TE OGH 2020/11/25 7Ob89/20v

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** S*****, vertreten durch Mag. Paul Kessler, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. R***** I*****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 30.800 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Februar 2020, GZ 13 R 20/20m-38, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der von der Revision behauptete Mangel des Berufungsverfahrens wurde geprüft; er liegt nicht vor.

2.1. Im Regressprozess gegen einen Rechtsanwalt wegen Schlechtvertretung in einem Vorverfahren ist der Kläger für die Behauptung beweispflichtig, dass der geltend gemachte Schaden bei einem bestimmten und möglichen pflichtgemäßen Handeln des Rechtsanwalts nicht eingetreten wäre (RS0022700; 1 Ob 151/01i); er hat die Pflichtverletzung und den Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und schadensbegründendem Prozessverlust zu beweisen (RS0022700 [T13]).

2.2. Hängt der Erfolg der Schadenersatzklage gegen den Rechtsanwalt davon ab, ob dem Kläger durch den Anwaltsfehler ein Schaden entstanden ist, so muss das Gericht den mutmaßlichen Verlauf der Geschehnisse unter der Voraussetzung ermitteln, dass sich der Anwalt richtig verhalten hätte (vgl 7 Ob 164/18w mwN). Dazu ist der mutmaßliche Erfolg der pflichtwidrig unterlassenen Schritte (zB unterlassene Beratung, unterlassene Erhebung eines Rechtsmittels, unterlassene Stellung eines Antrags) zu ermitteln. Bei einem solchen sogenannten hypothetischen Inzidentprozess hat das mit dem Schadenersatzanspruch befasste Gericht das Vorverfahren hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte (RS0022706).

2.3. Zu den für diese hypothetische Beurteilung erforderlichen Tatfragen sind vom Regressgericht die erforderlichen Feststellungen zu treffen (vgl RS0022706 [T13]); dabei sind jene Beweislastgrundsätze anzuwenden, die im Vorprozess gegolten hätten (vgl 1 Ob 63/18y mwN = RS0022706 [T14]).

Der vom Regressgericht hinsichtlich des hypothetischen Prozesses festgestellte Sachverhalt ist danach so zu beurteilen, wie er nach Auffassung des Regressgerichts richtigerweise hätte entschieden werden müssen (RS0115755).

2.4. Geht es daher bei der hypothetischen Beurteilung um die Klärung strittiger Tatfragen, ist das Ergebnis dieser Prüfung als in dritter Instanz unanfechtbare Tatsachenfeststellung zu werten; hingegen ist insbesondere dann, wenn es ausschließlich um die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts geht, die Beurteilung des hypothetischen Verfahrens als Rechtsfrage anzusehen (vgl RS0115755 [T5]).

Ob die Voraussetzungen für die Bejahung einer Anwaltshaftung vorliegen, kann aber immer nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und begründet daher regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO (

vgl RS0116278 [T2]).

3.1. Hier stehen die für die Beurteilung erforderlichen Tatfragen dahin fest, dass der Kläger als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer Bau-GmbH von 3. 9. 2012 bis 16. 11. 2012 vier ungarischen Arbeitnehmern entgegen § 7i Abs 3 AVRAG 1993 den vereinbarten Lohn vorenthielt und somit den kollektivvertraglichen Mindestlohn erheblich unterschritt.

Der Kläger wurde im Verwaltungsstrafverfahren dafür zu einer Geldstrafe von insgesamt 28.000 EUR sowie zu 2.800 EUR Kostenbeitrag verurteilt.

3.2. Der Kläger vertritt, dass der Beklagte als sein anwaltlicher Vertreter im Verwaltungsstrafverfahren es einerseits unterlassen habe, im Verfahren Argumente vorzubringen, aus denen eine mildere Strafe oder ein Absehen von der Verhängung einer Strafe resultiert hätte; der Beklagte habe andererseits die Bescheidbeschwerde gegen das Straferkenntnis verspätet erstattet.

Die außerordentliche Revision des Klägers zeigt damit keine erheblichen Rechtsfragen auf.

4.1. Der dem Kläger angelastete Tatzeitraum war von 3. 9. bis 16. 11. 2012. Nach Kündigung eines von zwei Aufträgen des einzigen Auftraggebers im Mai 2013 folgte die Insolvenz des vom Kläger geführten Bauunternehmens; da jedoch nicht einmal das für die Durchführung eines Insolvenzverfahrens kostendeckende Vermögen vorhanden war, wurden der Konkurseröffnungsantrag abgewiesen und die Firma am 12. 9. 2013 amtswegig gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit gelöscht. Das Straferkenntnis erging wiederum ein Jahr später.

4.2. Woraus auf geringes Verschulden des Klägers im Tatzeitraum geschlossen werden könnte, ist insbesondere angesichts des festgestellten Zeitablaufs nicht nachvollziehbar. Die Ausführungen der Revision zur gebotenen Vorgangsweise der Verwaltungsbehörden bei „vorübergehenden Zahlungsstockungen“ legen nicht dar, warum im Verwaltungsstrafverfahren, als das vom Kläger geführte Unternehmen längst insolvent war, nicht davon auszugehen gewesen wäre, dass das unstrittig ausstehende Mindestentgelt der Arbeitnehmer nicht geleistet wurde (vgl VwGH Ra 2016/11/0007, 2013/11/0121). Insofern kommt es hier auf eine Kenntnis des Beklagten von „Zahlungsschwierigkeiten“ bereits vor 2013 nicht an.

4.3. Im Rechtsmittel wird die „Feststellung“ des Erstgerichts ins Treffen geführt, wonach bei rechtzeitiger Erstattung der Berufung das Straferkenntnis aufgehoben worden wäre; davon weiche das Berufungsgericht ab, indem es andere Feststellungen über den hypothetischen Kausalverlauf treffe.

Damit verkennt die Revision aber, dass der Sachverhalt rechtlich nicht danach zu beurteilen ist, wie ihn die Behörde im Vorverfahren hypothetisch beurteilt hätte, sondern wie er nach Ansicht des Regressgerichts richtig zu beurteilen gewesen wäre.

Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, mangelnde Strafwürdigkeit der Tat iSd § 7i Abs 4 AVRAG sei mangels geringen Verschuldens des Klägers an den Minderzahlungen und mangels bloß unbedeutender Folgen der Tat nicht vorgelegen, sodass auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten rechtlich keine Gründe vorgelegen wären, von einer Bestrafung des Klägers abzusehen. Dies hält sich ebenso wie die Einschätzung, dass auch ein Vorbringen im Verwaltungsverfahren, immer wieder kleinere Geldbeträge an die Mitarbeiter ausgezahlt zu haben, an der Verurteilung ebenso wenig zu ändern gehabt hätte wie eine rechtzeitige Erstattung der Berufung, im Rahmen des den Gerichten im Einzelfall zukommenden Beurteilungsspielraums und ist nicht korrekturbedürftig.

Der Kläger übergeht, dass der – objektive – Tatbestand des § 7i Abs 3 AVRAG auch dann erfüllt ist, wenn das dem beschäftigten Arbeitnehmer zustehende Mindestentgelt, gleich aus welchen Gründen, nicht ausbezahlt wird (VwGH Ra 2016/11/0007). Darauf, ob der Vorarbeiter kleine, vom Kläger ohnehin nicht präzisierter Beträge an die Arbeitnehmer bezahlt hat und der Beklagte davon in Kenntnis gesetzt wurde, kommt es nicht an.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E130190

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00089.20V.1125.000

Im RIS seit

05.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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