TE OGH 2020/12/9 13Os93/20f

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Veröffentlicht am 09.12.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Pöttinger in der Strafsache gegen Abdullah S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Geschworenengericht vom 4. August 2020, GZ 40 Hv 2/20b-73, sowie dessen Beschwerde gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Abdullah S*****
– soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 15. September 2019 in W***** Markus H***** zu töten versucht, indem er ihm mit einem Klappmesser mit einer Klingenlänge von 9 cm einen kraftvollen gezielten Stich in den Hals versetzte.

Die Geschworenen bejahten – soweit zur Behandlung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz – die anklagekonforme Hauptfrage II nach dem Verbrechen des Mordes (§§ 15, 75 StGB) mit 6:2 Stimmen (US 3). Die für den Fall der Verneinung dieser Hauptfrage gestellten Eventualfragen in Richtung der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (III) und der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (IV) blieben folgerichtig unbeantwortet.

Die alternativ gefasste Zusatzfrage nach Notwehr, Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt wurde von den Geschworenen stimmeneinhellig verneint (US 5). Demzufolge entfiel die Beantwortung der Eventualfrage in Richtung des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 und 4 StGB (US 5).

Gegen das Urteil richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 8, 9, 11 lit a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Die Fragenrüge (Z 6) vermisst unter Hinweis auf Angaben des Angeklagten zu einer „Angstsituation“ die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB).

Weshalb eine solche Fragestellung indiziert gewesen sein sollte, obwohl der Angeklagte nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung einen Verletzungsvorsatz in Abrede gestellt und eine Selbstverletzung des Opfer behauptet hatte (ON 71 S 15, 21 f und 23), erklärt die Rüge nicht (vgl aber RIS-Justiz RS0100930 [T10]).

Hinzugefügt sei, dass im Fall eines Handelns in Abwehr eines (vermeintlichen oder tatsächlichen) Angriffs im asthenischen Affekt eine Tatbeurteilung nach § 76 StGB nicht in Frage käme, weil § 3 Abs 2 StGB insofern die speziellere und weiterreichende Norm darstellt (vgl Birklbauer in WK2 StGB § 76 Rz 26). Den darüber hinaus relevierten Umständen, wonach der Angeklagte aufgrund früherer Tätlichkeiten Angst gehabt habe, weitere Schläge zu erhalten, wurde in der Fragestellung ohnehin Rechnung getragen.

Mit der Behauptung unvollständiger Rechtsbelehrung zu nicht gestellten Eventualfragen orientiert sich die Instruktionsrüge (Z 8) nicht am Gesetz (RIS-Justiz RS0110682).

Gleiches gilt für den Versuch der Rüge, aus nicht gestellten Eventualfragen Nichtigkeit bewirkende Unvollständigkeit im Sinn des §

 345 Abs 1

Z 9 StPO abzuleiten weil sich der herangezogene Nichtigkeitsgrund gerade nicht auf die Fragestellung, sondern nur auf die Antwort der Geschworenen bezieht (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 76).

Die Geltendmachung materieller Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren verlangt den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§§ 260 Abs 1 Z 2, 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion (RIS-Justiz RS0101148, RS0101403).

Soweit die Rechtsrüge (Z 11 lit a) auf der Basis der Kritik aus Z 6 des § 345 Abs 1 StPO einen Rechtsfehler mangels Feststellungen behauptet, verlässt sie demnach den Anfechtungsrahmen materieller Nichtigkeit.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

Die Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i, 498 Abs 3 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E130142

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00093.20F.1209.000

Im RIS seit

29.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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