TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/28 I416 2231680-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.08.2020
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Entscheidungsdatum

28.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
StGB §107 Abs1
StGB §83 Abs1
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I416 2231680-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL, als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. Tunesien, vertreten durch Verein Menschrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2020, Zl: XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.08.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der offenen Spruchpunkte I. bis III. als unbegründet abgewiesen.

II. Die Frist für die freiwillige Ausreise wird gemäß § 55 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein tunesischer Staatsangehöriger, heiratete am 28.3.2016 in Tunesien die österreichische Staatsangehörige Frau XXXX. Nach legale Einreise ins Bundesgebiet, stellte der Beschwerdeführer am 12.5.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“. Dem Beschwerdeführer wurde infolge seitens der Bezirkshauptmannschaft XXXX ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gültig vom 03.06.2016 bis 02.06.2017 ausgestellt. Am 14.04.2017 brachte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein, der von der BH XXXX mit Gültigkeit bis 02.06.2018 ausgestellt wurde.

2.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 07.03.2018, GZ: XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer den Sohn seiner Ehefrau am Körper verletzt, seine Ehefrau gefährlich bedroht und den Sohn wissentlich falsch des Vergehens der gefährlichen Drohung bezichtigte, indem er vor der Polizeiinspektion XXXX wahrheitswidrig angab, dieser habe ihm im letzten Jahr mit einem Messer bedroht.

3.       Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 23.3.2018, XXXX , wurde die Ehe aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden.

4.       Mit einem Schriftsatz, bezeichnet als Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, vom 16.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass es beabsichtigt sei, gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot einzuleiten und wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen binnen zwei Wochen nach Zustellung, die ihm Schreiben angeführten Fragen zu beantworten. Mit Schreiben vom 20.5.2018 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme und führte zusammengefasst aus, dass er seit 19.06.2016 dauerhaft in Österreich leben würde, dass er seit 01.04.2018 in einer Wohngemeinschaft mit seinem Freund XXXX leben würde, dass er seit Jänner bei der Firma XXXX GmbH als Produktionshilfsarbeiter arbeiten würde, dass er den Kranführerschein gemacht habe und dass er krankenversichert sei. Er führte weiters aus, dass er noch Kontakt zu seiner Familie in XXXX habe und diese zumindest einmal im Jahr besuchen möchte. Dieser Stellungnahme wurde ein Konvolut an Unterlagen (Gehaltszettel, Anmeldebescheinigung bei der OOEGKK, ein Versicherungsdatenauszug, die Kopie eines Mietvertrages, eine Meldebescheinigung, ein Dienstvertrag und eine Überlassungsmitteilung gemäß § 12 Abs. 1 AÜG und, einen Kranführerausweis) beigelegt.

5.       Am 10.9.2019 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Verhältnissen führte er aus, dass er gesund und geschieden sei, sowie, dass er keine Kinder habe. Deutsch habe er bereits in Tunesien gelernt und hier lerne er Deutsch durch seine Arbeitskollegen. In Tunesien habe er sechs Jahre die Schule, dann drei Jahre ein College und drei Jahre eine Berufsschule (Installateur) und dann zwei Jahre die Tourismusschule besucht. In Tunesien würden noch seine Familie, nämlich beide Eltern, zwei Brüder und eine Schwester leben, zu denen er regelmäßig (jeden Tag) Kontakt habe. Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte er aus, dass er eine Freundin habe, die XXXX heißen würde und sei er mit dieser seit ca. eineinhalb Jahren zusammen. Seine Freundin habe bereits zwei Kinder, die acht bzw. fünf Jahre alt seien, der Vater der beiden Töchter komme, soviel er wisse, aus dem Kosovo und sei er sich sicher, dass XXXX bis jetzt mit keinem Mann verheiratet gewesen sei. Er gab weiters an das seine Freundin aktuell im zweiten Monat schwanger sei, dass er diese vor der Scheidung mit seiner Exfrau kennen gelernt habe, sie seine Nachbarin gewesen sei und er bereits vor der Scheidung ein Verhältnis mit ihr gehabt habe, wobei es sich aber um keine richtige Beziehung gehandelt habe. Er und seine Freundin würden sich fast jeden Tag sehen, da sie nicht weit weg von ihm wohnen würde, er wisse jedoch die Adresse nicht. Seine Freundin würde gerade die Polizeischule besuchen, sie habe auch einen Campingplatz gekauft und würde gerade einen Gewerbeschein machen und würden sie dann dort gemeinsam nebenbei den Campingplatz betreiben. Wohnen würde er zusammen mit XXXX , den er noch aus Tunesien kennen würde. Er selbst habe zehn Tage nach seiner Ankunft in Österreich begonnen zu arbeiten er sei bei mehreren Firmen als Hilfsarbeiter tätig gewesen und sei die letzten drei Jahre lediglich für vier Monate arbeitslos gewesen. Finanzieren würde er seinen Lebensunterhalt durch seine Arbeit. Auf Vorhalt seiner rechtskräftigen Verurteilung führte er zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass dies alles nicht stimmen würde, auf Vorhalt des Verhandlungsprotokolls im Rahmen der Scheidung, führte er aus, dass das nicht stimmen würde, dass er dazu nicht sagen würde, dass seine Exfrau lügen würde und dass er glaube, dass sie psychische Probleme habe. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme, legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 18. Oktober 2018 vor, in welcher bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot Karte plus“ gestellt hat und er bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt verfügt. Weiters legte er einen Dienstzettel der Firma XXXX GmbH, eine Heiratsurkunde, eine Umsatzliste der Raiffeisenbank, Lohn und Gehaltszettel, einen Mietvertrag, ein polizeiliches Führungszeugnis der Republik Tunesien vom 20.4.2016, die Kopie eines Reisepasses gültig bis 29.09.2020, in Arabisch abgefasste Schriftstücke, das Scheidungsurteil, ein ÖSD Zertifikat A2 vom 29.11.2017, eine Meldebestätigung, die Kopie einer Zulassungsbescheinigung, die Kopie eines seitens der BH XXXX ausgestellten Führerscheins, die Kopie des Aufenthaltstitels als Familienangehöriger mit der Gültigkeit bis 2.6.2018 und die Kopie der e-Card, gültig bis 31.05.2020, vor.

6.       Am 06.05.2020 wurde die belangte Behörde seitens der Freundin des Beschwerdeführers telefonisch kontaktiert, um sich über den Verfahrensstand des Beschwerdeführers zu informieren. Anlässlich dieses Telefonates gab Frau XXXX an, dass der Beschwerdeführer arbeitslos sei, dass er nach wie vor getrennt von ihr an seiner eigenen Wohnadresse wohnen würde und dass sich an der Lebenssituation des Beschwerdeführers in Österreich nach wie vor nichts geändert habe er habe weder Kinder, noch würden Familienangehörige von ihm in Österreich leben. Sie selbst sei ebenfalls ohne Beschäftigung.

7.       Mit E-Mail der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 06.05.2020 erging unter Anschluss eines Versicherungsdatenauszuges und des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ vom 18.10.2018, das Ersuchen um Erhebung und Stellungnahme gemäß § 25 NAG.

8.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2020, Zl: XXXX, wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt II.). Es wurde weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Bescheid und Verfahrensanordnung wurden am 12.05.2020 zugestellt.

Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 02.06.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens aufgrund mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Begründend wurde im Wesentlichen unsubstantiiert vorgebracht, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen. Es wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich bereits seit 2016 in Österreich befinde und Grund für die Einreise die Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen gewesen sei, wobei diese Ehe mit Scheidungsurteil vom BG XXXX am 23.03.2018 geschieden worden sei, dass der Beschwerdeführer durchwegs einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und nur wenige Monate ohne Beschäftigung gewesen sei und habe dieser aufgrund der Corona Virus Pandemie seine Anstellung verloren. Der Beschwerdeführer befinde sich seit eineinhalb Jahren in einer Beziehung mit Frau XXXX XXXX , welche zwei minderjährige Kinder habe zu denen der Beschwerdeführer regelmäßigen Kontakt habe, sodass auch trotz der Tatsache, dass kein gemeinsamer Haushalt bestehen würde, ein schützenswertes Familienleben vorliegen würde. Zudem sei es ihm und seiner Lebensgefährtin aus den bereits im Parteiengehör angegebenen Gründen nicht möglich ein gemeinsames Leben in Tunesien zu führen. Es würde daher ein schützenswertes Privat und Familien in Österreich bestehen und werde dazu explizit auf seine Ausführungen im Rahmen des Parteiengehörs hingewiesen. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55, 57 erteilen, den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die Rückkehrentscheidung aufgehoben wird, in eventu, die festgestellte Zulässigkeit der Abschiebung nach Tunesien aufheben, in eventu den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG aufheben und zurückverweisen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben, in eventu der gegenständlichen Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß 17 Abs. 1 BFA-VG zuerkennen, sowie zur gebotenen Ergänzung des mangelhaft geblieben Ermittlungsverfahrens gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen.

9.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 08.06.2020 vorgelegt. Verfahrensgegenständlicher Akt ist bei der zuständigen Gerichtabteilung I416 bis Ablauf der Frist gemäß § 18 BFA-VG physisch nicht eingelangt.

10.      Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.06.2020, Zl. I416 2231680-1/3Z, wurde der Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und der Beschwerde damit aufschiebende Wirkung zuerkannt. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass seitens der belangten Behörde nicht ins Treffen geführt wurde, welche besonderen Umstände, die eine sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich erscheinen ließen, vorliegen würden und wurde im Wesentlichen schlicht auf jene Sachverhalte, welche bereits zur Begründung für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme herangezogen wurden (das Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung), verwiesen.

11.      Am 20.08.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Tunesiens, und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b Asylgesetz. Der Beschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger. Dem Beschwerdeführer kommt kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum moslemischen Glauben.

Der Beschwerdeführer gehört keiner Risikogruppe im Sinne der COVID 19 Pandemie an.

Der Beschwerdeführer ist geschieden und hat keine Kinder.

In Tunesien leben noch seine Eltern und seine Geschwister und hat er regelmäßig Kontakt zu seiner Familie. Der Beschwerdeführer hat in Tunesien die Grundschule besucht und eine Ausbildung zum Installateur gemacht, sowie zwei Jahre die Tourismusschule besucht und im Tourismus gearbeitet.

Der Beschwerdeführer hat sich zumindest vom 20.06.2016 bis 02.06.2018 legal in Österreich, mit einem Aufenthaltstitel als Familienangehöriger, aufgehalten. Seit 03.06.2018 verfügt der Beschwerdeführer über kein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

Am 18.10.2018 hat der Beschwerdeführer einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ gestellt. Dieser Antrag gilt als Erstantrag und ist vom Ausland aus zu stellen. Gründe, die eine Antragstellung des Beschwerdeführers im Inland zulässig machen, liegen auch unter Berücksichtigung seines Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet nicht vor.

Dem Beschwerdeführer ist es zumutbar, die Entscheidung über die Erteilung seines Aufenthaltstitels im Ausland abzuwarten.

Die vom Beschwerdeführer 2016 eingegangene Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen wurde am 23.03.2018 aus alleinigem Verschulden des Beschwerdeführers geschieden. Es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich.

Der Beschwerdeführer befindet sich in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, der Beschwerdeführer hat jedoch zu keinem Zeitpunkt mit dieser in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Der Beschwerdeführer verfügt kein schützenswertes Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich verschiedenen Erwerbstätigkeiten nachgegangen. Der Beschwerdeführer war neben kurzfristigen Beschäftigungsverhältnissen zuletzt vom 07.01.2020 bis 12.03.2020 bei der XXXX Bergbahnen AG beschäftigt. Der Beschwerdeführer hat bis 10.5.2020 Arbeitslosengeld bezogen. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner Beschäftigung nach.

Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Der Beschwerdeführer hat einen Kranführerschein und ein ÖSD Zertifikat A2 erworben. Der Beschwerdeführer spricht qualifiziert Deutsch.

Abgesehen von seiner Freundin, weist der Beschwerdeführer keine entscheidungsrelevanten sozialen Kontakte oder private Beziehungen im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen integrationsbegründeten Institution.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer weist nachstehende strafgerichtliche Verurteilung auf:

01) LG XXXX 037 Hv 16/2018z vom 07.03.2018, RK 13.03.2018

§ 83 (1) StGB, § 297 (1) 1. Fall StGB, § 107 (1) StGB

Freiheitsstrafe 4 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Tunesien eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen aus seinem Heimatland ausgereist. Er wird im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Tunesien:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 11.05.2020 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Tunesien vollständig zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung eingetreten, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt. Die wesentlichen Feststellungen sind:

Politische Lage:

Tunesien ist gemäß der Verfassung von 2014 ein freier, unabhängiger und souveräner Staat, dessen Religion der Islam, dessen Sprache das Arabische und dessen Regierungsform die Republik ist. Die erste Phase nach der Flucht des Präsidenten Ben Ali am 14.1.2011 prägten Übergangsregierungen, unterstützt von einer Hohen Instanz zur Verwirklichung der Ziele der Revolution als Ersatzparlament. Ferner betont die Verfassung den zivilen und rechtsstaatlichen Charakter des Regierungssystems. Die Verfassung sieht ein gemischtes Regierungssystem vor, in dem sowohl der Präsident als auch das Parlament direkt vom Volk gewählt werden. Die Mitglieder der Regierung werden vom Präsidenten ernannt und benötigen darüber hinaus das Vertrauen des Parlaments. Der Premierminister bestimmt die Richtlinien der Politik, mit Ausnahme der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in der Zuständigkeit des Staatspräsidenten liegen (AA 18.9.2019a). Die Verfassung garantiert durch eine stärkere Gewaltenteilung und die Einrichtung eines Verfassungsgerichtshofs eine bessere Kontrolle der verschiedenen Gewalten. Außerdem wurde die Gleichstellung von Frauen festgeschrieben. Bezüglich der Rolle der Religion einigten sich die Abgeordneten auf einen zwiespältigen Text, der sowohl den zivilen Charakter des Staates sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert, als auch den Schutz des Sakralen festschreibt (GIZ 1.2020a).

Aktuell ist ein tiefgreifender Umbruch in Tunesien in Gang (TS 14.10.2019). Tunesien hatte nach dem sogenannten Arabischen Frühling vor acht Jahren zwar tiefgreifende demokratische Reformen eingeleitet. Das Land kämpft aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Innerhalb weniger Wochen wurden im Herbst 2019 sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Am 15.9.2019 wurde Kaïs Saïed zum neuen Präsident gewählt. 26 Kandidaten standen für die Nachfolge des am 25.7.2019 im Alter von 92 Jahren verstorbenen Staatschefs Beji Caid Essebsi zur Wahl (BAMF 29.7.2019).

Stimmberechtigt waren circa sieben Millionen Menschen, die Wahlbeteiligung bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl lag bei 56%. Der 61 Jahre alte Saïed wurde Umfragen zufolge vor allem von jungen Tunesiern und Akademikern gewählt. Das Land kämpft mit massiven wirtschaftlichen Problemen (BAMF 21.10.2019).

Der politische Quereinsteiger Kaïes Saïed gilt als unbestechlich und politisch unerfahren. Den Tunesiern verspricht er neben der Bekämpfung der Korruption eine rigorose Überarbeitung der Verfassung und des Wahlsystems sowie mehr Demokratie auf lokaler Ebene. Saïed ist zudem für seine sehr konservativen Ansichten in gesellschaftlichen Fragen bekannt (BAMF 21.10.2019).

Bei der Parlamentswahl wurden die bislang etablierten Parteien deutlich abgestraft (DP 14.10.2019; vgl. TS 14.10.2019). Laut dem am 9.10.2019 veröffentlichten vorläufigen Wahlergebnis sicherte sich die moderat islamistische Partei Ennahda die meisten Stimmen bei den Parlamentswahlen (BAMF 14.10.2019; vgl. DP 14.10.2019) und 52 der insgesamt 217 Sitze im Parlament. Auf Platz zwei landete die Partei Qalb Tounes (Herz von Tunesien), geführt vom Präsidentschaftskandidaten Nabil Karoui, mit 38 Sitzen (BAMF 14.10.2019; vgl. DP 14.10.2019). Beide Parteien schließen eine Koalition aus. Das Parlament ist stark zersplittert, was eine Regierungsbildung nach Ansicht von Beobachtern schwierig machen könnte (DP 14.10.2019).

Tunesiens designierter Ministerpräsident Habib Jemli hat Anfang 2020 eine Regierung aus unabhängigen Technokraten gebildet, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen (DS 10.1.2020). Regierungschef Jemli hatte aber nicht genügend Unterstützung für eine Koalitionsbildung bekommen (DW 21.1.2020) und am 10.1.2020 stimmte das tunesische Parlament mit 134 zu 72 Stimmen gegen die vorgeschlagene Regierung (DW 11.1.2020).

Tunesien wird derzeit noch von der scheidenden Regierung von Ministerpräsident Youssed Chahed geschäftsführend regiert. Mehrere Ministerposten sind wegen der Regierungskrise vakant. Präsident Kaïs Saïed hat den früheren Tourismus- und Finanzminister Elyes Fakhfakh zum designierten Ministerpräsidenten ernannt. Der gelernte Ingenieur muss nun innerhalb eines Monats eine mehrheitsfähige Koalition bilden - keine leichte Aufgabe angesichts des zutiefst gespaltenen Parlaments in Tunis. Scheitert Fakhfakh mit der Regierungsbildung, wird das Parlament aufgelöst (DW 21.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (18.9.2019a): Tunesien – Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219068, Zugriff 24.10.2019

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (21.10.2019): Briefing Notes 21. Oktober 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020341/briefingnotes-kw43-2019.pdf, Zugriff 27.1.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (14.10.2019): Briefing Notes 14 Oktober 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2018357/briefingnotes-kw42-2019.pdf, Zugriff 24.10.2019

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (23.9.2019): Briefing Notes 23 September 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016920/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_23.09._2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 24.10.2019

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (29.7.2019): Briefing Notes 29. Juli 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014110/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_29.07.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 24.10.2019

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (16.9.2019): Briefing Notes 16. September 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2016909/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_16.09.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 24.10.2019

-        DP - die Presse (14.10.2019): Erdrutschsieg von Parteilosem Saied bei Präsidentschaftswahl, https://www.diepresse.com/5705812/erdrutschsieg-von-parteilosem-saied-bei-prasidentschaftswahl, Zugriff 24.10.2019

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (1.2020a): Tunesien - Geschichte & Staat, http://liportal.giz.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2020

-        DS - der Standard (10.1.2020): Tunesisches Parlament stimmt gegen Technokraten-Kabinett von designiertem Regierungschef, https://www.derstandard.at/story/2000113173373/tunesisches-parlament-stimmt-gegen-technokraten-kabinett-von-designiertem-regierungschef, Zugriff 13.1.2020

-        DW - Deutsche Welle (21.1.2020): Regierungsbildung - Alles auf Anfang in Tunesien, https://www.dw.com/de/alles-auf-anfang-in-tunesien/a-52080584?maca=de-rss-de-region-afrika-4022-rdf, Zugriff 23.1.2020

-        DW - Deutsche Welle in All Africa (10.1.2020): Tunisian Parliament Rejects Proposed Government, https://allafrica.com/stories/202001130194.html, Zugriff 13.1.2020

-        JA - Jeune Afrique (14.10.2019): Tunisie: Kaïs Saïed élu président, d’après les résultats préliminaires officiels de l’Isie, https://www.jeuneafrique.com/842757/politique/tunisie-kais-saied-elu-president-dapres-les-resultats-preliminaires-officiels-de-lisie/, Zugriff 24.10.2019

-        TS - Tagesschau.de (14.10.2019): Entscheidung in Stichwahl Parteiloser wird Präsident Tunesiens, https://www.tagesschau.de/ausland/tunesien-stichwahl-107.html, Zugriff 24.10.2019

Sicherheitslage

Die von der Regierung Essid als auch der Regierung Chahed angestrebte Verbesserung der Sicherheitslage im Inneren und der Anti-Terrorkampf bleiben trotz vermehrter Anstrengungen und zahlreichen Verhaftungs- und Durchsuchungsaktionen weiter eine Herausforderung. Nach den tragischen Anschlägen im Jahr 2015 auf das Bardo Museum, eine Hotelanlage in Sousse sowie einen Bus der Präsidialgarde blieben der Großraum Tunis sowie touristische Anlagen von gezielten Terroranschlägen verschont. Dies mag auch an dem intensiven und konsequenten Vorgehen der Sicherheitskräfte liegen. Dennoch wurde durch den schweren Angriff von IS-Milizen auf die tunesisch-libysche Grenzstadt Ben Guerdane im März 2016 ein neues Kapitel der Gefährdung aufgeschlagen. Hier konnten die Sicherheitskräfte, insbesondere das Militär, den Angriff durch ca. 100 vermeintliche IS-Kämpfer binnen kurzer Zeit niederschlagen. Dies zeigt, dass die Sicherheitskräfte sehr entschlossen gegen die latente und weiterhin präsente Gefährdung vorgehen (AA 2.3.2019). Am 27.6.2019 wurden in Tunis zwei Anschläge gegen die Sicherheitskräfte verübt; eine Person wurde getötet und mehrere verletzt, darunter auch Zivilpersonen (EDA 27.1.2020; vgl. BMEIA 27.1.2020).

Laut österreichischem Außenministerium gilt eine partielle Reisewarnung (Sicherheitsstufe 5) für die Saharagebiete, das Grenzgebiet zu Algerien und die westlichen Landesteile (BMEIA 14.10.2019). Reisewarnungen bestehen für die Region südlich der Orte Tozeur – Douz – Ksar Ghilane – Tataouine – Zarzis. Mit gewaltsamen Aktionen von Terrororganisationen ist zu rechnen. Das militärische Sperrgebiet an der Grenze zu Algerien in der Nähe des Berges Chaambi ist teilweise vermint und kann von den Sicherheitskräften kurzfristig ausgedehnt werden. Im Westen des Landes ist mit verstärkter Militär- und Polizeipräsenz zu rechnen; es finden bewaffnete Auseinandersetzungen mit Terroristengruppen statt (BMEIA 27.1.2020). Die Behörden haben insbesondere die Präsenz der Sicherheitskräfte im Land erhöht, vor allem in den Touristenorten (EDA 27.1.2020). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) im Rest des Landes – bis auf die Touristenzonen (BMEIA 27.1.2020).

Der nach der Attentatsserie von 2015 verhängte weiterhin andauernde Ausnahmezustand wird regelmäßig verlängert und gilt im ganzen Land (AA 27.1.2020; vgl. BMEIA 27.1.2020) und gewährt den Sicherheitsbehörden einen erweiterten Handlungsspielraum, der von der Zivilgesellschaft durchaus kritisch beobachtet wird (ÖB 11.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Dies gilt insbesondere für ein entsprechendes Gesetzesprojekt zum „Schutz der Sicherheitskräfte“ (ÖB 11.2019). Mit vermehrten Polizeikontrollen ist landesweit weiterhin zu rechnen (AA 21.10.2019). Der Notstandserlass ermächtigt die Behörden, Streiks oder Demonstrationen zu verbieten, die als Bedrohung der "öffentlichen Ordnung" gelten. Nach diesem Dekret haben die Behörden Hunderte von Tunesiern unter Hausarrest gestellt (HRW 14.1.2020).

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär, geprägt von täglichen Sicherheitsoperationen von Militär und Polizei und Meldungen über vereitelte Anschläge. Die Sorge der Infiltration aus Libyen und anderen Konfliktzonen zurückkehrenden Islamisten tunesischen Ursprungs ist groß. Auch mit Hilfe ausländischer logistischer Unterstützung wurden die Grenzkontrollen drastisch verschärft und es wird auch im Land nach Rückkehrern gefahndet (ÖB 11.2019). Neben dem IS sind weiterhin Gruppen aktiv, die Al Qaida oder anderen extremistisch-islamistischen Ideologien angehören. Beim mit Algerien seit Jahren geführten gemeinsamen Kampf gegen terroristische Gruppierungen im Grenzbereich besteht ein Pattverhältnis, das die Bewegungsfreiheit der Terrorzellen weitgehend einschränkt, aber nicht verhindert. Dennoch sind die Sicherheitskräfte auch hier bemüht, die Situation zunehmend unter Kontrolle zu bringen, wobei das Gelände den Terrorzellen gute Rückzugsmöglichkeiten bietet. Die Sicherheitslage in Libyen verfolgt die tunesische Regierung mit großer Sorge. Die Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen, einschließlich Militär, wurden daher erheblich verstärkt (AA 2.3.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 21.10.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (27.1.2020): Tunesien - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/tunesiensicherheit/219024, Zugriff 27.1.2020

-        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes, 1. Juli 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2013142/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_01.07.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 21.10.2019

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (27.1.2020): Tunesien - Reiseinformationen, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 27.1.2020

-        EDA - Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten (27.1.2020): Reisehinweise für Tunesien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/tunesien/reisehinweise-tunesien.html, Zugriff 27.1.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022764.html, Zugriff 27.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019; AA 2.3.2019). Im Allgemeinen respektiert die Regierung die richterliche Unabhängigkeit auch in der Praxis (USDOS 13.3.2019). Allerdings schreitet die Justizreform seit der Revolution nur langsam voran (FH 4.2.2019; vgl. AA 2.3.2019). Der Oberste Justizrat konnte seine Arbeit als neues Selbstverwaltungsorgan der Justiz erst aufnehmen, nachdem eine Gesetzesänderung die internen Konflikte der Richterschaft neutralisiert hatte. Als nächster Schritt soll die Konstituierung eines ordentlichen Verfassungsgerichts erfolgen; bislang wacht eine provisorische Instanz über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen vor ihrem Inkrafttreten (AA 2.3.2019; vgl. ÖB 11.2019).

Mit dem Tod des ehemaligen Präsidenten Beji Caid-Essebsi wurden das Fehlen eines Verfassungsgerichts deutlich (ÖB 11.2019; vgl. HRW 14.1.2020). Das führte zu einer fortgesetzten Anwendung repressiver Gesetze ohne die Möglichkeit, ihre Rechtmäßigkeit anzufechten (HRW 14.1.2020).

Auch weiterhin finden sich zahlreiche Richter aus der Ben-Ali-Ära auf der Richterbank und aufeinander folgende Regierungen versuchen regelmäßig, die Gerichte zu manipulieren. Mit den 2016 verabschiedeten Rechtsvorschriften wurde der Oberste Justizrat eingesetzt, der für die Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz und die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts zuständig ist. Die Ratsmitglieder wurden 2016 von Tausenden von Juristen gewählt. Das Gericht, das die Verfassungsmäßigkeit von Dekreten und Gesetzen bewerten soll, war jedoch 2018 weder eingerichtet noch formell ernannt (FH 4.2.2019).

Gesetzlich ist ein faires Verfahren vorgesehen, und die unabhängige Justiz gewährleistet dieses üblicherweise auch in der Praxis. Gemäß Angeklagten sind die gesetzlich garantierten Rechte nicht immer gewährleistet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Angeklagte haben das Recht auf einen öffentlichen Prozess sowie auf einen Anwalt, der notfalls aus öffentlichen Mitteln bereitgestellt werden muss. Sie haben das Recht, zu Zeugenaussagen Stellung zu nehmen und eigene Zeugen aufzurufen. Sie müssen in Beweismittel Einsicht nehmen können und müssen über die gegen sie erhobenen Anklagepunkte informiert werden. Des Weiteren muss ihnen ausreichend Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung gewährt werden (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006463.html, Zugriff 14.10.2019

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022764.html, Zugriff 27.1.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

-        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 14.10.2019

Sicherheitsbehörden

Dem Innenministerium untersteht die Polizei (Exekutivfunktion in Städten) und die Nationalgarde bzw. Gendarmerie (Exekutivfunktion in ländlichen Gebieten und Grenzsicherung). Zivile Behörden kontrollieren den Sicherheitsapparat, wie wohl es gemäß NGOs vereinzelt zu Misshandlungen von Häftlingen kommt (USDOS 13.3.2019; vgl. GIZ 1.2020a). Es mangelt an effektiven Strafverfolgungs- und Strafmechanismen bei Vergehen seitens der Sicherheitskräfte und diesbezügliche interne Untersuchungen sind von einem Mangel an Transparenz geprägt (USDOS 13.3.2019).

Der Sicherheitsapparat war unter dem Ben-Ali-Regime allgegenwärtig und sicherte dessen Machterhalt. Die Rolle der Sicherheitskräfte während des Umsturzes, aber teilweise auch bei gewaltsam aufgelösten Demonstrationen gegen die ersten beiden Interimsregierungen im Frühjahr 2011, vertieften den Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den Sicherheitsorganen, insbesondere der Polizei und den Sondereinheiten des Innenministeriums. Die Kluft zwischen den Behörden für Inneres und der Bevölkerung konnte auch durch die Auflösung der Geheimpolizei („police politique“), die Symbol der staatlichen Repression war, nicht wieder geschlossen werden. Die Demonstranten forderten u.a. den Austausch von führenden Mitarbeitern im Innenministerium. Diese Forderung wurde zunächst nicht im erhofften Maße umgesetzt. Erst mit einiger Verspätung zog das Innenministerium personelle Konsequenzen und Verantwortliche auf verschiedenen Ebenen wurden versetzt, entlassen oder in den Vorruhestand versetzt. Eine von allen internationalen Partnern für notwendig erachtete umfassende Reorganisation des tunesischen Innenministeriums einschließlich der nachgeordneten Behörden wurde bislang noch nicht angegangen, es wurde aber im Sommer 2015 ein internationaler Kooperationsmechanismus etabliert, der zu mehr Transparenz und Koordination der Unterstützung führte (AA 2.3.2019).

Das Militär genießt aufgrund seiner zurückhaltenden Rolle während der Revolution 2011 ein sehr hohes Ansehen in der Bevölkerung, welches bis dato anhält. Durch die derzeit starke Einbindung des Militärs in den Antiterrorkampf als auch bei der Sicherung der Grenzen (so ist z.B. der Süden Tunesiens militärische Sperrzone) ist das Militär nach wie vor wichtiger Stützpfeiler der äußeren, aber auch der inneren Sicherheit (AA 2.3.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-        GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Tunesien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 27.1.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 14.10.2019

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Vielzahl nationaler und internationaler NGOs untersucht Menschenrechtsfälle und publiziert ihre Ergebnisse ohne Restriktionen durch die Regierung. Regierungsbeamte sind üblicherweise kooperativ und reagieren auf ihre Ansichten (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 23.4.2018). Die seit der Revolution sehr aktiv gewordene Zivilgesellschaft trägt ihren Beitrag zur Anprangerung und Bekämpfung von Missständen bei und hat so schon erfolgreich zu gesetzlichen Veränderungen beigetragen, wie z.B. zur Verabschiedung eines AntiRassismusGesetzes(ÖB 11.2019). Im Juli 2018 verabschiedete das Parlament ein umstrittenes neues Gesetz, welches alle NGOs verpflichtet, sich zu registrieren. Kritiker argumentieren, dass die Gesetzgebung verfassungswidrig sei und die Registrierungspflicht dazu dienen solle, die Überwachung und Aufsicht der Zivilgesellschaft durch die Regierung zu verstärken. Eine Nichtregistrierung kann zu einem Jahr Gefängnis und einer Geldstrafe von 4.000 US-Dollar führen (FH 4.2.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 16.10.2019

-        FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Tunisia,
https://www.ecoi.net/de/dokument/2006463.html, Zugriff 14.10.2019

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

-        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 16.10.2019

Allgemeine Menschenrechtslage

Seit dem Volksaufstand und dem Beginn der Demokratisierung 2010/11 hat Tunesien deutliche Fortschritte beim Schutz der Menschenrechte gemacht (AA 18.9.2019a). Die tunesische Verfassung vom 26.1.2014 enthält umfangreiche Garantien bürgerlicher und politischer sowie wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Grundrechte. Tunesien hat die meisten Konventionen der Vereinten Nationen zum Schutz der Menschenrechte einschließlich der entsprechenden Zusatzprotokolle ratifiziert. Vereinzelt noch bestehende Vorbehalte wurden 2011 größtenteils zurückgezogen (AA 2.3.2019; vgl. AA 18.9.2019a). Eine ständige Herausforderung bleibt die Anpassung der nationalen Rechtsordnung an die neue Verfassung sowie internationale Standards. Der Kampf gegen Folter und unmenschliche Behandlung bleibt eine große Herausforderung (AA 9.2019a).

Tunesien verfügt über eine Reihe an Institutionen, die sich mit Menschenrechten befassen. Das Land schneidet allerdings auch nach dem Umbruch in den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen regelmäßig schlecht ab. Eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit, Folter von Häftlingen und Attacken gegen Oppositionelle listet der aktuelle Jahresbericht von Amnesty International auf. Seit dem Sturz Ben Alis hat sich die Situation zwar gebessert, allerdings kommt es nach wie vor zu Menschenrechtsverletzungen, so die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) (GIZ 1.2020a).

Im Vergleich zu den weitreichenden Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit vor der Revolution 2011 haben sich die Bedingungen für unabhängige Medienberichterstattung in den letzten Jahren grundlegend verbessert. Sowohl wurden wichtige rechtliche Grundlagen zum Schutz der freien Presse geschaffen, als auch die offiziellen und informellen Strukturen, die zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung eingesetzt wurden, größtenteils abgeschafft. Die Meinungs- und Pressefreiheit, sowie auch das Recht auf Zugang zu Informationen und Kommunikationsnetzwerken wurden in den Artikeln 31 und 32 der Verfassung von 2014 ausdrücklich gestärkt. Die Medien berichten frei und offen in unterschiedlicher Qualität (AA 2.3.2019). Der Ausnahmezustand wird zur Rechtfertigung willkürlicher Einschränkungen der Bewegungsfreiheit verwendet (AI 26.2.2019).

Die Öffnung der Medienszene hat in den letzten Jahren zum Entstehen einer lebendigen, teilweise wildwüchsigen Medienlandschaft geführt, die Missstände offen thematisiert (AA 2.3.2019). Gesetzlich sind Meinungs- und Pressefreiheit somit gewährleistet und die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen, wie wohl es weiterhin Restriktionen gibt (USDOS 13.3.2019). Diese Restriktionen finden sich z. B. in Bezug auf sicherheitsrelevante Themen. Seit den Ausweitungen der Antiterrormaßnahmen hat sich diese Tendenz verstärkt. Journalisten und Blogger, die Kritik an Sicherheitskräften üben, müssen weiterhin mit Strafen rechnen. Ebenso existieren weiterhin Einschränkungen bei der Kritik an der Religion. Rechtlich verankert ist dies u.a. in Artikel 6 der Verfassung, der den „Schutz des Sakralen“ garantiert. Es kommt immer wieder zu einzelnen Fällen von fragwürdiger Strafverfolgung von Journalisten und freischaffenden Bloggern. Entsprechende Verfahren gegen Zivilisten werden oft von Militärgerichten geführt – eine Praxis, die von tunesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen scharf kritisiert wird (AA 2.3.2019). Während Online- und Printmedien häufig regierungskritische Artikel veröffentlichen, üben Journalisten und Aktivisten dennoch zeitweise Selbstzensur als Resultat von Gewaltakten gegen Journalisten. Meinungsäußerungen, die „die öffentliche Ordnung oder Moral verletzen“ oder „absichtlich Personen stören, auf eine Art und Weise, die den öffentlichen Anstand beleidigen“ stehen weiterhin unter Strafe (USDOS 13.3.2019).

Die Verfassung garantiert das Recht auf friedliche Versammlungen und Demonstrationen (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Zu Einschränkungen kommt es mehrfach aufgrund des weiterhin gültigen Ausnahmezustands. Die Übergänge zwischen legitimen Protesten gegen die Wirtschafts- und Sozialpolitik einerseits und periodisch auftretenden gewaltsamen Ausschreitungen und Plünderungen andererseits sind oft fließend. Grundsätzlich ist jedoch festzustellen, dass die Sicherheitsorgane friedliche Versammlungen und Demonstrationen in der Regel zuverlässig schützen, aber bei Rechtsverletzungen auch entsprechend robust auftreten. Nur vereinzelt kommt es dabei zu unverhältnismäßigem Einsatz polizeilicher Mittel (AA 2.3.2019).

Vereinigungsfreiheit ist gesetzlich gewährleistet (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Zuge der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche wird derzeit eine Reform des Vereinsrechts vorbereitet, die von der tunesischen Zivilgesellschaft sehr kritisch beobachtet wird, hinsichtlich ihrer abschließenden Gestalt aber noch nicht beurteilt werden kann (AA 2.3.2019).

Die primäre Behörde der Regierung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und zum Kampf gegen Bedrohungen der Menschenrechte ist das Justizministerium. Das Ministerium versagt allerdings dabei, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. Innerhalb des Präsidentenbüros ist der Hohe Ausschuss für Menschenrechte und Grundfreiheiten eine von der Regierung finanzierte Agentur, die mit der Überwachung der Menschenrechte und der Beratung des Präsidenten betraut ist. Das Ministerium für die Beziehungen zu den Verfassungsorganen, der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten ist für die Koordinierung der Regierungsaktivitäten im Zusammenhang mit den Menschenrechten zuständig. Die Wahrheits- und Würdekommission (IVD) wurde 2014 gegründet, um schwere Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (18.9.2019): Tunesien: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219068, Zugriff 16.10.2019

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 14.10.2019

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human Rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 – Tunisia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003691/MDE3098892019ENGLISH.pdf, Zugriff 16.10.2019

-        GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Tunesien, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/tunesien/geschichte-staat/, Zugriff 27.1.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 14.10.2019

Religionsfreiheit

Tunesien ist zu weiten Teilen muslimisch. 98-99% der Bevölkerung sind Muslime – mehr oder weniger praktizierend. Die meisten sind Sunniten. Neben Muslimen leben in Tunesien rund 25.000 Christen (zum Großteil Katholiken), wobei die Gemeinden zum Großteil aus ausländischen Bürgern bestehen. 1.500 Juden leben in Tunesien, die meisten im Großraum Tunis und auf der Insel Djerba, wo sich auch mit der La Ghriba-Synagoge eine wichtige Pilgerstätte für Juden aus aller Welt befindet. Sie gilt als die älteste erhaltene Synagoge in Nordafrika (GIZ1.2020b; vgl. AA 2.3.2019). Des Weiteren gibt es noch Schiiten und Baha’is (USDOS 21.6.2019).

Der Islam ist offizielle Religion Tunesiens und der Staatspräsident muss laut Verfassung Muslim sein (GIZ 1.2020b; vgl. USDOS 21.6.2019). Allerdings ist die freie Religionsausübung in der Verfassung garantiert (GIZ 1.2020b; vgl. AA 2.3.2019); Religions- und Weltanschauungsfreiheit wird in Tunesien mit gewissen Einschränkungen gewährt (AA 2.3.2019). Die Verfassung reflektiert das herrschende Gleichgewicht zwischen religiösem und säkularem Lager in der Gesellschaft und Politik: Der Islam ist als Religion des Landes anerkannt, aber die islamische Scharia wurde nicht in der Verfassung verankert. Ein ziviler Staat ist die Grundlage der Verfassung, in der ausdrücklich auf die universellen Menschenrechte Bezug genommen wird (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Die verschiedenen religiösen Gemeinschaften leben in der Regel friedlich zusammen (GIZ 1.2020b).

Bis zur Revolution im Jänner 2011 konnte der Islam über die Befolgung der grundlegenden muslimischen Riten hinaus kaum gesellschaftliche und politische Aktivitäten entfalten. Außerhalb der Gebetszeiten blieben die Moscheen geschlossen. Zudem wurden die Freitagspredigten sowie alle religiösen Gemeinschaften vom Staat überwacht. Mit der Revolution ist der Islam im gesellschaftlichen und politischen Leben des Landes allmählich immer sichtbarer geworden. Das Religionsministerium hat nach eigenen Angaben die Kontrolle über annähernd alle Moscheen des Landes gewonnen und radikalen Imamen Predigtverbot erteilt bzw. diese Prediger abgesetzt. Allerdings hat lediglich eine geringe Anzahl der derzeit an tunesischen Moscheen eingesetzten Imame eine theologische Ausbildung. Die Regierung plant daher nach der Rückgewinnung der Moscheen nun den Fokus auf die Förderung der Imam-Ausbildung zu legen, um sicherzustellen, dass ein zeitgemäßes, umfassendes Islambild in den Moscheen vermittelt wird (AA 2.3.2019).

Es ist rechtlich möglich, vom Islam zum Christentum zu konvertieren. Missionierung und das Verteilen religiösen Materials sind der katholischen Kirche jedoch verboten (AA 2.3.2019). Es gibt erheblichen gesellschaftlichen Druck gegen die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion (USDOS 21.6.2019). Tunesische Konvertiten (einige Hundert im Land) werden innerhalb ihres sozialen und familiären Umfelds zwar zunächst häufig geächtet, mittelfristig aber gesellschaftlich wieder akzeptiert und integriert (AA 2.3.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 17.10.2019

-        GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Tunesien, Gesellschaft, https://www.liportal.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 27.1.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: Tunisia, https://www.state.gov/reports/2018-report-on-international-religious-freedom/tunisia/, Zugriff 17.10.2019

Ethnische Minderheiten

Die Bevölkerung besteht zu 98% aus Arabern, 1% Europäern und 1% Juden und anderen (CIA 6.1.2020).

Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung oder Verwaltungspraxis gibt es in Tunesien nicht (AA 2.3.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Schwarze Tunesier sowie Flüchtlinge und Migranten aus Subsahara-Afrika unterliegen in Einzelfällen gesellschaftlicher Diskriminierung, jedoch keiner gesetzlichen Ausgrenzung oder systematischen staatlichen Verfolgung. Ein 2018 in Kraft getretenes Gesetz stellt jegliche Formen rassischer Diskriminierung durch Privat- oder Amtspersonen unter Strafe (AA 2.3.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 17.10.2019

-        CIA - Central Intelligence Agency (6.1.2020): The World Factbook - Tunisia, https://www.cia.gov/library/publications/resources/the-world-factbook/geos/ts.html, Zugriff 27.1.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 17.10.2019

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz gewährleistet Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019), Emigration sowie Wiedereinbürgerung und die Regierung respektiert im Allgemeinen diese Rechte in der Praxis (USDOS 13.3.2019). Die Situation bezüglich Bewegungsfreiheit hat sich seit 2011 substantiell verbessert. Allerdings können die Behörden unter dem breiten Mandat des Ausnahmezustands die Bewegungsfreiheit einzelner Personen beschränken. Davon waren tausende Menschen betroffen (FH 4.2.2019).

Einer Flucht innerhalb Tunesiens werden durch die geringe Größe des Landes enge Grenzen gesetzt. Ein Verlassen besonders gefährdeter Gebiete in den Grenzregionen ist grundsätzlich möglich (AA 2.3.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.3.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Tunesien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2005230/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Januar_2019%29%2C_02.03.2019.pdf, Zugriff 18.10.2019

-        FH - Freedom House(4.2.2019): Freedom in the World 2019 – Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006463.html, Zugriff 18.10.2019

-        USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Tunisia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004225.html, Zugriff 18.10.2019

Grundversorgung und Wirtschaft

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 2.3.2019). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte (AA 6.5.2019b) und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor") (GIZ 1.2020c). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 6.5.2019b; vgl. GIZ 1.2020c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 1.2020c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 9.2019c).

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (AA 6.5.2019; vgl. GIZ 9.2019c) und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 6.5.2019b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16%, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 6.5.2019b; vgl. GIZ 1.2020c, ÖB 11.2019).

Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 6.5.2019b). Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen (AA 2.3.2019).

Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 1.2020c). Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 11.2019).

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 1.2020b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 11.2019).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den trad

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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