TE Vwgh Beschluss 2020/11/20 Ra 2020/20/0100

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Veröffentlicht am 20.11.2020
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Index

E000 EU- Recht allgemein
E3L E19103000
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §38
AVG §68 Abs1
EURallg
VwGG §62 Abs1
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs3
32013L0032 IntSchutz-RL Art40 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Revisionssache des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Februar 2020,L525 2185307-2/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: S U in W), den Beschluss gefasst:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-18/20 über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 2019, EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), vorgelegten Fragen ausgesetzt.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte stellte erstmals am 14. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Dabei gab er an, Staatsangehöriger von Pakistan zu sein. Er sei in Pakistan geboren und aufgewachsen. Infolge einer Auseinandersetzung zwischen seinem Vater und Leuten, denen dieser Geld geschuldet habe, habe ein Cousin des Mitbeteiligten zur Verteidigung des Vaters einen der Männer getötet. Aus Rache solle nun der Mitbeteiligte getötet werden und er sei daraufhin geflüchtet.

2        Der Mitbeteiligte verließ noch vor einer Entscheidung durch die Behörde das Bundesgebiet und stellte sowohl in Norwegen als auch in der Schweiz weitere Anträge auf internationalen Schutz. Nach seiner Überstellung nach Österreich teilte der Mitbeteiligte dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, seinen Namen und seine Daten korrigieren zu wollen. Er sei - anders als früher angegeben - afghanischer Staatsangehöriger.

3        Mit Bescheid vom 13. Jänner 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 13. Juli 2018 als unbegründet ab.

4        In der Folge verließ der Mitbeteiligte das Bundesgebiet und stellte in Italien und Belgien Anträge auf internationalen Schutz.

5        Nach seiner neuerlichen Einreise in Österreich stellte der Mitbeteiligte am 1. Juli 2019 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er zusammengefasst damit, er habe sich mit seiner Stiefmutter nicht verstanden und habe auch ein Verhältnis zu einem Mädchen in seiner Heimatstadt unterhalten. Die Familie seiner Geliebten verfolge ihn und habe ihn mit dem Tod bedroht. Er stamme aus Pakistan. Er habe sich früher als Afghane ausgegeben, weil ihm dazu von „mitreisenden“ Afghanen geraten worden sei.

6        Mit Bescheid vom 19. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei. Die Behörde sprach weiters aus, dass keine Frist zur freiwilligen Ausreise bestehe und erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot. Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, es sei sowohl hinsichtlich der Fluchtgeschichte als auch in Bezug auf den nun angegebenen Herkunftsstaat von einem unveränderten Sachverhalt auszugehen, weil diese Sachverhaltselemente schon im Erstverfahren vorgelegen seien, und das Fluchtvorbringen zudem nicht glaubhaft sei. Daher stehe die Rechtskraft des Vorbescheides der inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Dieser sei zurückzuweisen. Im Rahmen der weiteren Ansprüche (Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung) prüfte die Behörde die Lage in Pakistan und verneinte eine Gefährdung des Mitbeteiligten iS der Art. 2 und 3 EMRK.

7        Mit Erkenntnis vom 3. Februar 2020 gab das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer Verhandlung - der dagegen erhobenen Beschwerde statt und behob den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG ersatzlos. In seiner Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, die Behörde habe im ersten Verfahren aufgrund der Angaben des Mitbeteiligten die allgemeine Lage im Hinblick auf das Herkunftsland Afghanistan als auch die Zulässigkeit einer Abschiebung in diesen Staat geprüft. Trotz der nunmehr im Folgeverfahren festgestellten Identität des Mitbeteiligten als pakistanischer Staatsangehöriger sei der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden. Ohne Refoulementprüfung in Bezug auf Pakistan, zumindest im Hinblick auf die Zuerkennung von subidiärem Schutz, habe die Behörde nicht von einer entschiedenen Sache ausgehen dürfen.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Amtsrevision, über die vom Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet wurde. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

9        Mit dem Beschluss vom 18. Dezember 2019 hat der Verwaltungsgerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?

Falls Frage 1. bejaht wird:

2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?

3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“

10       Der Beantwortung dieser Fragen durch den Gerichtshof der Europäischen Union kommt für die Behandlung der vorliegenden Revision Bedeutung zu. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb das Revisionsverfahren auszusetzen war (vgl. VwGH 23.3.2020, Ra 2019/14/0398, mwN).

Wien, am 20. November 2020

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020200100.L00

Im RIS seit

04.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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