Umstände in seine rechtliche Beurteilung miteinbezogen und ist auf Basis der getroffenen Feststellungen zu dem Schluss gekommen, dass in dem Vertrag zwischen der G. GmbH und der Fa. W. bei der gebotenen Gesamtwürdigung eine Arbeitskräfteüberlassung zu sehen sei. Soweit das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht das Vorliegen eines Werkvertrages im vorliegenden Fall verneinte, befand es sich im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu entwickelten Grundsätzen. Dass bei der Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall auch ein anderes Ergebnis denkbar wäre, begründet im Allgemeinen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, solange dem Verwaltungsgericht keine die Rechtssicherheit beeinträchtigende Fehlbeurteilung vorzuwerfen ist (vgl. auch VwGH 15.2.2017, Ra 2017/08/0002, mwN).
25 4.1.2. Soweit die Revisionen ferner übereinstimmend vorbringen, es liege ein Widerspruch zur Rechtsprechung darin, dass das Verwaltungsgericht die Bestellung des verwaltungsstrafrechtlich Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 VStG verneint habe, weil eine Bestellung gemäß § 24 LSD-BG mangels erforderlicher Meldung an die Zentralle Koordinationsstelle nicht erfolgt sei, übersehen sie die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach der vorgelegte Gesellschafterbeschluss der G. GmbH nicht ausreichend sei, um eine Delegation der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit zu begründen. Mangels einer für die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit tauglichen Erklärung - diese Beurteilung wurde von der Revision im Zulässigkeitsvorbringen nicht in Zweifel gezogen - kommt es auf die von der Revision ins Treffen geführte Frage der Meldung nicht mehr an.
26 4.1.3. Soweit von den Revisionen schließlich eine grob unrichtige Anwendung des 1.) § 28 Abs 1 Z 1 iVm § 22 Abs 1 LSD-BG, 2.) § 26 Abs. 1 Z 1 iVm § 19 Abs. 1 und 2 LSD-BG und 3.) § 26 Abs. 1 Z 3 iVm § 21 Abs. 1 Z 1 LSD-BG dahingehend geltend machen, das Verwaltungsgericht habe diesen Bestimmungen insofern einen mit ihrem Wortlaut unvereinbaren Inhalt gegeben, als 1.) die Nichtbereithaltung von Lohnunterlagen, 2.) die Unterlassung der Meldung der Arbeitsaufnahme und 3.) die Nichtbereithaltung der Unterlagen über die Anmeldung bei der Sozialversicherung durch den entsendenden Arbeitgeber, „nicht jedoch durch den Arbeitskräfte überlassenden Arbeitgeber oder Beschäftiger,“ sanktioniert werde, übersehen sie, dass die G. GmbH auf Grundlage des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts und dessen rechtlicher Beurteilung als (nicht inländische) Beschäftigerin ihr überlassener und von ihr nach Österreich entsandter Arbeitskräfte, mithin gemäß § 22 Abs. 1 vorletzter Satz, § 19 Abs. 1 letzter Satz und § 21 Abs. 1 letzter Satz LSD-BG als Arbeitgeberin im Sinne der genannten Verpflichtungen, anzusehen ist.
27 In den Revisionen werden somit den jeweiligen Schuldspruch der angefochtenen Erkenntnisse betreffend keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, weshalb die Revisionen in diesem Umfang zurückzuweisen sind.
28 4.2. ad II.:
29 Die Revisionen machen zur Begründung ihrer Zulässigkeit hinsichtlich des jeweiligen Strafausspruches übereinstimmend geltend, die Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen im Falle der Uneinbringlichkeit der gegen den Revisionswerber verhängten Geldstrafen widerspreche dem Urteil des EuGH vom 12. September 2019, Maksimovic ua., und damit auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033).
30 Die Revisionen sind aus diesem Grund im Umfang betreffend die Strafaussprüche zulässig.
31 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt hat, ergibt sich aus der zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes, dass die Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe zur Durchsetzung der Verpflichtungen 1.) zur Bereithaltung von Lohnunterlagen, 2.) zur Meldung an die Zentrale Koordinationsstelle und 3.) zur Bereithaltung der Unterlagen über die Anmeldung zur Sozialversicherung eine nicht verhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt (VwGH 15.10.2019, Ra 2019/11/0033, 0034; 26.2.2020, Ra 2020/11/0004; 27.4.2020, Ra 2019/11/0171).
32 Die angefochtenen Erkenntnisse waren somit in Bezug auf ihren jeweiligen Strafausspruch, den daran anknüpfenden Kostenausspruch sowie den Haftungsausspruch wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
33 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 10. Dezember 2020
Gerichtsentscheidung
EuGH 62009CJ0307 Vicoplus VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020110170.L00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021