TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/23 LVwG-2020/12/0572-24

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Veröffentlicht am 23.11.2020
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Entscheidungsdatum

23.11.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §35 Z3

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seine Richterin Dr.in Kroker über die Maßnahmenbeschwerde des Herrn AA, geb. xx.xx.xxxx, pA Adresse 1, **** Z, vertreten durch Frau BB, CC, Adresse 2, **** Z, gegen die Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch - der Landespolizeidirektion Tirol als belangter Behörde zurechenbare - Polizeibeamte der Polizeiinspektion Y im Zuge seiner Festnahme in der Notschlafstelle in der Adresse 3 in Z am 06.02.2020 gegen 21.45 Uhr, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht erkannt:

1.   Der Beschwerde des Beschwerdeführers wird Folge gegeben, und es wird festgestellt, dass die Festnahme des Beschwerdeführers samt dem Fixieren des Beschwerdeführers gegen den Boden und das Anlegen von Handschellen am Rücken durch - der belangten Behörde (Landespolizeidirektion Tirol) zurechenbare - Polizeibeamte der Polizeiinspektion Y am 06.02.2020 gegen 21.45 Uhr bis zur Aufhebung der Festnahme um 22.05 Uhr rechtswidrig waren.

2.   Gemäß § 35 Abs 2, 4 und 7 VwGVG in Verbindung mit § 1 Z 1 und Z 2 der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II Nr 2013/517, wird dem Antrag des Beschwerdeführers auf Ersatz des Schriftsatz- und Verhandlungsaufwandes und der Eingabegebühr Folge gegeben. Der Bund hat als Rechtsträger der belangten Behörde (Landespolizeidirektion Tirol) dem Beschwerdeführer als Ersatz für den Schriftsatzaufwand Euro 737,60, und als Ersatz für den Verhandlungsaufwand Euro 922,00 sowie die Eingabegebühr von Euro 30,00, sohin gesamt Euro 1689,60, binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Erkenntnisses zu ersetzen.

3.   Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit am 09.03.2020 zur Post gegebenem Schriftsatz wurde eine Beschwerde gegen die „übergriffigen und gewalttätigen Maßnahmen der Polizei während des Einsatzes am 06.02.2020 in die Notschlafstelle in der Adresse 3 in Z“ erhoben. Zwei Polizeibeamte seien am 06.02.2020 gegen 20.00 Uhr in die Notschlafstelle gekommen, um behördliche Briefe zuzustellen. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, sich auszuweisen und im Weiteren eine Strafe zu bezahlen. Der aus Ungarn stammende Beschwerdeführer habe die Polizeibeamten nicht verstanden, insbesondere nicht ob er ins Gefängnis müsse und weshalb er die Strafe bezahlen müsse. Die Polizisten redeten auf ihn ein, er habe sich wehrlos und umzingelt gefühlt. Dadurch sei er auch lauter geworden und habe geschrien, sie sollen warten. Dann sei er von einem Polizeibeamten aggressiv angepackt und zu Boden gedrückt worden. Ein Polizeibeamte habe ihm von hinten die Luft abgeschnürt. Er habe keine Luft bekommen und dachte, dass er ohnmächtig werde. Er habe dabei in die Hose uriniert. Anschließend seien sie auf die Polizeiinspektion gefahren, wo er seine Strafe bezahlt habe und er dann wieder gehen durfte. Seine körperlichen und seelischen Folgen seien: blutunterlaufenes rechtes Auge (8 Tage lang), Rücken-, Hals- und Nackenschmerzen, traumatische Erfahrung, Ängste, Verletzung der Würde. Leider habe er keinerlei ärztliche Atteste. Es habe ihn entsetzt, dass auch Schutzräume, wie eine Notschlafstelle, von Exekutivbeamten aufgesucht würden und von dort vor Ort derart massive körperliche Übergriffe/Gewalt an armen Menschen ausgeübt werde. Ein derartiges Verhalten sei menschenrechtswidrig und würdelos.

Die Landespolizeidirektion Tirol erstattete als belangte Behörde die Gegenschrift vom 08.04.2020 und führte - nach wortwörtlicher Wiedergabe der Stellungnahme des DD, der Stellungnahme der EE, der Stellungnahme des FF, der Stellungnahme des GG, der Stellungnahme des JJ und des KK/Stadtpolizeikommando - aus, dass die Angaben der Beamten in sich schlüssig und nachvollziehbar seien und fänden auch in der Wertung des vorgesetzten Kommandos ihren Niederschlag. Zusammenfassend werde durch die LPD Tirol festgestellt, dass im Rahmen der am 06.02.2020 durchgeführten Amtshandlung kein Fehlverhalten eines Organes der LPD evident erscheine. Da der Sachverhalt klar und durch die Aktenlage entsprechend dokumentiert sei, würden keine weiteren Beweisanträge gestellt. Die Landespolizeidirektion Tirol beantrage weiters in eventu bereits zum jetzigen Zeitpunkt der Beschwerde – differenziert nach den Beschwerdepunkten – als unbegründet, in eventu unzulässig, nicht zu folgen und dem Beschwerdeführer gemäß § 1 Z 3, 4 und 5 der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl II 517/2013, die entsprechenden Kosten (Vorlageaufwand, Schriftsatzaufwand, allfälliger Verhandlungsaufwand) aufzuerlegen.

Am 12.10.2020 und am 23.11.2020 fanden in der gegenständlichen Angelegenheit zwei öffentliche mündliche Verhandlungen vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol statt, anlässlich derer der Beschwerdeführer sowie die Zeugen LL, DD, EE, FF und BB einvernommen worden sind.

II.      Sachverhalt:

Am 06.02.2020 gegen 21.15 Uhr haben die Streife „Y 1“ (DD und EE) sowie die Streife „Y 2“ (GG und FF) mehrere Personskontrollen zwecks Zustellung von Briefen und Vollziehung von Vorführungsbefehlen in der Notschlafstelle Adresse 3 in Z durchgeführt.

Gegen 21.25 Uhr wurde der Beschwerdeführer aufgefordert sich auszuweisen und wurde ihm erklärt, dass ein Vorführungsbefehl zum Antritt einer Ersatzfreiheitsstrafe bestehe. Der Beschwerdeführer, ein ungarischer Staatsangehöriger, der kaum Deutsch spricht, konnte diesem Gespräch insofern folgen, als er verstanden hat, dass er entweder eine Strafe von Euro 500,00 zu bezahlen habe oder ansonsten ins Gefängnis müsse. Allerdings war im völlig unklar, wofür er die Strafe bezahlen müsse.

Da der Beschwerdeführer Kollegen suchte, die für ihn dolmetschen können, verlagerte sich das Gespräche von seinem Zimmer über die Küche in ein weiteres Gemeinschaftszimmer, wo sich mehrere Personen aufhielten, darunter auch ein Kollege, der für ihn übersetzte bzw ihn über die Situation nochmals aufklärte.

Der Beschwerdeführer gab an, die Strafe nicht bezahlen zu können. Er wies daraufhin, dass er auch nicht ins Gefängnis könne, weil er zwei Hunde habe, auf die er aufpassen müsse. Die Polizeibeamten entgegneten, dass dies kein Hinderungsgrund sei und die Hunde entweder von seinen Bekannten oder allenfalls im Tierheim versorgt würden.

Diese Mitteilung machte den Beschwerdeführer sehr nervös und er begann immer lauter mit seinen Zimmerkollegen in einer den Polizeibeamten nicht verständlichen Sprache zu sprechen bzw schreien.

Der Beschwerdeführer hat aber zu diesem Zeitpunkt weder durch Beschimpfungen noch durch aggressive Gesten gegenüber den Polizeibeamten Gewaltbereitschaft signalisiert bzw sich gegenüber den Polizeibeamten aggressiv verhalten.

DD forderte ihn auf dieses Verhalten (Herumschreien mit Zimmerkollegen) einzustellen und drohte die Festnahme an. Als der Beschwerdeführer weiterhin mit seinen Kollegen schrie und gestikulierte, ergriff DD den Beschwerdeführer mit den Worten „Jetzt gehst du mit!“ am Arm.

Die Festnahme erfolgte um 21.45 Uhr durch DD gemäß § 35 Z 3 VStG in Verbindung mit § 82 SPG, mit der Begründung, dass sich der Beschwerdeführer gegenüber den Polizeibeamten aggressiv verhalten habe und in diesem Verhalten trotz Abmahnung verharrt ist.

Nachdem der Polizeibeamte den Beschwerdeführer am Arm gepackt hat, torkelte der Beschwerdeführer und fiel zu Boden. DD drückte den Oberkörper des Beschwerdeführers zu Boden. Dabei hielt er ihn mit einer Hand vorne am Oberkörper und mit der anderen beim Genick, wodurch der Beschwerdeführer das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen. EE und FF legten dem Beschwerdeführer Handfesseln am Rücken an.

Als der Beschwerdeführer wieder auf seinen Füßen stand, sprach er wieder mit dem Zeugen LL, der den Polizeibeamten dann mitteilte, dass der Beschwerdeführer bereit sei, die Strafe zu bezahlen und wurden in Folge Euro 700,00 aus der Brusttasche des Beschwerdeführers geholt. Die Situation beruhigte sich.

Der Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge mit dem Polizeifahrzeug zur Polizeidienststelle Y gebracht. Dort wurden ihm die Handfesseln abgenommen und wurde ihm eine Bestätigung über die Bezahlung der Euro 500,00 ausgestellt sowie die restlichen Euro 200,00 an ihn retourniert. Gegen 22.05 Uhr wurde die Festnahme wieder aufgehoben.

III.     Beweiswürdigung:

Der Beginn der Amtshandlung wird übereinstimmend vom Beschwerdeführer und den als Zeugen befragten Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung beschrieben. Aus den insoweit übereinstimmenden Aussagen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einem Vorführungsbefehl zur Ersatzfreiheitsstrafe zur Ausweisleistung aufgefordert worden ist, ihm erklärt worden ist, dass er eine Geldstrafe zu bezahlen habe oder ansonsten ins Gefängnis müsse. Auf der Suche nach einem Dolmetscher hat sich – so die übereinstimmenden Aussagen - das Gespräch vom Zimmer des Beschwerdeführers über die Küche in ein Gemeinschaftszimmer verlagert.

Der weitere Ablauf in diesem Zimmer wird vom Beschuldigten und den Zeugen sehr unterschiedlich dargestellt:

Der Beschwerdeführer hat seine Festnahme in der Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol wie folgt geschildert:

„Ich war sehr aufgeregt und bin ein bisschen lauter geworden und habe eben die Polizeibeamten aufgefordert, sie sollen mir zeigen, was ich da bezahlen soll. Ich will da etwas Schriftliches sehen. Ich habe nie versucht, irgendwie einen Widerstand zu leisten.

Aber ich bin dann aufgestanden. Dann haben mich zwei Polizisten ergriffen und ich habe mich dann irgendwie befreit. Ich habe gesagt: „Ich will nur Gerechtigkeit und will das Papier sehen, warum ich etwas zahlen soll.“

Wenn mir die Polizeibeamten etwas gezeigt hätten, dann hätte ich mich nicht gewehrt. Aber das haben sie nicht getan. …. Ich wollte mich losreißen und bin dann irgendwie ausgerutscht und bin zu Boden gefallen und dann hat mich ein Polizeibeamter fixiert.

Ich bin zu Boden gekommen. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob ich auf den Knien war oder gelegen bin. Es war jedenfalls so, dass ein Polizeibeamter seinen Arm um meinen Hals gelegt hat und quasi mit dem Ellenbogen mich umklammert hat und mit dem Knie wurde ich auf dem Rücken fixiert. Das Knie hat er gegen meine Rippen gedrückt und mit einer Halsklammer wurde ich umklammert. Ich habe keine Luft bekommen und mir ist schwarz vor den Augen geworden. Man hat mir dann Handfesseln angelegt. Dann haben sie mir wieder auf die Füße geholfen. Wir sind dann zur Polizei und ich habe dort die Euro 500,00 bezahlt und habe dafür auch eine Rechnung bekommen. …“

Der Zeuge LL hat dazu Folgendes ausgesagt:

AA war sehr aufgeregt, vor allem wegen den zwei Hunden, die er sehr liebt.

Er ist dort gesessen und hat überlegt, was er machen könnte. AA hat immer wieder gefragt: „Was soll ich machen?“ - aber in einer nur für uns verständlichen Sprache und die Polizeibeamten waren aggressiv.

Es war dann so, dass die Polizeibeamten „Raus, raus!“ gerufen haben und dann hat ein Polizeibeamter den Beschwerdeführer auf den Boden gedrückt und hat begonnen, ihn zu würgen. Es war eben so, dass der Polizeibeamte den Beschwerdeführer drei bis vier Minuten im Klammergriff gehalten und gewürgt hat und ich habe zur Polizeibeamtin gerufen: „Lassen Sie ihn los, der wird ganz blau, der erstickt!“ Nachdem ich das noch einmal gesagt habe, wurde zu mir gesagt, ich solle mich verpissen und aufhören, weil sonst passiert mit mir das Gleiche.

Soweit ich mich erinnern kann, wurden Handschellen angelegt und es sind dann noch, soweit ich mich erinnern kann, zwei bis drei Polizeibeamte ins Zimmer gelaufen.

Ich habe dann zum Beschwerdeführer gesagt: „Zahl das Geld, sonst nehmen sie dich mit.“ …

Er hat dann gezeigt, dass er in der Brusttasche das Geld hat. Die Polizeibeamten haben dann aus der Brusttasche das Geld herausgenommen. …. Die Polizeibeamten haben ihn mitgenommen und nach ca einer Stunde ist er wieder zurückgekommen. …

AA ist nicht selbst gestolpert und dann am Boden fixiert worden, sondern er ist von den Polizeibeamten auf den Boden gedrückt worden.

Wenn mir die Aussage des Beschwerdeführers vorgehalten wird, wonach er sich losgerissen hat, dabei ausgerutscht und zu Boden gefallen ist, so gebe ich dazu an:

Also ich kann mir jetzt nicht vorstellen, dass er gestolpert ist, weil es war ja am Boden nichts, über das er stolpern hätte können. Es war so, dass der Polizeibeamte schon den Fuß so hingestellt hat, als der Beschwerdeführer aufgestanden ist, dass er ihn besser zu Boden drücken kann.“

Der Zeuge DD hat den Ablauf wie folgt beschrieben:

„Er ist dann in diesem Raum gesessen und hat mit seinen Kollegen geredet und ist dabei immer lauter geworden und hat schließlich mit den Kollegen geschrien. Da habe ich mich schon veranlasst gesehen, nun etwas zu unternehmen. Er war nicht uns gegenüber aggressiv, sondern gegenüber seinen Kollegen.

Ich bin dann zu ihm gegangen und habe ich gesagt: „Beruhige dich einmal.“ Er hat mit den anderen herumgeschrien. Es war eine sehr unangenehme Situation für uns, weil wir ja nicht gewusst haben, was er zu den anderen sagt und wie die anderen reagieren.

Ich habe mich dann gegenüber von ihm aufgestellt und habe „einen Schrei abgelassen“. Ich habe „He!“ gesagt, „beruhige dich, sonst müssen wir dich festnehmen.“ Es war kurz still im Raum. Er hat mir ins Gesicht geschaut und hat auch bemerkt, dass es jetzt langsam um etwas geht. Er hat dann herumgeschrien und gestikuliert, wobei ich nicht weiß, was er gesagt hat. Ich habe ihn dann am rechten Oberarm genommen und habe gesagt: „Jetzt gehst du mit.“

Er hat sich mir gegenüber aggressiv verhalten trotz mehrmaliger Abmahnung. Ich weiß nicht, warum er dann weiter mit seinen Kollegen geschrien hat, weil mit uns hat er ja nicht kommuniziert. Ich habe ausdrücklich gesagt: „Du bist jetzt festgenommen, du gehst jetzt mit.“

Ich habe ihn beim rechten Arm genommen und wollte ihn eigentlich nur mitnehmen. Da ging es noch nicht darum, dass man ihm Handschellen anlegt. Er hat seinen Arm weggerissen, ich habe ihn noch einmal am Arm gepackt. Er hat dann wieder seinen Arm weggerissen und da wollte ich ihm die Handschellen anlegen. Ich habe dann den rechten Arm auf seinen Oberarm und den linken auf seinen Unterarm gelegt und wollte ihn nach hinten bringen, aber auch das hat er nicht zugelassen. Er hat sich mit Kraft dagegengestemmt und deswegen hat das nicht funktioniert.

Ich wollte ihn zur Wand bringen, dass man ihn dort stehend festnimmt, aber auch das hat nicht funktioniert. Wir sind dann quasi bei diesem Gerangel beide plötzlich auf dem Bett gesessen. Dort war auch ein anderer Mann. Ich weiß aber nicht, wer das war. Der hat sich aber nicht weiter eingemischt.

Ich habe weiterhin versucht, ihm die Handschellen anzulegen, aber er hat sich immer zu mir gedreht, sodass das nicht für mich möglich war. Er ist dann vom Bett runter auf die Knie gefallen. Ich bin zu ihm hin und habe ihn quasi am Kopf nach unten gebeugt. Ich habe ihn quasi mit der Hand am Genick nach unten gedrückt, ich habe ihn hinten gehalten. Ich habe schon die eine Hand auf dem Rücken beim Genick gehabt und ihn heruntergedrückt und mit der zweiten Hand habe ich ihn vorne am Oberkörper gehalten. Ich kann mir schon vorstellen, dass das eine unangenehme Haltung ist und dass man da etwas schlechter Luft bekommt.

Zu diesem Zeitpunkt ist auch der Kollege FF ins Zimmer gekommen. Es sind dann auch meine beiden Kollegen am Boden gekniet. Es ist gelungen, ihm die Handschellen hinten anzulegen. Dann ist er aufgestanden. Es hat keine Anzeichen dafür gegeben, dass er jetzt kurz keine Luft gehabt hätte.

Es war schon anstrengend, weil es schon ein Gerangel war. Er hat dann nur mit dem Dolmetscher, der nach wie vor im Raum anwesend war, gesprochen. Der hat uns mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer nun bereit ist, die Strafe zu zahlen. Es war dann so, dass der Dolmetscher das Geld aus der Brusttasche herausgeholt hat, und zwar Euro 700,00, und diese mir überreicht hat. Es war dann alles ruhig. Wir sind dann mit dem Beschwerdeführer auf die Dienststelle gefahren. Dort haben wir ihm die Handschellen abgenommen.“

Demgegenüber hat die Zeugin EE zur Amtshandlung wie folgt ausgesagt:

„Er ist dann noch in einen anderen Raum gegangen und hat dort aggressiv herumgestikuliert, in einer für uns unverständlichen Sprache herumgeschrien und hat mit den Händen gestikuliert. Wir haben nicht verstanden, was er da gesagt hat. In dem Raum waren auch zwei andere Leute, die versucht haben, ihn zu beruhigen. Indem er das Verhalten nicht eingestellt hat, haben wir dann die Festnahme ausgesprochen. Das hat mein Kollege gemacht.

Er wollte dann aus dem Raum gehen und durch das wilde Gestikulieren ist er über die eigenen Füße gestolpert. Als er zu Sturz gekommen ist, haben wir ihn noch nicht angegriffen gehabt. Es ist dann der zweite Kollege dazugekommen, FF. Zur Erzwingung der Festnahme wollten wir ihm dann die Handfesseln anlegen. Die haben wir am Rücken angelegt.

Wenn ich gefragt werde, warum Handfesseln angelegt werden, wenn er selbst über die Füße stolpert, so gebe ich dazu an:

Das haben wir gemacht zur Durchsetzung der Festnahme. Nachdem der Kollege gesagt hat, dass er festgenommen ist und er aber nicht bei uns geblieben ist, sondern Richtung Tür/Ausgang gegangen ist, haben wir die Handfesseln angelegt, damit er nicht weggehen kann.

Er ist auf die Knie gefallen, wie ich mich erinnern kann, weil der Kollege nicht die Handfesseln anlegen konnte, hat ihn der Kollege DD nach vorne gedrückt und ich und der Kollege FF haben ihm die Handschellen angelegt. Er hat ihn hinten am Rücken gehalten und nach vorne gedrückt. Wir haben keine Halsklammer angewendet. Dann haben wir ihn mitgenommen in die Polizeiinspektion Y.

Als wir ihn festgenommen haben, hat ein Mitbewohner darauf hingewiesen, dass er in seiner Brusttasche Geld hat. Der hat es dann auch herausgeholt und hat es uns gegeben. Wir haben zu diesem Zeitpunkt schon das Geld gehabt. Die Festnahme war ja wegen dem aggressiven Verhalten.“

Der Zeuge FF hat die Amtshandlung wie folgt geschildert:

„Es waren auch Kollegen in diesem Raum. Er war sehr aufgebracht wegen seiner Hunde. Die anwesenden Mitbewohner haben versichert, dass sie auf die Hunde aufpassen könnten, während er weg ist. Der Beschwerdeführer ist dann selbstverschuldet auf den Knien gelandet. Selbstverschuldet insofern, dass ihn niemand zu Boden gerissen hat. Meiner Erinnerung nach war es so, dass er im Raum gestanden ist und durch die Gestikulation ist er plötzlich auf den Knien gelandet.

Es war quasi so, dass wir ihn schon angegriffen haben, der Kollege hat ihn am Arm gehalten und meiner Erinnerung nach die Kollegin am anderen Arm. Ich bin dahintergestanden. Ich weiß nicht mehr genau, wie es dazu gekommen ist, dass er gestolpert ist. Es war einfach eine sehr aufgewühlte Situation.

Die Kollegin und ich wollten dann die Handfesseln anlegen, aber das hat sich dann als schwierig dargestellt. Der Kollege DD hat dann den Beschwerdeführer leicht nach vorne gedrückt, damit wir besser die Handfesseln anlegen können. Wir haben ihn im Schulter-Nackenbereich ein bisschen nach vorne gedrückt.

Einen Klammergriff konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht erkennen, sondern eben nur, dass der Kollege ihn leicht nach vorne gedrückt hat. Wenn er so gewürgt worden ist und keine Luft mehr bekommen hat, so kann ich mir dann nicht erklären, warum er dann noch so herumschreien konnte.

Er hat dann mit Kollegen gesprochen und ein Kollege hat in die Brusttasche des Beschwerdeführers gegriffen und hat das Geld herausgeholt.“

In der Anzeige von EE/PI Y vom 11.02.2020, GZ. ***, wurde der Sachverhalt wie folgt festgehalten:

Es wurde festgestellt, dass gegen den Angezeigten ein offener Vorführungsbefehl besteht. AA wurde über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Als AA aufgefordert wurde, den offenen Strafbetrag zu zahlen, wurde er gegenüber den Beamten zunehmend aggressiver. Er schrie die Beamten in unverständlicher Sprache an und fuchtelte mit geballten Fäusten vor den Gesichtern der Beamten herum. Nach zweimaliger Abmahnung durch EE das Verhalten einzustellen und der Androhung der Festnahme, stellte AA das Verhalten nicht ein, weshalb er um 21:45 Uhr festgenommen wurde. AA wurde zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe die Handfesseln angelegt. AA wurde in weiterer Folge auf die Polizeiinspektion Y gebracht. …“

Aus den Aussagen der Polizeibeamten und des Zeugen LL ergibt sich, dass der Beschwerdeführer nicht die Polizeibeamten beschimpft oder sich sonst ihnen gegenüber aggressiv verhalten hat, sondern er mit seinen Kollegen, die sich ebenfalls im Gemeinschaftszimmer aufhielten, sehr laut - in einer für die Polizeibeamten nicht verständlichen Sprache – gesprochen bzw geschrien und dabei mit seinen Händen gestikuliert hat, weil er offensichtlich ob der Versorgung seiner Hunde sehr aufgebracht gewesen ist. Dies folgt insbesondere aus der Zeugenaussage des DD, der ausdrücklich bestätigt hat, dass der Beschwerdeführer gegenüber den Polizeibeamten nicht aggressiv gewesen sei, sondern gegenüber seinen Kollegen (arg: „Er war nicht uns gegenüber aggressiv, sondern gegenüber seinen Kollegen. Es war nicht in unserer Sprache und ich habe nicht verstanden, was er mit den anderen gesprochen hat. Zu diesem Zeitpunkt hat er uns noch absolut ignoriert. … Er hat sich mir gegenüber aggressiv verhalten trotz mehrmaliger Abmahnung. [Über Nachfrage, inwiefern er sich aggressiv gegenüber den Polizeibeamten verhalten hat:] Ich weiß nicht, warum er dann weiter mit seinen Kollegen geschrien hat, weil mit uns hat er ja nicht kommuniziert.“). Damit übereinstimmend hat auch der Zeuge LL ausdrücklich bestätigt, dass der Beschwerdeführer nicht die Polizeibeamten angeschrien hat, sondern zu ihm herübergerufen habe.

Nachvollziehbar ist die Aussage des DD, dass er den Beschwerdeführer ob dieses Verhaltens abgemahnt hat. Dies wurde auch vom Zeugen LL und von FF bestätigt. Weder der Beschwerdeführer noch der Zeuge LL haben wahrgenommen, dass widrigenfalls ausdrücklich die Festnahme angedroht worden ist. Allerdings hat der Zeuge LL ausgesagt, dass es sehr laut gewesen sei, sodass nicht mehr alles verstanden wurde, sodass insoweit der Aussage des DD gefolgt wird. Bestätigt hat der Zeuge LL, dass der Polizeibeamte dann gesagt hat: „Du kommst jetzt mit.“

Der Festnahmegrund ergibt sich wiederum aus der Aussage des Zeugen DD und ist auch in dem im Akt aufliegenden Anhalteprotokoll vom 11.02.2020, Zl *** festgehalten.

Die divergierenden Beweisaussagen hinsichtlich der Vorgehensweise bei der Festnahme werden wie folgt gewürdigt:

Der Beschwerdeführer hat grundsätzlich einen glaubwürdigen Eindruck bei seiner Einvernahme gemacht, da er auch – für ihn negative Aspekte – aus Eigenem ausgesagt hat, ohne diese in irgendeiner Weise zu beschönigen. Allerdings hat er sich an den genauen Ablauf offensichtlich nicht mehr in allen Einzelheiten erinnert, was sich zB darin zeigt, dass er über Nachfrage darauf beharrte, das Geld erst auf der Polizeiinspektion bezahlt zu haben, während alle anderen Zeugen bestätigten, dass er bereits in der Notunterkunft die Geldstrafe bezahlte. Insofern wurde seine Aussage in den Details nicht den Sachverhaltsfeststellungen zugrunde gelegt.

Der Zeuge DD hat in seiner Aussage die Festnahme sehr detailliert geschildert. Nach dessen Zeugenaussage habe es vor der Festnahme ein längeres Gerangel im Stehen und auf dem Bett gegeben. Diese Aussage überzeugt nicht. Sie steht im klaren Widerspruch zu der Aussage der beiden Polizeibeamten EE und FF. Nach der Aussage von EE sei der Beschwerdeführer über seine eigenen Füße gestolpert, als er Richtung Ausgang gegangen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei er noch nicht vom Polizeibeamten festgehalten worden. Auch FF, der allerdings eingeräumt hat, sich nicht mehr genau zu erinnern, hat ausgesagt, dass der Beschwerdeführer „selbstverschuldet“ auf den Knien gelandet sei. Seiner Erinnerung nach sei der Beschwerdeführer im Raum gestanden und durch seine Gestikulation plötzlich auf den Knien gelandet. Er sei davor von DD und EE am Arm gehalten worden.

Bei einer Zusammenschau dieser Aussagen ergibt sich, dass - entgegen der Zeugenaussage des DD - jedenfalls nicht zu einem langen Gerangel vor der Festnahme gekommen ist, was sich auch darin zeigt, dass dem Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang kein Widerstand gegen die Staatsgewalt zur Last gelegt wurde und diesbezüglich auch nichts in der oben angeführten Anzeige oder im Anhalteprotokoll festgehalten wurde.

Aus der Aussagen des Beschwerdeführers und der Polizeibeamten ergibt sich aber im Kern, dass der Beschwerdeführer, nachdem er vom Polizeibeamten mit den Worten „Jetzt gehen wir!“ am Arm ergriffen worden ist, gestolpert und zu Boden gegangen ist.

Aus der Aussage der Polizeibeamten folgt weiter, dass der Beschwerdeführer am Genick von DD zu Boden gedrückt und mit dem zweiten Arm am Oberkörper festgehalten wurde und ihm von EE und FF die Handfesseln hinten angelegt wurden.

Äußerst glaubwürdig hat der Beschwerdeführer geschildert, der er das Gefühl hatte, keine Luft zu bekommen. Diese Aussage wird unterstützt durch die Zeugenaussage von LL, wonach dieser gerufen hat: „Lassen Sie ihn los, der wird ganz blau, der erstickt!“ Auch der Zeuge DD hat eingeräumt, dass er sich vorstellen könne, dass das eine unangenehme Haltung gewesen sei und dass man da etwas schlechter Luft bekomme.

Nachdem der Beschwerdeführer wieder auf den Füßen war, ergibt sich aus den übereinstimmenden Aussagen der Polizeibeamten und des Zeugen LL die Bezahlung der Geldstrafe. Auch haben die Polizeibeamten selbst bestätigt, dass sich dann die Situation bzw der Beschwerdeführer beruhigt hat.

Auch der Transport zur Polizeiinspektion, die dortige Abnahme der Handfesseln, die Ausstellung einer Zahlungsbestätigung, die Rückgabe des Retourgeldes und die Aufhebung der Festnahme ergeben sich aus den übereinstimmenden Aussagen der Polizeibeamten und des Beschwerdeführers, sodass insofern keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussagen entstanden sind.

Die Dauer der Festnahme folgt aus den Angaben im Anhalteprotokoll: am 06.02.2020 von 21.45 bis 22.05 Uhr.

Auf die Einvernahme der Zeugen Michaela Balata, Goran Mihajlovic und Askin Sertkay wurde in der Verhandlung am 23.11.2020 von beiden Parteien ausdrücklich verzichtet. Im Hinblick darauf, dass bereits aufgrund der vorliegenden Beweisergebnisse der Beschwerde Folge gegeben wird, wurden die vom Beschwerdeführer zum Beweis des Beschwerdevorbringens beantragten Zeugeneinvernahmen zudem als nicht mehr erforderlich erachtet.

IV.      Rechtslage:

Folgende Bestimmungen sind für die Klärung der vorliegenden Rechtsfragen maßgeblich:

Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl Nr 684/1988 idF BGBl I Nr 2/2008

Artikel 1

(1) Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).

(2) Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.

(3) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

(4) Wer festgenommen oder angehalten wird, ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind.

Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG), LGBl Nr 52/1991 idF BGBl I Nr 57/2018

Festnahme

§ 35

Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dürfen außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn

         1.       der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist oder

         2.       begründeter Verdacht besteht, dass er sich der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, oder

         3.       der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

§ 36

(1) Jeder Festgenommene ist unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben oder aber, wenn der Grund der Festnahme schon vorher wegfällt, freizulassen. Die Behörde hat den Angehaltenen unverzüglich zu vernehmen. Hat er von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers Gebrauch gemacht, so ist die Vernehmung bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben, es sei denn, dass damit eine erhebliche Gefährdung der Ermittlungen oder eine Beeinträchtigung von Beweismitteln verbunden wäre; eine solche Beschränkung des Rechts auf Beiziehung eines Verteidigers ist schriftlich festzuhalten. Die Anhaltung darf keinesfalls länger als 24 Stunden dauern.

§ 82 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl Nr 566/1991 idF BGBl I Nr 61/2016

Aggressives Verhalten gegenüber Organen der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber militärischen Organen im Wachdienst

(1) Wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einem militärischen Organ im Wachdienst, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 500 Euro zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.

(2) Eine Bestrafung nach Abs 1 schließt eine Bestrafung wegen derselben Tat nach § 81 aus.

V.       Erwägungen:

Zur Zulässigkeit:

Die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde wurde am 09.03.2020 zur Post gegeben. Die angefochtene Amtshandlung fand am 06.02.2020 statt. Die Beschwerde wurde sohin innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist fristgerecht eingebracht.

Die Beschwerde richtet sich gegen die „gewalttätige und übergriffigen Polizeimaßnahmen“ im Zusammenhang mit der Festnahme des Beschwerdeführers am 06.02.2020 in einer Notschlafstelle in Z. Die Festnahme ist eine Ausübung von Zwangsgewalt, sodass die Maßnahmenbeschwerde jedenfalls zulässig ist.

In der Sache:

Vorab ist festzuhalten, dass der Polizeibeamte anlässlich seiner Befragung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol klargestellt hat, dass die Festnahme des Beschwerdeführers nach § 35 Z3 VStG in Zusammenhang mit § 82 Abs 1 SPG ausgesprochen worden ist, weil der Beschwerdeführer nach Ansicht des Polizeibeamten in einer Verwaltungsübertretung nach § 82 SPG verharrt ist. Es ist daher im Folgenden nicht zu prüfen, ob die Festnahme aufgrund des vorliegenden Vorführungsbefehls zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe oder im Zusammenhang mit einer anderen Verwaltungsübertretung gerechtfertigt gewesen ist. Es geht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nämlich nicht darum die abstrakte Zulässigkeit einer Maßnahme zu überprüfen, sondern darum, ob die ganz konkret vorgenommene Festnahme rechtmäßig war oder nicht (vgl VfSlg 12.727/1991, VwGH 12.09.2006, 2005/03/0068 ua).

Gemäß § 35 Z3 VStG dürfen die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen, wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

Eine Verwaltungsübertretung nach § 82 SPG begeht, wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht während dieses seine gesetzlichen Aufgaben wahrnimmt, aggressiv verhält.

Die Festnahme einer Person durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gemäß § 35 VStG setzt voraus, dass die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird. Das heißt, diese Person muss also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung verüben und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei das erste dieser beiden Erfordernisse bereits erfüllt ist, wenn das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund - und damit vertretbar - annehmen konnte (vgl VfGH 25.11.1985, VfSlg Nr 10681, VwGH 02.10.2020, Ra 2020/03/0075 ua).

Hinsichtlich des Festnahmegrundes gestützt auf § 35 Z 3 VStG iVm § 82 Abs 1 SPG erfordert die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Festnahme demnach, ob das Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber den Sicherheitsorganen im Sinne des § 82 SPG vertretbar als „aggressiv“ einzustufen war, eine Behinderung einer Amtshandlung vorlag und er trotz vorangegangener Abmahnung sein Verhalten fortgesetzt hat (vgl VwGH 29.05.2000, 2000/10/0038, 20.11.2013, 2011/02/0306). Weil bereits der Grundtatbestand des § 82 Abs 1 SPG eine Abmahnung erfordert, setzt die Zulässigkeit der Festnahme nach § 35 Z 3 VStG zudem eine weitere respektive zweite Abmahnung voraus (vgl VfSlg 3904/1961 und VfSlg 7987/1977).

Das Tatbestandsmerkmal nach § 82 Abs 1 SPG besteht im aggressiven Verhalten. Bereits zu der inhaltlich vergleichbaren Vorgängerbestimmung des Art IX Abs 1 Z 2 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen – EGVG sah der Verwaltungsgerichtshof (etwa VwGH 20.12.1990, 90/10/0056, 21.02.1994, 93/10/0092) darin ein solches Verhalten, durch das die jedem Staatsbürger gegen das Einschreiten eines obrigkeitlichen Organs zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, dass diese Abwehr zufolge des Tons des Vorbringens, der zu Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen, als ein aggressives Verhalten gewertet werden muss.

Entgegen der Sachverhaltsdarstellung in der Anzeige der PI Y vom 11.02.2020, GZ ***, konnte nun aber im verwaltungsgerichtlichen Beweisverfahren nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die Polizeibeamten in einer unverständlichen Sprache angeschrien und vor ihnen mit geballten Fäusten herumgefuchtelt hat, vielmehr hat der Beschwerdeführer mit seinen Kollegen geschrien und hat dabei nicht mit den Polizeibeamten kommuniziert. Ein aggressives Verhalten gegenüber den Polizeibeamten kann darin wohl keinesfalls vertretbar angenommen werden.

Mangels einer vertretbar angenommenen Verwaltungsübertretung nach § 82 SPG ist auch die darauf basierende Festnahme nach § 35 Z 3 VStG rechtswidrig gewesen.

Stellen sich die Festnahme und die darauf gegründete Anhaltung nach dem VStG nicht als dem Gesetz entsprechend dar, führt das dazu, dass die zur Umsetzung der Festnahme und Anhaltung gesetzten und nachfolgenden Akte, die mit dieser eine Einheit bilden, rechtswidrig sein müssen (vgl etwa VwGH 29.05.2006, 2003/09/0040, mwN).

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Als obiter dictum wird aber angemerkt, dass jedenfalls auch die Modalitäten der Festnahme rechtswidrig waren.

Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegt die Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie der im Waffengebrauchsgesetz geregelte Waffengebrauch. Sie muss demnach entsprechend der höchstgerichtlichen Judikatur für ihre Rechtmäßigkeit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen und darf nur eingesetzt werden, wenn sie notwendig ist, um Menschen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen und maßhaltend vor sich geht. Es darf jeweils nur das gelindeste Mittel, das zum Erfolg führt, angewendet werden; dies gilt auch für das Anlegen von Handfesseln (vgl VwGH 14.01.2003, 99/01/0013; 08.09.2010, 2006/01/0182; 24.03.2011, 2008/09/0075; 20.02.2014, 2013/21/0217 ua).

Bei der Beurteilung, ob eine maßhaltende und notwendige Anwendung von Körperkraft vorliegt, ist das Verhalten der davon betroffenen Person von besonderer Bedeutung. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer keinen Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, er ist nicht geflüchtet und sein angeblich „aggressives Verhalten“ hat sich darin erschöpft, dass er die Polizeibeamten ignoriert und mit seinen Zimmerkollegen in einer unverständlichen Sprache geschrien hat. Er hat nach dem festgestellten Sachverhalt zu diesem Zeitpunkt weder durch Beschimpfungen oder sonstige Äußerungen noch durch aggressive Gesten gegenüber den Polizeibeamten Gewaltbereitschaft signalisiert.

In einer Zusammenschau dieser Umstände kann – nachdem der Beschwerdeführer auf den Boden gefallen ist - das Halten am Genick und nach vorne Drücken, während er mit der zweiten Hand am Oberkörper gehalten wurde, nicht als verhältnismäßige Anwendung von Körperkraft qualifiziert werden.

Die Fesselung mit Handschellen im Rahmen einer Amtshandlung ist eine Vorgangsweise, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie "unbedingt erforderlich (unabdingbar) ist" (vgl VwGH 08.08.2002, 99/11/0327). Eine Fesselung mit Handschellen ist etwa dann nicht gerechtfertigt, wenn auf Grund der näheren Umstände eine konkrete Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Behördenorgane nicht ernstlich zu befürchten ist oder es diesen auf eine maßvollere Weise als durch Anlegen von Handfesseln möglich wäre, dem Widerstand einer Person zu begegnen (vgl VwGH 18.05.2010, 2006/11/0086). Das Anlegen von Handfesseln durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ist gerade deshalb vorgesehen, um damit Menschen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen.

Bei der dem festgestellten Verhalten des Beschwerdeführers erweist sich auch das Anlegen der Handfesseln als unverhältnismäßig und überschießend.

VI.      Kostenentscheidung:

Gemäß § 35 Abs 1 VwGVG, BGBl I Nr 33/2013, hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art 130 Abs 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden (vgl § 35 Abs 7 VwGVG)

Geltend gemacht hat der Beschwerdeführer an Kosten Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand gemäß § 1 Z 1 und Z2 der VwG-Aufwandsersatzverordnung und die Eingabegebühr. Der Beschwerdeführer hat in der Sache obsiegt, sodass der Zuspruch der Kosten gemäß § 35 VwGVG in der beantragten Höhe erfolgt.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

VII.     Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die in der gegenständlichen Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen konnten anhand der in der vorliegenden Beschwerdeentscheidung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einwandfrei einer Beantwortung zugeführt werden. Eine außerhalb dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegende Rechtsfrage ist für das erkennende Gericht im Gegenstandsfall nicht hervorgekommen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.

Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe ist innerhalb der oben angeführten Frist für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beim Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen. Im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof ist, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Kroker

(Richterin)

Schlagworte

Festnahme;
Modalitäten;
Handfesseln;
Körperschaft;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.12.0572.24

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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