Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Harald Kohlruss (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei BUAK Bauarbeiter-, Urlaubs- und Abfertigungskasse, Kliebergasse 1A, 1050 Wien, vertreten durch Mag. Vera Noss, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei L***** S.A., *****, vertreten durch Zacherl Schallaböck Proksch Manak Kraft Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 82.095,14 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juni 2020, GZ 9 Ra 94/19p-29, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Das Berufungsgericht hat die auf fehlende internationale Zuständigkeit gestützte Berufung der Beklagten wegen Nichtigkeit verworfen. Die Frage der internationalen Zuständigkeit österreichischer Gerichte wurde damit abschließend beantwortet, da eine vom Berufungsgericht verneinte Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr geltend gemacht werden kann (RS0042981). Es handelt sich dabei um einen Beschluss gemäß § 519 Abs 1 ZPO, der – auch dann, wenn er in das Berufungsurteil aufgenommen wurde (RS0043405) – nach herrschender Meinung absolut unanfechtbar ist (RS0043405 [T48, T49]; idS auch 8 ObA 2/11v).
Damit erübrigt sich auch, auf die von der Beklagten angeregte Anrufung des Europäischen Gerichtshofs zu dieser Frage einzugehen.
2. Die Beklagte wendet sich nicht dagegen, dass nach der nationalen Rechtslage für die von ihr nach Österreich entsendeten Mitarbeiter Zuschläge an die Klägerin zu zahlen wären und diese von den Vorinstanzen entsprechend dem BUAG auch richtig ermittelt wurden. Sie argumentiert vielmehr damit, dass eine solche Einbeziehung in das nationale Sozialsystem unionsrechtswidrig sei.
3. Zur Vereinbarkeit der Vorschriften des nationalen Kassensystems mit unionsrechtlichen Vorschriften hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 8 ObA 2/11v ausführlich Stellung genommen. Die dabei vertretene Rechtsauffassung wurde auch in nachfolgenden Entscheidungen (9 ObA 150/11s, 9 ObA 145/17i; 9 ObA 111/18s) bestätigt. Die Revision zeigt demgegenüber keine überzeugenden Argumente auf, um von dieser Rechtsprechung abzugehen.
4. Soweit die Revision auf die Entscheidung des Europäischen Gerichthofs, C-49/98, Finalarte, ECLI:EU:C:2001:564, verweist, hat der EuGH gerade in dieser Entscheidung zu dem dem österreichischen System vergleichbaren deutschen Urlaubskassensystem ausgesprochen, dass die Art 59, 60 EG-Vertrag einem solchen Kassensystem nicht entgegenstehen, sofern zum einen die Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften des Niederlassungsmitgliedstaats ihres Arbeitgebers keinen im Wesentlichen vergleichbaren Schutz genießen, sodass die Anwendung der nationalen Regelung des anderen Mitgliedstaats, in dem die Dienstleistung erbracht wird, ihnen einen tatsächlichen Vorteil verschafft, der deutlich zu ihrem sozialen Schutz beiträgt, und zum anderen die Anwendung dieser Regelung des anderen Mitgliedstaats im Hinblick auf das verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel verhältnismäßig ist. Zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, sei Sache des nationalen Gerichts (vgl Rn 41 ff).
In der Entscheidung vom 18. 7. 2007, C-490/04, Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland, ECLI:EU:C:2007:430, wiederholte der EuGH, dass die Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zwei Voraussetzungen habe, deren Erfüllung das nationale Gericht zu prüfen habe. Dieses muss untersuchen, ob die (Anm: Im dort zu beurteilenden Fall) deutschen Rechtsvorschriften über bezahlten Urlaub den Arbeitnehmern, die von außerhalb Deutschlands ansässigen Dienstleistungserbringern entsandt worden seien, einen tatsächlichen zusätzlichen Schutz gewährten und ob die Anwendung dieser Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Verwirklichung des Ziels des sozialen Schutzes dieser Arbeitnehmer verhältnismäßig sei (Rn 46).
5. Soweit die Beklagte mit der grundsätzlichen Unzulässigkeit der Einbeziehung ausländischer Arbeitgeber in das Beitragssystem der Klägerin argumentiert, weil eine solche gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße, ist sie auf diese Entscheidungen zu verweisen.
Welche unionsrechtlichen Voraussetzungen für eine solche Einbeziehung von aus einem anderen Mitgliedstaat entsendeten Mitarbeiter in das nationale Kassensystem vorliegen müssen, wurde vom EuGH damit ebenfalls geklärt. Die Anwendung im Einzelfall obliegt den nationalen Gerichten. Für eine (neuerliche) Vorlage an den EuGH besteht daher keine Veranlassung.
6. Unstrittig besteht im Sitzstaat der Beklagten kein vergleichbares Urlaubskassensystem. Warum gerade in der Baubranche ein solches System für den Arbeitnehmer eine Erhöhung des sozialen Schutzes bedeutet, wurde bereits in der genannten Entscheidung des Oberster Gerichtshof 8 ObA 2/11v in Pkt 8 dargelegt:
„Eine überbetriebliche Urlaubskasse bietet schon abstrakt ein höheres Schutzniveau als gesetzliche Urlaubsansprüche gegen den individuellen Arbeitgeber (vgl auch § 13 Abs 2 dBUrlG). Ihr herausragender Zweck und Vorteil liegt in Branchen mit hoher Fluktuation darin, die Urlaubsansprüche zum nächsten Arbeitgeber mitnehmen zu können und zu gewährleisten, dass ein zusammenhängender Erholungsurlaub tatsächlich konsumiert und nicht nur finanziell abgegolten werden kann. Darüber hinaus steht damit den Arbeitnehmern eine Institution zur Verfügung, die durch Eintreibung der Beiträge dafür sorgt, dass die Urlaubsansprüche auch tatsächlich gewährt werden, weil sie es für Arbeitgeber unattraktiv macht, sich ihnen zu entziehen. Den Arbeitnehmern wird erspart, ihre Ansprüche in gerichtlichen Verfahren gegen den Arbeitgeber durchsetzen zu müssen. Im Fall einer grenzüberschreitenden Entsendung können die behördlichen Kontrollmechanismen im Empfangsstaat bei bloß gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüchen außerdem nicht sicherstellen, dass sie nach Ende der Entsendung im Herkunftsland tatsächlich gewährt bzw bezahlt werden (EuGH Rs C-49/98 Finalarte).“
7. Dass die Baubranche bei einer generellen Betrachtungsweise eine solche mit hoher personeller Fluktuation ist, wird von der Beklagten nicht bestritten. Das hängt – worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen
hat – nicht ausschließlich von der Witterung, sondern auch vom vielfach projektbezogenen Einsatz der Arbeitskräfte ab.
Da es auch um die Sicherung der Möglichkeit der tatsächlichen Urlaubskonsumation geht, nicht bloß um eine finanzielle Abgeltung des Urlaubsanspruchs, kommt es darauf, dass Urlaubsvergütungen ohnehin auch im Entsendestaat klageweise geltend gemacht werden könnten, nicht an. Aus diesem Grund bietet auch die in der Revision vorgeschlagene „weniger einschneidende Maßnahme“ einer Direktzahlung der Urlaubsvergütung keinen gleichwertigen Schutz für die Arbeitnehmer.
Ob bei einem höherwertigen Schutzstandard für die Ansprüche der Arbeitnehmer im Entsendestaat die vom EuGH geforderte Verhältnismäßigkeit noch gewahrt wäre, muss im vorliegenden Fall nicht geprüft werden, da auch die Beklagte das Bestehen eines solchen Standards in Portugal nicht behauptet hat.
8. Auch zu möglichen Hürden bei der Geltendmachung von Ansprüchen, wurde in der Entscheidung 8 ObA 2/11v bereits dahingehend Stellung genommen, „dass die Existenz einer Urlaubskasse den Dienstgeber nicht von seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht befreit, den Arbeitnehmern eine unbürokratische Inanspruchnahme der Leistungen der Kasse durch geeignete Hilfestellung zu ermöglichen. Trotz des systembedingten Leistungsumwegs ist das von der Klägerin zu zahlende Urlaubsentgelt nämlich ein vom Arbeitgeber entrichteter Teil des Arbeitsentgelts, bei dem es sich nur aus organisatorischen Gründen formell um Leistungen der Urlaubskasse, tatsächlich aber im Innenverhältnis um Entgeltzahlungen des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeit handelt“.
9. Richtig verweist die Beklagte darauf, dass die Beurteilung des erhöhten Schutzes der Arbeitnehmer generalisierend und unabhängig vom Einzelfall zu erfolgen hat. Dass daher bei einzelnen Fällen der Nichtzahlung durch den Arbeitgeber dieser Schutz nicht in vollem Umfang zum Tragen kommen kann, wie die Revision ausführt, kann für die Gesamtbeurteilung nicht ausschlaggebend sein.
Darauf, ob entsendete Arbeitnehmer aufgrund des BUAG nur einen geringeren Schutz genießen als inländische Arbeitnehmer, muss nicht eingegangen werden, da in diesem Verfahren nicht die Ansprüche einzelner Arbeitnehmer auf Leistungen der Klägerin zu prüfen sind, sondern die Verpflichtung der Beklagten auf Zahlung entsprechender Zuschläge. Die Frage, ob das Unionsrecht eine Gleichbehandlung entsendeter mit ortsansässigen Arbeitnehmern verlangen könnte, hat für diese Zahlungsverpflichtung keine Relevanz
10. Die Revision der Beklagten macht weiters geltend, dass die Arbeitnehmer nach portugiesischem Recht einen Anspruch auf ein „13. Gehalt“ hätten und daher die bisherige Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Doppelbelastungen nicht ausreiche, um eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu beseitigen. Allerdings hat die Beklagte kein konkretes Vorbringen dazu erstattet, in welchem Umfang auf dieser Grundlage welche Ansprüche auf kongruente Leistungen der einzelnen Arbeitnehmer vor ihrer Entsendung abgegolten worden wären. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.
11. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
Textnummer
E130157European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00072.20H.1125.000Im RIS seit
29.12.2020Zuletzt aktualisiert am
28.01.2021