Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger & partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 20.298,65 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 12.485,71 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2020, GZ 7 Ra 67/19b-15, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 23. April 2019, GZ 9 Cga 7/19t-11, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahingehend abgeändert, dass es einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten hat:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 7.962,42 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto zuzüglich 8,58 % Zinsen aus 7.962,42 EUR brutto vom 7. 12. 2018 bis 21. 1. 2019 und aus 7.962,42 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto seit 22. 1. 2019 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, der Klägerin weitere 12.336,23 EUR brutto zuzüglich 8,58 % Zinsen aus 12.336,23 EUR brutto vom 7. 12. 2018 bis 21. 1. 2019 und aus 12.336,23 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto seit 22. 1. 2019 zu zahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 348,72 EUR (darin enthalten 40,56 EUR USt und 105,34 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 340,91 EUR bestimmten Barauslagen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.194,72 EUR (darin enthalten 199,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei hat die Kosten der Revision selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom 20. 9. 2016 bis 6. 12. 2018 als Angestellte mit einer Wochenarbeitszeit von 32 Stunden bei der Beklagten beschäftigt. Vereinbart war eine Viertagewoche von Montag bis Donnerstag und ein Entgelt von 5.426 EUR brutto 14 mal jährlich. Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben (KV) anzuwenden.
Vor Unterzeichnung des Dienstvertrags unterfertigte die Klägerin ein englisches Schreiben („Job Offer“), das unter anderem die Stellenbezeichnung, den Beginn des Arbeitsverhältnisses, die wöchentliche Arbeitszeit und das Entgelt festhielt. Handschriftlich wurde auf diesem Dokument ein siebenter Punkt hinzugefügt, wonach der Klägerin sechs Kalenderwochen Urlaub zukommen. Dieser Punkt wurde von der Klägerin separat unterschrieben. Die Klägerin und der Geschäftsführer der Beklagten gingen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses davon aus, dass der Klägerin sechs Wochen Erholungsurlaub zustehen. Art 6 („Urlaub“ bzw „Vacation“) des zweisprachigen Dienstvertrags zwischen der Klägerin und der Beklagten lautet in deutscher Sprache auszugsweise wie folgt: „Der Mitarbeiter hat Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 (dreißig) Werktage.“ Besondere Gespräche zum Urlaubsanspruch anlässlich des Dienstvertragsabschlusses können nicht festgestellt werden.
Die Klägerin übte die Funktion des „Chief Financial Officers“ bzw der „Finanzdirektorin“ aus. Im Frühjahr 2018 geriet die Beklagte in finanzielle Schwierigkeiten. Ab Sommer 2018 konnten die laufenden Gehaltsforderungen der Klägerin nicht mehr vollständig und rechtzeitig bedient werden. Am 27. 9. 2018 sprach deshalb der Geschäftsführer der Beklagten die Kündigung der Klägerin zum 31. 12. 2018 aus.
Mit Schreiben vom 2. 11. 2018 forderte die Klägerin von der Beklagten die Gehälter für September und Oktober 2018, wobei sie sich für den Fall der Nichtzahlung bis 16. 11. 2018 den berechtigten vorzeitigen Austritt vorbehielt. Nachdem trotz weiterer Urgenz keine Zahlung erfolgte, machte sie am 28. 11. 2018 mit eingeschriebenem Brief neuerlich die Gehälter für September und Oktober sowie nun auch November 2018 und die Weihnachtsremuneration geltend. Sie ersuchte, „die Zahlung so zu leisten, dass der ausstehende Betrag spätestens am 5. 12. 2018 zur Verfügung steht, und auch zukünftig die Rechtzeitigkeit der Zahlungen zu gewährleisten“. Weiters heißt es in diesem Schreiben: „Für den Fall, dass ich über die oben angeführte Zahlung nicht fristgerecht verfügen kann, erkläre ich mit 6. 12. 2018 meinen berechtigten vorzeitigen Austritt wegen Vorenthaltung des Entgelts.“
Am 5. 12. 2018 fand ein Meeting der Klägerin mit dem Geschäftsführer der Beklagten wegen des drohenden Austritts der Klägerin statt. Auf dem Firmenkonto befanden sich zu diesem Zeitpunkt weniger als 200 EUR. Eine Ratenzahlung wurde von der Klägerin abgelehnt. Der Geschäftsführer der Beklagten teilte der Klägerin deshalb mit, er werde das Geld noch am gleichen Tag „auftreiben“, damit sie es sich überweisen könne. Es gelang ihm, von einem Freund ein Darlehen über 15.000 EUR zu erhalten, wobei der Betrag bereits am selben Tag um 14 Uhr auf dem Firmenkonto gutgeschrieben wurde. Die Klägerin teilte dem Geschäftsführer der Beklagten mit, welche Beträge sie an sich überweisen werde, insgesamt 14.794,18 EUR, und nahm nach seiner Zustimmung diese Überweisung auf ihr Konto vor. Der Geschäftsführer der Beklagten war davon überzeugt, den Austritt der Klägerin durch rechtzeitige Nachzahlung abgewendet zu haben. Die Klägerin war sich im Zeitpunkt der Überweisung darüber im Klaren, dass die Gutschrift erst am nächsten Tag erfolgen kann, weil es sich um verschiedene Bankinstitute handelt. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie ernsthaft befürchtete oder befürchten musste, dass das von ihr selbst angewiesene Geld nicht am nächsten Tag auf ihrem Konto gutgeschrieben wird. Über Ersuchen der Klägerin hätte der Geschäftsführer die Summe auch noch am 5. 12. 2018 bar behoben und der Klägerin überreicht.
Die Klägerin druckte sich am 6. 12. 2018 gegen 12:30 Uhr einen Kontoauszug von ihrem Privatkonto aus, auf dem der Zahlungseingang von der Beklagten ersichtlich war. Um 13:35 Uhr informierte sie den Geschäftsführer der Beklagten per E-Mail, dass das Geld am Morgen des 6. 12. 2018 noch nicht auf ihrem Konto verfügbar gewesen sei und somit die Zahlung nicht rechtzeitig erfolgt sei. Gleichzeitig verwies sie auf ihr Schreiben vom 28. 11. 2018. Der Geschäftsführer der Beklagten forderte die Klägerin auf, ihre dienstlichen Pflichten wahrzunehmen.
Die Klägerin hatte ab Dienstantritt 31 Urlaubstage verbraucht. In der Zeit zwischen 3. 9. 2018 und 27. 9. 2018 erbrachte sie an insgesamt 12 Arbeitstagen Arbeitsleistungen über 8 Stunden hinaus, insgesamt 15 Stunden und 40 Minuten.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von 20.298,65 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto sA und bringt vor, das Arbeitsverhältnis habe durch berechtigten vorzeitigen Austritt wegen Entgeltvorenthaltung geendet. Sie habe die Gehaltszahlungen laufend eingemahnt. Für den Fall der Nichtzahlung bis spätestens 5. 12. 2018 habe sie ihren berechtigten Austritt angekündigt. Da die ausständigen Gehälter auch am Vormittag des 6. 12. 2018 noch nicht auf ihrem Konto eingegangen seien, sei sie an diesem Tag berechtigt ausgetreten. Einer Stundung habe sie nicht zugestimmt. Sie habe daher einen Anspruch auf Kündigungsentschädigung, Urlaubsersatzleistung zur Kündigungsentschädigung und Sonderzahlung zur Urlaubsersatzleistung. Sie habe im September 2018 15 Stunden und 40 Minuten an Überstunden geleistet, die ebenfalls abzugelten seien. Außerdem habe sie einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung für 35,42 offene Urlaubstage, ausgehend von einem vereinbarten Urlaubsanspruch von 30 Urlaubstagen jährlich. Insgesamt stünden ihr 20.298,65 EUR brutto zu, worauf die Beklagte nur 2.002,37 EUR netto bezahlt habe.
Die Beklagte bestritt und brachte vor, die Klägerin habe trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beklagten die Zusammenarbeit fortsetzen wollen. Mit der Klägerin sei eine Stundung der offenen Beträge und Teilzahlungen vereinbart worden. Aufgrund des Schreibens vom 28. 11. 2018 habe mit der Klägerin am 5. 12. 2018 ein Gespräch stattgefunden, aufgrund dessen der Geschäftsführer der Beklagten einen privaten Kredit aufgenommen habe, um die Forderung der Klägerin zu begleichen. Die Klägerin habe diesem Vorgehen zugestimmt und sogar selbst die Überweisung auf ihr privates Konto vorgenommen. Der Austritt der Klägerin am darauffolgenden Tag sei daher treuwidrig und unberechtigt erfolgt. Der Klägerin sei bewusst gewesen, dass das Geld nicht schon am Tag der Überweisung auf ihrem Konto einlangen werde. Der Urlaubsanspruch der Klägerin habe nur 24 Urlaubstage betragen, weil sechs Wochen Urlaub bei einer Viertagewoche und damit 24 Arbeitstage pro Jahr vereinbart gewesen seien. Die Klägerin habe auch nur 7,4 Mehrstunden geleistet.
Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin 7.812,94 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto sA zu zahlen. Das Mehrbegehren wies es ab. Wegen der wiederholten ungerechtfertigten Entgeltvorenthaltung habe die Klägerin eine Frist zur Nachzahlung gesetzt. Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände sei das nachfolgende Verhalten der Klägerin aber so zu verstehen gewesen, dass es zu einer Stundung oder Fristverlängerung bis zum nachfolgenden Tag gekommen sei, an dem das Geld auch bei der Klägerin eingelangt sei. Es liege daher ein unberechtigter Austritt vor. Eine Kündigungsentschädigung stehe der Klägerin nicht zu.
Bei Teilzeitbeschäftigung gebühre für Mehrarbeit der gesetzliche Zuschlag von 25 % des auf die Arbeitsstunde entfallenden Normallohnes. Erst ab der 41. Stunde gebühre ein 50%iger Überstundenzuschlag. Der Klägerin stünden daher für September 2018 ein Mehrarbeitsentgelt von 613,24 EUR, ein 25%iger Zuschlag für 15 Stunden 20 Minuten und ein 50%iger Zuschlag für 20 Minuten, insgesamt sohin 769,78 EUR zu.
Die Parteien seien bei Abschluss des Vertrags von einem Urlaubsausmaß von sechs Wochen ausgegangen. Im Zusammenhang mit einer Viertagewoche betrage der Urlaub daher 24 Arbeitstage. Nach § 10 Abs 2 UrlG stehe bei unberechtigtem vorzeitigen Austritt keine Urlaubsersatzleistung zu. Diese Regelung stehe jedoch im Widerspruch zu Art 7 der RL 2003/88/EG. Aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts habe die Klägerin daher einen Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von vier Urlaubswochen unabhängig von der Beendigungsart, im vorliegenden Fall also für 16 Urlaubstage. Zuzusprechen sei der Klägerin daher eine Urlaubsersatzleistung von 5.106,82 EUR zuzüglich Sonderzahlung von 851,14 EUR. Dazu komme reguläres Entgelt von 1.085,20 EUR vom 1. bis 6. 12. 2018. Insgesamt seien daher 7.812,94 EUR brutto, abzüglich der von der Beklagten geleisteten Nettozahlung berechtigt.
Der Berufung der Klägerin gegen den klagsabweisenden Teil des Urteils gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass der Austritt der Klägerin gegen Treu und Glauben verstoßen habe. Im konkreten Fall liege die Besonderheit vor, dass die Klägerin Zugang zum Firmenkonto gehabt habe und die Überweisung an sich selbst vorgenommen habe. Damit sei nicht auf das Einlangen am Konto der Klägerin abzustellen. Jedenfalls liege keine Unzumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses vor.
Bei der Überstundenberechnung sei zu berücksichtigen, dass die Parteien eine Viertagewoche vereinbart hätten. Damit könne die tägliche Normalarbeitszeit auf 10 Stunden ausgedehnt werden, wenn der Angestellte an jedem Tag, an dem er zum Einsatz komme, mindestens acht Stunden beschäftigt werde. Überstunden lägen daher nur bei einer Überschreitung einer Arbeitsleistung von täglich 10 Stunden vor, sohin nur im Ausmaß von 3,5 Stunden. Dazu komme ein Mehrarbeitszuschlag für vier Stunden und 40 Minuten wegen Überschreitung der Wochenarbeitszeit. Ein Mehrstundenzuschlag gebühre dabei erst ab der 33,5. Stunde. Das Erstgericht habe daher mehr zugesprochen, als der Klägerin zustehe. Nach den Feststellungen seien beide Parteien von sechs Wochen Erholungsurlaub ausgegangen, es bestehe daher nur ein Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen pro Jahr.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, da keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung vorliege.
Gegen die Abweisung eines Betrags von 12.485,71 EUR brutto sA wendet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage zur Gänze stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beteiligte sich trotz Freistellung der Revisionsbeantwortung durch den Obersten Gerichtshof nicht am Revisionsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zur Klarstellung zulässig und auch teilweise berechtigt.
1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht mit der Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren selbst sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge des Berufungswerbers nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben (RS0042963 [T58]).
Soweit die Klägerin daher den schon in der Berufung erfolglos erhobenen Vorwurf wiederholt, sie sei von der Rechtsauffassung des Erstgerichts überrascht worden, ist darauf nicht weiter einzugehen.
2. Eine unrichtige Rechtsauffassung stellt keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und keine Aktenwidrigkeit dar. Ob das Berufungsgericht den anzuwendenden Kollektivvertrag richtig ausgelegt hat, ist vielmehr im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge zu prüfen. Entgegen der Revision unterstellt das Berufungsgericht auch nicht einen im Verfahren weder vorgebrachten noch festgestellten Sachverhalt. Auf die behauptete Nichtigkeit, die daraus abgeleitet wird, muss daher nicht weiter eingegangen werden.
3. Gemäß § 26 Z 2 AngG ist es als wichtiger Grund anzusehen, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritt berechtigt, wenn der Dienstgeber das dem Angestellten zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder vorenthält. Dabei ist es, wie die Vorinstanzen richtig ausgeführt haben, gleichgültig, ob das Entgelt in Benachteiligungsabsicht, aus Nachlässigkeit oder aus Unvermögen des Dienstgebers geschmälert oder zurückgehalten wird (vgl RS0028879).
Wird durch das Vorenthalten des Entgelts ein rechtswidriger Dauerzustand geschaffen und damit der Austrittsgrund immer wieder von Neuem verwirklicht, muss der Dienstgeber jedenfalls mit der vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses rechnen. Mit der gelegentlichen Duldung der Säumnis begibt sich der Dienstnehmer seines Austrittsrechts nicht. Allerdings darf der Dienstnehmer, der Zahlungsrückstände unter Stillschweigen durch längere Zeit geduldet hat, nach der Rechtsprechung diesen Umstand nicht zum Anlass eines plötzlichen Austritts nehmen, also ohne vorherige Ankündigung und damit für den Dienstgeber nicht erkennbar eine weitere Zusammenarbeit ablehnen. Vielmehr muss der Dienstnehmer in einem solchen Fall den Dienstgeber vorher unter Setzung einer, wenn auch kurzen, Nachfrist zur Zahlung des Rückstands auffordern und kann erst nach fruchtlosem Verstreichen dieser Frist mit Grund austreten (vgl RS0028967 [T1, T2, T3, T4]).
Dabei ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Dispositionen für die Gehaltszahlung so rechtzeitig zu treffen, dass unter Berücksichtigung der üblichen Bearbeitungsdauer die Gutschrift auf dem Konto des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Fälligkeit verbucht ist. Dies hat auch im Fall der Einräumung einer Nachfrist zu gelten (RS0060153). Bei einer Einzahlung beispielsweise erst am letzten Tag in den frühen Nachmittagsstunden handelt der Arbeitgeber auf eigenes Risiko (vgl RS0028904 [T8]).
Unstrittig hat die Beklagte der Klägerin über einen längeren Zeitraum unzulässig das Entgelt vorenthalten. Die Klägerin hat nach den Feststellungen auch wiederholt auf Zahlung gedrungen und zuletzt mit Schreiben vom 28. 11. 2018 eine Nachfrist bis 5. 12. 2018 gesetzt. Das Geld ist aber erst am 6. 12. 2018 auf dem Konto der Klägerin gutgebucht worden, sohin grundsätzlich nach Ablauf der Nachfrist. Der konkrete Einzelfall ist allerdings dadurch gekennzeichnet, dass die Überweisung des offenen Betrags am letzten Tag der Frist nach Gesprächen darüber, wie ein Austritt der Klägerin abgewendet werden kann, im Einvernehmen zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten erfolgt, von der Klägerin selbst vom gedeckten Firmenkonto vorgenommen wurde und auch nicht festgestellt werden konnte, dass die Klägerin ernsthaft befürchtete oder befürchten musste, dass das Geld nicht am nächsten Tag auf ihrem Konto gutgeschrieben wird. Der Geschäftsführer der Beklagten konnte in der konkreten Situation das Verhalten der Klägerin nur dahin verstehen, dass sie – unabhängig davon, dass die Gutbuchung erst am darauffolgenden Tag erfolgen konnte – mit einer Zahlung durch Überweisung am letzten Tag der Frist zur Abwendung des Austritts einverstanden ist. Für die Klägerin stellte die von ihr selbst vorgenommene Überweisung am 5. 12. 2018 sicher, dass ihr der gesamte offene Betrag am nächsten Tag zur Verfügung stehen wird und damit ihre Ansprüche zur Gänze abgedeckt werden. Dies war auch, als sie am 6. 12. 2018 auf die Wirksamkeit des Austritts beharrte, der Fall. Aufgrund der am 5. 12. 2018 erfolgten einvernehmlichen Zahlung durch Überweisung durch die Klägerin selbst lag daher kein Austrittsgrund mehr vor.
Zurecht sind daher die Vorinstanzen von einem unberechtigten Austritt ausgegangen. Der Klägerin steht daher keine Kündigungsentschädigung zu.
4. Nach den Feststellungen gingen sowohl die Klägerin als auch der Geschäftsführer der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Dienstvertrags davon aus, dass der Klägerin sechs Wochen Erholungsurlaub zustehen. Unabhängig von der Formulierung im „Job Offer“ (in dem sogar ausdrücklich sechs Kalenderwochen festgehalten sind) und im Dienstvertrag (in dem der Erholungsurlaub mit 30 Werktagen umschrieben wird) wurde daher das gemeinsame Verständnis der Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Vertragsinhalt.
Die Auslegung nach dem objektiven Erklärungswert, nach der redlichen Verkehrssitte, kommt nur dann in Betracht, wenn eine Willensübereinstimmung der Partei nicht feststellbar ist und die Verkehrssicherheit den Schutz des berechtigten Vertrauens des einen Partners auf den ihm erkennbaren Erklärungswert des Verhaltens des anderen Teils vorsieht (RS0017811). Der natürliche Konsens der Parteien geht dem objektiven Erklärungswert (also auch dem allfälligen Urkundeninhalt) vor (RS0017811 [T2]; RS0013957 [T1] ua).
Wenn daher die außerordentliche Revision nur mit der Auslegung der Vertragsurkunde argumentiert, übersieht sie die Feststellung des Erstgerichts zum übereinstimmenden Parteiwillen. Ausgehend von einer Vereinbarung von sechs Urlaubswochen führt dies aber bei einer ebenfalls vereinbarten Viertagewoche zu einem jährlichen Urlaubsanspruch von 24 Arbeitstagen.
Gegen die auf dieser Basis vorgenommene Berechnung der der Klägerin zustehenden Urlaubsersatzleistung wendet sich die außerordentliche Revision nicht, weshalb darauf nicht weiter eingegangen werden muss.
5. Die Klägerin macht weiters geltend, dass sie 15 Stunden 40 Minuten Überstunden geleistet habe, wofür entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanzen 50 % Überstundenzuschlag zustünden.
Zwischen den Parteien war ein Arbeitsausmaß von 32 Stunden pro Woche und eine Viertagewoche von Montag bis Donnerstag á acht Stunden vereinbart.
Abschnitt 2. Punkt A.4. des KV sieht bei Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit der Vereinbarung einer Viertagewoche vor, dabei kann die tägliche Normalarbeitszeit auf 10 Stunden ausgedehnt werden, wenn die Angestellte an jedem Tag, an dem sie zum Einsatz kommt, mindestens acht Stunden beschäftigt wird.
Der KV regelt weiters unter Abschnitt 2. Punkt G. die Überstunden. Dort heißt es unter anderem:
„1. Allgemeines
1.1. Als Überstunde gilt jede Arbeitsstunde, durch die das Ausmaß der auf Grund der Bestimmungen gemäß A. dieses Abschnitts jeweils festgelegten täglichen Arbeitszeit einschließlich allfälliger Mehrarbeit gemäß E. dieses Abschnitts überschritten wird.
(…)
1.3. Bei anderer Verteilung der Normalarbeitszeit gemäß A. dieses Abschnitts liegen Überstunden erst dann vor, wenn die aufgrund der anderen Verteilung der Normalarbeitszeit auf die einzelnen Wochen jeweils vereinbarte tägliche Arbeitszeit einschließlich der Mehrarbeit gemäß E. dieses Abschnitts überschritten wird.
1.4. Bei Teilzeitbeschäftigten liegen Überstunden erst vor, wenn das Ausmaß der für die Vollzeitbeschäftigten festgesetzten täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit überschritten wird.“
Abschnitt 2. Punkt E. des KV definiert die Mehrarbeit:
„1. Arbeitsleistung im Ausmaß der Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit (bei bisher 40 Stunden Normalarbeitszeit) von 1,5 Stunden pro Woche ist Mehrarbeit. Diese Mehrarbeit (von 38,5 bis 40 Stunden) ist zuschlagsfrei zu behandeln und wird auf das erlaubte Überstundenausmaß nicht angerechnet. Dieser Grundsatz gilt auch bei anderer Verteilung der Normalarbeitszeit nach den Punkten A.2., 4. und 7., B. sowie C.1. dieses Abschnitts mit der Maßgabe, dass jeweils 1,5 Stunden pro Woche über die sich aus der anderen Verteilung der Normalarbeitszeit ergebenden jeweiligen wöchentlichen Arbeitszeit als Mehrarbeit gelten. (…)“
Gemäß § 19d Abs 3 AZG liegt Mehrarbeit dann vor, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen über das vereinbarte Arbeitszeitausmaß hinaus tätig werden. Das AZG umschreibt somit den Begriff der Mehrarbeit über die Teilzeitarbeit als Überschreiten der vereinbarten Teilzeitarbeit. Nach dem KV liegt Mehrarbeit darüber hinaus auch dann vor, wenn die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit von 38,5 Stunden pro Woche bis zum Ausmaß der gesetzlichen Normalarbeitszeit überschritten wird. Überstundenarbeit liegt hingegen erst dann vor, wenn entweder die Grenzen der zulässigen wöchentlichen Normalarbeitszeit überschritten werden oder die tägliche Normalarbeitszeit, die sich aufgrund der Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit ergibt, überschritten wird. Aus Abschnitt 2. Punkt G.1.4. ergibt sich, dass im Fall einer Teilzeitbeschäftigung Überstunden erst dann vorliegen, wenn das Ausmaß der für Vollzeitbeschäftigte festgesetzten täglichen oder wöchentlichen Normalarbeitszeit überschritten wird. Bis zum Erreichen dieser Grenze gebührt keine Überstundenvergütung. Maßstab für die Überstundenarbeit Teilzeitbeschäftigter ist daher die Normalarbeitszeit von vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Betriebs (vgl Löschnigg/Schnittler/Löschnigg, Handelsangestellten-KV 2018, 321f).
Im konkreten Fall wurde mit der Klägerin eine tägliche Normalarbeitszeit von acht Stunden an vier Tagen die Woche vereinbart. Von der Möglichkeit, eine längere tägliche Normalarbeitszeit zu vereinbaren, wurde nicht Gebrauch gemacht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es daher auf die grundsätzliche Zulässigkeit der Vereinbarung einer Normalarbeitszeit bis zu 10 Stunden nicht an.
Die vereinbarte tägliche Normalarbeitszeit von acht Stunden wurde im September 2018 um insgesamt 15 Stunden und 40 Minuten überschritten. Dass im Betrieb der Beklagten mit vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern eine Normalarbeitszeit vereinbart wurde, die acht Stunden täglich überschreitet, wurde von keiner der Parteien behauptet. Die Überschreitungen der täglichen Arbeitszeit stellen daher Überstunden, nicht Mehrarbeit dar. Darauf, ob auch die wöchentliche Normalarbeitszeit überschritten wurde, kommt es nicht an. Richtig steht daher für die geltend gemachten 15 Stunden und 40 Minuten ein Überstundenzuschlag von 50 % zu. Die Berechnung der Höhe des Zuschlags ist nicht strittig. Die Klägerin hat daher Anspruch auf weitere 149,48 EUR als Überstundenzuschlag. In diesem Umfang war der Revision der Klägerin daher Folge zu geben.
6. Der Klägerin waren daher insgesamt 7.962,42 EUR brutto abzüglich 2.002,37 EUR netto sA zuzusprechen. Das Mehrbegehren war abzuweisen.
7. Aufgrund des bloß geringen Obsiegens der Klägerin hat es bei der Kostenentscheidung erster und zweiter Instanz zu bleiben. Im Revisionsverfahren hat die Klägerin aufgrund ihres geringen Obsiegens keinen Anspruch auf Kostenersatz. Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Textnummer
E130178European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00031.20D.1125.000Im RIS seit
04.01.2021Zuletzt aktualisiert am
21.04.2021