Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Roch und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, Niederlande, vertreten durch Wijnkamp Advocatuur/Advokatur GmbH in Imst, gegen die beklagte Partei M*****, Dänemark, vertreten durch Dr. Marwin Gschöpf, Rechtsanwalt in Velden am Wörthersee, wegen 26.019,63 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision und den darin enthaltenen Rekurs der beklagten Partei gegen das Teilurteil sowie den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. April 2020, GZ 2 R 17/20x-112, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13. Dezember 2019, GZ 12 Cg 65/17i-108, teilweise bestätigt, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:
Spruch
1. Das Rechtsmittel wird, soweit es sich inhaltlich als Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet, zurückgewiesen.
2. Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.
Das Teilurteil des Berufungsgerichts, das im Umfang der Bestätigung einer Teilabweisung von 1.062 EUR sA als in Rechtskraft erwachsen unberührt bleibt, wird dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 4.019,63 EUR samt 4 % Zinsen seit 29. Juni 2017 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens bleiben der Endentscheidung vorbehalten.
Die auf das Rekursverfahren entfallenden Kosten ihrer Rechtsmittelbeantwortung hat die klagende Partei selbst zu tragen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 775,77 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 357 EUR Barauslagen und 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Am 24. März 2015 ereignete sich kurz nach 10:00 Uhr im Schigebiet ***** auf einer schwarz markierten Piste im Kreuzungsbereich mit einem Schiweg ein Schiunfall, bei dem der Beklagte nach einem Sturz am linken Pistenrand auf der steilen Piste quer über den Hang gegen die am rechten Pistenrand stehende Klägerin rutschte, sodass diese stürzte und sich dabei verletzte.
[2] Die schwarze Piste war am Unfallstag in sehr gutem Zustand, gut präpariert, noch nicht stark frequentiert, aber noch recht hart. Das Wetter war sonnig und die Sicht gut. Die Klägerin stand in einer Gruppe am Schiweg im rechten Bereich der schwarzen Piste und stellte kein Hindernis dar. Sie war für den Beklagten beim Befahren der schwarzen Piste gut zu sehen.
[3] Der Beklagte fuhr in mittleren, der Piste angepassten Schwüngen auf der linken Seite der schwarzen Piste talwärts, dabei war er mit zügigem, „carvingtypischem“ Tempo nicht unkontrolliert, aber schnell unterwegs. Die konkrete Geschwindigkeit des Beklagten vor dem Sturz lässt sich nicht mehr feststellen, auch nicht, ob sie überhöht war. Die vertikale Abrutschentfernung vom Sturzort bis zur Endlage lässt keine Rückschlüsse auf die Geschwindigkeit zu.
[4] Transparente mit der Aufschrift „slow – langsam“ nahm der Beklagte wahr. Er war deshalb im Begriff, seine Geschwindigkeit zu reduzieren. Beim Fahren eines Bogens gelangte er im Übergang von einer Linkskurve in eine Rechtskurve auf ein eisiges bzw sehr glattes Stück Piste. Die eisige Fläche war für ihn vorher nicht erkennbar und tauchte völlig überraschend auf. Der Beklagte, der ein erfahrener, aber nur durchschnittlich guter Schifahrer ist, rutschte in einer Entfernung von mehr als 67 m vor der Kollisionsstelle auf dieser glatten und eisigen Stelle aus; es zog ihm die Schi weg, er stürzte vor den „slow – langsam“ Transparenten und rutschte in der Folge mit der rechten Körperseite und den Schiern voran nach rechts unten in Richtung des Ziehwegs auf die Klägerin zu. Durch die Sturzenergie geriet er vom linken in den Bereich des rechten Pistenrandes. Der Hang ist im Sturzbereich zwischen 29 und 30 Grad steil. Er versuchte zwar noch während des Abrutschens zu bremsen, konnte jedoch nicht mehr rechtzeitig anhalten und prallte mit der Lauffläche seiner Schi gegen die Füße der Klägerin, die nach rückwärts fiel und sich dabei verletzte. Fest steht eine vertikale Sturzbewegung von 67 Metern und die dazukommende horizontale Sturzbewegung von 34 Metern. Ohne den Sturz hätte die Fahrlinie des Beklagten in einem angemessenen Abstand am Kollisionspunkt vorbeigeführt.
[5] Aufgrund der Beschreibung des Sturzes durch den Beklagten ist von einem Verkanten der Schi auszugehen. Auch bei einem versierten Schisportler erhöht sich die Gefahr des Verkantens bei hoher Geschwindigkeit, speziell in steilen und harten Pistenabschnitten. Der Sturz selbst hätte schitechnisch durch die Wahl einer langsameren Geschwindigkeit verhindert werden können.
[6] Der Beklagte fuhr am Unfallstag mit einem „All-Mountain“ Twin Tip Schi (aufgebogenes Vorder- und Hinterende) mit einer Länge von 183 cm und einem Radius von 16,8 Meter, mit dem er regelmäßig den Schisport sowohl auf als auch neben der Piste ausübt. Diese Bauweise des Schis ist auch für die Piste und die beim Unfall herrschenden Pistenverhältnisse geeignet. Der Beklagte fährt jeden Winter regelmäßig Schi auf Pisten aller Schwierigkeitsgrade.
[7] Die Klägerin begehrt Schadenersatz von insgesamt 26.019,63 EUR sA und die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden und Nachteile aus dem Schiunfall. Der Beklagte habe insbesondere gegen die FIS-Regeln Nr 1, 2 und 3 verstoßen. Er habe einen Fahrfehler begangen und sei mit nur bedingt geeignetem Schimaterial mit unangepasst hoher Geschwindigkeit gefahren, als er die Kontrolle verloren habe und gestürzt sei.
[8] Der Beklagte bestritt primär sein Verschulden und wendete ein, er sei mit angepasster Geschwindigkeit und geeignetem Material auf der schwarzen Piste in Richtung Pistenkreuzung talwärts gefahren und im Zuge eines Rechtsschwungs auf einer für ihn im Vorhinein nicht erkennbaren Eisplatte ausgerutscht, gestürzt und talwärts gerutscht. Ohne seinen Sturz wäre er in angemessenem Abstand an der Klägerin vorbeigefahren. Der Unfall habe sich innerhalb des typischen Sportrisikos beim Schifahren ereignet. Wegen der langen Abrutschstrecke liege keine Fahrlässigkeit vor.
[9] Das Erstgericht wies die Klage ab. Wegen der auch für gute Schifahrer stets vorhandenen Gefahr eines Sturzes und der sich daraus ergebenden Folgen für andere Schifahrer könne keine Sorgfaltswidrigkeit des Beklagten oder ein Verstoß gegen die FIS-Regeln 1 bis 3 und 8 abgeleitet werden. Dass der Beklagte in einem carvingtypischen Tempo unterwegs gewesen sei, begründe keinen Sorgfaltsverstoß. Selbst bei schlechten und eisigen Pistenverhältnissen würde es zu einer Überspitzung der Sorgfaltsanforderungen führen, wollte man einen Sturz, der sich 67 Meter vertikal und 34 Meter horizontal oberhalb des Standpunkts der Klägerin zugetragen habe, schon per se als Verstoß gegen eine Pistenregel ansehen. Die lange Absturzstrecke sei nicht vorhersehbar gewesen. Daher sei auch ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Stürzenden, wie er beim Verkanten zugelassen werde, nicht zulässig. Die Kollision sei dem erlaubten Sportrisiko zuzurechnen. Selbst wenn man unterstelle, dass ein Schifahrer mit eisigen, glatten Stellen auf harten Pisten rechnen müsse, stelle der Sturz keinen pistenregelwidrigen Vorgang oder ein vermeidbares Fehlverhalten dar, weil er sich nicht im direkten Nahbereich hinter oder oberhalb der stehenden Klägerin zugetragen habe.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte das Ersturteil mit Teilurteil dahin ab, dass es den Beklagten zur Zahlung von 2.957,63 EUR sA (für unfallskausale Spesen und Kosten der Haushalts- und Pflegehilfe sowie Heilbehandlung) verpflichtete und das Mehrbegehren von 1.062 EUR sA abwies. Im Übrigen, also im Umfang der Klageabweisung von 22.000 EUR sA und des Feststellungsbegehrens, hob es das Ersturteil ohne Zulässigkeitsausspruch auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ die (ordentliche) Revision in Bezug auf das Teilurteil nicht zu.
[11] Das Erstgericht habe zutreffend österreichisches Recht angewendet. Im Hinblick auf die große Entfernung des Sturzes zur Klägerin liege kein sorgfaltswidriges Verhalten des Beklagten im Sinne einer Vorrangverletzung oder Missachtung des erforderlichen Abstands beim Überholen vor. Mit den Urteilsannahmen, wonach der Beklagte in zügigem Tempo unterwegs gewesen sei, im Zuge des Einfahrens in eine Rechtskurve bei gleichzeitiger Reduzierung seiner Geschwindigkeit auf einem eisigen bzw sehr glatten Stück Piste durch Verkanten gestürzt sei, der Sturz schitechnisch durch die Wahl einer langsameren Geschwindigkeit zu verhindern gewesen wäre, die Gefahr des Verkantens sich bei hoher Geschwindigkeit speziell in steilen und harten Pistenabschnitten erhöhe, die eisige Fläche für den Beklagten nicht erkennbar gewesen und für ihn völlig überraschend aufgetaucht sei und die Piste in der Früh noch recht hart gewesen sei, sei festgestellt, dass der fahrtechnische Fehler – das Verkanten – durch die Wahl einer geringeren Geschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre. Dazu wäre der Beklagte auch wegen der harten Pistenverhältnisse und der Gefahr eines Verkantens speziell auf steilen und harten Pistenabschnitten verpflichtet gewesen, zumal er zwar ein erfahrener, aber nur durchschnittlich guter Schifahrer sei und Schi verwendet habe, deren Bauweise zwar auch für Pisten geeignet sei, primär aber das Ausführen diverser Tricks in Funparks etc erleichtern solle. Der Beklagte habe daher nicht dargetan, dass das Verkanten im konkreten Fall unvermeidbar oder unvorhersehbar gewesen sei, möge auch die konkrete eisige bzw glatte Stelle bei Annäherung für ihn überraschend und nicht erkennbar gewesen sein. Dass nämlich grundsätzlich mit harten, glatten oder eisigen Stellen nicht zu rechnen gewesen sei, stehe nicht fest; im Gegenteil, die Piste sei um die Tageszeit noch recht hart gewesen, was zu entsprechend langsamer und vorsichtiger Fahrweise verpflichtet hätte. Damit sei dem Beklagten als dem Sturz vorangehendes, sorgfaltswidriges Verhalten anzulasten, dass er – auch unter Berücksichtigung seines nur durchschnittlichen schifahrerischen Könnens – mit einer nicht den Pistenverhältnissen entsprechenden Geschwindigkeit gefahren sei, die die Gefahr des Verkantens erhöht habe.
[12] Mit seinem insgesamt als außerordentliche Revision bezeichneten Rechtsmittel bekämpft der Beklagte die Entscheidung des Berufungsgerichts – erkennbar in ihrem stattgebenden und aufhebenden Teil – und begehrt die Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise die Aufhebung in die erste Instanz. Er macht ua geltend, das Berufungsgericht habe die Frage der Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises bei Sturzkollisionen entgegen der ständigen Rechtsprechung gelöst. Dass die vor dem Sturz eingehaltene Geschwindigkeit nicht feststellbar sei, gehe zu Lasten der Klägerin. Die vom Berufungsgericht konstruierte überhöhte Geschwindigkeit widerspreche den Feststellungen. Der Beklagte sei als erfahrener und guter Schifahrer aufgrund des guten Pistenzustands, der geringen Frequenz und der Entfernung von mehr als 67 Meter vor der Kreuzung nicht dazu verpflichtet gewesen, langsam zu fahren.
[13] Die Klägerin begehrt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision und tritt ihr auch inhaltlich entgegen.
Rechtliche Beurteilung
[14] 1. Der in der außerordentlichen Revision enthaltene Rekurs gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss ist unzulässig und daher zurückzuweisen.
[15] Die Zulässigkeit des Rekurses gegen einen berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss setzt nicht nur eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, sondern auch die Zulässigerklärung des Rekurses durch das Berufungsgericht voraus. Wird ein solcher Ausspruch – wie hier – unterlassen, ist der Rekurs unzulässig (RIS-Justiz RS0043880), allerdings entfällt in einem solchen Fall die Bindung des Erstgerichts an eine dem Aufhebungsbeschluss zugrundeliegende, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilte Rechtsauffassung (RS0042279). Vielmehr ist das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs gebunden (2 Ob 214/19p; RS0042279 [T3]).
[16] 2. Die außerordentliche Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt, weil die Beurteilung des Berufungsgerichts korrekurbedürftig ist.
[17] 2.1 Die schon vom Erstgericht begründete Anwendung österreichischen Sachrechts nach Art 4 Abs 1 Rom II-VO ist nicht strittig (vgl RS0040169; RS0108114).
[18] 2.2 Der in der Revision gerügte Mangel des Berufungsverfahrens im Zusammenhang mit der Behandlung der Beweisrüge in der Berufungsbeantwortung wurde geprüft, liegt aber nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[19] 2.3 Die Feststellungen des Erstgerichts, die einige Aussagen in teilweise unterschiedlichen Formulierungen wiederholen, sind dahin auszulegen, dass der Beklagte – wenn auch die konkret eingehaltene Geschwindigkeit nicht festgestellt werden konnte – mit hohem Tempo in mittleren, der Piste angepassten Schwüngen (dennoch) kontrolliert fuhr. Das spricht gegen eine Fahrweise, die den damals gegebenen Pistenverhältnissen (in sehr gutem Zustand; hart und steil; gut präpariert; nicht stark frequentiert), den Fähigkeiten des Beklagten (erfahren und durchschnittlich gut) und dem verwendeten Material nicht entsprochen hat. Der Beklagte hat auch in Beachtung der aufgestellten Transparente und damit in ausreichender Entfernung von der Pistenkreuzung reagiert, indem er verlangsamen wollte, dabei aber stürzte. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht zutreffend und in der Revision als Tatfrage unwirksam bekämpft (RS0042903 [T2]) ein Verkanten als Sturzursache unterstellt.
[20] 2.4 Eine im Hinblick auf die Gesamtumstände (Steilheit des Geländes, Fahrkönnen, nur bedingt geeignetes Schimaterial) unangepasst hohe Geschwindigkeit des Beklagten steht nicht fest.
[21] a) Die Behauptungs- und Beweislast für Tatumstände, aus denen ein die Haftung begründendes Verschulden des Schädigers an der Zufügung eines Schadens abgeleitet wird, trifft denjenigen, der seinen Anspruch darauf stützt, hier also die Klägerin, sodass sämtliche in diesem Punkt verbleibende Unklarheiten zu ihren Lasten gehen (RS0037797 [T27 und T45]; RS0022783).
[22] b) Die Revision verweist zutreffend auf die Judikatur, wonach der mit der Sportausübung verbundenen Gefährdung die Rechtswidrigkeit fehlt, wenn die der betreffenden Sportart eigenen Regeln eingehalten werden. Diese Beurteilung ist Tat- und nicht Rechtsfrage (RS0023039 [T19]; 9 Ob 60/01s mwN; 7 Ob 195/04h; 7 Ob 233/04x [alle zum Schilauf]; 6 Ob 136/19x [Eishockey]).
[23] c) Die Beurteilung, ob ein Schifahrer mit (relativ) überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist, betrifft daher die Sachverhaltsebene und führt zu einer den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellung. Hier steht fest, dass der Beklagte mit einem auch für die konkrete Piste und die beim Unfall herrschenden Pistenverhältnisse geeigneten Schi in mittleren, der Piste angepassten Schwüngen kontrolliert mit schnellem Tempo fuhr und verkantete; es steht weder fest, welche konkrete Geschwindigkeit der Beklagte vor dem Sturz einhielt, noch, ob diese überhöht war. Damit steht aber auch eine vom Beklagten vor dem Sturz eingehaltene (relativ) überhöhte Geschwindigkeit nicht fest.
[24] d) Diese Negativfeststellung geht daher zu Lasten der behauptungs- und beweispflichtigen Klägerin. Die Feststellung, dass der Sturz durch die Wahl einer langsameren Geschwindigkeit verhindert hätte werden können, ändert daran nichts. Diese Feststellung kann (als Gegenstück zur Annahme, die Gefahr des Verkantens erhöhe sich bei hoher Geschwindigkeit) nur dahin verstanden werden, dass ein geringeres Tempo die Gefahr des Verkantens vermindert hätte. Sie sagt aber nicht aus, dass der Beklagte bei geringerer Geschwindigkeit (bei welchem Tempo genau ?) nicht verkantet hätte. Der Revision ist zuzustimmen, dass die Feststellung nicht den Rückschluss zulässt, der Beklagte sei sorgfaltswidrig zu schnell unterwegs gewesen.
[25] 2.5 Aber auch auf einen Anscheinsbeweis kann sich die Klägerin nicht berufen.
[26] a) Der Anscheinsbeweis beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe aufgrund von Erfahrungssätzen typisch sind und es aufgrund einer formelhaften Verknüpfung daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger Ablauf und nicht ein atypischer Ablauf gegeben ist (RS0040266; RS0040287). Der Anscheinsbeweis verändert die Beweislast nicht, er erleichtert der beweisbelasteten Partei aber die Beweisführung, indem das Regelbeweismaß auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit herabgesetzt wird (4 Ob 89/20x mwN). Er darf aber nicht dazu dienen, Lücken der Beweisführung durch bloße Vermutungen auszufüllen (RS0040287 [T1]). Der Anscheinsbeweis wird dadurch entkräftet, dass Tatsachen bewiesen werden, aus denen die konkrete Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs erschlossen werden kann (RS0040272 [T1]). Die Frage, ob in einem konkreten Fall ein Tatbestand vorliegt, der nach den Regeln des Anscheinsbeweises zu behandeln ist, ist eine revisible Rechtsfrage (RS0022624 ua).
[27] b) Der Oberste Gerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass selbst auf fahrtechnische Fehler zurückzuführende Stürze von Schiläufern noch nicht rechtlich vorwerfbar sind, dem Schifahrer jedoch ein dem Sturz vorausgegangenes vermeidbares Fehlverhalten zur Last fallen kann, das den Sturz herbeigeführt hat und deshalb als einleitende Fahrlässigkeit zu beurteilen ist (RS0109663 [T1], RS0023465 [T1]). Der Umstand, dass jemand im Zuge der Schiabfahrt stürzte, kann für sich allein den Anscheinsbeweis für ein den Sturz einleitendes Fehlverhalten des Geschädigten schon deshalb nicht erbringen, weil die Tatsache eines Sturzes Verhaltensunrecht nicht indiziert (RS0111453).
[28] c) Zum Sturz eines Schifahrers und nachfolgender Kollision wird zwischen der sogenannten Sturzkollision, die vorliegt, wenn die Kollision im Sturzgeschehen selbst oder unmittelbar nach dem Sturz in der Fahrt- bzw Sturzrichtung erfolgt, und einer Kollision unterschieden, die sich erst im (der Geländeneigung und Schwerkraft folgenden) Abrutschen nach einer gewissen Rutschstrecke ereignet (vgl J. Pichler, Zur faktischen und rechtlichen Beurteilung der Sturzkollision beim Schifahren, ZVR 1985, 257 ff [260]). Im ersten Fall (Sturzkollision) wird ein typischer – Verschulden prima facie beweisender – Geschehensablauf angenommen, wenn der Schädiger unmittelbar gegen vor ihm oder unterhalb von ihm befindliche langsamere oder stehende Schifahrer stürzt, weil in einem solchen Fall – wegen der Nähe des Sturzes zum Kollisionspartner (J. Pichler, Zur Beweislast für Mitverschulden in Pistensicherungsfällen, ZVR 1999, 362 ff [362]) – ein pistenregelwidriger Vorgang (zB Missachtung des Vorrangs oder zu geringer Seitenabstand) objektiv verwirklicht erscheint und nach allgemeiner Erfahrung ein vermeidbares Fehlverhalten des Schädigers vorliegt (4 Ob 299/98v). Eine derartige prima facie-Beweislage wird jedoch für den – hier vorliegenden – Fall verneint, wenn es nicht schon im Sturzgeschehen selbst, sondern erst nach Abrutschen des Gestürzten über eine gewisse Strecke zur Kollision kommt und die eingeschlagene Fahrtrichtung ohne Sturz in angemessenem Abstand vom Kollisionspunkt vorbeigeführt hätte, weil in einem solchen Fall kein ein Verhaltensunrecht indizierender pistenregelwidriger Vorgang vorliegt (3 Ob 309/97f; 4 Ob 299/98v).
[29] d) Nach dem vorliegenden Sachverhalt legte der Beklagte nach dem Sturz eine Rutschstrecke von mehr als 67 Meter (nach dem Ergänzungsgutachten des Sachverständigen: 70 bis 80 Meter) auf dem 29 bis 30 Grad steilen Hang zurück, und zwar nicht in der Falllinie, sondern mit einem Seitenversatz von 34 Meter. Die eingeschlagene Fahrtrichtung (am linken Pistenrand) hätte hingegen ohne den Sturz in einem angemessenen Abstand am Kollisionspunkt (am rechten Pistenrand) vorbeigeführt. Weiters steht fest, dass die große vertikale Abrutschentfernung vom Sturzort bis zur Endlage keine Rückschlüsse auf die beim Sturz eingehaltene Geschwindigkeit zulässt, weshalb die Schlussfolgerung, die Länge der Rutschstrecke indiziere typischerweise ein (zu) hohes Tempo beim/vor dem Sturz, nicht zulässig ist. Der festgestellte Geschehensablauf ist daher nicht typisch für ein sorgfaltswidriges, eine Kollision des Beklagten mit der Klägerin am rechten Pistenrand begünstigendes Fehlverhalten des Beklagten vor dem Sturz (idS auch J. Pichler, ZVR 1999, 362 ff [363]; 1 Ob 110/12a [je zum Mitverschulden des Schifahrers gegenüber einem Pistensicherungspflichtigen]). Das weite und seitlich versetzte Abrutschen nach dem Sturz stellt also ungeachtet des für den Sturz ursächlichen Verkantens einen Umstand dar, der die Kollision des Beklagten mit der Klägerin und deren Verletzung nicht mehr als Ergebnis eines typischen Geschehensablaufs erscheinen lässt. Abgesehen davon stellte das Erstgericht (disloziert) fest, dass die lange Absturzstrecke für den Beklagten in keiner Weise vorhersehbar war.
[30] e) Damit kommt aber der Klägerin die Beweiserleichterung betreffend ein für ihre Verletzung kausales sorgfaltswidriges Verhalten des Beklagten nicht zugute, obwohl sie ein Verkanten als Sturzursache nachweisen konnte.
[31] 2.6 Auch wenn die Klägerin bei der Kollision gestanden ist, war sie Schifahrerin, die am Pistenbetrieb teilgenommen hat. Auch für sie gilt daher, dass ein Sportler dem anderen für den zugefügten Schaden nur dann haftet, wenn die unvermeidbaren Risken des Schilaufs durch das Hinzutreten weiterer als schuldhaft zuzurechnender Verhaltensweisen vermehrt werden, also etwa das Fahrverhalten nicht der Beschaffenheit des Geländes, der Schneelage und dem fahrerischen Können angepasst ist oder allgemein anerkannte Ausübungsregeln missachtet werden (RS0023396). Ein derartiger Nachweis ist ihr nicht gelungen. Das bedeutet, dass der Unfall dem Bereich des erlaubten Sportrisikos zuzurechnen ist, weil der Beklagte den Rahmen des im Schilauf in Kauf genommenen Sturzrisikos nicht überschritten hat (vgl 5 Ob 582/82).
[32] 2.7 Das Berufungsurteil ist daher im Umfang der Klagestattgebung abzuändern.
[33] 3. Die Klägerin hat in ihrer Rechtsmittelbeantwortung lediglich ausgeführt, der Aufhebungsbeschluss hätte mit Rekurs bekämpft werden müssen. Auf die absolute Unzulässigkeit des in der Revision des Beklagten enthaltenen Rekurses wies sie nicht hin. Schon aus diesem Grund hat sie die darauf entfallenden Kosten der Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen (vgl 3 Ob 2/19v).
[34] Der Kostenvorbehalt betreffend die erstinstanzlichen Verfahrenskosten gründet sich ebenso wie jener über die Kosten des Berufungsverfahrens auf § 52 ZPO.
[35] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO, wobei dem Beklagten allerdings Kosten nur auf Basis des tatsächlichen Revisionsstreitwerts (2.957,63 EUR) zuzusprechen sind. Über diese Kosten kann abschließend entschieden werden, weil der Beklagte im Revisionsverfahren gänzlich obsiegte.
[36] Während § 3a Abs 6 UStG für sonstige Leistungen im zwischenunternehmerischen Bereich als Generalklausel das Empfängerortprinzip normiert, gelten gemäß § 3a Abs 7 UStG sonstige Leistungen an einen Nichtunternehmer vorbehaltlich der Abs 8 bis 16 und Art 3a als an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. § 3a Abs 7 UStG regelt somit als Generalklausel für sonstige Leistungen an einen Nichtunternehmer das Unternehmerortprinzip (Bürgler/Six/Stifter in Berger/Bürgler/Kanduth-Kristen/Wakounig, UStG-ON3.00 [Stand 1. 5. 2018] § 3a Rz 639b, 639n). Die Ausnahmebestimmung des § 3a Abs 14 Z 4 UStG ist nach dem klaren Wortlaut nur anwendbar, wenn der Leistungsempfänger ein Nichtunternehmer ist, der keinen Wohnsitz, Sitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Gemeinschaftsgebiet hat. Für die an den in Dänemark ansässigen Beklagten erbrachten rechtsanwaltlichen Leistungen des Beklagtenvertreters gilt daher das Unternehmerortprinzip, weshalb österreichische Umsatzsteuer zuzusprechen ist. Die in den Entscheidungen 1 Ob 5/20x = RS0114955 (T14) und 4 Ob 112/15x vertretene abweichende Rechtsauffassung betreffend jeweils deutsche Nichtunternehmer wird vom Senat nicht geteilt.
Textnummer
E130070European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00073.20M.1104.000Im RIS seit
21.12.2020Zuletzt aktualisiert am
29.06.2021