TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/3 I422 2233531-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.08.2020
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Entscheidungsdatum

03.08.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs5
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I422 2233531-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Franz ESSL, Erzabt-Klotz-Straße 12, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 25.06.2020, Zl. 183159206/170826810, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgegenstand:

Aufgrund seiner insgesamt sechs strafgerichtlichen Verurteilungen und insbesondere aufgrund des letzten rechtskräftigen Strafurteils des Landesgerichts Salzburg vom 03.06.2019, zu 33 Hv 22/19 m, mit dem der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7 StGB, des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, davon elf Monate bedingt und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt wurde, erließ die belangte Behörde mit dem gegenständlichen Bescheid über den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig ist (Spruchpunkt II.). Zugleich verhängte Sie über den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein fünfjähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt III.), setzte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt V.) ab. Dies wurde im Wesentlichen mit den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und der Wirkungslosigkeit der bisherigen Sanktionen begründet. Mit der Rückkehrentscheidung sei wegen der überwiegenden öffentlichen Interessen an Ordnung und Sicherheit kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden, zumal der Beschwerdeführer mit seiner Ehegattin in keinem gemeinsamen Haushalt mehr lebe und er auch von seinen erwachsenen Kindern getrennt lebe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung seines subjektiven Rechts auf Aufenthalt in Österreich sowie eine unverhältnismäßige und rechtswidrige Interessenabwägung iSd Art 8 MRK geltend macht. Begründend führt er im Wesentlichen aus, dass er bereits seit 1988 durchgehend im Bundesgebiet lebe und hier aufenthaltsverfestigt sei. Er führe hier eine aufrecht und intakte Ehe mit seiner Ehegattin. Aus der Beziehung stammen zwei Kinder und hätten diese, ebenso wie seine Ehegattin sowie die ebenfalls in Österreich aufhältigen Eltern des Beschwerdeführers die österreichische Staatsangehörigkeit erlangt. Zu Bosnien weise der Beschwerdeführer keine Anbindungen mehr auf und besitze er dort auch über keinerlei sozialen Kontakte mehr. Der Beschwerdeführer sei sich seines in der Vergangenheit gesetzten strafrechtlich relevanten Verhaltens bewusst und bereue diese auch. Allerdings habe er keine schweren Straftaten verübt, sondern handle es sich hierbei lediglich um situativ bedingte Straftaten. So habe er nie gegen das Suchtmittelgesetz verstoßen, nie Einbrüche oder Einbruchsdiebstähle verübt, sondern – wenn er sich oder seine Familie ungerecht behandelt wähnte – impulsiv mit Gewalt reagiert und sei dies vor allem auch im Zusammenhang mit seiner Erkrankung zu sehen. In seiner Beschwerde beantragte er im Wesentlichen, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Hilfsweise stellte er die Anträge auf die erhebliche Reduktion der Dauer des Einreiseverbots bzw. einen Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag zur Durchführung von beantragten Beweisen und der Verfahrensergänzung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist bosnischer Staatsangehöriger. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer wurde in Bihac in Bosnien geboren und wuchs dort auf. In seinem Herkunftsstaat besuchte er von 1980 bis 1984 die Grund- und von 1984 bis 1988 die Mittelschule. Im Anschluss daran kam der Beschwerdeführer nach Österreich, wo er seit 28.06.1988 durchgehend melderechtlich erfasst ist. In Österreich absolvierte der Beschwerdeführer den polytechnischen Lehrgang und begann eine Kellnerlehre, die er in weitere Folge abbrach. Im Bundesgebiet weist der Beschwerdeführer kein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis auf. Er war mehrfach unselbständig erwerbstätig und bezog zwischenzeitig immer wieder Arbeitslosengeld, Notstands- und Überbrückungshilfen. Seit 01.07.2020 ist der Beschwerdeführer bei einem Holzbauunternehmen beschäftigt.

Seit (jedenfalls) 13.07.2004 fußt sein Aufenthalt im Bundesgebiet auf dem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“.

Der Beschwerdeführer leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Selbstwertproblematik und Schwierigkeiten in der Impulskontrolle, einer chronischen Anpassungsstörung mit depressiver Symptomatik sowie einem chronischen Schmerzsyndrom. Er befindet sich diesbezüglich seit dem Jahr 2005 in laufender ambulanter Behandlung im Bereich der Psychosomatik des Landeskrankenhauses der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Salzburg.

Der Beschwerdeführer ist seit 05.05.1998 verheiratet. Aus der Beziehung entstammen ein 1998 geborener Sohn und eine 2002 geborene Tochter. Die Salzburger Landesregierung verlieh seiner Ehegattin und den beiden gemeinsamen Kindern mit Bescheid vom 26.11.2002 die österreichische Staatsbürgerschaft. Mit seiner Ehegattin und den gemeinsamen beiden Kindern ist der Beschwerdeführer seit 25.01.2018 in keinem gemeinsamen Haushalt mehr gemeldet. Zu seiner Ehegattin steht der Beschwerdeführer in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis. Er ist seit 25.01.2018 am Wohnsitz seiner Eltern melderechtlich erfasst. Diese leben ebenfalls in Österreich und wurde ihnen ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Seine Strafregisterauskunft weist bislang sechs Eintragungen auf, wobei fünf davon einschlägiger Natur sind. Erstmals wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 19.11.2004, zu 27 U 446/04s wegen des Vergehens der Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Sodann wurde er vom Bezirksgericht Salzburg am 07.03.2005, zu 29 U 26/05t wiederum wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Weiters folgte eine Verurteilung durch das Landesgericht Salzburg vom 14.12.2007, zu 38 Hv 135/07y wegen Sachbeschädigung, ebenfalls zu einer Geldstrafe und einer zweijährigen Probezeit. Darüber hinaus wurde vom Landesgericht Salzburg am 17.02.2011, zu 47 Hv 5/11b wegen Nötigung, Körperverletzung und gefährliche Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten und eine Probezeit von drei Jahren verurteilt. Am 11.09.2012 wurde er vom Landesgericht Salzburg, zu 37 Hv 18/12t wegen Verleumdung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten und einer dreijährigen Probezeit verurteilt.

Zuletzt verurteilte ihn das Landesgericht Salzburg mit Urteil vom 03.06.2019, Zl. 33 Hv 22/19m wegen des Vergehens der schweren Sachbeschädigung, des Verbrechens der schweren Körperverletzung und des Vergehens der gefährlichen Drohung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten, davon elf Monate bedingt und einer Probezeit von drei Jahren. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer nach einem Überholvorgang des vor ihm fahrenden Fahrzeuges des Sebastian K. derart in Rage geriet, dass er – als er mit dem eigenen Wagen auf der Abbiegespur einer Kreuzung neben dem Fahrzeug von Sebastian K. zu stehen kam – mitten auf der Fahrbahn ausstieg, auf das Fahrzeug des Sebastian K. zukam, Sebastian K. beschimpfte, sein Handy mit voller Wucht gegen die Windschutzscheibe des Fahrzeugs von Sebastian K. schmetterte und er in weiterer Folge das Kennzeichen und die Halterung des Fahrzeugs des Sebastian K. herunterriss und sowohl mit diesem als auch mit seinen bloßen Fäusten brutal auf das Fahrzeug von Sebastian K. einschlug. In weiterer Folge trat er mit voller Wucht mit seinem Fuß gegen das Heck und die Stoßstange des Fahrzeuges von Sebastian K.. Der Beschwerdeführer befand sich derart in Rage, dass er mit der Kennzeichentafel immer weiter auf das Fahrzeug des Sebastian K. und dabei vor allem auf das Fahrerseitenfenster einschlug, sodass sich dieses automatisch öffnete und er nunmehr mit der Kennzeichentafel auf den Kopf-, Hals- und Oberkörperbereich des Fahrers Sebastian K. eindrosch. Durch die verbale und physische Attacke des Beschwerdeführers erlitt Sebastian K. Abschürfungen am linken Ellbogen, Prellungen und Hämatome am linken Unterarm und musste er in weiterer Folge aufgrund vom Angriff resultierender Schlaf- und psychischer Probleme einen Psychiater aufsuchen.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Die Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 13.02.2020, dem bekämpften Bescheid und den Ausführungen im Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR), des Registers der Sozialversicherungsträger (AJ-Web) sowie des Strafregisters der Republik Österreich eingeholt. Diese Feststellungen werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner bosnischen Staatsangehörigkeit ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und der von ihm vorgelegten Kopie seines Reisepasses. Aus dieser leitet sich auch die festgestellte Identität des Beschwerdeführers ab.

Auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Stellungnahme vom 13.02.2020 und der Vorlage seines Reisepasses basieren die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer in Bihac in Bosnien geboren wurde, er dort aufwuchs und auch die Schule besuchte. Aus der von ihm vorgelegten Meldebestätigung des Magistrat Salzburg vom 30.06.2020 in Zusammenschau mit dem ZMR ergibt sich die Feststellung, dass er im Anschluss daran nach Österreich kam und hier seit 28.06.1988 durchgehend melderechtlich erfasst ist. Glaubhaft werden auch die Angaben des Beschwerdeführers erachtet, wonach er in Österreich den polytechnischen Lehrgang absolvierte, eine Kellnerlehre begann und er diese Ausbildung jedoch nicht vollendete. Diese Angaben decken sich auch mit einem aktuellen Auszug des AJ-Web. Aus diesem resultieren auch die Feststellungen über seine mehrfachen unselbständigen Beschäftigungsverhältnisse im Bundesgebiet, der Bezug von Arbeitslosengeld, Notstands- und Überbrückungshilfen bzw. die Feststellung darüber, dass er seit 01.07.2020 bei einem Holzbauunternehmen beschäftigt ist. Letzteres wies er zudem mittels einer Arbeitsbestätigung vom 06.07.2020 nach.

Dass der Beschwerdeführer im Besitz eines Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt EU“ ist, belegte er einerseits durch die Vorlage einer Kopie seines Aufenthaltstitels und stimmt dies mit der Einsichtnahme in das IZR überein.

Die Ausführungen im Strafurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 03.06.2019, zu 33 Hv 22/19m und die diesbezüglich glaubhaften Angaben in der Stellungnahme vom 13.02.2019 ergeben in Verbindung mit der zuletzt in der Beschwerde vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme des leitenden Oberarztes des Landeskrankenhaus der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Salzburg sowie der vorgelegten Therapiebestätigungen die Feststellungen rund um die komplexe Nervenerkrankung des Beschwerdeführers und dessen nach wie vor bestehenden psychotherapeutischen bzw. –somatischen Behandlung.

Glaubhaft werden die Angaben des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine familiäre Situation erachtet, insbesondere, dass er seit 05.05.1998 verheiratet ist – was er zudem durch seine Heiratsurkunde belegte – und er und seine Ehegattin zwei volljährige Kinder haben und dass zudem auch noch seine beiden Eltern in Österreich aufhältig sind. Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist durch die entsprechenden Bescheide des Amtes der Salzburger Landesregierung nachgewiesen. Dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehegattin und den gemeinsamen beiden Kindern seit 25.01.2018 in keinem gemeinsamen Haushalt mehr gemeldet und er seit diesem Zeitpunkt am Wohnsitz seiner Eltern melderechtlich erfasst ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das ZMR. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer zu seiner Ehegattin in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, gründet auf folgender Überlegung: Gemäß den Ausführungen des Gerichtsurteils des Landesgerichts Salzburg vom 03.06.2019, zu 33 Hv 22/19m übernahm der Beschwerdeführer eine Bürgschaft für die Wohnraumschaffung seiner Ehegattin. Dies deckt sich mit den von ihm in der Beschwerde in Vorlage gebrachten Finanzierungsunterlagen seitens seiner Bank.

Die Feststellungen zu seinen strafgerichtlichen Verurteilungen fußen auf der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik und den zum Teil im Verwaltungsakt einliegenden Strafurteilen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Da er über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, setzt eine Rückkehrentscheidung gegen ihn nach § 52 Abs. 5 FPG voraus, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass sein weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. Dies ist (soweit hier relevant) gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG dann der Fall, wenn er von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden. Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, vgl. § 53 Abs. 3 erster Satz FPG) gerechtfertigt ist. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 21.06.2018, Ra 2016/22/0101).

Aufgrund seiner fünf einschlägigen gerichtlichen Verurteilungen erfüllt der Beschwerdeführer jedenfalls den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 dritter Fall FPG, weil er (weit) mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Straftaten rechtskräftig verurteilt wurde. So erfolgten fünf seiner insgesamt sechs Verurteilungen wegen Aggressionsdelikten (Körperverletzung, Sachbeschädigung, gefährliche Drohung); Mit seiner letzten strafgerichtlichen Verurteilung durch das Landesgericht Salzburg vom 03.06.2019, zu 33 Hv 22/2019m – bei der ein Strafausmaß in der Dauer von zwölf Monaten, davon elf Monate bedingt ausgesprochen wurde – erfüllt der Beschwerdeführer zudem die Voraussetzung des § 53 Abs. 2 Z 1 FPG einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten.

Nicht unberücksichtigt, lässt das erkennende Gericht die Ausführungen des letzten Strafurteils des Landesgerichts Salzburg vom 03.06.2019, zu 33 Hv 22/2019m, demzufolge sich der Beschwerdeführer weder geständig zeigte, noch an der Wahrheitsfindung beitrug und er auch überhaupt kein Anzeichen von Reue zeigte oder, dass ihm die Tat in irgendeiner Weise leid tut. Die nunmehr im Administrativverfahren bzw. in der Beschwerde bekundete Reue und seine nachgewiesene Therapie führen noch nicht zum Wegfall oder zur maßgeblichen Minderung der von ihm ausgehenden, durch die wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit, weil es dafür nicht nur der erfolgreichen Absolvierung der Therapie, sondern auch eines entsprechend langen Zeitraums des Wohlverhaltens bedarf (vgl. VwGH 08.11.2018, Ra 2017/22/0207) und seine letzten Straftaten und Verurteilungen gerade einmal ein Jahr zurückliegen.

Einschränkungen der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer ergeben sich allenfalls noch aus § 9 BFA-VG. Erweist sich demnach eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG - aus welchem Grund auch immer - als unzulässig, besteht das Aufenthaltsrecht aufgrund des Aufenthaltstitels „Daueraufenthalt - EU" weiter. Allenfalls kann nach § 28 Abs. 1 NAG von der Niederlassungsbehörde eine "Rückstufung" vorgenommen werden (vgl. VwGH 29.05.2018, Ra 2018/21/0067).

Nachdem die Rückkehrentscheidung durchaus in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingreift, ist unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA-VG zu prüfen. Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergibt sich im gegenständlichen Fall, dass sich der Beschwerdeführer vor rund 32 Jahren in Österreich niedergelassen hat, er sich über all die Jahre rechtmäßig hier aufgehalten hat und er als solches auch daueraufenthaltsberechtigt ist. Er hat in Österreich mehr oder weniger erfolgreich seine Berufsausbildung absolviert und sein ganzes Berufsleben hier verbracht, obwohl es ihm nicht nachhaltig gelungen ist, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Maßgeblich ist auch, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Familie gründete. Er ist seit Mai 1998 verheiratet und wurden in Österreich seine beiden (mittlerweile volljährigen) Kinder geboren. Durchaus lässt das erkennende Gericht nicht außer Acht, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin mittlerweile kein gemeinsamer Wohnsitz mehr besteht. Allerdings besteht durch die gemeinsame Wohnraumschaffung und die Bürgschaft des Beschwerdeführers ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Ehegattin. Überdies sind auch seinen beiden Eltern in Österreich aufhältig und wurde zwischenzeitig allen fünf Personen im Jahr 2002 bzw. 2003 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.

Infolge seines langjährigen Aufenthaltes und dem Vorliegen der familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebietes sind auch Anbindungen des Beschwerdeführers an seinen Herkunftsstaat Bosnien dementsprechend gemindert zu berücksichtigen.

Durchaus lässt das erkennende Gericht nicht seine häufigen strafgerichtlichen Verurteilungen und deren Unwert außer Betracht, allerdings sind diese im Zusammenhang mit seiner kombinierten Persönlichkeitsstörung und seiner Schwierigkeiten der Impulskontrolle, relativiert zu betrachten, was sich auch daran erkennen lässt, dass die Strafgerichte bei den ersten drei Delikten mit der Verhängung von Geldstrafen und bei letzteren mit nur geringe Freiheitsstrafen bzw. mit bedingter Nachsicht, das Auslangen fanden. Eine bedingte Strafnachsicht musste bislang nicht widerrufen werden und hatte der Beschwerdeführer auch zwischen seinen letzten Taten im Jahr 2013 und 2018 eine rund fünfjährige Wohlverhaltensphase.

Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich und der daraus resultierenden Sozialkontakte, aber insbesondere seiner hier lebenden Angehörigen, hat er ein erhebliches privates Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die Rückkehrentscheidung greift aber vor allem aufgrund seines im Bundesgebiet geführten Familienlebens unverhältnismäßig in seine Rechte nach Art 8 EMRK ein.

Trotz des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Aggressionskriminalität – welche im gegenständlichen Fall auf eine Erkrankung des Beschwerdeführers zurückzuführen ist – sowie am Schutz der öffentlichen Ordnung ist angesichts der Integration des Beschwerdeführers während seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich sowie seines hier bestehenden Privat- und Familienlebens von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn Abstand zu nehmen, auch wenn der Beschwerdeführer seiner Bürgschaftspflicht und seiner Zahlungsverpflichtungen grundsätzlich auch vom Ausland aus nachkommen könnte und ihn seine Ehegattin und die beiden erwachsenen Kinder in Bosnien besuchen könnten. Sein privates Interesse an einem Verbleib überwiegt das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Dies bedingt auch den Entfall der übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids, der somit in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.

In der Folge wird allenfalls die Niederlassungsbehörde zur Prüfung einer allfälligen "Rückstufung" gemäß § 28 Abs. 1 NAG zu befassen sein, zumal der Beschwerdeführer nach Ausstellung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" mehrfach straffällig wurde.

Sollte der Beschwerdeführer in weiterer Folge neuerlich straffällig werden, wird die belangte Behörde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen haben.

Hinsichtlich des Beschwerdeeinwand, wonach es sich beim Beschwerdeführerführer um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinne des §§ 67 iVm 2 Abs. 4 Z 11 FPG handle, wird der Vollständigkeit halber angemerkt, dass der Beschwerdeführer dahingehend verkennt, dass für die Erlangung der Rechtsstellung des begünstigten Drittstaatsangehörigen in der Konstellation gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 iVm Z 15 FrPolG 2005, bei der dann die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes jedenfalls unzulässig ist, die Voraussetzung gilt, dass die Ehefrau des Fremden ihr aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG) zukommendes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0162). Für die Erfüllung dieser Voraussetzung ergeben sich hierfür keinerlei Indizien, zumal Ehegattin des Beschwerdeführes laut ZMR seit 2000 durchgehend im Bundesgebiet melderechtlich erfasst ist.

Da über die Beschwerde innerhalb der Wochenfrist des § 18 Abs. 5 BFA-VG entschieden werden konnte, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage, ob die aufschiebende Wirkung zu Recht aberkannt wurde und ob das erkennende Gericht diese hätte zuerkennen müssen.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, entfällt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Entscheidung, die sich insbesondere mit der Vornahme einer individuellen Gefährdungsprognose unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers sowie einer Interessensabwägung auseinandersetzt (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062; 21.06.2018, Ra 2016/22/0101, ua.) –, nicht zuzulassen, zumal sich die Entscheidung an der aktuellen höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert und keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG vorliegt.

Schlagworte

aggressives Verhalten aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Daueraufenthalt EU (int. Schutzberechtigte) Einreiseverbot Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung Gefährdung der Sicherheit gefährliche Drohung Gewalttätigkeit Interessenabwägung Kassation Körperverletzung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Persönlichkeitsstruktur Privat- und Familienleben private Interessen Prognoseentscheidung Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung behoben Sachbeschädigung schwere Straftat Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Wiederholungstaten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2233531.1.01

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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