TE OGH 2020/11/26 4Ob166/20w

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Veröffentlicht am 26.11.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** registrierte Genossenschaft mit beschränkter Haftung, *****, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Michel Walter, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Z***** GmbH, *****, vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rechnungslegung und Leistung (Stufenklage; Streitwert 40.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. August 2020, GZ 133 R 72/19i-59, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]       Die Klägerin ist eine urheberrechtliche Verwertungsgesellschaft, die die Aufführungs- und Senderechte sowie damit verbundene Vergütungs- und Beteiligungsansprüche von Autoren, Komponisten und Musikverlegern wahrnimmt.

[2]       Die Beklagte betreibt eine Kabelnetzanlage (Glasfasernetz), mit der sie Fernseh- und Hörfunksendungen des Österreichischen Rundfunks sowie anderer in- und ausländischer Sender gleichzeitig, vollständig und unverändert (integral) an weniger als 500 angeschlossene Teilnehmer gegen Entgelt weiterleitet.

[3]       Mit ihrer Stufenklage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Rechnungslegung über die seit 1. März 2012 an ihr Kabelnetz angeschlossenen Teilnehmer und die ihnen bereitgestellten Rundfunkprogramme, die Vorlage der entsprechenden Belege und die Zahlung des sich daraus ergebenden angemessenen Entgelts. Die Beklagte verletze durch die Weiterleitung der Programme das dem Urheber ausschließlich zustehende Senderecht nach § 17 UrhG. Die dazu in § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG und § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG (sog „ORF-Privileg“) normierten Ausnahmen verstießen gegen die Info-RL 2001/29/EG (im Folgenden: Info-RL) sowie gegen die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (im Folgenden RBÜ). Die Kleingemeinschaftsantennenanlagen der Beklagten unterliegen aber auch dem urheberrechtlichen Ausschlussrecht der öffentlichen Wiedergabe iSd § 18 UrhG bzw Art 3 Abs 1 Info-RL. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs habe die Grenzziehung zwischen dem Senderecht (§ 17 UrhG) und dem sonstigen Recht der öffentlichen Wiedergabe (§ 18 UrhG) aufgegeben; für Letzteres sei aber keine Einschränkung iSd § 17 Abs 3 UrhG vorgesehen.

[4]       Die Beklagte wandte ein, dass sie sich neben der Bestimmung des § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG auch auf § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG berufen könne. Selbst wenn diese Vorschrift gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoßen sollte, bleibe sie doch anwendbar, solange der Gesetzgeber keine abweichende Regelung getroffen hat. Die Beklagte habe nur die Weiterleitung der Sendungen an ihre Teilnehmer zu verantworten. Insoweit etwa Hotels das zu empfangende Signal in die Zimmer ihrer Gäste weiterleiten, sei die damit verbundene öffentliche Wiedergabe iSd § 18 Abs 3 UrhG nicht der Beklagten zurechenbar.

[5]       Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das Berufungsgericht hob hervor, dass für die Beklagte die Bestimmung des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG Anwendung finde, sodass nicht geprüft werden müsse, ob sie sich auch auf § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG berufen könne. Die Klägerin könne sich nicht unter Hinweis auf die Regelungen der Info-RL auf die Unionsrechtswidrigkeit des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG berufen, weil dieser (nach Wortlaut und Sinn eindeutigen) Bestimmung kein durch die nationalen Auslegungsregeln nicht erzielbarer abweichender oder gar entgegengesetzter Sinn beigelegt werden dürfe. Auch eine unmittelbare Anwendung der Info-RL komme nicht in Betracht. § 17 Abs 3 UrhG widerspreche dem RBÜ oder dem TRIPS-Abkommen nicht.

Rechtliche Beurteilung

[6]       Die Klägerin zeigt gegen diese Beurteilung in ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[7]       1.1 Mit seinem (im gegenständlichen Verfahren ergangenen) Urteil vom 16. März 2017, C-138/16, Zürs, hat der EuGH ausgesprochen, dass die Ausnahmebestimmung des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG mit der unionsrechtlichen Ausnahmemöglichkeit nach Art 5 Abs 3 lit o der Info-RL schon aufgrund der darin normierten Teilnehmergrenze („nicht mehr als 500 an die Gemeinschaftsantennenanlage angeschlossenen Teilnehmer“) nicht im Einklang steht, ohne dass die übrigen Voraussetzungen der Ausnahmemöglichkeit geprüft werden müssten.

[8]            1.2 Der Senat hat sich in der Entscheidung 4 Ob 124/18s umfassend mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Interpretation der Ausnahmeregelung des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG im Sinn des Unionsrechts möglich ist. Dabei wurde festgehalten, dass die 500-Teilnehmer-Grenze in dieser Norm exakt bestimmt ist. Eine Unterschreitung dieser Grenze auf interpretativem Weg würde zu einer Situation contra legem führen. Die Unionsrechtswidrigkeit kann daher nicht beseitigt werden.

[9]            Die Rechtsansicht der Klägerin, dass die Freistellung nach § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG „schlicht nicht anwendbar ist“, wurde damit bereits in der Entscheidung 4 Ob 124/18s widerlegt. Die Vorinstanzen haben im Einklang mit dieser Entscheidung das Klagebegehren wegen der Ausnahmebestimmung abgewiesen.

[10]           1.3 Der behauptete Widerspruch der Entscheidung 4 Ob 124/18s zur Entscheidung 4 Ob 62/16w liegt nicht vor.

[11]           In der zuletzt genannten Entscheidung wurde festgehalten, dass § 42b UrhG unionsrechtskonform auszulegen oder erforderlichenfalls unionsrechtskonform fortzubilden ist, dies allerdings nur in den Grenzen der zulässigen Methoden. Der Senat ging bei der Auslegung des § 42b UrhG davon aus, dass ein Ergebnis iSd Art 5 Abs 2 Info-RL im Wege der Analogie bzw teleologischen Reduktion erreicht werden kann.

[12]           Auch in der Entscheidung 4 Ob 124/18s wurde eine richtlinienkonforme Interpretation nur nach Maßgabe des Methodenkatalogs des nationalen Rechts für zulässig erachtet. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation erstreckt sich auch auf die zulässige Rechtsfortbildung durch Analogie oder die teleologische Reduktion im Fall einer planwidrigen Umsetzungslücke. Im Ergebnis wurde für die Bestimmung des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG eine teleologische Interpretation verneint.

[13]           Allein deshalb, weil in einem Fall eine teleologische Reduktion bejaht und im anderen Fall verneint wurde, stehen die Entscheidungen nicht im Widerspruch zueinander. Dieser Unterschied liegt vielmehr (nur) darin begründet, dass der Senat bei jeweils unterschiedlichen Normen des UrhG zu prüfen hatte, ob eine Interpretation im Sinn der jeweils unterschiedlichen Normen der Info-RL möglich ist.

[14]           2. Das Erstgericht hat mit erkennbarer Billigung des Berufungsgerichts die auf § 18 Abs 3 UrhG gestützten Ansprüche der Klägerin gegenüber der Beklagten verneint. Auch in diesem Zusammenhang zeigt die Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[15]           2.1 Das Senderecht nach § 17 Abs 1 UrhG fällt unter den unionsrechtlichen Überbegriff der öffentlichen Wiedergabe iSv Art 3 Abs 1 Info-RL (4 Ob 249/15h), der in „Senden“ und in „sonstige öffentliche Wiedergabe“ (sonstige technische Übertragung) unterteilt werden kann (4 Ob 124/18s).

[16]     Der österreichische Gesetzgeber hat damit die von Art 3 Abs 1 Info-RL umfassten Verwertungshandlungen durch §§ 17, 18 Abs 3 und 18a UrhG „abgedeckt“ (idS ErläutRV 40 BlgNR 22. GP 30; ähnlich auch Walter, MR 2018, 238 [Entscheidungsanm], der zwischen der öffentlichen Wiedergabe „ieS“ nach § 18 UrhG und der Weiterleitung von Rundfunksendungen unter dem Gesichtswinkel des Senderechts unterscheidet). In der zuletzt zitierten Entscheidung 4 Ob 124/18s wurde der auch hier zu beurteilende Sachverhalt als Weiterverbreitung der Sendesignale über eine kabelgebundene Sendeanlage (Kabelnetz) qualifiziert.

[17]           2.2 Zur Abgrenzung der unter dem gemeinsamen Überbegriff der „öffentlichen Wiedergabe“ fallenden Verwertungsrechte nach § 17 UrhG und § 18 Abs 3 UrhG geht die Judikatur davon aus, dass bei einer (bloßen) Weitersendung von Fernsehprogrammen (etwa beim Streaming über ein UMTS-Mobilfunknetz) das Verwertungsrecht des § 17 UrhG (Sendung) betroffen ist, nicht aber der Tatbestand des § 18 Abs 3 UrhG (öffentliche Aufführung) vorliegt (4 Ob 89/08d; 4 Ob 6/09z, 4 Ob 68/11w [Kabelweitersendung], RS0123993).

[18]           2.3 Im Anlassfall wirft die Klägerin der Beklagten vor, dass sie Rundfunksendungen über ihr Kabelnetzwerk (bloß) weitersendet. Es geht damit nicht um die Verbreitung eines Signals mittels in Hotelzimmern aufgestellter Fernsehapparate, die ein Hotel für seine Gäste vornimmt (sog „Hotelfernsehen“), oder einen vergleichbaren Werkvermittlungsvorgang. Wenn die Vorinstanzen die Vorgangsweise des beklagten Kabelnetzunternehmens daher (nur) unter § 17 UrhG subsumieren, hält sich das im Rahmen der Rechtsprechung.

[19]           3. In seiner ausführlich begründeten Entscheidung 4 Ob 146/98v ging der Senat davon aus, dass die Ausnahme für Gemeinschaftsantennenanlagen sowohl mit der RBÜ als auch mit dem TRIPS-Abkommen vereinbar ist. Die angefochtene Entscheidung entspricht dieser Judikatur. Die Klägerin argumentiert, dass der Senat in der Entscheidung 4 Ob 120/10s von der genannten Vorentscheidung abgerückt sei. In dieser Entscheidung wurde das sogenannte „Hotelfernsehen“ unter § 18 Abs 3 UrhG subsumiert (abl Walter, MR 2010, 398 [Entscheidungsanm]).

[20]           Abgesehen davon, dass hier kein Hotelfernsehen zu prüfen ist, lassen die Ausführungen im Rechtsmittel hier außer Acht, dass der Senat mit dieser Entscheidung nach dem Inkrafttreten der Info-RL und unter Berücksichtigung eines zum Hotelfernsehen ergangenen Urteils des EuGH (C-306/05, SGAE) die Bestimmung des § 18 Abs 3 UrhG (nur) im Sinne der Info-RL und der EuGH-Entscheidung ausgelegt hat. Der Entscheidung lässt sich aber nicht entnehmen, dass die Ausnahmebestimmung des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG deshalb (auch) der RBÜ widersprechen soll. Zudem wies der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis zu B19/83, in dem er eine Verfassungswidrigkeit des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG verneinte, darauf hin, dass diese Norm als spätere Bestimmung einer (allenfalls widersprechenden) Bestimmung der RBÜ derogiere. Auch in der Entscheidung 4 Ob 124/18s sah sich der Senat nicht veranlasst, wegen der (dort erwähnten) RBÜ die Ausnahme des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG nicht anzuwenden. Die zur RBÜ vertretene Rechtsansicht der Klägerin betrifft daher keine Fragen von der Qualität des § 502 ZPO.

[21]           4. Die Ausführungen zur Bestimmung des § 17 Abs 3 letzter Satz UrhG (sog „ORF-Privileg“) können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht begründen, weil sich die Beklagte bereits auf die Ausnahme des § 17 Abs 3 Z 2 lit b UrhG stützen kann.

[22]     5. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Schlagworte

Zürs.net II = AKM/Zürs.net II,

Textnummer

E130113

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00166.20W.1126.000

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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