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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A H, vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Februar 2020, W257 2153094-1/19E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus Kabul, beantragte am 24. Juni 2016 internationalen Schutz. Er brachte im Laufe des Verfahrens zusammengefasst vor, für den afghanischen Inlandsgeheimdienst tätig gewesen zu sein. Er habe in dieser beruflichen Tätigkeit „eine wichtige Person der Taliban ausgeforscht ... und an die Regierung übermittelt“; deshalb fürchte er um sein Leben.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. März 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft machen können, für den afghanischen Inlandsgeheimdienst tätig gewesen, deshalb bedroht worden und bei Rückkehr gefährdet zu sein. Selbst bei Wahrunterstellung der Tätigkeit beim Inlandsgeheimdienst sei kein anderes Ergebnis zu erzielen, weil sich der Revisionswerber in Bezug auf die angeblichen Drohungen gegen seine Person in Widersprüche verwickelt habe. Auch subsidiärer Schutz sei dem Revisionswerber nicht zuzuerkennen, weil er aufgrund seiner persönlichen Umstände (Ausbildung, familiäres Netzwerk, Wohnmöglichkeit) in seinen Herkunftsort Kabul ungefährdet zurückkehren könne. Zur Rückkehrentscheidung hielt das BVwG fest, der Revisionswerber halte sich erst seit etwa dreieinhalb Jahren in Österreich auf und sei in Kenntnis seines unsicheren Aufenthaltsstatus vor zweieinhalb Jahren eine Lebensgemeinschaft mit einer deutschen Staatsbürgerin eingegangen. Er habe auch einige näher dargestellte integrative Schritte gesetzt, ohne dass diese Integration außergewöhnlich wäre. Bei Abwägung der für und gegen einen Verbleib des Revisionswerbers in Österreich sprechenden Umstände überwiege - wie näher begründet wird - das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung insbesondere zur Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dg. Beschluss vom 1. Oktober 2020, E 3070/2020-5, abgelehnt und die mit dg. Beschluss vom 2. Oktober 2020, E 3070/2020-7, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde.
5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision macht der Revisionswerber zur Zulässigkeit geltend, das BVwG habe sich zu Unrecht über einen Beweisantrag des Revisionswerbers auf Überprüfung seiner Angaben über die Tätigkeit für den afghanischen Inlandsgeheimdienst durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung hinweggesetzt. Das BVwG habe nicht in Zweifel gezogen, dass der Revisionswerber im Zuge seiner sportlichen Betätigungen auch auf dem Sicherheitsgelände des Geheimdienstes trainiert habe. Schon dieser Umstand und seine Prominenz als nationaler afghanischer Volleyballspieler hätten ihn für den Geheimdienst und die Taliban von großem Interesse gemacht. Eine Auseinandersetzung damit habe das BVwG unterlassen. In der Folge habe das BVwG entgegen den Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 festgestellt, dass eine Rückkehr des Revisionswerbers nach Kabul zumutbar sei. Die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts stünden auch im Widerspruch zur Rechtsprechung der Höchstgerichte. Schließlich sei auch die Abwägung des Gerichts hinsichtlich der Integration des Revisionswerbers nicht nachvollziehbar und unsachgemäß. Das BVwG habe dabei die von ihm selbst festgestellte gute Integration des Revisionswerbers nicht hinreichend berücksichtigt.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
9 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
10 Das BVwG schenkte dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, beim afghanischen Inlandsgeheimdienst tätig gewesen und deshalb von den Taliban bedroht worden zu sein, keinen Glauben. Es stützte sich dabei, wie die Revision richtig vorbringt, auf beweiswürdigende Überlegungen, die es für sich genommen nicht gerechtfertigt hätten, den Beweisantrag des Revisionswerbers auf Überprüfung seiner Angaben durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung abzulehnen, ohne sich dem Vorwurf einer vorgreifenden Beweiswürdigung auszusetzen.
11 Allerdings stützte das BVwG die Ablehnung des Beweisantrags auch darauf, dass „selbst bei erwiesener Tätigkeit als ‚VMann‘ oder der Geheimdiensttätigkeit nichts gewonnen wäre“, weil die Bedrohung des Revisionswerbers selbst bei Wahrunterstellung seiner Geheimdiensttätigkeit nicht glaubhaft gewesen sei (Erkenntnis Seite 32). In diesem Zusammenhang stellte das BVwG nähere beweiswürdigende Erwägungen an, denen die Revision nicht entgegen tritt. Sie legt auch nicht dar, aus welchen Gründen der Revisionswerber im Falle einer Rückkehr - bei Außerachtlassung der nicht geglaubten Bedrohungsszenarien in der Vergangenheit - zukünftig gefährdet sein sollte. Allein der Hinweis der Revision auf die behauptete Prominenz des Revisionswerbers als Volleyballspieler in Afghanistan und sein angeblich bekanntes Training in Sportanlagen der staatlichen Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit reicht dafür nicht. Aus diesem Grund vermag die Revision nicht darzutun, dass die unterlassene Beweisaufnahme einen wesentlichen Verfahrensmangel begründet und sich das BVwG mit dem Gefährdungsprofil des Revisionswerbers fallbezogen nicht ausreichend beschäftigt hat.
12 Soweit die Revision einen Widerspruch zwischen der angefochtenen Entscheidung zum subsidiären Schutz und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 bzw. der - nicht näher präzisierten - „Rechtsprechung der Höchstgerichte“ ortet, ist ihr lediglich zu erwidern, dass im gegenständlichen Fall keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative zu beurteilen ist (die nach den zitierten UNHCR-Richtlinien „in Kabul ... grundsätzlich nicht verfügbar ist“), sondern eine Rückkehr des Revisionswerbers an seinen Herkunftsort Kabul in Rede steht. Das BVwG legte im Einzelnen dar, warum es aufgrund der persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers und der allgemeinen Lage in der afghanischen Hauptstadt eine Rückkehr für möglich erachtete, ohne dass der Revisionswerber dadurch einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, insbesondere in seinen durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt zu werden. Dem vermag die Revision nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen.
13 Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. dazu und zu den maßgeblichen rechtlichen Kriterien bei der Beurteilung des Familienlebens zwischen Lebensgefährten einerseits und einer außergewöhnlichen Integration, die unter dem Blickwinkel des Privatlebens ein Bleiberecht begründen kann, andererseits etwa VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, mwN).
14 Dass das BVwG bei seiner Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten rechtlichen Leitlinien nicht beachtet hätte und zu einem unvertretbaren Ergebnis gelangt wäre, legt die Revision, die lediglich auf eine „gute Integration“ des Revisionswerbers verweist und daraus eine Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung ableiten möchte, nicht dar.
15 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 3. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180467.L00Im RIS seit
11.01.2021Zuletzt aktualisiert am
11.01.2021