Entscheidungsdatum
07.10.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W101 2202546-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 09.07.2018, Zl. Jv 52915-33a/18, betreffend Stundung von Gerichtsgebühren beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
In einem Verfahren zu 23 Pu 114/17g vor dem Bezirksgericht Hernals (in der Folge: BG) sind dem Beschwerdeführer Gerichtsgebühren iHv € 596,00 entstanden.
Mit Schreiben vom 01.06.2018 beantragte der Beschwerdeführer die Stundung der Gerichtsgebühren und begründete dies im Wesentlichen damit, dass er aufgrund seiner Inhaftierung kein Einkommen beziehe.
Mit Bescheid vom 27.06.2018 sprach die zuständige Justizverwaltungsbehörde (Präsident des Oberlandesgerichtes Wien, im Folgenden auch belangte Behörde genannt) aus, dass die Gerichtsgebühren im Betrage von € 596,00 gemäß § 9 Abs. 1 GEG antragsgemäß bis 01.12.2018 gestundet würden. Dieser Bescheid konnte dem Beschwerdeführer nicht zugestellt werden und erwuchs folglich nicht in Rechtskraft.
Mit Lastschriftanzeige vom 11.07.2018 forderte die Kostenbeamtin des BG für den Präsidenten des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien (in der Folge: LG) den Beschwerdeführer zur Zahlung der genannten Gebühren iHv insgesamt € 596,00 auf.
Mit Bescheid vom 09.07.2018, Zl. Jv 52915-33a/18, entschied die belangte Behörde, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf Stundung der vorgeschriebenen Gerichtsgebühren iHv € 596,00 gemäß § 9 Abs. 1 GEG nicht stattgegeben werde.
In der Begründung führte diese im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei laut Auskunft des Zentralen Melderegisters am 03.07.2018 aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Gemäß § 9 Abs. 1 GEG könne die vorgeschriebene Zahlungsfrist auf Antrag verlängert oder die Entrichtung in Teilbeträgen gestattet werden (Stundung), wenn die Einbringung mit besonderer Härte für den Zahlungspflichtigen verbunden wäre und entweder die Einbringlichkeit durch die Stundung nicht gefährdet oder Sicherheit geleistet werde. Da die behaupteten Stundungsgründe nicht mehr zutreffen würden, könne dem Antrag nicht stattgegeben werden.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 25.07.2018 fristgerecht eine Beschwerde, wobei er begründend im Wesentlichen Folgendes ausführte: Der Bescheid vom 27.06.2018 habe deswegen nicht zugestellt werden können, da er vom 17.02.2018 bis zum 03.07.2018 in Untersuchungshaft gewesen und in der Folge mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien am 04.07.2018 freigesprochen worden sei. Während er in Haft gewesen sei, sei ihm von einem Sozialarbeiter etwas über die Gerichtskosten erklärt worden, er habe aber ohne es zu verstehen die Unterlagen unterschrieben und habe erst im Nachhinein bemerkt, dass er um Stundung angesucht habe. Er sei neu in Österreich, beziehe eine Mindestsicherung, habe kein anderes Einkommen und sei derzeit nicht in der Lage den Betrag iHv € 596,00 zu bezahlen.
In der Folge legte die belangte Behörde mit Schreiben vom 27.07.2018 die Beschwerde samt dem dazugehörenden Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Dem Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger mit mangelhaften Deutschkenntnissen, sind in einem Verfahren vor dem BG zu 23 Pu 114/17g Gerichtsgebühren iHv € 596,00 entstanden.
Während seiner Untersuchungshaft hat der Beschwerdeführer mit Antrag vom 01.06.2018 um Stundung dieser Gerichtsgebühren angesucht, aber aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse ohne dem Beisein eines Dolmetschers den Inhalt des Antrages nicht verstanden.
Die belangte Behörde hat die Ablehnung des Antrages ausschließlich damit begründet, dass der Beschwerdeführer am 03.07.2018 aus der Untersuchungshaft entlassen worden sei und die angegebenen Stundungsgründe daher nicht mehr zutreffen würden.
Die belangte Behörde hat keine Ermittlungen zur konkreten Einkommenssituation des Beschwerdeführers durchgeführt. Aufgrund dieser fehlenden Ermittlungen iVm den mangelhaften Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers ist bereits das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde mangelhaft geblieben.
Daher ist die gegenständlich maßgebende Frage offen geblieben, ob der Beschwerdeführer über ausreichend Vermögen verfügt, um die vorgeschriebenen Gerichtsgebühren in voller Höhe einmalig zu zahlen, ohne dass die Einbringung für ihn eine besondere Härte darstellen würde.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellung hinsichtlich der Zahlungspflicht ergibt sich aus dem – unstrittigen – Akteninhalt.
Ohne Ermittlungsergebnisse zur konkreten Einkommenssituation des Beschwerdeführers ist der für einen Stundungsantrag maßgebliche Sachverhalt nicht feststellbar.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung:
3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.2.2. Gemäß § 9 Abs. 1 GEG kann die vorgeschriebene Zahlungsfrist auf Antrag verlängert oder die Entrichtung in Teilbeträgen gestattet werden (Stundung), wenn die Einbringung mit besonderer Härte für den Zahlungspflichtigen verbunden wäre und entweder die Einbringlichkeit durch die Stundung nicht gefährdet oder Sicherheit geleistet wird. Wird eine Rate nicht oder verspätet bezahlt, so wird die Stundung wirkungslos (Terminverlust).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtslage ergibt sich für den vorliegenden Fall folgende Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens:
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kommt bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht, insbesondere dann, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).
Wie bereits oben festgestellt, hat die belangte Behörde keine Ermittlungen zur konkreten Einkommenssituation des Beschwerdeführers durchgeführt, sodass iVm den mangelhaften Deutschkenntnissen ein schwerwiegend mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorliegt.
Folglich kann nicht beurteilt werden, ob für den Beschwerdeführer bei einmaliger Einhebung der geschuldeten Gerichtsgebühr iHv € 596,00 eine besondere Härte vorliegen würde und ob entweder die Einbringlichkeit durch die Stundung nicht gefährdet oder die Sicherheit geleistet wäre.
Es liegen daher besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung und Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes im obigen Sinne vor.
Es kann nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht bei einer Gesamtbetrachtung zu einer – erheblichen – Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde. Vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und der Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG ist daher hier von der Möglichkeit des Vorgehens nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG Gebrauch zu machen und die Angelegenheit an die belangte Behörde zur Durchführung der genannten Ermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.
Im gegenständlichen Fall wird abschließend darauf aufmerksam gemacht, dass zu Beginn des (neuerlichen) Ermittlungsverfahrens zunächst mit dem Beschwerdeführer – gegebenenfalls unter Beiziehung eines Dolmetschers – abzuklären sein wird, ob er nicht statt eines Stundungsantrages einen Nachlassantrag stellen hat wollen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Beschwerde spricht eher für letzteres.
Der Vollständigkeit halber ist weiters darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (s. § 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG, vgl. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010; 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG), auch wenn durch eine Zurückverweisung das Verfahren in die Lage zurücktritt, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. VwGH 22.05.1984, Zl. 84/07/0012).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2.3. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer keinen Antrag auf eine mündliche Verhandlung gestellt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe die oben unter 3.2.2. zitierte Judikatur) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
besondere Härte Deutschkenntnisse Einkommen Ermittlungspflicht Gerichtsgebühren Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Stundung UntersuchungshaftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W101.2202546.1.00Im RIS seit
29.12.2020Zuletzt aktualisiert am
29.12.2020