TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/10 I414 2233047-1

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Veröffentlicht am 10.09.2020
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Entscheidungsdatum

10.09.2020

Norm

AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I414 2233048-1/8E
I414 2233046-1/8E
I414 2233047-1/9E
I414 2233045-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX, geb. am XXXX, XXXX, geb. am XXXX, XXXX, geb. am XXXX und XXXX, geb. am XXXX, alle StA. Serbien, alle vertreten durch ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 08.06.2020, Zl. XXXX, Zl. XXXX, Zl. XXXX und Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.09.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. werden als unbegründet abgewiesen, mit der Maßgabe, dass die Spruchpunkte IV. zu lauten haben:

"Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, jedoch jedenfalls bis acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes der XXXX."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Die Verfahren des am XXXX geborenen Erstbeschwerdeführers (kurz BF1), seiner am XXXX geborenen Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin, kurz BF2) und deren minderjährigen Kindern, dem am XXXX geborenen Drittbeschwerdeführer (kurz BF3) und der am XXXX geborenen Viertbeschwerdeführerin (kurz BF4) werden gemäß § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführer wurden am 27.08.2019 einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen. Da sie dabei keine Aufenthaltsberechtigung vorweisen konnten, wurden ihre serbischen Reisepässe sichergestellt und eine Verwaltungsübertretung (Überschreitung der sichtvermerksfreien Zeit) zur Anzeige gebracht.

Am 10.09.2019 erstatteten die Beschwerdeführer durch ihre damalige Rechtsvertreterin jeweils eine schriftliche Stellungnahme, in welcher auf den Aufenthalt des BF1 im Bundesgebiet seit 1988, die familiären Bindungen zur Mutter des BF1, einer in Österreich lebenden österreichischen Staatsbürgerin, sowie auf die maßgebliche Integration der BF3 und BF4 in Österreich in schulischer und privater Hinsicht verwiesen wurde. Die BF beantragten die Abstandnahme von der Erteilung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus den Gründen des Art 8 EMRK sowie in eventu die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen.

Am 14.11.2019 wurden die BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF1 an, erstmals 1988 nach Österreich eingereist zu sein. Im Jahr 1999 sei gegen ihn ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot verhängt worden und er im Jahr 2000 nach Serbien abgeschoben worden. Das Aufenthaltsverbot sei 2005 aufgehoben worden und er nach einem einjährigen Aufenthalt in der Slowakei 2009 nach Österreich zurückgekehrt. Er habe geglaubt, sein ursprünglicher unbefristeter Aufenthaltstitel sei nach wie vor gültig, dies sei ihm auch vom Magistrat bestätigt worden. Erst seit 2017 wisse er, dass der Titel ex lege ungültig wurde. Die BF2 gab an, sich ebenfalls seit 2009 mit den Kindern in Österreich aufzuhalten, jedoch immer nach 90 Tagen nach Serbien zurückgekehrt zu sein. In Serbien würden ihre Mutter, zwei Brüder und zahlreiche weiterer Verwandte leben, in Österreich bestünden familiäre Bindungen zur Mutter des BF1, bei welcher die Familie auch wohnhaft sei.

Am 19.11.2019 stellten die Beschwerdeführer erneut jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 55 AsylG.

Mit den im Spruch genannten Bescheiden vom 08.06.2020 wies die belangte Behörde die Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK vom 19.11.2019 gemäß § 55 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erließ gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ob des langjährigen illegalen Aufenthaltes das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich überwiegen würde.

Mit Verfahrensanordnung vom 08.06.2020 wurde den Beschwerdeführern die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberatung für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Mit Schriftsatz vom 06.07.2020 erhoben die Beschwerdeführer durch ihre rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde gegen die oben angeführten Bescheide. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer in Österreich nur unzureichend berücksichtigt habe, die Familie in Österreich bestens integriert sei und daher von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Es werde daher beantragt, die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und den BF Aufenthaltstitel aus Gründen des Art 8 EMRK zu erteilen, in eventu die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.

Mit Beschwerdevorlage vom 14.07.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 16.07.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden samt zugehörigen Verwaltungsakten vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.09.2020 in Anwesenheit der Beschwerdeführer sowie deren Rechtsvertreterin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei wurden die Beschwerdeführer zu ihren familiären und privaten Verhältnissen im Bundesgebiet und in Serbien befragt. Die BF2 informierte das Gericht dabei darüber, im sechsten Monat schwanger zu sein. Diesbezüglich wurde eine Bestätigung einer Fachärztin für Frauenheilkunde vorgelegt, aus welcher als errechneter Geburtstermin der 24.11.2020 hervorgeht. Am Schluss der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde das Ermittlungsverfahren vom erkennenden Richter gemäß § 39 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG für geschlossen erklärt. Die BF verzichteten auf eine mündliche Verkündung des Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der im Verfahrensgang dargestellte Sachverhalt wird als erwiesen festgestellt. Zudem werden nachfolgende weitere Feststellungen getroffen:

Zur Person der Beschwerdeführer:

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um serbische Staatsangehörige und somit um Drittstaatsangehörige gemäß § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Ihre Identität steht fest.

Der BF1 ist der Ehemann der BF2. Aus der Ehe entstammen der minderjährige BF3 und die minderjährige BF4. Die BF sind gesund und arbeitsfähig.

Der BF1 reiste erstmals 1988 nach Österreich ein und hielt sich in Folge aufgrund eines ihm erteilten unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Nach einer strafgerichtlichen Verurteilung wurde 1998 gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen und er am 18.04.2000 nach Serbien abgeschoben. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28.12.2005 wurde das Aufenthaltsverbot aufgehoben. Nachdem er sich zunächst aufgrund eines ihm dort erteilten Aufenthaltstitels für rund ein Jahr in der Slowakei aufhielt, kehrte er 2009 nach Österreich zurück, wo er unter Umgehung der fremdenrechtlichen Bestimmungen verblieb und erst am 29.06.2011 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung stellte. Dieser wurde mit Bescheid vom 13.01.2012 rechtskräftig zurückgewiesen. Der BF1 kam seiner Ausreiseverpflichtung in der Folge nicht nach, verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet und trat erst wieder in Erscheinung, als er im August 2016 in der österreichischen Botschaft in Serbien für die BF3 und BF4 einen österreichischen Aufenthaltstitel beantragte. Zu diesem Zeitpunkt war der BF1 ohne gültigen Aufenthaltstitel und ohne gültige Beschäftigungsbewilligung bei der Fa. Rohrer Beteiligungs- und Verwaltungs GmbH beschäftigt und war er auch in vollem Bewusstsein der Unrechtmäßigkeit seines Aufenthaltes.

Die BF2 reiste von 2009 bis 2019 ständig zwischen Serbien und Österreich, wobei sie die visumsfreie Zeit von 90 Tagen nie überschritt. Seit 19.11.2019 hält sie sich durchgehend unrechtmäßig in Österreich auf. Die minderjährigen BF3 und BF4 halten sich ebenso wie der BF1 seit 2009 durchgehend im Bundesgebiet auf, ohne über einen Aufenthaltstitel oder eine Niederlassungsbewilligung zu verfügen.

Der BF1 hat in Österreich die Pflichtschule absolviert und war zuletzt als angelernter Arbeiter ohne dementsprechende Bewilligung bis 2016 beschäftigt. Seither ist der BF1 nicht erwerbstätig und verfügt über keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes. Er spricht Serbisch auf Muttersprachniveau sowie qualifiziert Deutsch, ist in Österreich integrativ verfestigt und verfügt für den Fall eines Verbleibs im Bundesgebiet über einen aufschiebend bedingten Arbeitsvertrag.

Die BF2 war in Österreich nie erwerbstätig und verfügt über keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes. Sie spricht Serbisch auf Muttersprachniveau sowie sinnerfassend Deutsch. Sie ist derzeit schwanger, als Geburtstermin wurde der 24.11.2020 errechnet.

Der BF3 hält sich seit seinem vierten Lebensjahr durchgehend in Österreich auf. Er hat die Volks- und Mittelschule absolviert und ist für das Schuljahr 2020/2021 in den ersten Jahrgang einer Höheren Technischen Bundeslehranstalt aufgenommen. Er ist in Österreich integrativ verfestigt, spricht qualifiziert Deutsch und versteht die serbische Sprache.

Die BF4 hält sich seit ihrem sechsten Lebensjahr durchgehend in Österreich auf. Sie hat die Volks- und Mittelschule absolviert und den ersten Jahrgang einer Höheren Bundeslehranstalt für Mode und wirtschaftliche Berufe mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen. Im Schuljahr 2020/2021 besucht sie den zweiten Jahrgang selbiger Lehranstalt. Sie ist in Österreich integrativ verfestigt, spricht qualifiziert Deutsch und versteht die serbische Sprache.

Die BF leben in Österreich mit der Mutter des BF1, einer österreichischen Staatsbürgerin, im gemeinsamen Haushalt. Sie werden von dieser finanziell unterstützt und besteht auch sonst ein vertieftes familiäres Verhältnis jedoch kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Die Mutter des BF1 leidet an Zuckerkrankheit sowie an einer Krebserkrankung, bedarf jedoch keiner Unterstützung durch die BF.

In Serbien bestehen familiäre Anknüpfungspunkte in Form der Mutter der BF2 sowie zu zahlreichen weiteren Verwandten. Insbesondere zur Mutter der BF2 besteht ein intensiver Kontakt, welcher schon dadurch gekennzeichnet ist, dass die BF ihren Urlaub jedes Jahr bei dieser verbringen und auch sonst regelmäßige Besuche stattfinden.

Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zur Lage in Serbien:

Serbien ist ein sicherer Herkunftsstaat iSd HStV.

Grundversorgung / Wirtschaft:

Die Stärkung der serbischen Wirtschaft ist seit Jahren eines der innenpolitischen Hauptthemen. Als EU-Beitrittskandidat strebt Serbien nach Anpassung an die EU-Standards. Die Wirtschaftszahlen zeigen große Erfolge bei der Haushaltskonsolidierung sowie eine leichte Besserung mit Blick auf die allgemeine Wirtschaftsentwicklung (AA 2.5.2019c).

Trotz erheblicher Reformanstrengungen und dem grundsätzlichen Umbau einer verstaatlichten, reglementierten und von starken Einbrüchen geprägten zu einer modernen Marktwirtschaft sieht sich Serbien auch nach einem Jahrzehnt grundlegenden Strukturproblemen gegenüber, welche die wirtschaftliche und Haushaltsstabilität bedrohen (LIPortal Wirtschaft & Entwicklung 9.2019).

Im Jahr 2019 lag die Arbeitslosenquote in Serbien bei rund 10,9%. Für das Jahr 2021 wird die Arbeitslosenquote in Serbien auf rund 13% prognostiziert. Die Jugendarbeitslosenquote (bei 14 bis 24-jährigen) wird bei rund 32,05% geschätzt. Im Jahr 2018 betrug das Bruttoinlandsprodukt in Serbien rund 50,5 Milliarden US-Dollar. Für das Jahr 2024 wird das BIP Serbiens auf rund 75,2 Milliarden US-Dollar prognostiziert. Im Jahr 2018 betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Serbien rund 7.223 US-Dollar. Im Jahr 2019 belief sich die durchschnittliche Inflationsrate in Serbien auf rund 2% gegenüber dem Vorjahr (Statista 24.4.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.5.2019c): Serbien: Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/serbien-node/wirtschaft/207504, Zugriff 3.10.2019

-        LIPortal - Das Länder-Informations-Portal (9.2019): Serbien, Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/serbien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 3.10.2019

-        Statista - deutsches Online-Portal für Statistik (24.4.2020): Serbien, Arbeitslosenquote in Serbien bis 2018, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/368629/umfrage/bruttoinlandsprodukt-bip-pro-kopf-in-serbien/, Zugriff 5.6.2020

Rückkehr:

Seit dem 22. Mai 2020 ist eine Ein- und Durchreise nach und durch Serbien wieder ohne jede Einschränkung möglich. Reisende erhalten an der Grenze ein zweisprachiges Informationsblatt über die zu beachtenden Maßnahmen (AA 3.6.2020).

Durch das StarthilfePlus - Level D Programm, bietet IOM Serbien konkrete Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrenden an. Außerdem stellt das DIMAK Beratungszentrum (Deutsches Informationszentrum für Migration, Ausbildung und Karriere in Serbien) durch sein “Build Your Future”-Programm immaterielle Unterstützung bei der Reintegration zur Verfügung. Das Programm klärt darüber auf, welche Möglichkeiten es für die Betroffenen in Serbien gibt (inklusive Weiterbildungsmöglichkeiten) und unterstützt bei der Jobbewerbung. Zusätzlich organisiert DIMAK in Zusammenarbeit mit Firmen, die neues Personal suchen, regelmäßig Berufsmessen in Serbien. Nach der Rückkehr sollte die rückkehrende Person sich bei relevanten Behörden und Stellen (wieder) anmelden; dazu ist unbedingt der Personalausweis erforderlich - dieser kann, falls nötig, bei einer lokalen Polizeistelle beantragt werden; sich für die (staatliche) Krankenversicherung/Rentenversicherung anmelden; Sozialhilfe beantragen; Stellen kontaktieren, die bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützen; die Anmeldung bei Kinderbetreuung, Schule und weitere Bildungsinstitutionen in die Wege leiten (IOM 2019).

Serbische Staatsangehörige, die zurückgeführt wurden, können nach ihrer Ankunft unbehelligt in ihre Heimatstädte fahren. Eine Befragung durch die Polizei u.ä. findet nicht statt, sofern nicht in Serbien aus anderen Gründen Strafverfahren anhängig sind. Sanktionen wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland gibt es weder de iure noch de facto. Als erste Anlaufstelle für Rückkehrer dient ein Wiederaufnahmezentrum für Rückgeführte am Flughafen Belgrad, das eine Informationsbroschüre auf Deutsch, Serbisch und Romanes bereithält, die u.a. Fragen zur Registrierung und den dafür erforderlichen Unterlagen sowie Kontakttelefonnummern enthält (AA 3.11.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (3.6.2020): Serbien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/serbien-node/serbiensicherheit/207502, Zugriff 3.6.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (3.11.2019): Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Serbien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29 a AsylG (Stand: August 2019), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/683266/684671/10074631/10075491/10075545/21601316/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_im_Hinblick_auf_die_Einstufung_der_Republik_Serbien_als_sicheres_Herkunftsland_im_Sinne_des_%C2%A7_29_a_AsylVfG_%28Stand_August_2019%29%2C_03%2E11.2019.pdf?nodeid=21601317&vernum=-2, Zugriff 13.5.2020

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (26.5.2020): AVRR (Assisted Voluntary Return and Reintegration) Information, Flugeinschränkungen und COVID-19 spezifische Einreisebestimmungen (Stand: 26.5.2020), Auskunft von IOM, per E-Mail

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (2019 - geändert 19.3.2020): Länderinformationsblatt Serbien 2019, https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/772192/18363839/Serbien_%2D_Country_Fact_Sheet_2019%2C_deutsch.pdf?nodeid=21859810&vernum=-2, Zugriff 13.5.2020

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Am 25.02.2020 wird das Coronavirus in Österreich registriert. In Serbien gibt es mit Stand 08.09.2020 31.905 bestätigte Infektionen und 724 Todesfälle. Im Vergleich gibt es in Österreich derzeit (Stand 08.09.2020) 29,308 bestätigte Infektionen und 736 Todesfälle.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Quellen:

-        https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html [08.09.2020]

-        https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ [08.09.2020]

-        https://covid19.who.int/ [08.09.2020]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die Akten der belangten Behörde, die bekämpften Bescheide und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Serbien. Zudem konnte im vorliegenden Beschwerdefall auf die Ermittlungsergebnisse im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 04.09.2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht, insbesondere auf die Einvernahmen der Beschwerdeführer, zurückgegriffen werden. Auskünfte aus dem Strafregister und dem Zentralen Melderegister (ZMR) wurden ergänzend eingeholt.

Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt. So konnten bei einer fremdenrechtlichen Kontrolle am 27.08.2019 die Reisepässe sichergestellt werden, sodass die Identitäten zweifelsfrei feststehen.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der BF ergeben sich aus den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 04.09.2020 (Verhandlungsprotokoll, S. 4).

Die Feststellung zum durchgehenden Aufenthalt der BF1, BF3 und BF4 seit 2009 und die Feststellung, wonach die BF2 seit 2009 zwischen Serbien und Österreich reiste und erst seit 2019 durchgehend im Bundegebiet aufhältig ist beruht auf den glaubhaften Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung und den damit übereinstimmenden Auszügen aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zum erstmaligen Aufenthalt des BF1 im Bundesgebiet von 1988 bis 2000, zur strafgerichtlichen Verurteilung und dem daraufhin erlassenen Aufenthaltsverbot, zur Abschiebung nach Serbien, zum Aufenthalt in der Slowakei und zur Wiedereinreise nach Österreich ergeben sich aus dem unbedenklichen Akteninhalt. Auch der BF1 bestätigte diesen Verlauf der Aufenthalte in der mündlichen Verhandlung (Verhandlungsprotokoll, S. 5 f).

Dass sich der BF1 der Unrechtmäßigkeit seines Aufenthaltes bewusst war ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben in der Verhandlung (Verhandlungsprotokoll, S. 7: „Es ist illegal was wir gemacht haben, aber in Österreich ist ein besseres Leben.“). Bei der im Beschwerdeschriftsatz gemachten Behauptung, dem BF1 sei nicht bewusst gewesen, dass er seinen Daueraufenthalt verloren habe, handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung. Es ist nämlich in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar warum der BF1 in dem Glauben, zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig aufhältig zu sein, zunächst am 29.06.2011 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung stellte (rechtskräftig zurückgewiesen am 13.01.2012) und in den darauffolgenden Jahren regelmäßig in der österreichischen Botschaft in Belgrad versuchte, Aufenthaltstitel für die Familie zu erwirken und diese Anträge regelmäßig abgewiesen wurden (Verhandlungsprotokoll, S. 7).

Die Feststellung zur Schulbildung und Beschäftigung des BF1 beruht auf dem unbedenklichen Akteninhalt, seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie auf dem vorgelegten Arbeitsvorvertrag (AS 342).

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen der BF beruhen auf deren Angaben in der mündlichen Verhandlung am 04.09.2020 sowie auf dem Eindruck des erkennenden Richters und dem Umstand, dass die BF1, BF3 und BF4 nicht und die BF2 nur stellenweise auf die Übersetzungen der Dolmetscherin angewiesen waren.

Die Feststellung zur Schwangerschaft der BF2 ergibt sich aus der vorgelegten Bestätigung einer Fachärztin für Frauenheilkunde vom 06.08.2020.

Die Feststellungen zur schulischen Laufbahn der BF3 und BF4 beruhen auf deren Angaben in der mündlichen Verhandlung und auf den vorgelegten Zeugnissen und Schulnachrichten (AS 396 ff).

Die Feststellungen zur vertieften Integration der BF in Österreich beruhen auf deren Angaben in der mündlichen Verhandlung, auf dem Umstand des langjährigen Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet und sind sie zudem unstrittig.

Die Feststellung, wonach die BF in Österreich nicht erwerbstätig sind und über keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes verfügen, ergibt sich aus der Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zum intensiven Familienleben mit der Mutter des BF1 in Österreich ergeben sich ebenso aus den übereinstimmenden Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung, aus dem Umstand des Bestehens eines gemeinsamen Haushaltes sowie dadurch, dass die Mutter des BF1 über die vergangenen elf Jahre die BF3 und BF4 immer dann betreute, wenn die BF2 in Serbien aufhältig war. Dass die Mutter des BF1 zwar an Erkrankungen leidet, jedoch nicht pflegebedürftig ist, wurde vom BF1 in der mündlichen Verhandlung angegeben (Verhandlungsprotokoll, S. 8).

Die Feststellung zu den bestehenden familiären Bindungen der BF in Serbien beruhen auf dem unbedenklichen Akteninhalt, den Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung sowie auf dem Umstand, dass die BF regelmäßig bei der Mutter der BF2 in Serbien ihren Urlaub verbringen.

Die Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus den eingeholten Auszügen aus dem Strafregister.

2.3. Zur Lage in Serbien:

Serbien ist ein sicherer Herkunftsstaat iSd Herkunftsstaaten-Verordnung (§ 1 Z 6).

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Serbien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln und wurden die dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte von den Beschwerdeführern im Zuge der Beschwerde nicht beanstandet.

Am 04.09.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt. Gemeinsam mit der Ladung wurde den Beschwerdeführern das aktuelle Länderinformationsblatt für Serbien übermittelt. In der mündlichen Verhandlung wurde vom erkennenden Richter das Länderinformationsblatt erörtert. Dazu gab der BF1 an, dass es in Serbien keine Mittelschicht, sondern nur arme und reiche Leute gibt.

Aufgrund des Umstandes, dass die gesunden Beschwerdeführer zu keiner Risikogruppe gehören und dass ganz Europa bzw. die Welt von der Pandemie betroffen ist, kann von keiner besonderen Gefährdung der Beschwerdeführer in Serbien im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie ausgegangen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden

3.1. Zum Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK, zur Erlassung der Rückkehrentscheidung sowie zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkte I. bis III. der angefochtenen Bescheide):

3.1.1. Rechtslage:

§ 55 AsylG lautet auszugsweise:

(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.

§ 9 BFA-VG lautet auszugsweise:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 50 FPG lautet auszugsweise:

(1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

(4) ...

§ 52 FPG lautet auszugsweise:

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Die Beschwerdeführer haben die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 aus Gründen des Art 8 EMRK beantragt. Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechtes auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikels 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR, des VfGH und des VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Gefordert ist eine Prüfung der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs, letztere beinhaltet eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen.

Im gegenständlichen Fall verfügen die Beschwerdeführer im Bundesgebiet jedenfalls über ein maßgebliches Familienleben, sowohl zueinander, als auch zur Mutter des BF1, einer österreichischen Staatsangehörigen. Zudem ist durch den langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet auch das Privatleben der BF wesentlich ausgeprägt. Im Hinblick auf die lange Dauer des Aufenthaltes von rund elf Jahren ist jedoch herauszustreichen, dass dieser über die gesamte Dauer (bzw. im Falle der BF2 seit 2019) unrechtmäßig war, sich die BF dieser Unrechtmäßigkeit bewusst waren und das in diesem Zeitraum entstandene Privatleben deshalb deutlich an Gewicht verliert.

Der VwGH hat in einer jüngeren Entscheidung ausgesprochen, dass es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht, dass bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend einbezogen werden muss, dass er sich (nach Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz in erster Instanz) seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 13.11.2018, Ra 2018/21/0205, vgl. auch VwGH 15.03.2018). Wenn die integrativen Merkmale also schon im Falle eines unsicheren Aufenthaltes eine gewichtige Minderung erfahren, ist es nur schlüssig, dass dies umso mehr für einen Fall – wie den gegenständlichen – gilt, in welchem sich die BF der Unrechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes bewusst waren und keine Unsicherheit diesbezüglich vorliegt.

Der VwGH führt in derselben Entscheidung weiter aus, dass wenngleich minderjährigen Kindern dieser Vorwurf nicht zu machen ist, das Bewusstsein der Eltern über die Unsicherheit ihres Aufenthaltes nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch auf die Kinder durchschlagen muss (vgl. etwa VwGH 29.02.2012, 2009/21/0251), wobei diesem Umstand allerdings bei ihnen im Rahmen der Gesamtabwägung im Vergleich zu anderen Kriterien weniger Gewicht zukommt. Diesbezüglich gilt gleichermaßen, dass wenn die Unsicherheit des Aufenthaltes bereits durchschlängt, dies umso mehr auch für die Sicherheit der Unrechtmäßigkeit gelten muss.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind im Rahmen der Abwägung gemäß § 9 BFA-VG bei einer Rückkehrentscheidung, von der Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, "die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder", insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. unter Bezugnahme auf Judikatur des EGMR etwa VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0070 bis 0072, Rn. 28, und daran anschließend VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0333 bis 0335, Rn. 13).

Der BF1 und die BF2 verfügen über starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo sie einen Teil ihres Lebens verbracht haben, sozialisiert wurden, die Landessprache muttersprachlich beherrschen und verwandtschaftliche Verhältnisse haben. Demgegenüber wohnt ihrem Aufenthalt in Österreich ob der elfjährigen Dauer zwar ein gewisses Gewicht inne, es ist dieses jedoch durch die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes wesentlich gemindert. Auch ist insbesondere vor dem Hintergrund der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes relativierend festzuhalten, dass die Beschwerdeführer für den Zeitraum ihres Aufenthaltes zwar gewisse, jedoch nicht solch außergewöhnliche Integrationsleistungen erbracht haben, die in Anbetracht der Zeit ihres Aufenthalts im Bundesgebiet für ihren Verbleib in Österreich ausschlagen würden.

In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 06.11.2009, Zl.2008/18/0720 sowie vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029).

Der BF3 und die BF4 sind in Serbien geboren und seit ihrem vierten bzw. sechsten Lebensjahr, nunmehr elf Jahre in Österreich durchgehend aufhältig. Es wird nicht verkannt, dass beide gute Schulleistungen erbringen und in Österreich bestens integriert sind. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund des mit einer hohen Anpassungsfähigkeit verbundenen Alters der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer nicht davon ausgegangen werden kann, dass ihre Rückkehr zu ihrem Leben im Herkunftsstaat für sie mit unzumutbaren Härten verbunden wäre, zumal beide mit den kulturellen und sprachlichen Gegebenheiten in Serbien vertraut sind und gemeinsam mit ihren Eltern dorthin zurückkehren. Sie sind der serbischen Sprache mächtig, waren in den vergangenen Jahren regelmäßig während der Sommermonate in Serbien aufhältig und werden – auch aufgrund der in Österreich erlangten Schulbildung – in der Lage sein, sich in Serbien eine Zukunft aufzubauen. Auf lange Sicht gesehen ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr mit unüberwindbaren Schwierigkeiten konfrontiert wären.

Allfällige ins Treffen geführte ungünstigere Entwicklungsbedingungen im Ausland begründen nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes für sich allein noch keine Gefährdung des Kindeswohls, vor allem dann, wenn die Familie von dort stammt. Zudem gehören die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes (OGH, 08.07.2003, 4Ob 146/03d).

Aufgrund der gemeinsamen Rückkehr der Familienmitglieder wird das Familienleben der Kernfamilie untereinander nicht belastet. Zum Familienleben mit der Mutter des BF1 in Österreich ist auszuführen, dass zwar zweifellos eine enge Verbindung besteht, jedoch keine besondere Abhängigkeit und dass in den gegenständlichen Bescheiden kein Einreiseverbot ausgesprochen wurde und somit für die BF die Möglichkeit besteht, den Kontakt über jederzeitige wechselseitige Besuche (im Rahmen von höchstens 90 Tagen pro Aufenthalt) aufrecht zu erhalten.

Den zweifellos stark ausgeprägten privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass Fremde nicht für die Dauer von über einem Jahrzehnt unter Umgehung sämtlicher fremdenrechtlicher Bestimmungen im Bundesgebiet aufhältig sind, wiegen in einer Gesamtabwägung im vorliegenden Fall schwerer, als die Interessen der BF an einem Verbleib in Österreich.

Ferner wird darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführer aus einem Staat stammen, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung den Länderfeststellungen zufolge gewährleistet ist. Aufgrund dessen und aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei ihrer Wiedereingliederung in die serbische Gesellschaft Unterstützung durch die ansässigen Familienangehörigen und Bekannten erhalten könnten. Dies zeigt sich auch besonders dadurch, dass die BF2 in den vergangenen Jahren abwechselnd in Serbien und in Österreich gelebt hat und auch die übrigen BF regelmäßig in Serbien aufhältig waren.

Bei einer Zusammenschau überwiegen im vorliegenden Fall jene Umstände, die für eine Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat sprechen, wobei dem unrechtmäßigen Aufenthalt in einer derart langen Dauer besonderes Gewicht zukommt.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher die in den angefochtenen Bescheiden angeordneten Rückkehrentscheidungen keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben darstellten. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall die erlassenen Rückkehrentscheidungen unzulässig wären.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmten Staaten zulässig ist. Hinweise auf die Unzulässigkeit der Abschiebung der gesunden und erwerbsfähigen BF nach Serbien haben sich Verfahren nicht ergeben und wurde auch kein diesbezügliches Vorbringen erstattet.

3.2. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte IV. der angefochtenen Bescheide):

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

Aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft der Beschwerdeführerin liegen besondere Umstände vor. In §§ 3 und 5 Mutterschutzgesetz (MSchG) wird für Frauen ein absolutes Beschäftigungsverbot von acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung bis acht Wochen nach der Entbindung normiert (Mutterschutz). Die hinter dieser Bestimmung liegende generelle Wertung, dass Frauen in diesem Zeitraum vor und nach der Geburt einer körperlichen Schonung bedürfen, ist nach Ansicht des erkennenden Richters auch im gegenständlichen Fall als Mindesterfordernis zu beachten.

Aus den Ausführungen der BF2 und der vorgelegten ärztlichen Bestätigung geht hervor, dass der voraussichtliche Geburtstermin Ende November sein wird. Da ein Vollzug der Rückkehrentscheidung in den ersten acht Wochen nach der Geburt angesichts des genannten Schonungsbedarfs mit einem nicht unerheblichen Gesundheitsrisiko verbunden wäre, war der durch die Schwangerschaft bedingten gesundheitlichen Situation der BF2 durch die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise Rechnung zu tragen.

Aufgrund der Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise der BF2 werden auch den übrigen Beschwerdeführern die Frist zur freiwilligen Ausreise bis acht Wochen nach der Geburt gewährt, um die Familie in dieser Zeit nicht zu trennen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Familienverfahren freiwillige Ausreise Frist Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2233047.1.00

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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