TE Bvwg Beschluss 2020/10/1 W164 2214830-1

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Veröffentlicht am 01.10.2020
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Entscheidungsdatum

01.10.2020

Norm

ASVG §410
AVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §17

Spruch

W164 2214830-1/2Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX vertreten durch RA Dr. Roland GERLACH, Wien, gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse, nun Österreichische Gesundheitskasse, vom 10.01.2019, GZ.: XXXX , beschlossen:

A)

Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG ausgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid stellte die Rechtsvorgängerin der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Wien, die Wiener Gebietskrankenkasse, aufgrund eines von der Beschwerdeführerin (im Folgenden BF) durch ihren Rechtsvertreter RA Dr. Roland GERLACH eingebrachten Antrages vom 02.03.2016 fest, dass die BF aufgrund ihrer Beschäftigung bei der XXXX AG, Wien (im Folgenden U-AG), vertreten durch Freshfields Bruckhaus Derninger LLP, Wien, ab 01.03.2016 der Vollversicherungspflicht nach § 4 Abs 1 Z 1 und Abs 2 ASVG sowie § 1 Abs 1 lit a AlVG unterliege.

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde begehrt die BF durch ihren Rechtsvertreter die bescheidmäßige Feststellung ihrer Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs 1 Z 3 lit a ASVG in der seit 01.03.2016 geltenden Fassung und führte zur Begründung kurz zusammengefasst aus, § 5 Abs 1 Z 3 lit a ASVG in der vor dem 01.03.2016 geltenden Fassung habe die dauernd angestellten Dienstnehmer und die Vorstandsmitglieder der U-AG (die BF zählt sich zu diesem Personenkreis) von der Vollversicherung nach dem ASVG ausgenommen. Die BF habe auch seit dem 1.3.2016 aufgrund ihres unkündbaren Dienstverhältnisses zur U-AG weiterhin Anspruch auf Ruhe- und Versorgungsgenüsse, die den Leistungen der betreffenden Unfall- und Pensionsversicherung nach dem ASVG gleichwertig seien und sei Pflichtmitglied der Krankenfürsorgeanstalt der Stadt Wien, KFA. Sie habe im Erkrankungsfall weiterhin Anspruch auf Weiterzahlung der Dienstbezüge durch mindestens 6 Monate. Denn eine zwischen der U-AG und dem Zentralbetriebsrat der U-AG geschlossene Betriebsvereinbarung vom 14.12.2015, präzisiert am 25.2.2016, über Beendigung der Leistung eines XXXX ASVG-Pensionsäquivalentes, Übertragung der DienstnehmerInnen in das gesetzliche System der ASVG-Vollversicherung und damit verbundenen Abfederungsmechanismen sei nicht rechtswirksam zustande gekommen. Daher sei die BF wie vor dem 01.03.2016 von der Vollversicherungspflicht nach dem ASVG ausgenommen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis W164 2214856-1/2E vom 26.5.2020, das ebenfalls einen Dienstnehmer der U-AG betrifft und die gleiche Rechtsfrage zum Gegenstand hat, wie das hier anhängige Verfahren, eine Entscheidung in der Sache getroffen. Die Beschwerde wurde gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen. Gegen dieses Erkenntnis hat der Beschwerdeführer des genannten Verfahrens durch seinen Rechtsvertreter Erkenntnisbeschwerde gem. § 144 Abs 1, erste und zweite Alternative B-VG iVm §§ 82 ff VfGG an den Verfassungsgerichtshof erhoben.

Der Beschwerdeführer des genannten Verfahrens beantragte, der Verfassungsgerichtshof möge

1.gemäß §87 Abs 1 VfGG das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aufheben;

2. gemäß §§27 und 88 VfGG erkennen, die Republik Österreich sei schuldig, die dem Beschwerdeführer durch das verfassungsgerichtliche Verfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zuhanden seines bevollmächtigten Vertreters binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen;

3. gemäß Art 144 Abs 3 B-VG und §87 Abs 3 VfGG die Beschwerde für den Fall der Abweisung oder Ablehnung dem Verwaltungsgerichtshof abtreten.

Die genannte Erkenntnisbeschwerde behauptet

a)       Gemäß Art 144 Abs 1 erste Alternative B-VG und den §§ 82 VfGG die Verletzung der verfahrensrechtlich gewährleisteten Rechte auf

-        ein faires Verfahren (Art 6 E-MRK)

-        Gleichheit vor dem Gesetz (Art 7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG 1867)

-        Freiheit des Eigentums (Art 5 StGG 1867, Art 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK)

b)       Gemäß Art 144 Abs 1 zweite Alternative B-VG und den §§ 82 VfGG die Verletzung der verfahrensrechtlich gewährleisteten Rechte auf

-        Freiheit des Eigentums (Art 5 StGG 1867, Art 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK)

-        Gleichheit vor dem Gesetz (Art 2 StGG 1867, Art 7 Abs 1 B-VG)

durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, BGBl I Nr 18/2016.

Neben der Partei des genannten Verfahrens W164 2214856-1/2E, nun anhängig beim VfGH unter der GZ E2348/2020-4, und der Beschwerde des hier anhängigen Verfahrens hat eine erhebliche Anzahl weiterer DienstnehmerInnen der U-AG Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht gerichtet. Auch diese Beschwerden werfen die gleiche Rechtsfrage auf, die den Gegenstand des Verfahrens W164 2214856-1/2E gebildet hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 grundsätzlich durch EinzelrichterInnen und nur auf Antrag einer Partei durch einen Senat. Im vorliegenden Fall wurde kein Antrag auf Senatsentscheidung gestellt. Es liegt somit EinzelrichterInnenzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

§ 34 Abs 3 VwGVG kommt im vorliegenden Fall – es ist nicht ein Verfahren über eine Revision beim VwGH sondern ein Verfahren über eine Erkenntnisbeschwerde beim VfGH anhängig - nicht zur Anwendung. Es ist auf die allgemeine Rechtslage betreffend Aussetzung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zurückzugreifen.

Gemäß § 38, zweiter Satz AVG iVm § 17 VwGVG kann das Verwaltungsgericht das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage aussetzen, wenn eine Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens beim zuständigen Gericht bildet.

Ein beim EuGH anhängiges Vorabentscheidungsverfahrens rechtfertigt die Aussetzung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, wenn die zu entscheidende Vorlagefrage für das Verfahren präjudiziell ist (vgl. zB VwGH 28.10.2008, 2008/05/0129; 09.12.2010, 2011/22/0284; 13.12.2011, 2011/22/0316, Ro 2020/15/0011 vom 21.07.2020).

Im eingangs genannten Verfahren W164 2214856-1/2E wurde der VfGH durch Erkenntnisbeschwerde gemäß Art 144 Abs 1 B-VG, somit im Rahmen der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit angerufen. Diese hier berücksichtigte Erkenntnisbeschwerde begehrt u.a. eine Prüfung gem. Art 144 Abs 1, erste Alternative, B-VG, somit eine Prüfung der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht mit seiner oben genannten Entscheidung W164 2214856-1/2E in verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte eingreifen würde. Die auf diesem Weg vom VfGH begehrte Prüfung ist für eine große Zahl weiterer beim Bundesverwaltungsgericht anhängiger rechtlich exakt gleichgelagerter Verfahren – auch das vorliegende Verfahren bildet ein solches – präjudiziell. Somit ist eine Vorfrage iSd § 38 AVG gegeben.

Zur Ermessenausübung iSd § 38 AVG:

Nach ständiger Judikatur des VwGH ist im Rahmen des gem. § 38 AVG zu übenden Ermessens auf den Grundsatz der Verfahrensökonomie Bedacht zu nehmen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 (Stand 1.7.2005, rdb.at) mit Judikaturhinweisen).

Gemäß § 39 Abs 1, letzter Satz AVG iVm § 17 VwGVG hat sich das Verwaltungsgericht bei der Durchführung seiner Ermittlungen vom Grundsatz der möglichsten Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen.

Das hier gegenständliche Verfahren ist Teil einer großen Anzahl von beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Verfahren, die sämtlich die gleiche Rechtsfrage betreffen. Ob das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsfrage im oben genannten Erkenntnis W164 2214856-1/2E in einer in die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte eingreifende Weise gelöst hat oder nicht, wird derzeit beim Verfassungsgerichtshof geprüft. Im Fall einer Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof (Punkt 3. des Antrages der oben genannten Erkenntnisbeschwerde) wird sich ein weiteres höchstgerichtliches Verfahren anschließen.

Im vorliegenden Fall würden Sachentscheidungen in allen hier anhängigen Fällen nachfolgend gleichlautende Erkenntnisbeschwerden erwarten lassen. Unter Berücksichtigung des dabei für alle beteiligten Instanzen auftretenden Aufwandes, der fehlenden Zweckmäßigkeit und der dabei entstehenden Kosten erscheint die Erlassung von Sachentscheidungen in allen hier anhängigen Fällen im Sinne der Verfahrensökonomie gegenwärtig nicht geboten.

Zusammenfassend ist daher der Ausgang des eingangs genannten „leading case“ abzuwarten. Sodann wird die Aussetzung beendet werden und das Verfahren durch eine die höchstgerichtliche Judikatur berücksichtigende Sachentscheidung abgeschlossen werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aussetzung VfGH Vorfrage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W164.2214830.1.00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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