TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/30 I401 2130496-2

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Veröffentlicht am 30.06.2020
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Entscheidungsdatum

30.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I401 2130496-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX (alias Ndoka MONDAY), geb. XXXX alias XXXX alias XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Bürgerstraße 21, 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, Außenstelle Innsbruck, vom 20.09.2017, Zl. XXXX ,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung“.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Nach der Asylantragstellung im November 2014 in Italien stellte der Beschwerdeführer am 29.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, den er anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes damit begründete, Nigeria im Oktober 2013 verlassen zu haben, weil er im Herkunftsstaat keine Familie mehr habe. Es habe sich niemand um ihn gekümmert. Bevor er nach Italien gekommen sei, habe er an einer Krankheit gelitten; in Italien sei er operiert worden. Einige Zeit später habe er wieder Schmerzen bekommen, in Italien sei er jedoch nicht mehr behandelt worden. Aus diesem Grund habe er Italien verlassen.

Befragt zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab der Beschwerdeführer an: „Ich habe keine Befürchtungen. Ich würde wegen meiner Zwillingsschwester, die ich sehr liebe, wieder nach Nigeria zurückkehren“.

1.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.08.2016, W185 2130496-1/5E, wurde der gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet), mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen, Italien für die Prüfung des Antrages für zuständig erklärt, die Außerlandebringung angeordnet und seine Abschiebung nach Italien festgestellt wurde, erhobenen Beschwerde stattgegeben und das Verfahren zugelassen. Die sechsmonatige Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III - VO sei abgelaufen. Infolge des Übergangs der Zuständigkeit sei daher Österreich für die Führung des materiellen Verfahrens zuständig.

2.1. Das Bundesamt holte ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Altersbestimmung ein, weil sich der Beschwerdeführer auf seine Minderjährigkeit berufen habe, jedoch vor den italienischen Behörden ein älteres Geburtsdatum angegeben habe. Das ermittelte (und im Rubrum der gegenständlichen Entscheidung genannte) Geburtsdatum wurde als fiktives Geburtsdatum angenommen und im weiteren Verfahren von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen.

2.2. In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt gab der Beschwerdeführer nunmehr befragt zu seinen Fluchtmotiven am 28.08.2017 erneut an, dass er seine Heimat verlassen habe, weil er keine Familie mehr und keinen gehabt habe, der sich um ihn gekümmert habe. Nach der Operation in Italien habe er gesundheitliche Probleme bekommen, die aber nicht behandelt worden wären. Deshalb sei er von dort weggegangen. Das sei alles.

Nochmals befragt, ob er etwas Asylrelevantes angeben wolle, führte der Beschwerdeführer nunmehr aus, ihm habe sein Boss, bei dem er gearbeitet habe, vorgeworfen, seine Tochter geschwängert zu haben. Der Beschwerdeführer habe dies bestritten. Daraufhin sei er von seinen (Arbeits-) Kollegen geschlagen worden. Der Boss habe ein Bügeleisen auf die rechte Seite seiner Rippen gedrückt und er sei für drei Tage ohne Nahrung und Wasser eingesperrt worden. Seine Kollegen hätten ihn befreien können, weil der Boss vergessen habe, die Schlüssel für die Tür, wo er eingesperrt gewesen sei, abzuziehen. Er sei zunächst zu seiner Schwester gegangen, später in einen anderen Bundesstaat. Als man ihn auch dort gesucht habe, sei seine einzige Möglichkeit gewesen, das Land zu verlassen. Seine Schwester sei von seinem Chef so stark geschlagen worden, dass man ihr im Krankenhaus ein Bein habe abnehmen müssen. Seither benötige sie Krücken. Eine Übersiedlung innerhalb Nigeria sei nicht möglich gewesen, weil der Vater seines Chefs ein sehr bekannter Politiker bzw. der Sekretär vom Vorsitzenden der People Democratic Party (PDP) gewesen sei und gute Verbindungen zur Politik gehabt habe.

2.3. Mit dem Bescheid vom 20.09.2017 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.), und dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

2.4. Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 04.10.2017. Moniert wurde, dass das Bundesamt die Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu Unrecht unterlassen habe, auch wenn es das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft erachtet und eine Verfolgung daher ausgeschlossen habe. Generell seien die Länderfeststellungen mangelhaft geblieben und die zur Verfügung stehenden Berichte nicht entsprechend mit einbezogen habe. Auch ein angebotenes Beweismittel habe das Bundesamt außer Acht gelassen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, mit einem heißen Bügeleisen von seinem Chef gebrannt worden zu sein. Die Narbe hätte beachtet werden müssen. Auch eine konkrete Auseinandersetzung mit seinem Gesundheitszustand sei unterblieben. Der Beschwerdeführer könne sich die Medikamente in Nigeria nicht leisten.

2.5. Mit rechtskräftigem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.10.2017 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

2.6. Am 16.06.2020 fand in Anwesenheit des Beschwerdeführers, einer Dolmetscherin für die englische Sprache, der Rechtsberaterin und zwei Behördenvertreterinnen eine mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird zum maßgeblichen Sachverhalt erhoben und ergänzend festgestellt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer reiste illegal ohne gültigem Reisedokument aus Nigeria über Niger und Libyen nach Italien und gelangte nach dortiger Asylantragstellung und etwa eineinhalb ährigem Aufenthalt nach Österreich. Er hält sich (zumindest) seit der Asylantragstellung Ende des Jahres 2015 in Österreich auf. Er ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria, gehört der Volks- und Sprachgruppe der Ibo an, spricht außerdem Englisch und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er ist gesund und arbeitsfähig. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer verwendete bei seiner Asylantragstellung in Italien einen anderen Namen und ein wesentlich älteres Geburtsdatum. Bei seiner in Österreich erfolgten Antragstellung auf Asyl gab er an, minderjährig zu sein. Als fiktives Geburtsdatum wurde das im Rubrum der gegenständlichen Entscheidung genannte Datum angenommen und von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Asyl in Österreich ausgegangen.

In Nigeria lebt seine Zwillingsschwester, zu der er mehrmals im Jahr telefonischen Kontakt hält. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers, er weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf und verfügt über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen.

Der Beschwerdeführer besuchte in Nigeria keine Schule; er ist Analphabet. Er arbeitete und lebte ca. fünf Jahre bei seinem Arbeitgeber und dessen Familie; er erlernte bei ihm später auch den Beruf des Fliesenlegers. Aufgrund seiner gewonnenen Arbeitserfahrung besteht für ihn die Möglichkeit, in Nigeria hinkünftig eine Arbeit zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zu finden.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

Er verkaufte und verkauft in Österreich auf selbständiger Basis eine Straßenzeitung und erzielt aus dieser Tätigkeit Einkünfte in der Höhe von ca. € 170,-- monatlich. Ansonsten geht er keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Er bezieht Leistungen von der staatlichen Grundversorgung.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Entgegen seinem Fluchtvorbringen kann nicht festgestellt werden, dass ihm eine Verfolgung in Nigeria durch seinen Chef gedroht hat, weil er dessen Tochter geschwängert haben soll.

1.3. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):

Zur Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Nigeria mit aktualisiertem Stand 20.05.2020 zu den Feststellungen erhoben.

Sicherheitslage:

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. IPOB ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger, Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 16.4.2020).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen auf dem Landweg in die nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa. Von nicht erforderlichen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias, in die Bundesstaaten Sokoto, Katsina und Jigawa wird abgeraten. Von Reisen in die folgenden Bundesstaaten wird abgeraten, sofern diese nicht direkt auf dem Luftweg in die jeweiligen Hauptstädte führen: in Zentral-und Nord-Nigeria Kaduna, Zamfara, Kano und Taraba, in Südnigeria: Ogun, Ondo, Ekiti, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Anambra, Enugu, Abia, Ebonyi und Akwa Ibom. Auch von Reisen in die vorgelagerten Küstengewässer, Golf von Guinea, Nigerdelta, Bucht von Benin und Bucht von Bonny, wird abgeraten (AA 16.4.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 16.4.2020). Das britische Außenministerium warnt vor Reisen nach Borno, Yobe, Adamawa und Gombe, sowie vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta, sowie Reisen nach Zamfara näher als 20km zur Grenze mit Niger. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zu Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers, und Reisen im Bundesstaat Niger im Umkreis von 20km zur Grenze zu den Staaten Kaduna und Zamfara, westlich des Flusses Kaduna (UKFCO 15.4.2020). Gewaltverbrechen sind in bestimmten Gebieten Nigerias ein ernstes Problem, ebenso wie der Handel mit Drogen und Waffen (FH 1.2019).

In der Zeitspanne April 2019 bis April 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.712), Zamfara (685), Kaduna (589) und Katsina (392). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (3), Kano (7), Jigawa (7), Kwara (8), Enugu (8) und Ekiti (9) (CFR 2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020

-        CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

-        EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 16.4.2020

-        FH - Freedom House (1.2019): Freedom in the World 2019, Nigeria, https://freedomhouse.org/country/nigeria/freedom-world/2019, Zugriff 17.4.2020

-        UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (15.4.2020): Foreign Travel Advice – Nigeria, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 16.4.2020

Sicherheitsbehörden:

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 16.1.2020). Obwohl in absoluten Zahlen eine der größten Polizeitruppen der Welt, liegt die Rate von Polizeibeamten zur Bevölkerungszahl unter der von der UN empfohlenen Zahl (UKHO 3.2019). Die nigerianische Polizei ist zusammen mit anderen Bundesorganisationen die wichtigste Strafverfolgungsbehörde. Das Department of State Service (DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Die nigerianischen Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die äußere Sicherheit zuständig, haben aber auch einige Zuständigkeiten im Bereich der inneren Sicherheit (USDOS 11.3.2020). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 16.1.2020). Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die so genannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 16.1.2020). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig (ÖB 10.2019).

Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2019). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 16.1.2020). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 11.3.2020).

Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 11.3.2020). Es gab allerdings kleinere Erfolge im Bereich der Reorganisation von Teilen des Militärs und der Polizei (BS 2020). Der Regierung fehlen wirksame Mechanismen und ausreichender politischer Wille, um die meisten Fälle von Missbrauch durch Sicherheitskräfte sowie Korruption in den Sicherheitskräften zu untersuchen und zu bestrafen (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

Bewegungsfreiheit und Meldewesen:

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 3.2020d).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020d): Alltag, https://www.liportal.de/nigeria/alltag/, Zugriff 18.5.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

-        UKHO - United Kingdom Home Office (3.2019): Country Policy and Information Note Nigeria: Internal relocation, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/794323/CPIN_-_Nigeria_-_Internal_relocation.PDF, Zugriff 29.4.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 9.4.2020

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

Grundversorgung:

Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 3.2020c). 2018 wurde ein Wachstum von 1,9 Prozent erreicht (AA 24.5.2019c).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 3.2020c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 3.2020c). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).

Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 3.2020c) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 3.2020c; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Das Land ist nicht autark, sondern auf Importe – v.a. von Reis – angewiesen (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen – in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2019).

Die Prozentsätze der Unterernährung haben sich in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegen nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 3.2020b). Über 80 Prozent der ca. 190 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze - Tendenz steigend (GIZ 3.2020c). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 3.2020b). Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmittelpreise variieren ebenfalls nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 3.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).

Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 3.2020b).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 3.2020c).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).

Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Von den auf Hilfe Angewiesenen (7,1 Millionen) sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790, Zugriff 16.4.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.4.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020

-        IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annual_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf, Zugriff 15.4.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

Rückkehr:

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

Zur Covid-19 Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Am 25.02.2020 wird das Coronavirus in Österreich registriert. In Nigeria gibt es mit Stand 20.06.2020 19.147 bestätigte Infektionen und 487 Todesfälle sowie 6.581 genesene Patienten. Im Vergleich liegen die Zahlen in Österreich mit Stand 20.06.2020 bei 17.271 bestätigten Infektionen, 688 Todesfällen und 16.141 genesenen Patienten.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Quellen:

https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html[02.04.2020]; https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/[23.03.2020]; https://orf.at/corona/stories/3157170/[23.03.2020];

https://orf.at/corona/stories/3157533/ [23.03.2020];

https://www.tagesschau.de/ausland/coronavirus-karte-101.html [20.06.2020]).

https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-wie-sich-das-coronavirus-in-europa-ausbreitet.1939.de.html?drn:news_id=1126478 [06.05.2020]

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 20.05.2020.

Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen. Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister zu seinem Aufenthalt im Bundesgebiet, dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährung der staatlichen Grundversorgung, dem Informationsbundsystem Zentrales Fremdenregister sowie dem Strafregister betreffend die strafrechtliche Unbescholtenheit und ein Versicherungsdatenauszug, wonach er bis zum gegebenen Zeitpunkt keiner der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nachging, wurden ergänzend eingeholt. Außerdem wurde eine mündliche Verhandlung am 16.06.2020 durchgeführt. Der maßgebliche Sachverhalt ist als ausreichend ermittelt anzusehen.

Das Bundesamt hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung wesentlichen Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid. Auch der Beschwerde können keine neuen Sachverhaltselemente entnommen werden, welche geeignet wären, die vom Bundesamt ausgeführten Erwägungen in Frage zu stellen.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte oder wollte, steht seine Identität nicht fest. Bei seiner Antragstellung auf Asyl in Italien im November 2014 gab er andere (Vor- und Familien-) Namen und insbesondere ein um 18 Jahre älteres Geburtsdatum an (vgl. das mit Italien geführte Konsultationsverfahren nach der Dublin III-VO; AS 67). Die bei seiner Antragstellung auf internationalen Schutz in Österreich behauptete Minderjährigkeit wird durch das erstellte medizinische Sachverständigengutachten des Ass. Prof. Dr. K G, Medizinische Universität Wien, Zentrum für Anatomie und Zellbiologie, vom 19.06.2016 betreffend Volljährigkeitsbeurteilung widerlegt, wonach von einem fiktiven Geburtsdatum 22.09.1997 auszugehen, eine bei der Antragstellung auf Asyl bereits bestehende Volljährigkeit anzunehmen und eine Minderjährigkeit nicht mehr wahrscheinlich sei.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung am 16.06.2020.

Dass er zum gegeben Zeitpunkt gesund und arbeitsfähig ist, ergibt sich aus seinen in der mündlichen Verhandlung getätigten Angaben. Befragt nach etwaigen gesundheitlichen Einschränkungen gab er an: „Es geht mir gut. Ich habe mich mehrfach medizinisch untersuchen lassen und mein Arzt hat gesagt, dass ich gesund bin.“ (Protokoll, S. 4). Die im Rahmen des Asylverfahrens vorgelegten Arztbriefe datieren aus den Jahren 2016 und 2017. Im zuletzt vorgelegten Arztbrief vom 10.06.2020 führt der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. P. aus, dass er den Eindruck habe, dass der Beschwerdeführer „ein psychisches „Belastungsdr“ hat, welches er aufgrund massiver sprachlicher Barrieren nicht formulieren kann, er aber dringend psychologische Betreuung bräuchte“. Einen fachärztlichen Befund über eine (massive) psychische Beeinträchtigung, der einen dringenden psychologischen Betreuungsbedarf dokumentiert, legte der Beschwerdeführer nicht vor. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer während der gesamten mündlichen Verhandlung einen persönlich, zeitlich und örtlich orientierten Eindruck hinterließ. Er war konzentriert und hat die an ihn gerichteten Fragen verstanden und gab zusammenhängende und nachvollziehbare Antworten. Es ergaben sich keine Hinweise, dass der Beschwerdeführer nicht (mehr) in der Lage war, die Bedeutung und Tragweite der mündlichen Verhandlung zu erkennen. Im Übrigen ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung versicherte, gesund zu sein.

Dass der Beschwerdeführer über keine Deutschkenntnisse verfügt, gründet sich insbesondere auf der mündlichen Verhandlung. Er konnte einfache auf Deutsch gestellte Fragen nicht beantworten (vgl. Protokoll, S. 15). Daran kann die „Kompetenzbestätigung“ der G GmbH vom 02.08.2017, wonach der Beschwerdeführer alle Anforderungen für den erfolgreichen Abschluss des Kurses „Alpha & Phonetik“ erfüllt habe, und mit der ihm unter anderem attestiert wurde, „flüssig und sinnerfassend lesen“ zu können (AS 433), nichts ändern.

Den Verkauf einer Straßenzeitung auf selbständiger Basis seit 23.05.2017 konnte er durch die (in der mündlichen Verhandlung als Beilage A) zum Akt genommene) Bestätigung des Vereins STZ vom 15.06.2019 nachweisen. Das aus dem Zeitungsverkauf erzielte geringfügige Einkommen fußt auf seinen in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben.

Weitere Unterlagen oder Bestätigungen, die seine soziale Verfestigung in Österreich belegen könnten, wurden nicht vorgelegt. Auch die äußerst wohlwollenden und durchaus positiven Angaben der einvernommenen Zeugin im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung zur Person des Beschwerdeführers können bei einer gesamthaften Betrachtung nicht bewirken, dass eine über das übliche Maß hinausgehende erhebliche Integration in sprachlicher, beruflicher und persönlicher Hinsicht anzunehmen wäre.

Die Feststellungen zu seiner in Nigeria lebenden Zwillingsschwester und den dortigen Lebensumständen ergeben sich aus den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers. Dass er in Österreich keine Verwandten hat und keine Lebensgemeinschaft oder familienähnliche Beziehung führt, fußen aus seinen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

2.3.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.02.1993, Zl. 92/03/0011; 01.10.1997, Zl. 96/09/0007). Im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Rechtsansicht, dass es erforderlich sei, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildere (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar seien (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers müsse, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar seien, genüge zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber habe im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers beziehe sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen seien, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen könne (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

2.3.2. Insbesondere fällt im konkreten Fall ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer durch die Angabe einer falschen Identität bzw. divergierender Vor- und Familiennamens und unrichtiger Geburtsdaten bei seiner Asylantragstellung in Italien und Österreich, wo er sich als minderjährig ausgab, also zu Umständen, die in seiner Sphäre gelegen sind, seiner Mitwirkungspflicht im Sinn des § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 im gegenständlichen Verfahren nicht nachkam. Bereits dadurch wird seine Glaubwürdigkeit bedeutend gemindert.

Sowohl bei seiner Erstbefragung am 30.12.2015 als auch bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28.08.2017 erklärte der Beschwerdeführer übereinstimmend, seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben, weil er keine Familie mehr habe und sich niemand um ihn gekümmert habe.

Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer insbesondere im Rahmen seiner Erstbefragung den Umstand, dass er von seinem Chef wegen des Verdachts, dass er dessen Tochter geschwängert haben soll, verfolgt, deshalb eingesperrt, geschlagen und misshandelt worden sei, vollkommen unerwähnt ließ. Diesen Umstand führte er erst auf Nachfrage, ob er noch etwas Asylrelevantes angeben oder etwas vorbringen wolle, was ihm wichtig erscheine, erstmals bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28.08.2017 ins Treffen. Diesbezüglich geht auch der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250). Es ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber, der bemüht ist, in einem Land Aufnahme und Schutz zu finden, in der Regel bestrebt ist, unmittelbar nach seiner Einreise die für seine Ausreise maßgeblichen fluchtauslösenden Verfolgungen, denen er im Herkunftsland ausgesetzt war, vorzutragen. Zumindest den Kern seiner Fluchtgeschichte wird er gleichbleibend schildern. Dass er bei der Erstbefragung die lebensbedrohliche Verfolgung durch den Chef gänzlich unerwähnt ließ und zudem angab, seiner Zwillingsschwester zuliebe wieder nach Nigeria zurückkehren zu wollen und gegen eine Rückkehr keine Bedenken zu haben, steht im Widerspruch mit seinem Vorbringen vor dem Bundesamt, wonach eine Rückkehr aufgrund der massiven Verfolgung durch den Arbeitgeber gänzlich ausgeschlossen sei.

Der Beschwerdeführer konnte keine nachvollziehbaren Antworten auf die Frage geben, wieso nur er vom Chef verdächtigt worden sei, die Tochter geschwängert zu haben und nicht einer seiner fünf Arbeitskollegen, die auch für diesen Mann gearbeitet und mit ihm bei der Familie gelebt haben. Bemerkenswert ist auch, dass er - nach seinen eigenen Angaben - ca. fünf Jahre bei seinem Chef gearbeitet und bei der Familie gelebt haben soll, ihm weder das Alter noch der Name der Tochter bekannt seien (AS 413). Dass er sich zudem nicht an den Namen seines Chefs hat erinnern können, der ihn „wie einen Sohn behandelt“ habe, und er dessen Vornamen „Saturday“ erst nach längerem Nachdenken bekannt geben (AS 410), hingegen den Vater seines Chefs, einen einflussreichen Politiker bzw. den Sekretär des Vorsitzenden der PDP, namentlich hat nennen können, spricht ebenfalls nicht für seine Glaubwürdigkeit.

In der erhobenen Beschwerde brachte er sein Vorbringen weiter steigernd vor, eine ihm drohende Verfolgung ergebe sich auch daraus, dass das von ihm geschwängerte Mädchen bei der Abtreibung verstorben wäre. Die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers blieben dazu widersprüchlich. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 28.08.2017 äußerte der Beschwerdeführer, dass er, als er sich nach seiner Ausreise aus Nigeria in Libyen aufgehalten habe, bei einem Telefonat mit seiner Schwester erfahren habe, dass sie von seinem Boss zusammengeschlagen worden sei und ihr in der Folge das Bein im Krankenhaus habe abgenommen werden müssen. Das Ableben des Mädchens erwähnte er nicht. In der mündlichen Verhandlung gab er auf die Frage, ob er wisse, wie es der Tochter des Arbeitgebers und dem Kind, das sie geboren habe, gehe, zunächst zur Antwort, es nicht zu wissen. Auf Nachfrage, wie und wann er zur Information gelangt sei, dass das Mädchen bei der Abtreibung verstorben sei, äußerte er, seine Schwester habe es ihm gesagt, als er in Libyen gewesen sei, und sie habe ihm nur das (nämlich das Ableben des Mädchens) mitgeteilt. Auf die divergierenden Aussagen angesprochen, erklärte er, die Abtreibung nicht erwähnt zu haben, weil er sich damals (bei der Einvernahme am 28.08.2017) nicht erinnert habe. Einer Person, die erfährt, dass die Tochter des Arbeitgebers bei der Abtreibung des - wie der Beschwerdeführer vorbringt - vom Vater nicht gewollten Kindes verstorben sei, und für die die vom Vater unterstellte Schwangerschaft der Grund für das Verlassen seines Heimatstaates war, wird eine so einprägsame Information sowie nähere Details in Erinnerung bleiben. Auch dieses erst später getätigte Vorbringen des Beschwerdeführers zum Ableben des Mädchens infolge einer angeblichen Abtreibung untermauert, dass sein Fluchtvorbringen nicht als glaubwürdig anzusehen ist.

Selbst wenn man seinem Vorbringen, sein Arbeitgeber habe ihn wegen der Schwangerschaft seiner Tochter verfolgt und mit dem Umbringen bedroht, Glauben schenkt, kann von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden. Da es in Nigeria kein funktionierendes Meldesystem gibt, ist davon auszugehen, dass ihn sein Chef in einem anderen Landesteil nicht ausfindig machen könnte. Dies ergibt sich aus den vom Beschwerdeführer unbestrittene gebliebenen aktuellen Länderinformationsblatt: „[…] Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).“ Damit geht auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, der Vater des Arbeitgebers sei ein einflussreicher Politiker, der ihn überall finden könne, ins Leere, was im Übrigen durch den Umstand, dass er sich nach seiner Flucht für eine gewisse Zeit bei der Schwester in Agbor und in weiterer Folge in einem anderen Bundesstaat (im Dorf Ikubi) unbemerkt hat aufhalten können, verstärkt wird. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist auch als zumutbar zu qualifizieren.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den vom Beschwerdeführe vorgebrachten Fluchtgründen um eine Verfolgung durch eine private Person handelt. Einer solchen kommt nur dann Bedeutung zu, wenn die staatlichen Behörden nicht fähig oder willens sind, seine Bürger vor Übergriffen Dritter zu schützen. Auch dazu finden sich im Länderinformationsblatt keine Hinweise und hat der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass ihm die nigerianischen Sicherheitsbehörden keine Unterstützung gewährt hätten. Es wäre am Beschwerdeführer gelegen, sich, auch wenn der Vater des Chefs Kontakte zur Politik gehabt haben sollte, an die nationalen Behörden zu wenden, anstatt seinen Herkunftsstaat sofort zu verlassen.

Die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung durch das Bundesamt ist daher nicht zu beanstanden und ergaben sich auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine (neuen) Anhaltspunkte für eine Verfolgung, der der Beschwerdeführer ausgesetzt gewesen wäre. Bei einer Gesamtbetrachtung ist das Fluchtvorbringen als gesteigert und unglaubwürdig anzusehen. Auch das Beschwerdevorbringen konnte - wie bereits ausgeführt - daran nichts ändern. Der Beschwerdeführer konnte im gegenständlichen Fall eine Verfolgung aus politischen, rassischen, religiösen oder aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Nigeria nicht glaubhaft machen.

2.4. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom Mai 2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von nichtstaatlichen Organisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland nicht substantiiert entgegen. Die von ihm in der Beschwerde zitierten Berichte stehen den Ausführungen im Länderinformationsblatt nicht entgegen und sind zudem älter, als das aktuelle Länderinformationsblatt. Darüber hinaus sind sie allgemein gehalten und beziehen sich nicht auf den Beschwerdeführer, wenn sie auf die grundsätzlich in Nigeria vorherrschende Gewalt, die ethno-religiösen Zusammenstöße im Plateau State, die Anschläge einer militanten Gruppe auf Öl-Pipelines im Süden des Landes, die Kämpfe zwischen Christen und Muslimen und die Ankündigung weiterer Tötungen von Christen durch die Gruppierung Boko Haram Bezug nahmen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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