TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/20 W253 2151313-1

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Veröffentlicht am 20.10.2020
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Entscheidungsdatum

20.10.2020

Norm

BundesarchivG 1999 §2
BundesarchivG 1999 §5
Bundesarchivgutverordnung §2
B-VG Art133 Abs4
DMSG §25
DSG §1

Spruch

W253 2151313-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Jörg C. Binder als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Gerhard Raub und Dr. Gerd Trötzmüller als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX gegen den Bescheid des Bundeskanzleramtes vom 16.09.2016, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin hat mit Schreiben vom 24.07.2016 das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst unter anderem aufgefordert, Unterlagen, welche „der Vorbereitung einer Stellungnahme der Bundesregierung an den hohen Kommissar für Menschenrechte zu meiner Beschwerde X v Austria (Comm. No. 67/2014) dienten bzw. Daten, welche in besagten Zusammenhang über mich vorliegen“ im Sinne der §§ 27-28 DSG 2000“binnen acht Wochen zu vernichten. Für den Fall dass die belangte Behörde diesem Begehren nicht nähertreten würde, ersuchte die Beschwerdeführerin um bescheidmäßige Erledigung.

Mit dem Spruch bezeichneten Bescheid des Bundeskanzleramtes vom 16.09.2016 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 24.07.2016 auf Vernichtung der die Beschwerdeführerin betreffenden personenbezogenen Daten, welche in den Papierakten der belangten Behörde enthalten sind, die im Zusammenhang mit der Beschwerde X gegen Österreich vor dem gemäß Art. 17 der Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, BGBl. Nr. 443/1982, gebildeten Ausschuss angelegt wurden, gemäß Art. 1 § 1 Abs. 2 des Datenschutzgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 165/1999, abgewiesen. Die Akten des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst würden der Dokumentation des vom Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres federführend ausgeübten internen Prozessmanagements sowie insbesondere der Ausarbeitung der österreichischen Position in einem Verfahren vor einer internationalen Institution, dienen. Mit ihrer Entstehung seien sie daher als archivwürdiges Schriftgut gemäß § 2 Z. 3 des Bundesarchivgesetzes, BGBl. I Nr. 162/1999 zu klassifizieren und sei daher die Aufbewahrung solcher Akten gemäß § 5 Bundesarchivgesetz gesetzlich vorgesehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Das BKA habe es unterlassen eine am 24.07.2016 beantragte Skartierung von Papierakten durchzuführen. Der Antrag auf Skartierung sei ohne Prüfung der Verhältnismäßigkeit durch die belangte Behörde abgewiesen worden, weil deren Aufbewahrung gemäß § 5 Bundesarchivgesetz vorgeschrieben sei. Die Beschwerdeführerin erachte sich durch die unterlassene Datenlöschung und insbesondere dadurch, dass die Daten in auf sie zurück führbarer Form aufbewahrt werden würden, im Grundrecht auf Geheimhaltung gemäß Art. 1 § 1 DSG 2000 und auf Achtung ihres Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt. Insbesondere sei die Aufbewahrung jener Aktenteile unverhältnismäßig, welche unter Verletzung des Folterverbots (Art. 3 EMRK) in Besitz von staatlichen Behörden gelangt seien.

Mit Schreiben vom 12.10.2016 legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss der Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter 1. dargelegte Verfahrensgang wird den Feststellungen zu Grunde gelegt.

Die belangte Behörde hat mit Bescheid vom 16.09.2016, Zl. BKA-180.100/0085-I/8/2016 den Antrag auf Vernichtung der die Beschwerdeführerin betreffenden personenbezogenen

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt beruht auf dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur anwendbaren Rechtslage:

Die Rechtslage hat sich seit der Entscheidung der belangten Behörde durch das DSG 2000 idF BGBl I 24/2018 (in weiterer Folge DSG 2000) geändert.

Im DSG 2000 finden sich Übergangsbestimmungen in den § 69 Abs. 4 und 5. Demnach sind gemäß „(4) zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bei der Datenschutzbehörde oder bei den ordentlichen Gerichten zum Datenschutzgesetz 2000 anhängige Verfahren […] nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes und der DSGVO fortzuführen [sind], mit der Maßgabe, dass die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte aufrecht bleibt.“ und gemäß „(5) Verletzungen des Datenschutzgesetzes 2000, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes noch nicht anhängig gemacht wurden, […] nach der Rechtslage nach Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes zu beurteilen [sind].“.

Eine ausdrückliche Regelung, welches Recht für zum Zeitpunkt der geänderten Rechtslage vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängige Verfahren anzuwenden ist, fehlt somit. Ebenso fehlen interpretative Ausführungen in den Bezug habenden Gesetzesmaterialen.

Abgesehen von der Ausnahme betreffend die Regelung zur Zuständigkeit ist die neue Rechtslage auf anhängige Verfahren vor der Datenschutzbehörde, vor den ordentlichen Gerichten und auf Verfahren, die sich auf Verletzung des DSG 2000 beziehen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des DSG 2000 noch nicht anhängig gemacht worden sind, anzuwenden.

Ein Grund, weshalb der Gesetzgeber von den Übergangsbestimmungen einzig die verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht erfasst hat bzw. erfassen wollte, ist vor allem deshalb nicht ersichtlich, weil in den Übergangsbestimmungen - Regelungen das anwendbare Recht im Instanzenzug der ordentlichen Gerichtsbarkeit betreffend - getroffen werden.

Vor diesem Hintergrund geht der zur Entscheidung berufene Senat nunmehr davon aus, dass der Gesetzgeber die neue Rechtslage auf sämtliche Sachverhalte - mit Ausnahme der Regelung der Zuständigkeit - anwenden wollte-, sodass die sich ergebende Lücke betreffend Verfahren, die zum Zeitpunkt der Änderung der Rechtslage beim Bundesverwaltungsgericht anhängig waren, dahingehend zu schließen ist, dass für diese Verfahren planmäßig die neue Rechtslage anzuwenden sein wird. Das gilt auf Grund der eindeutigen Anordnung in § 69 Abs. 5 DSG 2000 auch dann, wenn darüber abzusprechen ist, was zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtens war.

Zu A)

§ 1 DSG lautet wie folgt:

Artikel 1

(Verfassungsbestimmung)

Grundrecht auf Datenschutz

§ 1. (1) Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

(2) Soweit die Verwendung von personenbezogenen Daten nicht im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung erfolgt, sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen, die aus den in Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, genannten Gründen notwendig sind. Derartige Gesetze dürfen die Verwendung von Daten, die ihrer Art nach besonders schutzwürdig sind, nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen. Auch im Falle zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden.

(3) Jedermann hat, soweit ihn betreffende personenbezogene Daten zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell, dh. ohne Automationsunterstützung geführten Dateien bestimmt sind, nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen
1.         das Recht auf Auskunft darüber, wer welche Daten über ihn verarbeitet, woher die Daten stammen, und wozu sie verwendet werden, insbesondere auch, an wen sie übermittelt werden;
2.         das Recht auf Richtigstellung unrichtiger Daten und das Recht auf Löschung unzulässigerweise verarbeiteter Daten.

(4) Beschränkungen der Rechte nach Abs. 3 sind nur unter den in Abs. 2 genannten Voraussetzungen zulässig.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 51/2012)

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes lauten wie folgt:

„§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten:
1.         Archivalien:

Archivalien gemäß § 25 Abs. 1 des Denkmalschutzgesetzes, BGBl. Nr. 533/1923.
2.         Schriftgut:

Schriftgut gemäß § 25 Abs. 2 des Denkmalschutzgesetzes, ausgenommen persönliche Unterlagen wie beispielsweise Aufzeichnungen und Notizen.
3.         Archivgut:

Archivalien, die nach dem Denkmalschutzgesetz unter Schutz stehen.
4.         Archivgut des Bundes:

Archivgut, das bei folgenden Einrichtungen in Wahrnehmung der Aufgaben anfällt:
a)         Bundesdienststellen;
b)         bei juristischen Personen öffentlichen Rechts, die durch einfaches Bundesgesetz eingerichtet sind;
c)         Unternehmungen, an denen der Bund mit mindestens 50 vH des Grund-, Stamm- oder Eigenkapitals beteiligt ist oder die der Bund durch andere finanzielle oder sonstige wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen beherrscht und die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen;
d)         Stiftungen und Fonds, wenn der Bund überwiegend das Stiftungs- oder Fondsvermögen bereitgestellt hat;
e)         Stiftungen, Fonds und Anstalten, die von Organen des Bundes oder von Personen verwaltet werden, die hierzu von Organen des Bundes bestellt sind.
5.         Archivieren:

Erfassen, Übernehmen, Verwahren, Erhalten, Instandsetzen, Ordnen, Erschließen, Verwerten und Nutzbarmachen von Archivgut des Bundes für die Erforschung der Geschichte und Gegenwart, für sonstige Forschung und Wissenschaft, für die Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung sowie für berechtigte Belange der Bürger.
6.         Archiv:

Einrichtung, welche ausschließlich oder überwiegend Tätigkeiten gemäß Z 5 wahrnimmt.
7.         Archive des Bundes:

Das Österreichische Staatsarchiv, die Archive der Bundesdienststellen und der Einrichtungen, denen nach diesem Gesetz die Archivierung von Archivgut des Bundes obliegt.

Aussonderung, Anbietung und Skartierung

§ 5. (1) Die Bundesdienststellen, die gemäß § 3 Abs. 2 kein eigenes Archiv führen, haben, soweit völkerrechtliche Verpflichtungen dem nicht entgegenstehen, das gesamte Schriftgut, das bei der Erfüllung ihrer Aufgaben oder der ihrer Rechtsvorgänger angefallen ist und zur Erfüllung ihrer laufenden Aufgaben nicht mehr benötigt wird, auszusondern und dem Österreichischen Staatsarchiv grundsätzlich zusammen mit den für die Benützung notwendigen Behelfen (zB Register) zur Übernahme anzubieten.

(2) Das Schriftgut, das keine personenbezogenen Daten enthält, ist spätestens 30 Jahre nach der letzten inhaltlichen Bearbeitung anzubieten, wenn nicht der besondere Inhalt des Schriftgutes oder gesetzliche Regelungen eine längere Aufbewahrung bei der betreffenden Stelle erfordern. Ist das Schriftgut aktenmäßig zusammengefaßt, so bestimmt sich dieser Zeitraum nach dem Datum des jüngsten Schriftstückes der Akte. Das Datum der inhaltlich letzten Bearbeitung ist gleichzeitig der Beginn der Schutzfristen gemäß § 8.

(3) Schriftgut, das personenbezogene Daten enthält, die zu löschen wären, weil sie zur Erreichung der Zwecke, für die sie ermittelt wurden, nicht mehr erforderlich sind, ist vor seiner Löschung bzw. Vernichtung auf seine Eigenschaft als Archivgut zu überprüfen. Wird diese Eigenschaft festgestellt, ist das Schriftgut unter Verschluß dem Österreichischen Staatsarchiv zu übergeben, wobei das Datum des Ablaufs der Schutzfrist anzugeben ist. Die Archivierung und die Verarbeitung dieses Schriftgutes mit den darin enthaltenen personenbezogenen Daten liegt im öffentlichen Interesse für Archiv- und historische Forschungszwecke. Bis zur Übernahme des Schriftgutes sind die gemäß Abs. 1 übergebenden Bundesdienststellen und ab der Übernahme das Österreichische Staatsarchiv Verantwortliche gemäß Art. 4 Z 7 der Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. Nr. L 119 vom 4.5.2016 S. 1.

(4) Die Bundesregierung ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welchen Arten von Schriftgut die Eigenschaft eines Archivgutes offenkundig nicht zukommt oder zukommen wird. Bei Schriftgut auf elektronischen Datenträgern kann in der Verordnung geregelt werden, in welchen Fällen aus Gründen der technischen Möglichkeit oder der wirtschaftlichen Vertretbarkeit von der Verpflichtung gemäß Abs. 2 oder 3 abgesehen werden darf.

(5) Schriftgut ist grundsätzlich im Original, Schriftgut auf elektronischen Informationsträgern, in einer Form zur Übernahme anzubieten, die zum Zeitpunkt des Anbietens den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht.

(6) Der Bundesminister für Justiz hat mit Verordnung für Schriftgut von gerichtlichen Verfahren die näheren Vorschriften über die Aussonderung, die Anbietung sowie die Skartierung zu erlassen. In dieser Verordnung ist im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler vorzusehen, welches Schriftgut zunächst dem Österreichischen Staatsarchiv anzubieten ist. Für derartiges Schriftgut und für Schriftgut, das beim Verfassungsgerichtshof, beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Obersten Gerichtshof anfällt, beträgt die Anbietungsfrist 50 Jahre.

(7) Schriftgut, das im Zuge des Anbietens vom Österreichischen Staatsarchiv nicht als Archivgut gewertet wird, ist zu skartieren; Schriftgut auf elektronischen Informationsträgern ist zu löschen. Ausgenommen davon ist das Schriftgut gemäß Abs. 6, sofern es nicht unter Abs. 3 fällt.

(8) Archivgut in Form von Bild-, Film-, Video- und Tonmaterial ist spätestens 30 Jahre nach der Herstellung anzubieten; es kann anstelle des Originals in Form einer Kopie angeboten werden.

(9) Vor Skartierung gemäß Abs. 7 ist das Schriftgut, das bei Dienststellen des Bundes in den Ländern angefallen ist, dem zuständigen Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, sofern nicht datenschutzrechtliche Bestimmungen dem entgegenstehen.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes lauten wie folgt:

Archivalien, Schriftgut (Begriffsbestimmungen)

§ 25. (1) Archivalien sind Schriftgut sowie zu dokumentarischen Zwecken oder zur Information der Öffentlichkeit hergestelltes Bild-, Film-, Video- und Tonmaterial, das von geschichtlicher oder kultureller Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis der Geschichte und Gegenwart in politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Hinsicht sowie bezüglich Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung und den Schutz allgemeiner oder besonderer bürgerlicher Rechte ist. Kommt derartigen Gegenständen geschichtlich gewordenen Charakters jedoch Bedeutung dieser Art nicht zu, dann sind sie nicht Archivalien im Sinne dieses Abschnittes, und zwar auch dann nicht, wenn Sammlungen dieser Art, wie Sammlungen von musikalischen Handschriften, literarischen Schriftstücken, Ansichts- und Porträtsammlungen und dergleichen, als Archive bezeichnet werden.

(2) Schriftgut sind schriftlich geführte oder auf elektronischen Informationsträgern gespeicherte Aufzeichnungen aller Art wie Schreiben und Urkunden samt den damit in Zusammenhang stehenden Karten, Plänen, Zeichnungen, Siegel, Stempel mit deren Anlagen einschließlich der Programme, Karteien, Ordnungen und Verfahren, um das Schriftgut auswerten zu können.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung des Bundeskanzlers über die Kennzeichnung, Anbietung und Archivierung von Schriftgut des Bundes (Bundesarchivgutverordnung)BGBl. II Nr. 367/2002, letzte Änderung BGBl. II Nr. 305/2017 lauten wie folgt:

Archivwürdigkeit von Schriftgut

§ 2. (1) Das in der Anlage angeführte Schriftgut gilt grundsätzlich mit der Entstehung als Archivgut gemäß § 2 Z 3 des Bundesarchivgesetzes. Befindet sich in einem Akt (die Gesamtheit des Schriftgutes, das im Einzelfall sachlich eine Einheit bildet) solches Schriftgut, so gilt der gesamte Akt als Archivgut.

(2) Schriftgut, das weder in der Anlage noch in der Verordnung der Bundesregierung über nicht archivwürdiges Schriftgut des Bundes, BGBl. II Nr. 366/2002, angeführt ist, gilt als Archivgut, wenn es vom Österreichischen Staatsarchiv innerhalb eines Jahres nach Anbietung (§ 4) als solches qualifiziert und im Sinne des § 3 Abs. 1 Z 1 gekennzeichnet wurde. Aus dem Vermerk muss erkennbar sein, welcher Bedienstete des Österreichischen Staatsarchivs diese Feststellung getroffen hat.

Anlage zu § 2 Abs. 1:
[…]
9.         Schriftgut der Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, dem Verwaltungsgerichtshof und vor internationalen Institutionen (beispielsweise Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften);

[…]

Im Hinblick auf in Papierakten aufbewahrte Daten geht der VfGH (ebenso wie der VwGH) in seiner Rechtsprechung davon aus, dass Kopienakten (Papierakten) zufolge ihres Aufbaues und ihrer Struktur nicht als Datei iSd §4 Z6 DSG 2000 zu qualifizieren sind, weshalb insoweit kein Löschungsanspruch besteht (vgl zB VfSlg 17745/2005, 18092/2007, 18963/2009; VwSlg 16477 A/2004; VwGH 25.11.2008, 2005/06/0301).

Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR fällt die Aufbewahrung von das Privatleben einer Person betreffenden Daten in den Anwendungsbereich des Art. 8 Abs1 EMRK (vgl zB EGMR 18.10.2011, Fall Kheleli, Appl 16188/07, newsletter 2011, 305; betr die Bezeichnung "Prostituierte" als Beruf der Beschwerdeführerin); eine Einschränkung auf solche Daten, die in besonders strukturierter Weise aufgeschlossen sind, kann der Judikatur des EGMR nicht entnommen werden.

In seinem Erkenntnis vom 10.12.2014 B1187/2013 hat der VfGH festgehalten, dass das gegenüber allen Behörden (und auch Privaten) geltende Recht auf Geheimhaltung gemäß §1 Abs. 1 DSG 2000 auch ein subjektives Recht darauf gewährleistet, dass eine unverhältnismäßige weitere Verwendung von Daten beendet wird. Dieses Recht ist […] nicht auf automationsunterstützt verarbeitete Daten oder manuelle Dateien eingeschränkt. Werden demnach Papierakten aufbewahrt, deren weitere Verwendung gegen Art. 8 EMRK verstößt, ergibt sich aus dem Recht auf Geheimhaltung ein Recht auf physische Vernichtung der Papierakten durch die Behörde. […] Entsprechenden Daten sind daher entweder zu vernichten oder einen Bescheid zu erlassen, mit dem das Begehren der Beschwerdeführerin abgewiesen wird, wobei im zweiten Fall die Abwägungsentscheidung zwischen dem grundrechtlich geschützten Privatleben der Beschwerdeführerin und den öffentlichen Interessen an der weiteren Aufbewahrung der Daten zu begründen ist. […]

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

Beschränkungen (abgesehen vom lebenswichtigen Interesse oder der Zustimmung) des in § 1 normierten Grundrecht sind bei Eingriffen von Behörden nur auf Grund von Gesetzen zulässig, die aus den in Art. 8 Abs 2 EMRK genannten Gründen notwendig sind (VfGH 17.12.2009, B504/09).

Das Bundeskanzleramt hat durch die Aufbewahrung bzw. durch die nicht erfolgte Löschung der das Privatleben betreffenden Daten der Beschwerdeführerin im Papierakt in ihr durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Privatleben eingegriffen.

Der Begründung des in Beschwerde gezogenen Bescheids, ist zu entnehmen, dass die Aufbewahrung der Papierakten des BKA-VD als archivwürdiges Schriftgut gemäß § 5 des Bundesarchivgesetztes vorgesehen sei, weil diese zur Dokumentation der österreichischen Position in einem Verfahren vor einer internationalen Institution angelegt worden sind und solche Akten gemäß § 2 Z. 3 Bundesarchivgesetz in Verbindung mit der Z. 9 der Anlage zu §2 Abs. 1 Bundesarchivgutverordnung als archivwürdig zu betrachten sind. Eine umfassende Interessenabwägung zur Begründung des Grundrechtseingriffs ist dem Bescheid nicht zu entnehmen. Insbesondere fehlt eine Gegenüberstellung der Interessen am gefährdeten Gut (Privatfreiheit) und der Interessen der belangten Behörde (Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen –Archivgesetz).

Die Behörde hat aber im in Beschwerde gezogenen Bescheid klar und nachvollziehbar dargelegt, warum die von ihr angelegten Papierakten als archivwürdiges Schriftgut im Sinne des Bundesarchivgesetzes zu qualifizieren sind. Den Erläuterungen (siehe dazu 1897 der Beilagen XX. GP) zur Regierungsvorlage betreffend das Bundesgesetz über die Sicherung, Aufbewahrung und Nutzung von Archivgut des Bundes (Bundesarchivgesetz) ist zudem zu entnehmen, dass den Zugang zu den Archivalien einschränkenden Regelungen - gemeint sind damit das Grundrecht auf Datenschutz und das Grundrecht auf Privatsphäre-, das Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre (Art 17 StGG) und das berechtigte Interesse des Bürgers auf Information über die historischen Abläufe in der politischen und kulturellen Entwicklung Österreichs gegenüber stehen. Weiters ist den Erläuterungen zu entnehmen, dass bei der Schaffung des Bundesarchivgesetzes, dessen Zweck es ist den Begriff des Archivgutes des Bundes klar zu umschreiben und die Zugangsmöglichkeiten zu diesem Archivgut unter Beachtung schutzwürdiger Belange Dritter zu normieren, auf eine Interessenabwägung zwischen den Grundrechten der Informations- und Wissenschaftsfreiheit einerseits und den Grundrechten auf Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre andererseits Bedacht genommen worden ist. Somit hat die belangte Behörde ihren Bescheid zu Recht auf gesetzliche Bestimmung gestützt, die bereits aufgrund einer Abwägung zwischen den obengenannten Grundrechten erlassen worden sind. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergeben sich zu dem keine Anhaltspunkte die den zur Entscheidung berufenen Senat an der bereits durch den Gesetzgeber vorgenommenen Interessensabwägung bzw. Güterabwägung zweifeln lassen. Insbesondere besteht aus Sicht des zur Entscheidung berufenen Senats, ein bereits durch dich Gesetzgebung klar und nachvollziehbar dargelegtes Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Archivierung von ganz bestimmten, in der Verordnung genannten Schriftgütern, und dazu zählt ausdrücklich die Archivierung des Schriftguts vor internationalen Institutionen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da die Beschwerdeführerin erstens keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat und zweitens, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen (§ 24 Abs. 4 VwGVG). Der Sachverhalt war im gegenständlichen Verfahren grundsätzlich geklärt und waren lediglich Rechtsfragen zu behandeln.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.

Schlagworte

Anhängigkeit Archivierung Dateiqualität Geheimhaltung Geheimhaltungsinteresse Interessenabwägung Löschung Löschungsbegehren Löschungsinteresse Papierakt personenbezogene Daten Rechtsfrage Revision zulässig Übergangsbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W253.2151313.1.00

Im RIS seit

28.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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