TE Vfgh Erkenntnis 2020/10/7 V336/2020 (V336/2020-7)

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Index

90/01 Straßenverkehrsrecht

Norm

B-VG Art89 Abs1
B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §23 Abs2a, §44, §76c
BegegnungszonenV der Marktgemeinde Ottensheim vom 16.12.2013
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Aufhebung einer Verordnung betreffend die Errichtung einer Begegnungszone in einer Oberösterreichischen Gemeinde mangels ordnungsgemäßer Kundmachung; signifikante Abweichung der Aufstellungsorte der entsprechenden Verkehrszeichen vom räumlichen Geltungsbereich der Verordnung

Spruch

I. Die Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Ottensheim vom 16. Dezember 2013, Z Verk-251/2013, Verk-502 Jr, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, "der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, dass die Kundmachung der Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Ottensheim vom 16. Dezember 2013, GZ: Verk-251/2013, Verk-502 Jr, gesetzwidrig ist."

II. Rechtslage

1. Die Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Ottensheim vom 16. Dezember 2013, Z Verk-251/2013, Verk-502 Jr, lautet auszugsweise:

"Verordnung

des Gemeinderates der Marktgemeinde Ottensheim vom 16. Dezember 2013 womit ein aus nachstehenden Gemeindestraßen gebildetes Gebiet zur Begegnungszone erklärt wird:

Für den Bereich Marktplatz und Linzer Straße (Donaulände bis Ludlgasse, Jakob-Sigl Straße bis Äußerer Graben, Hostauerstraße bis Engstelle Nah & Frisch, Bahnhofstraße bis Hofeinfahrt Hauptschule, Linzer Straße bis Grundstück Nr 113/3 (Parkplatz GH zur Post), Donaulände bis Auffahrt Gumplmayrberg, Marktplatz, Lederergasse, Zellerplatzl, Innerer Graben, Äußerer Graben, Tabor, Ludlgasse,

§2

Der örtliche Geltungsbereich der im §1 angeführten Verkehrsmaßnahmen ist im beiliegenden Lageplan vom 27. November 2013, welcher einen integrierenden Bestandteil dieser Verordnung bildet, in blau schattiert dargestellt.

§3

Diese Verordnung ist mit den Straßenverkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Zi. 9e und 9f StVO 1960 kundzumachen und tritt mit deren Anbringung in Kraft.

[…]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, idF BGBl I 68/2017 lauten auszugsweise:

"§23. Halten und Parken.

(1) - (2) […]

(2a) In Wohnstraßen und Begegnungszonen ist das Parken von Kraftfahrzeugen nur an den dafür gekennzeichneten Stellen erlaubt.

(3) - (6) […]

[…]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

(1a) - (2b) […]

(3) Sonstige Verordnungen, die von einer anderen als in Abs2 genannten Behörde auf Grund des §43 erlassen werden und sich durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen nicht ausdrücken lassen, werden durch Anschlag auf der Amtstafel der Behörde gehörig kundgemacht. Solche Verordnungen treten, sofern darin kein späterer Zeitpunkt bestimmt wird, an dem dem Anschlag folgenden zweiten Tag in Kraft. Der Tag der Kundmachung ist auf dem Anschlag zu vermerken. Der Anschlag ist sechs Wochen auf der Amtstafel zu belassen. Der Inhalt der Verordnung ist überdies ortsüblich zu verlautbaren.

(4) - (5) […]

[…]

Begegnungszonen

§76c. (1) Die Behörde kann, wenn es der Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des Verkehrs, insbesondere des Fußgängerverkehrs, dient, oder aufgrund der Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines Gebäudes oder Gebietes angebracht erscheint, durch Verordnung Straßen, Straßenstellen oder Gebiete dauernd oder zeitweilig zu Begegnungszonen erklären.

(2) - (4) […]

(5) Für die Kundmachung einer Verordnung nach Abs1 gelten die Bestimmungen des §44 Abs1 mit der Maßgabe, dass am Anfang und am Ende einer Begegnungszone die betreffenden Hinweiszeichen (§53 Abs1 Z9e bzw 9f) anzubringen sind.

(6) […]"

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt der folgende Sachverhalt zugrunde:

1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung legte dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Verwaltungsgericht mit Straferkenntnis vom 26. Juli 2018 zur Last, er habe am 12. Oktober 2017 von 11.12 Uhr bis 11.56 Uhr im Ortsgebiet Ottensheim, Marktplatz (H2), ein dem Kennzeichen nach bestimmbares Kraftfahrzeug in einer Begegnungszone außerhalb der dafür gekennzeichneten Stelle geparkt. Wegen einer Verwaltungsübertretung sei er gemäß §23 Abs2a iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 zu bestrafen. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde verhängte über den Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht eine Geldstrafe in der Höhe von € 40,– (Ersatzfreiheitsstrafe: 19 Stunden) und schrieb ihm einen Beitrag zu den Verfahrenskosten in der Höhe von € 10,– vor.

1.2. Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 29. Oktober 2018 Folge, hob das angefochtene Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein.

1.3. Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof aus Anlass einer Amtsrevision der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes mit der nachfolgend zusammengefasst wiedergegebenen Begründung auf.

Seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 20.182/2017 hätten Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen, die ein Mindestmaß an Publizität erlangen, anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten; bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof seien sie für jedermann verbindlich. Dieser Auffassung schließe sich der Verwaltungsgerichtshof an (VwGH 31.1.2018, Ra 2017/15/0038, und VwGH 27.3.2019, Ro 2017/10/0004). Indem das Verwaltungsgericht ohne Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof davon ausgegangen sei, dass die seiner Auffassung nach rechtswidrig kundgemachte Verordnung nicht anzuwenden sei, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen und habe seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit belastet.

2. Aus Anlass des Verfahrens zur Entscheidung über die Beschwerde gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung im zweiten Rechtsgang stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den vorliegenden, auszugsweise wiedergegebenen Antrag:

"Der Abstellort des auf den Beschwerdeführer zugelassenen Pkw zur Tatzeit war vor dem Haus Marktplatz 2 in Ottensheim inmitten der Begegnungszone. Auf beiden Seiten des Hauses Marktplatz 2 befanden sich Gastgärten der angrenzenden Cafes. Auf dem vom Beschwerdeführer gewählten Abstellplatz waren keine Bodenmarkierungen (im Hinblick auf die Begegnungszone) angebracht, wohl aber das von der nicht mehr in Geltung stehenden Verordnung herrührende Verkehrszeichen 'Parken verboten' gemäß §52 Abs1 Z13a StVO 1960.

[…]

Auf der Grundlage des dezidierten und hinsichtlich der einzelnen Aufstellungsorte der Verkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Z9e bzw Z9f StVO sehr konkreten Beschwerdevorbringens (vgl VwGH 9.9.2016, Ra 2014/02/0059) waren die im Einzelnen angeführten Abweichungen seitens des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich in der Realität zu überprüfen, was im Rahmen eines Ortsaugenscheins durch die erkennende Einzelrichterin am 23. Oktober 2018 mit dem Ergebnis der im Aktenvermerk vom selben Tag festgehaltenen Feststellungen erfolgte.

Die tatsächlichen Aufstellungsorte der Verkehrszeichen gemäß §53 Abs1 Z9e bzw Z9f StVO wurden im Vergleich zu den Aufstellungsorten laut Lageplan anhand von DORIS- bzw Google Maps-Fotos der genannten Örtlichkeit so, wie in der Natur vorgefunden, vermerkt und die Abweichungen gegenüber den jeweiligen örtlichen Geltungsbereichen im DORIS-Messprogramm ausgemessen, was keine zentimeter- wohl aber eine metergenaue Feststellung einer Abweichung ermöglicht, weshalb im Aktenvermerk die Maße der Abweichungen als 'geschätzt' bezeichnet wurden. Die in der Natur festgestellten Standort-Abweichungen zu den im Lageplan genau eingezeichneten örtlichen Geltungsbereichen der Verordnung waren an den im Aktenvermerk genannten Aus- bzw Einfahrten in die Begegnungszone jedenfalls so auffällig und eklatant, dass sie nicht mehr als vernachlässigbar weil geringfügig anzusehen waren.

Die Fotos von den Standorten der Verkehrszeichen in der Bahnhofstraße und der Donaulände sind im Aktenvermerk der Marktgemeinde Ottensheim so nah aufgenommen, dass sich die genauen Standorte in Bezug auf die Örtlichkeit nicht einwandfrei ersehen lassen, weil kein Bezug zur Realität herstellbar ist.

Beim neuerlichen Ortsaugenschein am 23. Februar 2020 war festzustellen, dass die Standorte der Verkehrszeichen gleich geblieben sind wie am 23. Oktober 2018.

In der Bahnhofstraße wäre laut Plan der Aufstellungsort des Verkehrszeichens vom Marktplatz kommend an der Hausecke unmittelbar vor der Einfahrt zur Neuen Mittelschule, Bahnhofstraße 5, was vermutlich verkehrstechnisch problematisch wäre. Offenbar deshalb erfolgte in der Realität die Platzierung des Verkehrszeichens nach der Einfahrt auf Höhe des Beginns des Hauses Bahnhofstraße 7, was eine Abweichung vom Plan um etwa 13 m bedeutet.

Beim Haus Donaulände 9 – Verlängerung der Ludlgasse – sollte laut Plan der örtliche Geltungsbereich gegenüber der Einmündung beginnen. Tatsächlich befindet sich dort gegenüber der Einmündung ein Garagengebäude und ist eine Anbringung wegen dessen baulicher Gestaltung offenbar nicht möglich. Das Verkehrszeichen wurde daher am Ende des westlich des Hauses gelegenen Parkplatzes am Beginn des anschließenden Zaunes aufgestellt in einer Entfernung von etwa 13 m vor dem Beginn der Begegnungszone laut Plan."

3. Der Gemeinderat der Marktgemeinde Ottensheim legte den auf die angefochtene Verordnung Bezug habenden Akt vor und erstattete die nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Äußerung:

"Nach Prüfung der Sachlage aufgrund der im Anschluss vorgelegten Unterlagen, kann die Marktgemeinde Ottensheim der Ansicht des Beschwerdeführers nicht Folge leisten, dass die tatsächlichen Standorte von der Verordnungslage bei allen Verkehrszeichen bis auf Linzer Straße und Hostauerstraße abweichen.

Wie aus der Beilage ersichtlich, trifft dies tatsächlich auf das Verkehrszeichen in der Donaulände (auf Höhe des Objektes 'Donaulände 10') sowie das in der Bahnhofstraße (auf Höhe des Objektes 'Bahnhofstraße 7') zu.

Das Verkehrszeichen in der Hostauerstraße im Bereich des Objektes 'Hostauerstraße 15' entspricht der gängigen Rechtsprechung, wonach eine maximale Abweichung von 5 Metern zwischen verordnetem Bereich und tatsächlicher Aufstellung des Verkehrszeichens toleriert wird (VwGH 25.11.2009, 2009/02/0095).

Wie bereits das Oö. Landesverwaltungsgericht im Antrag auf Verordnungskontrolle auf Seite 6 3. und 4. Absatz festgestellt hat, ist in der Bahnhofstraße aus verkehrstechnischen Gründen das in der Sache betroffene Verkehrszeichen um ca 13 m nördlich auf Höhe des Objektes 'Bahnhofstraße 7' errichtet worden. Weiters wurde auch aus baulichen und verkehrstechnischen Gründen in der Donaulände das Verkehrszeichen um ca 13 m süd-westlich auf Höhe des Objektes 'Donaulände 10' bei einer Hecke bzw Zaun aufgestellt.

Gemäß §44 StVO 1960. idgF sind die im §43 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen.

Um eine Verordnung generell und unbestimmt anwenden zu können, ist hierfür eine gehörige Kundmachung notwendig. Eine 'gehörig kundgemachte' generelle Norm (für einen unbestimmten externen Adressatenkreis) liegt somit dann vor, wenn eine solche Norm ausreichend allgemein kundgemacht wurde, wenn auch nicht in der rechtlichen vorgesehenen Weise.

Dementsprechend gibt die StVO 1960. idgF dem Rechtsanwender grundsätzlich die Möglichkeit mittels Anbringen der Straßenverkehrszeichen die Verordnung entsprechend kundzumachen, allerdings wurde im vorliegenden Fall darüber hinaus in ortsüblicherweise mittels Anschlag an der Amtstafel (siehe entsprechende Vermerke auf Verordnung und Lageplan) das Gebiet für die, die entsprechende Begegnungszone in Geltung treten soll, kundgemacht.

Zusammenfassend kommt der Gemeinderat der Marktgemeinde Ottensheim zum Ergebnis, dass zwar die Verkehrszeichen aufgrund der örtlichen Situation eine nach StVO 1960. und ständiger Rechtsprechung gehörigen Kundmachung nicht erfolgt ist, allerdings hinsichtlich des zusätzlichen Anschlages der betroffenen Verordnung an der Amtstafel der Marktgemeinde Ottensheim dem unbestimmten Adressatenkreis in allgemein zugänglichen Form ausreichend kundgemacht wurde."

4. Die Oberösterreichische Landesregierung und der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht gaben keine Äußerung ab.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B-VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl zB VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Verordnung ist durch die – in einem Aktenvermerk festgehaltene – Anbringung der Verkehrszeichen am 24. Februar 2014 gemäß §44 Abs1 StVO 1960 jedenfalls kundgemacht worden, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist und in Geltung steht.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht wird zur Last gelegt, er habe am Marktplatz in der Marktgemeinde Ottensheim im räumlichen Geltungsbereich einer mit der angefochtenen Verordnung festgelegten Begegnungszone ein Kraftfahrzeug nicht an den dafür gekennzeichneten Stellen geparkt und dadurch §23 Abs2a StVO 1960 übertreten. Daher ist es offenkundig, dass die angefochtene Verordnung jedenfalls in dem Umfang anzuwenden ist, als sie den Marktplatz der Marktgemeinde Ottensheim zur Begegnungszone erklärt. Im Hinblick auf das unter Punkt IV.2. dargestellte Ergebnis des Verordnungsprüfungsverfahrens erübrigt sich in diesem Verfahren eine nähere Abgrenzung des präjudiziellen Teiles der angefochtenen Verordnung (siehe VfSlg 13.943/1994, 14.985/1997, 18.400/2008, 20.000/2015).

1.3. Ungeachtet der Formulierung des Antrages, "der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, dass die Kundmachung der Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Ottensheim vom 16. Dezember 2013, GZ: Verk-251/2013, Verk-502 Jr, gesetzwidrig ist", ist der Antrag im Zusammenhang mit seiner Begründung als Aufhebungsbegehren zu verstehen (VfSlg 17.695/2005, 20.223/2017; VfGH 9.10.2018, V26/2018).

1.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweist sich der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Das antragstellende Gericht behauptet, die angefochtene Verordnung sei nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden, weil die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen an mehreren Orten gesetzwidrig sei.

So beginne der planmäßig festgelegte räumliche Geltungsbereich vom Marktplatz kommend an der Hausecke des Objektes Bahnhofstraße 5, das Verkehrszeichen sei hingegen am Beginn des Hauses Bahnhofstraße 7 angebracht, was eine Abweichung von etwa 13 Metern bedeute.

Beim Haus Donaulände 9 (Verlängerung der Ludlgasse) beginne der räumliche Geltungsbereich der angefochtenen Verordnung gegenüber der Einmündung. Das entsprechende Verkehrszeichen befinde sich allerdings am Ende des westlich des Hauses gelegenen Parkplatzes am Beginn des anschließenden Zaunes, was einer Abweichung von etwa 13 Metern entspreche.

2.4. Damit ist das antragstellende Gericht im Recht.

2.5. Eine Verordnung, die bestimmte Gebiete gemäß §76c Abs1 StVO 1960 zu Begegnungszonen erklärt, ist gemäß Abs5 leg. cit. entsprechend den Bestimmungen des §44 StVO 1960 kundzumachen. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011).

Der Vorschrift des §44 Abs1 StVO 1960 ist immanent, dass die bezüglichen Straßenverkehrszeichen dort angebracht sind, wo der räumliche Geltungsbereich der Verordnung beginnt und endet. Zwar ist zur Kundmachung von Verkehrsbeschränkungen keine "zentimetergenaue" Aufstellung der Verkehrszeichen erforderlich (vgl dazu VwGH 13.2.1985, 85/18/0024; 25.1.2002, 99/02/0014; 10.10.2014, 2013/02/0276), jedoch wird dieser Vorschrift nicht Genüge getan und liegt ein Kundmachungsmangel vor, wenn der Aufstellungsort vom Ort des Beginns bzw Endes des verordneten Geltungsbereiches einer Geschwindigkeitsbeschränkung signifikant abweicht (vgl VfSlg 15.749/2000, 20.251/2018 mwN).

Eine Kundmachung, die nicht an allen Örtlichkeiten dem Gesetz entspricht, ist mangelhaft. Eine auf diese Weise kundgemachte Verordnung ist zwar existent, jedoch bis zur Behebung des Mangels mit Gesetzwidrigkeit behaftet (vgl VfSlg 5824/1968, 6346/1970).

2.6. Im vorliegenden Fall legt der Gemeinderat den räumlichen Geltungsbereich der Verordnung mittels eines gemäß §2 der angefochtenen Verordnung einen Bestandteil der Verordnung bildenden Planes fest.

2.6.1. Aus diesem Plan ist ersichtlich, dass der räumliche Geltungsbereich der Verordnung – wie das antragstellende Gericht zutreffend vorbringt – im südwestlichen Bereich an der Kreuzung der Donaulände mit der Ludlgasse beginnt. Wie sich aus dem im verwaltungsgerichtlichen Akt einliegenden Bild- und Kartenmaterial ergibt, befindet sich das entsprechende Verkehrszeichen rund 13 Meter westlich in der Donaulände.

2.6.2. Auch im Bereich der Bahnhofstraße stimmt die Aufstellung der Verkehrszeichen nicht mit dem räumlichen Geltungsbereich der Verordnung überein: Ausweislich des Planes beginnt der räumliche Geltungsbereich auf der Höhe des nördlichen Hausecks des Objektes Bahnhofstraße 5. Das entsprechende Verkehrszeichen ist jedoch auf Höhe des südlichen Hausecks des Objektes Bahnhofstraße 7 angebracht, woraus sich – auf Grund des im verwaltungsgerichtlichen Akt einliegenden Bild- und Kartenmaterials – eine Abweichung von rund 13 Metern ergibt.

2.6.3. Die festgestellten Aufstellungsorte und die daraus resultierenden Abweichungen von jeweils rund 13 Metern stimmen mit der Äußerung der verordnungserlassenden Behörde und dem Vorbringen des antragstellenden Gerichtes überein.

2.6.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu §44 Abs1 StVO 1960 führt eine signifikante Abweichung zu einer nicht ordnungsgemäßen Kundmachung (VfSlg 20.251/2018 mwN). Auch wenn die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur Kundmachung von Verordnungen iSd §44 Abs1 StVO 1960 je nach örtlichen Verkehrsverhältnissen eine bestimmte Fehlertoleranz vorsieht – die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen hat nicht "zentimetergenau" zu erfolgen –, bewirkten die festgestellten Abweichungen von jeweils rund 13 Metern im vorliegenden Fall jedenfalls eine nicht ordnungsgemäße Kundmachung. Damit läuft auch der Einwand der verordnungserlassenden Behörde, die Abweichungen in der Kundmachung hätten bauliche bzw verkehrstechnische Gründe bei der Aufstellung der Verkehrszeichen, ins Leere, zielt die Kundmachungsbestimmung des §44 Abs1 StVO 1960 doch darauf ab, den Normadressaten über den Inhalt der Verordnung entsprechend den örtlichen Verkehrsverhältnissen hinreichend genau und nicht bloß ungefähr in Kenntnis zu setzen.

2.7. Die angefochtene Verordnung ist – entgegen dem Vorbringen der verordnungserlassenden Behörde – auch nicht auf andere Weise ordnungsgemäß kundgemacht. Die verordnungserlassende Behörde behauptet, die Verordnung sei wegen der erfolgten Kundmachung mittels Anschlages an der Amtstafel der Gemeinde ordnungsgemäß kundgemacht worden.

2.7.1. Dabei übersieht die verordnungserlassende Behörde, dass die Voraussetzungen für die Kundmachung mittels Anschlages an der Amtstafel im vorliegenden Fall nicht gegeben waren: Nach dem System des §44 StVO 1960 betreffend die Kundmachung von Verordnungen iSd StVO 1960 hat die Kundmachung gemäß §44 Abs1 StVO 1960 durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen zu erfolgen, sofern die dem Abs1 leg. cit. folgenden Absätze nichts anderes bestimmen. Eine Kundmachung durch Anschlag an der Amtstafel sieht Abs3 leg. cit. vor, der zur Voraussetzung hat, dass sich der Inhalt der Verordnung durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen nicht ausdrücken lässt.

2.7.2. Im vorliegenden Fall ist allerdings nicht erkennbar, dass sich die Verordnung, die ausschließlich eine Begegnungszone iSd §2 Abs1 Z2a StVO 1960 anordnet, nicht durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen ausdrücken ließe. Vielmehr sieht §53 Abs1 Z9e und 9f StVO 1960 zur Kundmachung einer Begegnungszone spezifische Verkehrszeichen für Begegnungszonen vor.

2.7.3. Im Übrigen hätte – selbst bei Vorliegen der Voraussetzungen des §44 Abs3 StVO 1960 – die Kundmachung im vorliegenden Fall nicht §44 Abs3 StVO 1960 entsprochen, weil diese Bestimmung einen Anschlag für sechs Wochen an der Amtstafel vorsieht, die Verordnung allerdings nur von 17. Dezember 2013 bis 7. Jänner 2014, folglich weniger als sechs Wochen, an der Amtstafel angeschlagen war.

2.7.4. Die angefochtene Verordnung wurde daher auch nicht durch Anschlag an der Amtstafel ordnungsgemäß kundgemacht.

2.8. Die nicht den Anforderungen des §44 StVO 1960 entsprechende Kundmachung der angefochtenen Verordnung bewirkt die Gesetzwidrigkeit dieser Verordnung.

2.9. Gemäß Art139 Abs3 B-VG darf der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren eine Verordnung nur insoweit als gesetzwidrig aufheben, als ihre Aufhebung zulässigerweise beantragt wurde. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zur Auffassung, dass die ganze Verordnung in gesetzwidriger Weise kundgemacht wurde, so hat er die ganze Verordnung gemäß Art139 Abs3 Z3 B-VG als gesetzwidrig aufzuheben (vgl VfSlg 20.195/2017).

Wie das antragstellende Gericht zutreffend aufzeigt, ist der Beginn des festgelegten örtlichen Geltungsbereiches der angefochtenen Verordnung an zwei Stellen nicht ordnungsgemäß kundgemacht (Pkt. 2.6.). Da die Verordnung einen einheitlichen räumlichen Geltungsbereich bestimmt, der jeweils an den Ein- und Ausfahrten mittels Verkehrszeichen kundgemacht ist, bewirken die festgestellten Kundmachungsmängel die gesetzwidrige Kundmachung der gesamten Verordnung. Daher ist die gesamte Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Gemeinderates der Marktgemeinde Ottensheim vom 16. Dezember 2013, Z Verk-251/2013, Verk-502 Jr, ist wegen nicht ordnungsgemäßer Kundmachung als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Oberösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z2 litb Oberösterreichisches Verlautbarungsgesetz 2015.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Verordnung Kundmachung, Straßenverkehrszeichen, Straßenverwaltung, Geltungsbereich (örtlicher) einer Verordnung, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, Fußgängerzone

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:V336.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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