TE Vwgh Beschluss 2020/12/9 Ra 2020/08/0157

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2020
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
25/01 Strafprozess
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

StPO 1975 §259
StPO 1975 §336
VStG §44a Z1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Strohmayer sowie die Hofräte Mag. Stickler und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des N N in S, vertreten durch die Hofbauer & Wagner Rechtsanwälte Partnerschaft in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 21. September 2020, Zl. LVwG-S-2852/001-2019, betreffend Bestrafung nach dem ASVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen angefochtenen Erkenntnis erkannte das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich den Revisionswerber in Bestätigung des behördlichen Straferkenntnisses der Übertretung des § 33 Abs. 1 und Abs. 1a in Verbindung mit § 111 Abs. 1 ASVG in 18 Fällen für schuldig, verhängte über ihn Geldstrafen in der Höhe von jeweils 730 Euro (für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen) und setzte den Beitrag des Revisionswerbers zu den Kosten des Verfahrens fest. Der Revisionswerber habe es in seiner Funktion als Geschäftsführer der P. GmbH zu verantworten, dass diese als Dienstgeberin zu im einzelnen genannten Zeitpunkten 18 Personen beschäftigt habe, ohne diese Dienstnehmer, bei welchen es sich um in der Krankenversicherung pflichtversicherte Personen gehandelt habe, vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

5        In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision bringt der Revisionswerber unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vor, das Verwaltungsgericht habe keine Aussagen darüber getroffen, warum der Freispruch des Revisionswerbers durch ein während der mündlichen Verhandlung vorgelegtes Urteil eines Bezirksgerichtes nicht für das vorliegende Verwaltungsstrafverfahren bindend sein sollte. Das Verwaltungsgericht habe gegen die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, der zufolge ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen entfalte, auf denen der „Schuldspruch/Freispruch“ beruhe. Im bezirksgerichtlichen Strafverfahren seien dem Revisionswerber als Erstangeklagtem und seinem Vorgänger als Geschäftsführer der P. GmbH als Zweitangeklagtem „aufgrund des identen Vorfalles“, nämlich der Betretung der 18 Dienstnehmer bei Bauarbeiten im Hotel der P. GmbH, Vergehen nach § 28c Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz angelastet worden. Gleichzeitig mit dem Freispruch des Revisionswerbers habe das Bezirksgericht hinsichtlich des Zweitangeklagten Diversion gemäß § 199 in Verbindung mit § 200 StPO gewährt. Der Freispruch des Revisionswerbers gründe ganz offensichtlich auf das mangelnde Verschulden des Revisionswerbers, nämlich auf die besondere Situation, dass es ihm in der kurzen Zeit seit Ablösung des Zweitangeklagten in der Funktion als Geschäftsführer der P. GmbH nicht möglich gewesen sei, sich einen Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse und die dringend vorzunehmenden Schritte im Zusammenhang mit den laufenden Bauarbeiten und der illegalen Beschäftigung von Dienstnehmern zu verschaffen.

6        Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausführt, entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen, auf denen sein Schuldspruch beruht, wozu auch jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen (vgl. etwa VwGH 27.3.2018, Ra 2018/16/0043, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch auch in allgemeiner Form festgehalten, dass die Bindungswirkung verurteilender strafgerichtlicher Entscheidungen im Fall einer freisprechenden Entscheidung nicht zum Tragen kommt (vgl. VwGH 9.8.2018, Ra 2018/22/0033).

7        Mit dem während der mündlichen Verhandlung vorgelegten bezirksgerichtlichen Urteil wurde der Revisionswerber von der Anklage freigesprochen, er habe „in einem nicht mehr festzustellenden Zeitraum bis 4.4.2019 ... eine größere Zahl von Ausländern, nämlich mindestens 11 Personen, ohne Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet beschäftigt, indem er diese für Arbeiten an der Baustelle des Hotels [der P. GmbH] eingesetzt habe, und hiedurch das Vergehen nach § 28c Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz begangen“. Das Urteil enthält entgegen dem Revisionsvorbringen keine Feststellungen, denen zufolge es dem Revisionswerber in der kurzen Zeit seit Ablösung des vor dem Bezirksgericht Zweitangeklagten in der Funktion als Geschäftsführer der P. GmbH nicht möglich gewesen wäre, sich einen Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse und die dringend vorzunehmenden Schritte im Zusammenhang mit den laufenden Bauarbeiten und der illegalen Beschäftigung von Dienstnehmern zu verschaffen. Die von der Revision behauptete Bindung des Verwaltungsgerichts durch das bezirksgerichtliche Urteil im Sinne einer Verpflichtung, solche Tatsachen als erwiesen anzunehmen, besteht daher schon deshalb nicht.

8        In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 9. Dezember 2020

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080157.L00

Im RIS seit

15.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten