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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §57Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision der K N in L, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Jänner 2019, W192 1423016-3/11E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung samt Begleitaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Georgiens, stellte nach ihrer Einreise in Österreich am 5. Juni 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde zuletzt im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 1. Oktober 2015, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet abgewiesen und es wurde das Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.
2 Mit Bescheid vom 8. Februar 2016 sprach das BFA sodann aus, dass der Revisionswerberin ein Aufenthaltstitel gemäß den §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ das BFA gegen die Revisionswerberin gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass ihre Abschiebung nach Georgien zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise.
3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte. Dazu machte sie insbesondere eine Verschlechterung ihres psychischen Zustandes geltend und verwies darauf, dass sie in Bezug auf ihre Nierenerkrankung regelmäßiger ärztlicher Kontrolle bedürfe. In Georgien, wo sie auch keine Wohnmöglichkeit habe, sei eine weiterführende ärztliche Behandlung für sie nicht leistbar und somit nicht möglich.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Jänner 2019 wies das BVwG - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung - die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Revisionswerberin „eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gem. § 57 AsylG“ nicht erteilt werde (es entfiel somit der Abspruch bezüglich § 55 AsylG 2005). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG zur Rückkehrentscheidung (zusammengefasst) aus, die Revisionswerberin leide insbesondere an arterieller Hypertonie und dem (inhaltlich näher beschriebenen) Zustand nach einer Nierentransplantation. Es bestehe die Notwendigkeit engmaschiger Kontrollen an einem Transplantationszentrum und der regelmäßigen Einnahme einer immunsuppressiven Therapie sowie deren Kontrolle zur Abwendung des Organverlustes. Die Weiterführung sowohl der postoperativen ärztlichen Kontrollen als auch der derzeit in Anspruch genommenen medikamentösen Therapie sei im Herkunftsstaat möglich. Es könne nicht festgestellt werden, dass sich die wirtschaftliche Situation der Revisionswerberin - auch unter Berücksichtigung allenfalls künftig notwendig werdender Behandlungs- und Medikamentenkosten - als derart „desolat“ erweise, dass sie in Georgien Gefahr liefe, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Da sich im Herkunftsstaat mehrere Angehörige der Revisionswerberin samt ihren Familien aufhielten, sei weder damit zu rechnen, dass sie im Fall ihrer Rückkehr mit Obdachlosigkeit konfrontiert wäre, noch dass sie keinerlei Unterstützung bei der Finanzierung von Medikamenten- und Behandlungskosten erhalten würde. Dass sie im Fall ihrer Rückkehr real Gefahr liefe, mangels Finanzierbarkeit einer benötigten medizinischen Behandlung in eine als unmenschlich zu bezeichnende Notlage versetzt zu werden, könne somit nicht prognostiziert werden.
Im Hinblick auf die im Herkunftsstaat bestehenden familiären Anknüpfungspunkte sei unter weiterer Berücksichtigung der Kenntnis der Landessprache auf muttersprachlichem Niveau und des Verbringens des prägenden Teils ihres Lebens in diesem Staat mit einer Reintegration der Revisionswerberin zu rechnen sei.
In Österreich habe die unbescholtene Revisionswerberin Deutschkenntnisse lediglich auf dem Niveau A 2 erworben und verfüge über Sozialkontakte, sei jedoch trotz der Dauer ihres Aufenthaltes keiner nennenswerten Berufstätigkeit nachgegangen und nie selbsterhaltungsfähig, sondern auf den Bezug der Grundversorgung angewiesen gewesen.
Im Rahmen seiner Interessenabwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG verwies das BVwG auf die eben dargestellten Umstände, auf das bloß vorläufige Aufenthaltsrecht im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, sowie das Bewusstsein des unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus. Die privaten Interessen der Revisionswerberin an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet hätten daher hinter das große öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen zurückzutreten.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Die gesundheitliche Situation der Revisionswerberin sei im rechtskräftigen Erkenntnis des BVwG vom 1. Oktober 2015 (laut Rn. 1) einer umfassenden Beurteilung unterzogen worden. Im gegenständlichen Verfahren sei keine seither eingetretene Änderung der gesundheitlichen Situation respektive der Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat ins Treffen geführt worden. Es seien also keine Sachverhaltselemente aufgezeigt worden, die einer mündlichen Erörterung bedurft hätten.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 8. Juni 2020, E 550/2019, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
7 Über die in der Folge ausgeführte außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Hat das Verwaltungsgericht - wie hier - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen sie entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
10 Im Übrigen erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt.
11 Das BVwG ist dem (in Rn. 3 wiedergegebenen) Beschwerdevorbringen, betreffend Verschlechterung des psychischen Zustandes der Revisionswerberin und das Fehlen einer Wohnmöglichkeit im Herkunftsstaat nicht gefolgt. Entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin ging es letztlich zudem davon aus, die unstrittig nach der Nierentransplantation weiterhin erforderliche medizinische Betreuung der Revisionswerberin werde von dieser im Herkunftsstaat finanzierbar sein und sei damit auch sichergestellt, wobei es sich jedoch mit der erforderlichen immunsuppressiven Behandlung und deren Kosten nicht näher auseinandergesetzt hat.
Diesen Gesichtspunkten kommt im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung Bedeutung zu. Zumal vor dem Hintergrund des langen Zurückliegens der vor dem BVwG bekämpften Entscheidung des BFA (laut Rn. 2) wäre daher die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung geboten gewesen. Es lag nämlich kein hinreichend geklärter Sachverhalt vor, der es erlaubt hätte, ausnahmsweise von der Abhaltung der beantragten Beschwerdeverhandlung Abstand zu nehmen.
12 Das angefochtene Erkenntnis war daher (mit Ausnahme der Entscheidung nach § 57 AsylG 2005) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 Von der Durchführung der beantragen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 3 VwGG abgesehen werden.
14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 26. November 2020
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210324.L00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021