Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragstellerinnen 1. U***** AG, 2. C*****gesellschaft mbH, beide *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Bestellung von Sonderprüfern, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 22. April 2020, GZ 3 R 10/20z-23, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers nach § 130 Abs 2 AktG zur Prüfung von Geschäftsführungsvorgängen (Fragestellungen lit a bis lit g) im Zusammenhang mit der Teilnahme von Aktionären, die wechselseitig sowie in Form einer Ringbeteiligung aneinander beteiligt sind, an sieben im Einzelnen bezeichneten, in den Jahren 1993 bis 2018 durchgeführten Kapitalerhöhungen der Antragsgegnerin; hilfsweise wird der Antrag hinsichtlich der Kapitalerhöhungen (nur) der Jahre 2017 und 2018 gestellt.
Die Antragstellerinnen sind Aktionärinnen der Antragsgegnerin, deren Anteile zusammen mehr als 10 % des Grundkapitals erreichen.
Die Antragsgegnerin ist Teil der „*****-Gruppe“ bestehend aus der O***** AG (künftig: O*****), der B***** AG (künftig: B*****) und der Antragsgegnerin. Die Aktionärsstruktur dieser Gesellschaften ist im Einzelnen festgestellt. Die drei Banken sind jeweils direkt sowie zusätzlich mittelbar über Zwischen-Holdings aneinander beteiligt.
Im Jahr 2003 wurde die G***** Holding AG (künftig: G*****) gegründet. An dieser sind die G***** AG, die O***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, sowie – über unmittelbar oder mittelbar zu 100 % von ihnen gehaltene Beteiligungsgesellschaften – die Antragsgegnerin, die B***** und die O***** beteiligt. Die G***** ist ihrerseits Aktionärin (ausschließlich) der Antragsgegnerin, der B***** und der O*****.
Die Antragsgegnerin führte (bezogen auf die Eintragung ins Firmenbuch) in den Jahren 1993, 1995, 2000, 2015, 2017 und 2018 Erhöhungen des Grundkapitals gegen Bareinlage durch. Die Kapitalerhöhung des Jahres 2017 wurde am 16. 5. 2017 ins Firmenbuch eingetragen.
Um die für die Teilnahme der G***** an den Kapitalerhöhungen erforderliche Liquidität bereitzustellen, legten ihre Aktionäre die erforderlichen Beträge regelmäßig entsprechend ihrer Beteiligungsquote als nicht rückzahlbare Gesellschafterzuschüsse in die G***** ein. Die von der Antragsgegnerin geleisteten Gesellschafterzuschüsse wurden von der G***** für die Teilnahme an den Kapitalerhöhungen der Antragsgegnerin der Jahre 2015 und 2017, nicht aber für die Teilnahme an der Kapitalerhöhung des Jahres 2018 verwendet (die übrigen relevierten Kapitalerhöhungen fanden vor der Gründung der G***** statt). Den im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung 2018 geleisteten Gesellschafterzuschuss der Antragsgegnerin beließ die G***** in ihrem Vermögen. Dieser Zuschuss war mit der Widmung versehen, nicht für Kapitalerhöhungen der Antragsgegnerin verwendet zu werden. Er diente dazu, die Beteiligungsverhältnisse der Aktionäre der G***** konstant zu halten. Die Vorinstanzen stellten darüber hinaus die Höhe und den Zeitpunkt der seit der Gründung der G***** von der Antragsgegnerin geleisteten Zuschüsse sowie der Rückflüsse an sie (Dividenden) im Einzelnen fest.
Im April 2019 leistete die G***** ihre Einlagen in Höhe jener Zuschüsse, die sie von der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit deren Kapitalerhöhungen erhalten hatte, zuzüglich Zinsen, „vorsichtshalber“ nochmals, um ihre Stimmrechte aus den neuen Aktien abzusichern.
In der Hauptversammlung der Antragsgegnerin am 16. 5. 2019 stellten die Rechtsmittelwerberinnen einen Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung nach § 130 Abs 1 AktG. Vor der Abstimmung stellte ein Aktionärsvertreter der Antragstellerinnen eine Reihe von im Einzelnen festgestellten Fragen, die von einem Vorstandsmitglied der Antragsgegnerin – ebenfalls im Einzelnen festgestellt – beantwortet wurden. Der Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung wurde in der Folge mit Mehrheitsbeschluss abgelehnt.
Die Antragstellerinnen beantragten die gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern zu den Fragen, ob anlässlich oder im Rahmen der genannten Kapitalerhöhungen Zahlungen oder sonstige Leistungen zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären, insbesondere der G*****, erfolgt seien (lit a), den Grundsätzen der effektiven Kapitalerhaltung entsprochen worden sei, indem aufgrund der bestehenden wechselseitigen Beteiligungsverhältnisse in Höhe der in Hundert gerechneten wechselseitigen Beteiligung ein entsprechend erhöhter Kapitalbetrag aufgebracht worden sei (lit b), die Einlageforderungen aus der Zeichnung der neuen Aktien durch diese Aktionäre vollständig und wirksam erfüllt worden seien, wobei die Beteiligung am eigenen Vermögen der Gesellschaft herauszurechnen sei (lit c); Rückforderungsmöglichkeiten hinsichtlich der in lit a genannten finanziellen Mittel bestünden, gegebenenfalls in welcher Höhe, gegen wen und aus welchem Rechtsgrund (lit d), einzelnen Aktionären ein gesellschaftsfremder (Sonder-)Vorteil entstanden sei (lit e), ein solcher unter Ausnutzung von Einfluss auf die Gesellschaft durch Bestimmung eines Mitglieds des Vorstands oder Aufsichtsrats entstanden sei (lit f) und aus den möglichen Konstellationen der Gesellschaft und/oder einzelnen Aktionären ein Schaden erwachsen sei, in welcher Höhe dieser zu beziffern sei, und ob er gegenüber dem Vorstand, dem Aufsichtsrat oder gegenüber den anderen Aktionären geltend zu machen sei (lit g).
Sie brachten zusammengefasst vor, die Antragsgegnerin sei indirekt zumindest im Ausmaß von 8,89 % an sich selbst beteiligt. Die Kapitalerhöhungen der Jahre 1993 bis 2018 seien mit Mängeln behaftet, die gegen zwingendes Kapitalerhaltungs- oder Kapitalaufbringungsrecht verstießen. Die Gewährung von „Up-Stream-Zuschüssen“ an die G***** habe gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen. Im Umfang der Zuschüsse sei das Kapital der Antragsgegnerin nicht ordnungsgemäß aufgebracht. Außerdem sei mit der Aktienübernahme von aneinander wechselseitig beteiligten Gesellschaften ein unzulässiger Kapitalverwässerungseffekt verbunden, weil im Umfang der Rückbeteiligungen kein neues Vermögen eingebracht werde. Die Rückbeteiligung der Antragsgegnerin an ihrem eigenen Vermögen hätte „herausgerechnet“ und eine entsprechend höhere Einlage geleistet werden müssen. Da dies nicht erfolgt sei, bestünden offene Einlageforderungen der Antragsgegnerin gegenüber der O*****, der B***** und der G*****.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Sie brachte vor, es liege keine Unredlichkeit oder grobe Gesetzesverletzung vor. Die Rechtsansicht der Antragstellerinnen, dass wechselseitig beteiligte Gesellschaften einen höheren Ausgabebetrag als andere Gesellschafter zu leisten hätten („Mehrleistungsthese“) sei unrichtig und bislang weder in der juristischen Literatur noch in der Rechtsprechung vertreten worden. Die Zuschüsse der Antragsgegnerin an die G***** hätten nicht gegen Kapitalerhaltungs- oder Kapitalaufbringungsrecht verstoßen. Darüber hinaus ziele der Antrag – mit Ausnahme der bereits beantragten Fragestellung zu den Leistungsbeziehungen zwischen der Antragsgegnerin und ihren Aktionären (lit a) – auf die isolierte Beurteilung von Rechtsfragen ab. Dies sei nicht Gegenstand einer Sonderprüfung.
In ihrer Rekursbeantwortung brachte die Antragsgegnerin ergänzend vor, die G***** habe die Antragsgegnerin, die B***** und die O***** auf Rückzahlung der nochmals geleisteten Einlage schiedsgerichtlich in Anspruch genommen und habe nach Fassung des erstgerichtlichen Beschlusses vor dem Schiedsgericht obsiegt.
Die Vorinstanzen wiesen den Haupt- und den Eventualantrag ab.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragstellerinnen nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu.
Es begründete die Antragsabweisung mit mehreren Begründungssträngen. Zunächst lehnte es die rechtlichen Erwägungen, aus denen die Antragstellerinnen den Verdacht von groben Verletzungen des Gesetzes im Sinn von § 130 Abs 2 AktG ableiteten, ab. Allein aus den wechselseitigen Beteiligungen und Ringbeteiligungen ergebe sich keine mangelhafte Kapitalaufbringung; die „Mehrleistungsthese“ sei abzulehnen. Die Zuschüsse an die G***** bewirkten keine Finanzierung der Kapitalerhöhungen aus eigenen Mitteln der Gesellschaft. Für das Jahr 2018 folge dies daraus, dass der Zuschuss nicht für die Zeichnung der Kapitalerhöhung verwendet worden sei, hinsichtlich der früheren Kapitalerhöhungen daraus, dass die G***** bei niedrigerer Dividendenausschüttung auch ohne die Zuschüsse über ausreichende Mittel für die Teilnahme an den Kapitalerhöhungen verfügt hätte. Die vor 2017 durchgeführten Kapitalerhöhungen lägen außerhalb des Prüfungszeitraums. Die Zuschüsse verstießen nicht gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr, weil die Beteiligung der Antragsgegnerin an der G***** durch sie an Wert gewonnen habe und die Zuschüsse betrieblich gerechtfertigt gewesen seien. Dadurch, dass die G***** ihre Einlage im Umfang der Zuschüsse nochmals gezahlt habe, sei auch kein Schaden mehr denkbar. Daran ändere die mit Schiedsspruch auferlegte Rückzahlungspflicht der Antragsgegnerin nichts.
Im Weiteren bestätigte es die vom Erstgericht als zentrale Begründung angestellten Erwägungen, dass der Antrag deshalb abzuweisen sei, weil die im Weg der beantragten Sonderprüfung aufzuklärenden Tatsachen (Fragestellungen lit a sowie teilweise lit b und c) den Antragstellerinnen im Wesentlichen bereits bekannt gewesen seien und die übrigen Fragestellungen (Teilaspekte der lit b und c sowie die Fragestellungen zu lit d bis g) auf die Beantwortung reiner Rechtsfragen abzielten, deren Klärung nicht einem Sonderprüfer übertragen werden könne.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragstellerinnen ist nicht zulässig.
1.1. Die Sonderprüfung nach § 130 AktG ist eine Kontrollmaßnahme mit dem Zweck, bestimmte Vorgänge bei der Gründung oder Geschäftsführung durch eigenverantwortliche Prüfer, deren Objektivität besonders abgesichert ist, dahin zu untersuchen, ob die Verbandsinteressen gewahrt oder vernachlässigt worden sind und die Mitglieder der Verwaltungsorgane ihre Pflichten erfüllt oder verletzt haben (6 Ob 28/08y GES 2008, 304 [Schmidt]; S. Bydlinski/Potyka in Artmann/Karollus, AktG6 § 130 Rz 1; Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 130 Rz 2). Sie ist ein Beweissicherungsmittel zur Ausforschung (Erhärtung) vermuteter Pflichtwidrigkeiten (6 Ob 86/11g; 6 Ob 223/04v; 6 Ob 313/01z).
1.2. § 130 Abs 2 AktG (vor BGBl I 71/2009: § 118 Abs 2 AktG) räumt der Gesellschafterminderheit das Recht ein, die gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern zu erwirken: Nach dieser Bestimmung hat das Gericht auf Antrag von Aktionären, deren Anteile zusammen 10 % des Grundkapitals erreichen, Sonderprüfer zu bestellen, wenn die Hauptversammlung einen Antrag auf Bestellung von Sonderprüfern zur Prüfung eines Vorgangs bei der Gründung oder eines nicht über zwei Jahre zurückliegenden Vorgangs bei der Geschäftsführung ablehnt.
§ 130 Abs 2 AktG ermöglicht dadurch der Gesellschafterminderheit, sich jene Kenntnisse zu verschaffen, die notwendig sind, um mögliche Ansprüche gegen pflichtwidrig handelnde Organe verfolgen zu können oder sonstige Rechtsfolgen – etwa die Abberufung von Organmitgliedern – geltend zu machen (6 Ob 86/11g; 6 Ob 223/04v zum insofern vergleichbaren § 45 GmbHG; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht² Rz 3/186).
1.3. Nach § 130 Abs 2 AktG ist dem Antrag nur stattzugeben, wenn Verdachtsgründe beigebracht werden, dass es bei dem zu prüfenden Vorgang zu Unredlichkeiten oder groben Verletzungen des Gesetzes oder der Satzung gekommen ist. Durch dieses Erfordernis wird der Prüfungsgegenstand gegenüber § 130 Abs 1 AktG wesentlich eingeschränkt (Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 130 Rz 30), indem eine besondere Qualität der zu prüfenden Vorgänge bzw Pflichtverletzungen verlangt wird (zum insofern mit § 130 Abs 2 AktG übereinstimmenden § 142 dAkt: Rieckers/Vetter in Kölner Kommentar zum AktG³, § 142 dAktG Rz 271).
Eine Unredlichkeit erfordert die subjektive Vorwerfbarkeit und einen besonderen subjektiven Unwert des Verhaltens (Rieckers/Vetter in Kölner Kommentar zum AktG³ § 142 Rz 271; Herrler in Grigoleit, Aktiengesetz § 142 dAktG Rz 22; OLG Köln AG 2010, 414; OLG Düsseldorf AG 2010, 126, 127). Die Beurteilung, ob es sich um eine grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung handelt, hat anhand der Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung des Verschuldensgrades, der Schwere des Pflichtverstoßes und der Schadenshöhe zu erfolgen (Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 130 Rz 30; vgl Spindler/Stilz, AktG² § 142 dAktG Rz 127; OLG Köln AG 2010, 414 f; OLG Düsseldorf AG 2010, 126, 127). Ergibt sich, dass das beanstandete Verhalten im Zeitpunkt, zu dem es gesetzt wurde, rechtlich umstritten war, so kann das gegen die Qualifikation als Unredlichkeit oder grobe Gesetzes- oder Satzungsverletzung sprechen (in diesem Sinn OLG München AG 2011, 720, 721 f); auch dafür kommt es aber auf die Umstände des Einzelfalls an.
1.4. Sonderprüfer dürfen nicht generell mit der Kontrolle der Geschäftsführung beauftragt werden, sondern es muss sich um Vorgänge bestimmter Art handeln (RS0060372 [T1]; RS0060376 [T2]; 6 Ob 28/08y). Allerdings darf der Begriff der „Geschäftsführung“ nicht eng ausgelegt werden. Auch Vorgänge der Geschäftsführung im Zusammenhang mit der Durchführung von Kapitalerhöhungen – wie im vorliegenden Fall – können Gegenstand einer Sonderprüfung sein (vgl 6 Ob 28/08y).
1.5. Nach ständiger Rechtsprechung besteht kein Grundsatz, wonach die Sonderprüfung sich auf die tatsächliche oder wirtschaftliche Nachprüfung der geprüften Geschäftsführungsvorgänge zu beschränken hätte und ihr deren rechtliche Beurteilung verwehrt bliebe (6 Ob 28/08y; 6 Ob 209/12x; RS0060376 [T4]; vgl Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 130 Rz 11).
1.6. Das Vorliegen oder Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Bestellung eines Sonderprüfers nach § 130 Abs 2 AktG ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (6 Ob 86/11g = RS0060376 [T3] zu § 45 GmbHG; 6 Ob 209/12x zu § 31 Abs 2 PSG). Eine erhebliche Rechtsfrage wäre daher im vorliegenden Fall nur dann gegeben, wenn dem Rekursgericht bei der Beurteilung der Voraussetzungen nach § 130 Abs 2 AktG eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre.
2.1. Nach § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss des Rekursgerichts nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.
Eine im außerordentlichen Revisionsrekurs aufgeworfene Rechtsfrage muss daher, um als Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu gelten, zur Lösung des konkreten Falls erforderlich, sie muss also präjudiziell sein (RS0088931 [T2, T4]).
2.2. Wirft die vom Gericht zweiter Instanz primär herangezogene Begründung keine erhebliche Rechtsfrage auf, so kann auch die Richtigkeit einer vom Gericht zweiter Instanz nur hilfsweise herangezogenen Begründung nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden, weil diesfalls die Entscheidung des Falls nicht im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (hier: § 62 Abs 1 AußStrG) von der Lösung der nur hilfsweise zur Begründung herangezogenen Überlegungen abhängt (6 Ob 264/09f; RS0042736 [T2]).
Aber auch dann, wenn die primäre Begründung des Gerichts zweiter Instanz eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, nicht aber die selbständig tragfähige Hilfsbegründung, fehlt es an der Präjudizialität der erheblichen Rechtsfrage, sodass die Revision oder der Revisionsrekurs nicht zulässig sind (Lovrek in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze³ § 502 ZPO Rz 119).
3. Ein solcher Fall liegt hier vor.
3.1. Wie bereits dargestellt, stützte das Rekursgericht die Antragsabweisung auf zwei jeweils selbständig tragfähige Begründungsstränge. Einerseits verneinte es den Verdacht von groben Verstößen gegen Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften, andererseits lehnte es die gerichtliche Bestellung von Sonderprüfern zur bloßen rechtlichen Bewertung bekannter Umstände ab.
3.2. Die Rechtsmittelwerberinnnen zeigen im Zusammenhang mit dem zweiten Begründungsstrang keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
3.3.1. Zur Fragestellung lit a des Antrags auf Bestellung von Sonderprüfern – diese betrifft Zahlungen oder sonstige Leistungen zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären anlässlich oder im Rahmen der Kapitalerhöhungen – kam das Rekursgericht zum Schluss, die Frage sei bereits in der Hauptversammlung am 16. 5. 2019 beantwortet worden. Dazu stützte es sich auf die festgestellten Fragen des Vertreters der Antragstellerinnen in der Hauptversammlung und die (ebenfalls festgestellte) Beantwortung durch ein Vorstandsmitglied der Antragsgegnerin sowie auf ein im Vorfeld der Hauptversammlung von einem Vorstandsmitglied der Erstantragstellerin gestelltes, von der Antragsgegnerin beantwortetes Auskunftsersuchen. Die Vorgänge, auf die die Fragestellung zu lit a des Antrags abzielten, seien den Antragstellerinnen darüber hinaus deshalb bekannt, weil jene Gesellschafterzuschüsse, die die Antragsgegnerin und die anderen Aktionäre im Vorfeld von Kapitalerhöhungen an die G***** geleistet hätten, unter Angabe der Höhe und Zweckwidmung der Zuschüsse in den Jahresabschlüssen und Lageberichten der G***** beschrieben und die Informationen dem Firmenbuch zu entnehmen seien. Dazu verwies es auch auf mehrere von den Antragstellerinnen im Verfahren vorgelegte Urkunden.
3.3.2. Diesen Ausführungen des Rekursgerichts halten die Rechtsmittelwerberinnen nichts Konkretes entgegen. Sie führen nur in der Zusammenfassung ihres Rechtsmittels („Ergebnis“) pauschal aus, die „für die Geltendmachung konkreter Ansprüche notwendigen Tatsachengrundlagen“ stünden ihnen nicht zur Verfügung und könnten nur durch einen Sonderprüfer geklärt werden.
Auf die detaillierten Erwägungen des Rekursgerichts zu ihrem Kenntnisstand nehmen die Rechtsmittelwerberinnen nicht Bezug. Damit ist aber nicht erkennbar, aus welchen Gründen sie die Beurteilung des Erstgerichts, dass zur Klärung der zu lit a des Antrags angeführten Umstände eine Sonderprüfung nicht erforderlich sei, für unrichtig halten. Die Begründung des Rekursgerichts für die Antragsabweisung in diesem Punkt wird daher nicht in gesetzmäßiger Weise bekämpft (vgl RS0043654 [T6, T14]).
3.4.1. Hinsichtlich der Fragestellungen zu lit b und c des Antrags gelangte das Rekursgericht zur Beurteilung, dass die Fragestellungen auf Sachverhaltsebene gegenstandslos seien, weil den Revisionsrekurswerberinnen und jedem anderen Interessierten bekannt gewesen sei, dass im Zuge der angeführten Kapitalerhöhungen von jenen Inferentinnen, die in einem wechselseitigen Beteiligungsverhältnis oder einer Ringbeteiligung zur Antragsgegnerin standen, für die Zeichnung junger Aktien der Antragsgegnerin kein „erhöhter Kapitalbetrag“ bzw keine höheren Einlagen geleistet wurden, die dem Ausmaß der Rückbeteiligung der Antragsgegnerin an ihrem eigenen Vermögen entsprochen hätten. Es sei bekannt gewesen, dass von allen Inferentinnen ein gleich hoher Ausgabebetrag verlangt worden sei.
3.4.2. Die Rechtsmittelwerberinnen bestreiten diese Kenntnis nicht.
Sie wenden sich lediglich gegen die weiteren Erwägungen des Rekursgerichts, wonach die Fragestellungen lit b und c abgesehen von den bereits bekannten Tatsachen ausschließlich Rechtsfragen beinhalteten, die zur Bewilligung eines Minderheitenantrags auf Sonderprüfung nicht geeignet seien.
In diesem Zusammenhang machen sie als erhebliche Rechtsfrage geltend, das Rekursgericht habe den Prüfungsumfang der Sonderprüfung im Hinblick auf Rechtsfragen im Widerspruch zu den Entscheidungen 6 Ob 209/12x, 6 Ob 28/08y gelöst. Es habe außer Acht gelassen, dass die Tatsachenermittlung häufig eng mit der rechtlichen Würdigung verbunden sei, weil sie die Beurteilung der rechtlichen Relevanz von Sachverhaltselementen durch den Sonderprüfer erfordere. Jedenfalls sei die Frage nach der rechtmäßigen Durchführung der Kapitalerhöhung und zur rechtmäßigen Kapitalaufbringung bei einer Kapitalgesellschaft eine untrennbare gemischte Tat- und Rechtsfrage und damit einer Sonderprüfung zugänglich.
3.4.3. Das Rekursgericht ist von den Grundsätzen der Entscheidungen 6 Ob 209/12x und 6 Ob 28/08y nicht abgewichen.
Der Rechtsprechung, dass dem Sonderprüfer die rechtliche Beurteilung der prüfwürdigen Umstände nicht verwehrt sei, liegt offenkundig die Erwägung zugrunde, dass die Ermittlung der für eine mögliche Pflichtverletzung relevanten Tatsachengrundlage voraussetzt, dass sich der Sonderprüfer ein Urteil darüber bildet, auf welche Tatsachen es dazu überhaupt ankommt (in diesem Sinn Verse/Gaschler in Hirte/Mühlbert/Roth, AktG5 § 142 Rz 72 f; vgl Wehner, Die Sonderprüfung bei Kapitalgesellschaften [2011] 406).
3.4.4. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass Fragestellungen, die ausschließlich auf die rechtliche Bewertung von bereits bekannten Vorgängen der Geschäftsführung abzielen, den Gegenstand einer Sonderprüfung bilden können. Einem solchen Gegenschluss steht schon der Zweck der Sonderprüfung entgegen: Durch die Prüfung soll die Grundlage für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen pflichtwidrig handelnde Organe oder für sonstige Rechtsfolgen, etwa die Abberufung von Organmitgliedern, geschaffen werden (6 Ob 86/11g; 6 Ob 223/04v). Dazu stehen dem Sonderprüfer umfassende Einsichtsrechte in die Bücher und Schriften sowie die Vermögensgegenstände der Gesellschaft, sowie Auskunftsrechte gegenüber dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zur Verfügung (§ 133 Abs 1 und 2 AktG). Hingegen ist die bindende rechtliche Beurteilung bereits bekannter Umstände in einem allfälligen (Ersatz-)Prozess und nicht im Verfahren nach § 130 Abs 2 AktG vorzunehmen (6 Ob 223/04v; 6 Ob 86/11g; Schmidt-Pachinger in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG² § 130 Rz 30).
3.4.5. So wurde die Frage nach der Erforderlichkeit von Rückstellungen wegen eines drohenden Verlusts im konkreten Fall als geeigneter Gegenstand einer Sonderprüfung angesehen, auch wenn ihre Beantwortung rechtliche Wertungen beinhaltet (6 Ob 28/08y). Nach der Rechtsprechung können auch der Jahresabschluss (6 Ob 31/11v), ein Darlehen der Gesellschaft an ihren Mehrheitsaktionär (6 Ob 31/11v), die Prüfungshandlungen und der Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses einer Privatstiftung durch die Stiftungsprüferin (6 Ob 209/12x) oder der Abschluss eines Vergleichs sowie die Verwendung des Vergleichsbetrags (6 Ob 209/12x) Gegenstand einer Sonderprüfung sein.
Hingegen ist in einem allfälligen Ersatzprozess und nicht im Weg einer Sonderprüfung zu klären, ob das der antragstellenden Minderheit ohnehin bekannte Geschäftsführerentgelt einem Fremdvergleich standhält (6 Ob 223/04v).
3.4.6. Ob die konkret vorgetragene Fragestellung ausschließlich auf die Vornahme einer rechtlichen Beurteilung durch den Sonderprüfer abzielt, weil die mit dem Prüfungsantrag angesprochenen tatsächlichen Umstände den Antragstellern bereits ausreichend bekannt sind, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden.
3.4.7. Das Rekursgericht maß den Fragestellungen zu lit b und c die Bedeutung zu, dass sie ausschließlich auf die Lösung der Rechtsfrage abzielten, ob es bei den gegebenen Beteiligungsverhältnissen geboten gewesen wäre, von bestimmten Aktionären aufgrund von Rückbeteiligungen der Antragsgegnerin an ihrem eigenen Vermögen eine erhöhte Gegenleistung für den Erwerb der von der Antragsgegnerin ausgegebenen jungen Aktien zu verlangen.
Ausgehend davon, dass die Rechtsmittelwerberinnen bereits wussten, dass für die Teilnahme an den Kapitalerhöhungen keine erhöhten Ausgabepreise im Hinblick auf wechselseitige Beteiligungsverhältnisse verlangt worden waren, ist die Auslegung durch das Rekursgericht, dass die Anträge nicht – wie die Rechtsmittelwerberinnen meinen – die Behandlung einer gemischten, auf Tatsächliches und rechtliche Wertungen abzielenden Fragestellung anstrebten, vertretbar und begründet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.
3.5. Zu den Fragestellungen zu lit d (ob Rückforderungsmöglichkeiten hinsichtlich allfälliger in lit a genannter finanzieller Mittel bestünden, gegebenenfalls in welcher Höhe, gegen wen und aus welchem Rechtsgrund), lit e (ob einzelnen Aktionären ein gesellschaftsfremder [Sonder-]Vorteil entstanden sei), lit f (ob ein allfälliger [Sonder-]Vorteil unter Ausnutzung von Einfluss auf die Antragsgegnerin durch Bestimmung eines Mitglieds des Vorstands oder des Aufsichtsrats entstanden sei) und lit g des Antrags (ob aus möglichen Konstellationen der Antragsgegnerin und/oder einzelnen Aktionären ein Schaden erwachsen sei, gegebenenfalls in welcher Höhe, und ob dieser Schaden gegenüber dem Vorstand, dem Aufsichtsrat oder gegenüber den Aktionären geltend gemacht werden könne) führte das Rekursgericht jeweils aus, dass reine Rechtsfragen gestellt würden und die Fragestellungen nicht erkennen ließen, welche Sachverhaltselemente oder Tatfragen der Sonderprüfer ermitteln oder aufklären solle.
Auf diese Ausführungen geht der außerordentliche Revisionsrekurs nicht konkret ein.
3.6. Zusammengefasst gelingt es den Rechtsmittelwerberinnen daher nicht, im Zusammenhang mit der Begründung des Rekursgerichts, wonach die Voraussetzungen der gerichtlichen Bestellung eines Sonderprüfers nach § 130 Abs 2 AktG nicht erfüllt seien, weil der vorliegende Antrag ausschließlich bekannte Tatsachen sowie deren isolierte rechtliche Beurteilung zum Gegenstand habe, eine Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG im Hinblick aufzuzeigen.
3.7. Diese Begründung des Rekursgerichts ist auch geeignet, die Antragsabweisung für sich allein zu tragen.
Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem zweiten vom Rekursgericht ausgeführten Begründungsstrang, wonach die Voraussetzungen des § 130 Abs 2 AktG deshalb nicht erfüllt seien, weil die beanstandeten Umstände nicht als Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes zu qualifizieren seien, sind daher für die Lösung des vorliegenden Falls nicht präjudiziell.
3.8.1. Die Rechtsmittelwerberinnen machen als erhebliche Rechtsfragen geltend, es fehle Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Gewährung von Gesellschafterzuschüssen im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung bei wechselseitigen Beteiligungen und Ringbeteiligungen; dies jeweils unter der Annahme einer Widmung zur Verwendung der Zuschüsse zur Zeichnung der Kapitalerhöhung oder zur allgemeinen Unternehmensfinanzierung. Auch sei nicht geklärt, ob in derartigen Konstellationen eine „Mehrleistungsverpflichtung“ des übernehmenden Aktionärs bestehe.
Es fehle auch höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, ob bei wechselseitigen Beteiligungen oder Ringbeteiligungen Zuschüsse, die zum Zweck der Finanzierung der Kapitalerhöhung der zuschussgewährenden Gesellschaft an ihre Aktionärin geleistet worden seien, den in § 66a AktG geregelten Fällen des Verbots der Finanzierung des Erwerbs von Aktien der Gesellschaft gleich zu halten seien.
3.8.2. Von der Lösung dieser Rechtsfragen hängt die Beurteilung des vorliegenden Falls nach dem oben Gesagten nicht ab.
Auf die umfangreichen rechtlichen Ausführungen des Rekursgerichts zum Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsrecht sowie auf die im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit erschienenen Publikationen (Karollus, Wider die Mehrleistungsthese für Kapitalerhöhungen bei wechselseitiger Beteiligung, GesRZ 2020, 169; Rüffler/Cahn, Kapitalaufbringung bei wechselseitigen Beteiligungen, GesRZ 2020, 242; Koppensteiner, Eigene Anteile und wechselseitige Beteiligungen im Aktienrecht, GES 2020, 227; Eckert, GesRZ 2020, 292 [Anmerkung zur dort veröffentlichten Entscheidung des Rekursgerichts]) ist daher im vorliegenden Verfahren nach § 130 Abs 2 AktG nicht einzugehen.
3.9. Die Rechtsmittelwerberinnen machen weitere erhebliche Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Beurteilung der Auswirkungen des zwischen der O*****, der B***** und der Antragsgegnerin als Schiedsbeklagte und der G***** als Schiedsklägerin ergangenen Schiedsspruchs geltend. Einerseits habe das Rekursgericht durch die Verwertung der Ergebnisse des Schiedsverfahrens das rechtliche Gehör der Antragstellerinnen verletzt, andererseits bedürfe es der Klärung, ob der Vorstand unredlich handle, wenn er durch ein Schiedsverfahren das laufende Verfahren nach § 130 Abs 2 AktG unterminiere.
Da das Rekursgericht die Antragsabweisung bereits mit einer selbständig tragfähigen, vertretbaren Alternativbegründung bestätigte, hängt die Beurteilung des vorliegenden Antrags auch nicht von den dargestellten Rechtsfragen zur Verwertung des Schiedsspruchs ab.
3.10. Schließlich sind auch die als erheblich geltend gemachten Rechtsfragen zur Zweijahresfrist des § 130 Abs 2 AktG und zur konkreten Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall durch das Rekursgericht nicht präjudiziell.
4. Der außerordentliche Revisionsrekurs zeigt daher insgesamt keine Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG auf. Das führt zur Zurückweisung nach § 71 Abs 2 AußStrG.
Textnummer
E130115European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00093.20Z.1125.000Im RIS seit
23.12.2020Zuletzt aktualisiert am
12.07.2021