Entscheidungsdatum
19.11.2020Norm
B-VG Art144 Abs3Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Hofrat Mag. Röper als Einzelrichter über den Antrag des revisionswerbenden Stadtrates der Stadtgemeinde ***, vertreten durch die Rechtsanwälte A und B, ***, ***, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend das Verfahren LVwG-AV-1121/006-20177 des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich den
B E S C H L U S S
gefasst:
1. Der Antrag wird gemäß § 46 Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) abgewiesen.
2. Eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
1. Verfahrensgang:
1.1.
Das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 16. März 2020, Zl. LVwG-AV-1121/004-2017, wurde dem Rechtsvertreter des Stadtrates der Stadtgemeinde *** (in der Folge: antragsstellende Partei) am 19. März 2020 zugestellt.
1.2.
Mittels Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof sowie Eventualantrag auf Vorlage des Aktes an den Landesverwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3
B-VG vom 29. April 2020 focht die antragsstellende Partei das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 16. März 2020 an, durch welches die jährlich zu entrichtende Kanalbenützungsgebühr der C GmbH, ***, ***, ab 1. Jänner 2017 neu festgesetzt und im Ergebnis verringert wurde. Der Verfassungsgerichtshof wies die Beschwerde der antragstellenden Partei mit Beschluss vom 21. September 2020 mit der Begründung zurück, es seien keine subjektiv-öffentlichen Rechte der antragstellenden Partei verletzt, wodurch es an der Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde nach Art. 144 B-VG fehle. Der im Zuge der Beschwerde gestellte Antrag auf Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof blieb unbehandelt, sodass eine Weiterleitung an diesen nicht erfolgte.
1.3.
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2020, welches am 30. Oktober 2020 beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich einlangte, brachte die antragstellende Partei einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den Stand des Verfahrens zum Zeitpunkt vor Ablauf der sechswöchigen Revisionsfrist ein und legte im selben Schreiben einen Schriftsatz, in dem eine außerordentliche Revision erhoben wird, ein. Den Antrag auf Wiedereinsetzung begründete die antragstellende Partei im Wesentlichen damit, dass ihr Vertreter unverschuldet zur Rechtsauffassung gekommen sei, dass im Falle einer Zurückweisung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof und der damit verbundenen fehlenden Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof eine erneute sechswöchige Frist zur Erhebung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof offen stünde. Neben Ausführungen, dass - entgegen der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes - Art. 144 Abs. 3 B-VG in diesem Fall anwendbar sei und es daher zu einer Abtretung hätte kommen müssen, wird dargelegt, dass im gegenständlichen Fall ein Wiedereinsetzungsgrund nach § 46 Abs. 2 VwGG vorliege. Durch die Rechtsbelehrung im angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich wären die Parteien auf die Möglichkeit der innerhalb sechs Wochen zu erhebenden Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof hingewiesen worden, ohne dass dabei eine Einschränkung im Sinne des später erfolgten Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vorgenommen worden sei. Durch das Fehlen dieser Einschränkung sei der Parteienvertreter unverschuldet zur Rechtsmeinung gelangt, eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof in Verbindung mit einem Eventualantrag auf Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof würde diese auch für jenen Fall nach sich ziehen, dass die Beschwerde zurückgewiesen wird.
2. Rechtsvorschriften von Bedeutung:
2.1. Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG idF BGBl. I Nr. 24/2020:
§ 25a. (1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:
1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;
2. Beschlüsse gemäß § 30b Abs. 3;
3. Beschlüsse gemäß § 61 Abs. 2.
(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden. […]
(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Revisionsfrist
§ 26. (1) Die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) beträgt sechs Wochen. Sie beginnt
1. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung;
2. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG dann, wenn das Erkenntnis der belangten Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung; […]
Aufschiebende Wirkung
§ 30. (1) Die Revision hat keine aufschiebende Wirkung. Dasselbe gilt für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist.
Vorentscheidung durch das Verwaltungsgericht
§ 30a. (1) Revisionen, die sich wegen Versäumung der Einbringungsfrist oder wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes nicht zur Behandlung eignen oder denen die Einwendung der entschiedenen Sache oder der Mangel der Berechtigung zu ihrer Erhebung entgegensteht, sind ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
(2) Revisionen, denen keiner der im Abs. 1 bezeichneten Umstände entgegensteht, bei denen jedoch die Vorschriften über die Form und den Inhalt (§§ 23, 24, 28, 29) nicht eingehalten wurden, sind zur Behebung der Mängel unter Setzung einer kurzen Frist zurückzustellen; die Versäumung dieser Frist gilt als Zurückziehung. Dem Revisionswerber steht es frei, einen neuen, dem Mängelbehebungsauftrag voll Rechnung tragenden Schriftsatz unter Wiedervorlage der zurückgestellten unverbesserten Revision einzubringen. […]
(9) Auf Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind die Abs. 1 und 2 sinngemäß anzuwenden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil das anzufechtende Erkenntnis, der anzufechtende Beschluss oder die anzufechtende Revisionsvorentscheidung fälschlich einen Rechtsbehelf eingeräumt und die Partei den Rechtsbehelf ergriffen hat oder keine Belehrung zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages, keine Frist zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsbehelf zulässig sei.
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Revision beim Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen
1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die den Rechtsbehelf als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Erhebung der Revision bzw. der Stellung eines Antrages auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,
beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
(4) Bis zur Vorlage der Revision hat über den Antrag das Verwaltungsgericht zu entscheiden. Ab Vorlage der Revision hat über den Antrag der Verwaltungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht oder der Verwaltungsgerichtshof können dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung statt.
3. Würdigung:
3.1. Zu Spruchpunkt 1:
Der Antrag ist nicht begründet.
3.1.1.
Im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur beginnt im Falle der Abtretung einer Beschwerde des Verfassungsgerichtshofes an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG die Revisionsfrist gemäß § 26 Abs. 4 VwGG mit der Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes oder, wenn der Antrag auf Abtretung der Beschwerde erst nach dessen Zustellung gestellt wurde, mit der Zustellung des Beschlusses gemäß § 87 Abs. 3 VfGG zu laufen.
Die Behandlung einer Revision auf der Grundlage der Abtretung einer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG setzt einen Abtretungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes voraus (vgl. VwGH Ra 2017/09/0018).
3.1.2.
Dem Vorbringen der antragstellenden Partei, dass ihr Parteienvertreter unverschuldet zur oben ausgeführten Rechtsmeinung (vgl. Punkt 1.2.) gekommen sei, steht die höchstgerichtliche Rechtsprechung entgegen, welche eine Kenntnis berufsmäßiger Parteienvertreter mit der neuen Rechtslage der Art. 133 und Art. 144 Abs. 3 B-VG im Zusammenhang mit § 26 Abs. 4 VwGG voraussetzte.
Die Unkenntnis der seit 2014 in Kraft stehenden Rechtslage ist somit als ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden zu werten und demgemäß ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen (vgl. VwGH Ra 2017/03/0001; VwGH Ra 2015/09/0145 und VwGH Ra 2015/03/0049).
3.1.3.
Im gegenständlichen Verfahren sah der Verfassungsgerichtshof von der Erlassung eines Abtretungsbeschlusses ab, wodurch es nicht zum Lauf der sechswöchigen Frist zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof kam und die eingebrachte Revision als verspätet anzusehen ist.
Auch ist es einem berufsmäßigen Parteienvertreter durchaus zuzumuten, sich Kenntnis über die seit 2012 geltende und seit 1. Jänner 2014 in Kraft stehende Rechtslage und die dazu ergangene höchstgerichtliche Rechtsprechung zu verschaffen.
Diese Unkenntnis ist als ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden zu werten, sodass der gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand spruchgemäß abzuweisen war.
3.2. Zu Spruchpunkt 2 - Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da der als erwiesen angenommene Sachverhalt und die in diesem Verfahren anzuwendenden Rechtsvorschriften eindeutig sind und im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis weder von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht noch eine solche Rechtsprechung fehlt und die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die unter Punkt 3.1. angeführt ist, auch einheitlich beantwortet wird.
Schlagworte
Finanzrecht; Verfahrensrecht; Wiedereinsetzung; Versehen; minderer Grad; Rechtslage; Unkenntnis;Anmerkung
VwGH 05.03.2021, Ra 2021/13/0001, 0008-3, AbweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.1121.006.2017Zuletzt aktualisiert am
24.03.2021