TE Vwgh Erkenntnis 1997/7/10 95/20/0435

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Veröffentlicht am 10.07.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des L in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. März 1995, Zl. 4.345.942/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. März 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der Türkei, der am 17. Jänner 1995 in das Bundesgebiet eingereist war und am 20. Jänner 1995 den Antrag auf Asylgewährung gestellt hatte, gegen den diesen Antrag abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Februar 1995 abgewiesen.

Die belangte Behörde schloß sich im angefochtenen Bescheid der Sachverhaltsfeststellung und rechtlichen Beurteilung durch die Behörde erster Instanz an und erhob die begründenden Ausführungen des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt ihres (des nunmehr angefochtenen) Bescheides. Sie fügte dem lediglich ergänzende rechtliche Erwägungen zur Qualifikation der behaupteten Einberufung zur Militärdienstleistung als Verfolgung im Sinne des § 1 Asylgesetz 1991 an.

Die Erstbehörde hatte das Vorbringen des Beschwerdeführers wie folgt gewürdigt:

"Sie seien Schüler und obwohl Sie das Gymnasium besucht hätten, sollten Sie zum Militärdienst einrücken. Einem Antrag auf Aufschub des Militärdienstes sei nicht stattgegeben worden. Sie seien im Besitz von Unterlagen, daß Sie im Jänner 1995 einrücken hätten sollen. Abgesehen vom Militärdienst seien Sie in der Schule anders behandelt worden, die zivile Polizei habe Sie ständig beobachtet und verfolgt. Wenn man nachmittags in der Nähe der Schule gesehen wird, würde man einfach festgenommen. Sie seien überall als zweitrangiger Mensch behandelt worden.

Seit ungefähr eineinhalb Jahren seien Sie vier- bis fünfmal pro Monat festgenommen worden, man habe Sie jedesmal befragt und geschlagen und nach einer Stunde wieder freigelassen. Die Festnahmen seien erfolgt, da Sie Kurde seien. Bei den Verhören habe man Ihnen vorgeworfen, daß die Kurden dieses Land nicht bekommen würden und man habe Ihnen gesagt, da Sie in der Schule brav sein sollten und daß Sie sagen sollten, Sie seien ein Kurde. Das Gymnasium hätten Sie in G.A besucht, alle Kurden würden dort so behandelt. Es habe einen Spion gegeben, der weitergegeben habe, wer Kurde und wer Türke sei. Die Zivilpolizei sei vor dem Schultor gestanden und wenn sie miteinander Spaß gehabt hätten, sei sogleich gefragt worden, ob es Streit gäbe. Wegen des Militärs hätten Sie nun die Schule verlassen müssen. Als Beweis würden Sie den Einberufungsbefehl vorlegen.

Man habe Ihnen nur mündlich gesagt, daß Sie in Si eingesetzt würden, dorthin sollten Sie am 3. oder 4. Jänner kommen.

Am 8.1.1995 seien Sie mit dem Autobus nach Ankara gefahren, wo Sie zwei Türken kennengelernt hätten. Diese beiden Türken seien mit Ihnen nach Istanbul gefahren und hätten Sie dort an zwei Ausländer übergeben. In einem Lkw seien Sie am 11.1.1995 in der Schlafkabine versteckt aus Istanbul abgefahren. An den Grenzen seien Sie in einer großen Kiste versteckt worden. Dreibis viermal seien Sie auf diese Art versteckt worden und so seien Sie bis Wien gelangt. Für die Flucht habe ihr Vater bezahlt, Ihr Vater sei sehr wohlhabend. Zur Fahrstrecke selbst könnten Sie keine Angaben machen.

Als Bescheinigungsmittel diente der erkennenden Behörde die nicht glaubwürdige Vernehmung ihrer Person. Außerdem wurde in die von Ihnen vorgelegten Beweismittel Einsicht genommen.

Soweit die Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens mit Ihrem Vorbringen und dem Inhalt der vorgelegten Urkunde(n) in Widerspruch stehen, konnte Ihnen nicht gefolgt werden.

....

Ihrem gesamten Vorbringen ist die Glaubwürdigkeit abzusprechen, was wie folgt begründet wird: Sie geben an, man habe Sie beobachtet und vier bis fünfmal pro Monat festgenommen. Sie vermochten jedoch keinerlei Details zu schildern und Ihren Angaben dazu fehlte jene Schlüssigkeit, die tatsächlich erlebten Verfolgungshandlungen zugrunde gelegt werde müßte. Festnahmen laufen üblicherweise in einem bestimmten Schema ab und dienen einem konkreten Zweck. Es widerspricht allen bisherigen Erkenntnissen, daß in der Türkei Schüler für kurze Zeit festgenommen würden, nur um ihnen zu sagen, Sie sollten in der Schule brav sein und daß die Kurden das Land nicht bekommen würden. Auch ist es wohl keinesfalls möglich, daß alle kurdischen Schüler - wie von Ihnen ja anfangs behauptet - in dieser Art behandelt würden, denn in einem derartigen Fall müßte die Türkei über einen immens großen Polizeiapparat verfügen. Aus Medienberichten und Aussagen anderer Asylwerber ist weiters bekannt, daß keineswegs alle Kurden generell verfolgt werden. Nach Vorhalt dieser Tatsache änderten Sie Ihre Meinung dann auch sofort dahingehend, daß dies doch nicht in allen Schulen der Fall sei. Diese Aussage vermag Ihre Angaben jedoch ebenfalls nicht logisch zu erklären.

Völlig unlogisch und damit unglaubwürdig wird dieser Teil Ihrer Aussage dann durch Ihren Hinweis auf angebliche Spione in der Schule. Für einen derartige Maßnahme bestünde wohl gerade in der Türkei kein Grund, da den Schulbehörden sehr wohl bekannt ist, welcher ethnischen Herkunft die Schüler sind, was durch wiederholte derartige Aussagen anderer Asylwerber bewiesen ist. Abgesehen davon dürfte auch die Zivilpolizei in der Türkei andere Aufgaben haben, als vor dem Schultor zu stehen und Schüler zu fragen, ob sie Streit hätten. Diese Angaben können wohl nur als schnell an Ort und Stelle während der Einvernahme erfundene Notlügen qualifiziert werden, zumal Sie ja eingangs auch von sich aus keinerlei derartige Hinweise lieferten, sondern nur von der Militärdienstverweigerung sprachen.

Letztendlich gaben Sie dann aber wieder an, Sie hätten maturieren können, wenn man Sie nicht zum Militär einberufen hätte. Dies würde wiederum bedeuten, daß Sie keiner Verfolgung ausgesetzt wären, andernfalls man Ihnen wohl den Schulbesuch nicht ermöglicht hätte.

Sie legten der erkennenden Behörde eine Schulbesuchsbestätigung, die mit einem Lichtbild versehen ist, vor und vermochten so zu bescheinigen, daß Sie tatsächlich das Gymnasium in G.A besuchten. Zur zweiten Bestätigung, die von Ihnen als türkisch-englische Schulbestätigung bezeichnet wurde, kann nur angeführt werden, daß es sich dabei um ein Schriftstück mit offenbar echtem Rundsiegel handelt, daß aber der Inhalt in derart schlechtem Deutsch abgefaßt ist, daß die Echtheit in Zweifel zu ziehen ist. Im Fall der Echtheit würde sich aber auch kein anderer Inhalt ergeben, als daß Sie tatsächlich das Gymnasium besuchten, was ja bereits durch die erste Urkunde dokumentiert ist.

Als weiteres Beweismittel legte Sie eine von Ihnen als "Einberufungsbefehl" bezeichnete Urkunde vor. Diese Urkunde, die offensichtlich echt ist, wurde übersetzt, es ergab sich jedoch kein Hinweis auf einen Einberufungsbefehl, sondern es handelt sich bei diesem Schreiben um eine Aufforderung zur Musterung. Dieser Umstand wurde von Ihnen dann auch letztendlich bestätigt und Sie beriefen sich nur mehr auf einen ablehnenden Bescheid in bezug auf den beantragten Wehrdienstaufschub. Zu diesem Bescheid befragt, gaben Sie dann allerdings nur mehr an, es handle sich um ein ganz kleines Papier, das Sie zu Hause gelassen hätten und das niemand mehr finden könne.

Hier ist anzuführen, daß auch in der Türkei Bescheide durchaus Behördencharakter besitzen und sicherlich nicht auf einem "ganz kleinen" Papier erstellt werden. Auch der Umstand, daß Sie gerade das wesentlichste Beweisstück nicht bei sich haben, läßt die tatsächliche Existenz eines derartigen Bescheides mehr als fraglich und damit unglaubwürdig erscheinen. Ihr letztendlicher Versuch, eine mündliche Einberufung glaubhaft zu machen, vermag daran nichts zu ändern. In der Türkei werden Einberufungen schriftlich ausgefertigt, wie unter anderem auch den Aussagen anderer Flüchtlinge immer wieder zu entnehmen ist.

In ihrem Fall ist daher auch davon auszugehen, daß die angeblichen Einberufung nicht der Wahrheit entspricht. Selbst im Falle einer tatsächlichen Einberufung könnte aus diesem Umstand alleine noch kein Asyl gewährt werden. Die "Flucht" eines Asylwerbers vor einem ihm drohenden Militärdienst (mag dieser z.B. auch aus religiösen Gründen abgelehnt werden) ist ebensowenig ein Grund für die Anerkennung als Flüchtling (Verwaltungsgerichtshof 10.2.1988, 86/01/0250; 4.10.1989, 89/01/0230), wie die Furcht vor einer wegen Desertion oder Wehrdienstverweigerung drohenden (unter Umständen) auch strengen Bestrafung (Verwaltungsgerichtshof 31.5.1989, 89/01/0059)."

Im übrigen hatte die Behörde erster Instanz auch die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtweg aus näher angegebenen Gründen für unglaubwürdig erachtet.

In seiner Berufung hatte der Beschwerdeführer auf seine anläßlich der Ersteinvernahme gemachten Aussagen verwiesen. Das Vorliegen einer der Fälle des § 20 Abs. 2 AsylG 1991, in denen eine Wiederholung oder Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen wäre, war nicht behauptet worden, weshalb sich die Berufungsbehörde zu einem derartigen Vorgehen nicht veranlaßt sah.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z. 1 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

In seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer zunächst als "formelle" Rechtswidrigkeit (Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften) geltend, die Behörde habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt; es wäre Aufgabe der belangten Behörde gewesen, durch Recherchen bei der Vertretungsbehörde Österreichs in der Türkei bzw. bei den in Betracht kommenden Sicherheitsbehörden in der Türkei nachzufragen, ob es tatsächlich zu Verhaftungen des Beschwerdeführers gekommen und worin der Grund dieser Verhaftungen gelegen sei. Die belangte Behörde sei in oberflächlicher Art und Weise ohne nähere Begründung von der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen. Diesbezüglich liege eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vor.

Soweit der Beschwerdeführer der Berufungsbehörde vorwirft, das Ermittlungsverfahren der Behörde erster Instanz nicht entsprechend ergänzt zu haben, ist ihm entgegenzuhalten, daß die Behörde gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 bei der von ihr zu treffenden Entscheidung grundsätzlich vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz auszugehen hat. Lediglich dann, wenn sie die Voraussetzungen für eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens im Sinn des § 20 Abs. 2 leg. cit. in der Fassung der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994 als gegeben erachtet, hat sie diese anzuordnen.

Der Beschwerdeführer rügte in seiner Berufung mit keinem Wort einen Ermittlungsfehler der Behörde erster Instanz, sondern verwies (lediglich) auf seine anläßlich der Ersteinvernahme gemachten Aussagen. Es kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde keinen Anlaß sah, gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 das Ermittlungsverfahren zu ergänzen oder zu wiederholen.

Mit den oben wiedergegebenen Ausführungen in der Beschwerde wird auch die von der Behörde erster Instanz vorgenommene, durch Übernahme deren Begründung auch der belangten Behörde zurechenbare Beweiswürdigung bekämpft. Die Beweiswürdigung ist ein Denkprozeß, nicht aber eine Beurteilung rechtlicher Fragen. Sie ist aus diesem Grunde nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit des Denkvorganges als solchen handelt, sowie darum, daß der Sachverhalt, der im Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Der Verwaltungsgerichtshof kann daher wohl die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung, nicht aber ihre konkrete Richtigkeit nachprüfen (vgl. die zu § 41 VwGG ergangene Judikatur in Dolp3, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Seite 548 ff). Wenn die belangte Behörde (bzw. die Behörde erster Instanz) aufgrund einzelner, gezielt an den Beschwerdeführer gerichteter Fragen sowie seiner Antworten, der darin feststellbaren Widersprüche und Unklarheiten in wesentlichen Belangen davon ausgeht, seinen Angaben könne Glaubwürdigkeit nicht zugebilligt werden, kann diese Beweiswürdigung nicht als unschlüssig erkannt werden. Auch die Beschwerdeausführungen lassen Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde (bzw. der Behörde erster Instanz) detailliert dargelegten Erwägungen zur Beweiswürdigung nicht aufkommen.

Da die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers bereits als nicht glaubwürdig qualifizierte, hätte es sich erübrigt, die Angaben hinsichtlich der angeblichen Einberufung des Beschwerdeführers rechtlich zu würdigen. Soweit der Beschwerdeführer die diesbezüglichen Ausführungen wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes rügt und auf die Gefahr eines Strafverfahrens wegen Nichtbefolgung des Einberufungsbefehls, eines Strafverfahrens wegen Desertion sowie auf die Gefahr der Verhängung der Todesstrafe hinweist, ist er auf das aus § 41 VwGG ableitbare Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu verweisen. Im übrigen geht aus der Formulierung des diesbezüglichen Begründungsteiles des angefochtenen Bescheides hervor, daß damit die vom Beschwerdeführer behaupteten Umstände bloß einer hypothetischen rechtlichen Beurteilung unterzogen wurden. Dadurch konnte der Beschwerdeführer aber in seinen Rechten nicht verletzt werden.

Insgesamt kann nicht als rechtswidrig erkannt werden, daß die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers abwies.

Die Beschwerde war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200435.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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