Entscheidungsdatum
22.10.2020Norm
BBG §40Spruch
W262 2221961-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia JERABEK als Vorsitzende und die Richterin Mag. Claudia MARIK sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Dr. Steiner & Mag. Isbetcherian Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 27.06.2019, OB XXXX , betreffend Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin stellte am 30.04.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (in der Folge als „belangte Behörde“ bezeichnet), einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ sowie auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO und legte ein Konvolut an Unterlagen und medizinischen Befunden vor.
2. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie ein. In dem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 07.12.2018 erstellten Gutachten vom 27.12.2018 wurden als Ergebnis der Begutachtung die Funktionseinschränkungen den Leidenspositionen
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Beckenschäden mit funktionellen Auswirkungen schweren Grades und Deformierung. Geheilter Beckenringbruch.
Unterer Rahmensatz dieser Positionsnummer, da belastungsabhängige Beschwerden beim Stehen, Sitzen und Liegen im Bereich des linken Kreuzdarmbeingelenkes.
02.04.03
30
2
Geheilter operierter Unterarmbruch rechts mit Pseudarthrose, verheilter Unterarmbruch links.
Fixer Richtsatz, berücksichtigt die Neugelenksbildung der linken Seite mit Schraubenlockerung und die gute Beweglichkeit rechts. Eingeschränkte Handgelenksbeweglichkeit links ist inkludiert.
02.06.23
30
3
Carpaltunnelsyndrom links.
Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz dieser Positionsnummer, da Sensibilitäts- und Kraftabschwächung vorliegend sind.
04.05.06
20
4
Geheilte operierte Harnleiterverletzung mit Mischinkontinenz.
Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz dieser Positionsnummer, da unter medikamentöser Therapie nur mäßige Verbesserung.
08.01.06
20
zugeordnet und nach der Einschätzungsverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. festgestellt. Begründend wurde festgehalten, dass das führende Leiden 1 durch Leiden 2 und 3 um eine Stufe erhöht werde. Leiden 4 erhöhe nicht weiter. Es handle sich um einen Dauerzustand.
Mit näherer Begründung wurde seitens des Sachverständigen die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bejaht.
3. Die Beschwerdeführerin erstattete zu diesem Gutachten eine Stellungnahme und führte auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass sie stechende Schmerzen an der linken hinteren Beckenschaufel bei alltäglichen Bewegungen habe; das Tragen von Lasten sei nur bis drei Kilogramm, nur am Rücken mit Gehstock möglich. Des Weiteren sei ihre Inkontinenz nur mit Medikamenten erträglich. Durch die Vernarbung des Harnleiters sei beim Gehen ein stechender Schmerz zu verspüren. Die offene Symphyse bereite durchgehend Schmerzen und der linke Unterarm sei noch nicht austherapiert; weiters gebe es Einschränkungen im rechten Unterarm bzw. Handgelenk.
Über Aufforderung der belangten Behörde übermittelte die Beschwerdeführerin weitere aktuelle Befunde.
4. Die belangte Behörde holte in der Folge eine Stellungnahme des bereits befassten Facharztes für Orthopädie ein. In der gutachterlichen Stellungnahme vom 26.06.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt:
„…
Antwort(en):
Im Ambulanzbericht vom Februar 2019 des Traumazentrums XXXX wird ein ähnlicher Bewegungsumfang im linken Handgelenk angegeben, der auch bei der Untersuchung im Dezember 2018 feststellbar war. Es wird für Mai 2019 eine Operation in Aussicht gestellt, Art und Ausmaß des Eingriffes können aus den Unterlagen aber nicht ersehen werden. Die Beckenringverletzung ist nicht operativ zu versorgen, da die Erfolgsaussichten als gering beschrieben werden. Im urologischen Befund vom Februar 2019 ist keine maßgebliche Veränderung zu den Vorbefunden beschrieben.
Zusammenfassend ergeben die Befundvorlagen keine neuen Erkenntnisse, die eine Änderung der Beurteilung erfordern.“
5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 27.06.2019 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 BBG abgewiesen, da sie mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien dem ärztlichen Sachverständigengutachten zu entnehmen, das einen Bestandteil der Begründung bilde. Als Beilagen zum Bescheid wurden der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten vom 27.12.2018 und die Stellungnahme vom 26.06.2019 übermittelt.
Abschließend wurde angemerkt, dass die beantragte Zusatzeintragung in den Behindertenpass nicht möglich sei, da die rechtliche Grundlage dafür, der Behindertenpass, nicht ausgestellt werden könne.
Des Weiteren könne über den Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO nicht abgesprochen werden, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses mit der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ nicht vorliegen würden.
6. Gegen diesen Bescheid erhob die nunmehr anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, aus einem eingeholten Sachverständigengutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie ergebe sich eine Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit um 100 %. Dies sei zwar nicht mit dem Grad der Behinderung gleichzusetzen, jedoch zeige dieses nunmehr vorgelegte Gutachten die Mangelhaftigkeit des von der Behörde eingeholten Gutachtens. Bei der Beschwerdeführerin liege zumindest ein Grad der Behinderung von 50 v.H. vor. Die belangte Behörde hätte weitere Gutachten aus den Bereichen Unfallchirurgie, orthopädische Chirurgie und Neurologie/Psychiatrie einholen müssen. Abschließend beantragte die Beschwerdeführerin die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
7. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 01.08.2019 vorgelegt.
8. Das Bundesverwaltungsgericht holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer bisher noch nicht befassten Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem nach persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin am 26.09.2019 erstellten Gutachten vom 23.11.2019 wurde auszugsweise Folgendes ausgeführt (teilweise ergänzt um die Fragestellungen des Bundesverwaltungsgerichtes):
„…
Derzeitige Beschwerden:
‚Die Beweglichkeit im rechten Handgelenk ist noch eingeschränkt, habe immer Schmerzen vor allem in den Fingern, Gefühlsstörungen habe ich im Daumen und Zeigefinger links, der rechte Daumen ist in der Beweglichkeit eingeschränkt, hier keine Bewegung möglich. Die Kraft ist rechts nicht wesentlich eingeschränkt, links geschwächt, ständig Schmerzen. Im Becken habe ich immer Schmerzen, ist instabil, vor allem links, kann nicht hart sitzen und nichts tragen. Ich glaube, dass bei der Metallentfernung möglicherweise die linke Elle gebrochen ist. Vermutlich wurde der Schließmuskel der Blase verletzt, verliere teilweise Harn, teilweise bis zur kompletten Entleerung.‘
STATUS:
Allgemeinzustand gut, Ernährungszustand gut.
Größe 158 cm, Gewicht 60, Alter: 52 Jahre.
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen Thorax: symmetrisch, elastisch.
Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch. Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.
Integument: unauffällig.
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird im Bereich des linken Daumens und Zeigefingers als gestört angegeben.
Unterarm rechts: Narbe rechter Unterarm beugeseitig und streckseitig, Handgelenk rechts äußerlich annähernd unauffällig, Spitzgriff und Grobgriff unauffällig.
Unterarm links: Verband mit Einschluss des Handgelenks nach kurz zurückliegender Teilmetallentfernung am Unterarm. Opponensfunktion Daumen zu Zeigefinger und Daumen zu Kleinfinger gerade möglich.
Schulter beidseits: endlagige Bewegungsschmerzen. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig
Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke frei, Unterarmdrehung rechts annähernd frei, links 60/0/30, Handgelenke S rechts 60/0/40, F 10/0/20, links S 40/0/20, F 10/0/20, Langfinger seitengleich frei beweglich, Daumen rechts 0/0/30, links frei. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig, Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist mit Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zu 1/3 möglich. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Becken beidseits: Narbe nach Fixateur externe, stabil, Schmerzen bei Kompression und Distraktion.
Hüftgelenke, Kniegelenke Sprunggelenke beidseits unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Hüften, Knie, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich. Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist rechts bis 60°, links bis 30° bei endlagigen Schmerzen möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, mäßig Hartspann, kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG links druckdolent.
Aktive Beweglichkeit: frei
HWS: in allen Ebenen frei beweglich
BWS/LWS: FBA: 20 cm, in allen Ebenen endlagig eingeschränkt beweglich, Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Stiefeletten mit einem Gehstock, das Gangbild ohne Gehhilfe und ohne Schuhe ist hinkfrei. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status psychicus:
Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen.
STELLUNGNAHME:
ad 1) Einschätzung des Grades der Behinderung
1. Zustand nach Beckenringbruch 02.04.03 30%
Unterer Rahmensatz, da belastungsabhängige Beschwerden im Bereich des linken ISG und Symphysendiastase mit anhaltenden Beschwerden.
2. Mittelgradige posttraumatische Funktionseinschränkung beider Handgelenke
02.06.23 30%
Wahl dieser Position, da im Bereich beider Handgelenke mittelgradige Einschränkung des Bewegungsumfangs, berücksichtigt Pseudoarthrose linker Radius.
3. Carpaltunnelsyndrom links 04.05.06 20%
1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da Sensibilität- und Kraftabschwächung vor allem im Bereich des linken Daumens.
4. Geheilte operierte Harnröhrenverletzung mit Mischinkontinenz 08.01.06 20%
1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da unter medikamentöser Therapie Belastungsinkontinenz.
2) Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 40 v.H.
Leiden 1 wird durch Leiden 2 und 3 um eine Stufe erhöht, da beide Leiden gemeinsam eine relevante Zusatzbehinderung darstellen. Leiden 4 erhöht nicht, da kein ungünstiges Zusammenwirken mit dem führendem Leiden 1 besteht.
3) Der GdB ist ab 30.04.2018 anzunehmen.
4) Stellungnahme zu den im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen und Befunden Abl. 3, 4, 7, 8:
Abl. 3 Antrag auf Pflegegeld vom 30.04.2018 – keine medizinischen Informationen.
Abl. 4 Bericht Orthopädie und Traumatologie Krankenhaus XXXX vom 21.04.2018 — postoperativer Verlauf wird dokumentiert, in der Begutachtung in vollem Umfang berücksichtigt.
Abl. 7 Befund Dr. XXXX , Facharzt für Urologie vom 12.02.2019 (OAB, Mikrohaematurie, Leukozyturie, Penicillinallergie, Tabakkonsumstörung, erhöhtes Blasenkrebsrisiko, Zustand nach Harnleiterriss, Zustand nach Harnröhrentrauma 04/2018, ad urologische Ambulanz XXXX ) — weitere Abklärung wird empfohlen.
Abl. 8 Befund XXXX -Krankenhaus 19.02.2019 (Daumen links eingeschränkt in der Beugung 0/0/30 Durchblutung und Sensibilität in Ordnung, UAD 60/0/30, geplante Operation 06.05.2019. CT: partieller ossärer Durchbau der Ulna, Frakturlinie proximalis Drittel des Radius. Bzgl. ISG Verletzung und Symphysen Verletzung keine Verbesserung durch operative Stabilisierung zu erwarten) Die Nachuntersuchung empfiehlt eine Operation im Bereich des linken Unterarms bei Pseudarthrose des Radius, weitere operative Behandlung der Beckenringfraktur mit Verletzung im Bereich von Iliosakralgelenken und Symphyse und Symphysendiastase wird nicht empfohlen. Der Befund wird in vollem Umfang im Gutachten berücksichtigt und führt zu Einstufung von Leiden 1.
ad 5) Stellungnahme zu den Einwendungen Abl. 6 und Abl. 11 samt Gutachten Dr. XXXX vom 07.05.2019:
Vorgebracht wird in Abl. 11, dass nach einem schweren Unfall als Motorradlenkerin in dem vorgelegten unfallchirurgischen Sachverständigengutachten vom 07.05.2019 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % festgestellt worden sei und zumindest ein Grad der Behinderung von 50 % vorliege. Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 % ist keine dauerhafte Beurteilung, sondern wird derzeit mit 100% bewertet, und ist damit zu begründen, dass für die Dauer des Krankenstandes und bei weiteren anstehenden Operationen der genannte Grad der MdE festzusetzen ist. In der Stellungnahme vom 18.01.2019 wird vorgebracht, dass sie beim Drehen im Bett Schmerzen habe, ein normales Gehen sei nicht möglich. Sie habe Schmerzen in den Unterarmen und könne nichts tragen und ziehen. Sie habe starke Schmerzen in Beckenschaufel, Symphyse und könne öffentliche Verkehrsmittel nicht benützen. Sie habe ständig Schmerzen im Bereich der Symphyse bei jedem Schritt. Die Inkontinenz beziehe sich nicht nur auf Husten und Lachen, sondern sei ständig vorhanden, nur mit Einnahme von Medikamenten halbwegs erträglich und durch die Vernarbung des Harnleiters habe sie Schmerzen. Der linke Unterarm sei noch nicht austherapiert. Sie habe eine endgradige Einschränkung der Supination rechts.
Die Beschwerden im Bereich des Beckens, vor allem beim Drehen im Bett und beim Gehen, stehen in Zusammenhang mit den posttraumatischen Veränderungen im Bereich des Beckens und wurden in angemessener Höhe in Leiden 1 berücksichtigt. Eine höhere Einstufung ist nicht möglich, da zum Vorgutachten vom 07.12.2018 insbesondere in der Gangbildbeschreibung bereits eine Verbesserung eingetreten ist. Diese Verbesserung ist geringgradig ausgeprägt und führt nicht dazu, Leiden 1 herabzustufen. Beschwerden im Bereich beider Unterarme und Handgelenke werden entsprechend den objektivierbaren funktionellen Einschränkungen eingestuft, wobei aktuell bei Zustand nach kurz zurückliegender Operation eine eingeschränkte Beurteilbarkeit vorliegt. Unter Beachtung des gesamten Akteninhalts und Verlaufs und der dokumentierten Funktionseinschränkungen ist jedoch die Beurteilung als mittelgradige Funktionseinschränkung gerechtfertigt. Eine wesentliche Verbesserung oder Verschlimmerung ist durch erfolgte Metallentfernung im Bereich der linken Ulna aktuell nicht objektivierbar. Bei Zustand nach Harnröhrenverletzung und operativer Sanierung liegt eine medikamentös beinflussbare Harninkontinenz vor. Eine höhergradige posttraumatische Harninkontinenz ist nicht durch entsprechende fachärztliche Untersuchungsbefunde und Behandlungsdokumentationen belegt.
Unfallchirurgisches Sachverständigengutachten Dr. XXXX 07.05.2019 (schwere komplexe Beckenmehrfachfraktur im Speziellen mit Bruch des oberen und unteren Schambeinastes, Zerreißung der Schambeinfuge, Zerreißung des Kreuzdarmbeingelenkes beidseits, Zerreißung der Harnröhre, offener Bruch des linken Vorderarms, geschlossener Bruch des rechten Vorderarms, Hautweichteildefekt am linken Vorderarm, Schädigung des Nervus medianus links. Derzeit Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100%)
Im Gutachten Dr. XXXX vom 07.05.2019 wird eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100% festgestellt, dazu wurde bereits Stellung genommen. Keine neuen Aspekte durch das vorgelegte Gutachten. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Verfahren die Kriterien der Einschätzungsverordnung (EVO) relevant sind. Sämtliche Leidenszustände sind in vollem Umfang berücksichtigt.
6) Begründung zu einer allfälligen zum angefochtenen Sachverständigengutachten vom 27.11.2018 samt Stellungnahme abweichenden Beurteilung:
Keine abweichende Beurteilung
7) Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich.“
9. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.01.2020 wurden die Beschwerdeführerin und die belangte Behörde über das Ergebnis der Beweisaufnahme informiert und ihnen in Wahrung des Parteiengehörs Gelegenheit eingeräumt, binnen drei Wochen eine Stellungnahme dazu abzugeben. Abschließend wurde den Parteien mitgeteilt, dass das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung auf der Grundlage der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens erlassen wird, soweit nicht eine eingelangte Stellungnahme anderes erfordert.
Beide Verfahrensparteien ließen dieses Schreiben unbeantwortet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführerin stellte am 30.04.2018 unter anderem einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1) Zustand nach Beckenringbruch mit belastungsabhängigen Beschwerden im Bereich des linken ISG und Symphysendiastase sowie anhaltenden Beschwerden;
2) Mittelgradige posttraumatische Funktionseinschränkung beider Handgelenke mit Einschränkung des Bewegungsumfangs und Pseudoarthrose linker Radius;
3) Carpaltunnelsyndrom links mit Sensibilitäts- und Kraftabschwächung vor allem im linken Daumen;
4) Geheilte operierte Harnröhrenverletzung mit Mischinkontinenz; unter medikamentöser Therapie Belastungsinkontinenz.
Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt 40 v.H.
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, ihres Ausmaßes, medizinischer Einschätzung und wechselseitiger Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 23.11.2019 der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellung zur Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.
2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat, ergibt sich aus dem vom Bundesverwaltungsgericht erstellten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
2.3. Der festgestellte Gesamtgrad der Behinderung und die festgestellten Funktionseinschränkungen gründen sich auf das Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 23.11.2019. Darin wird auf die Leiden der Beschwerdeführerin, deren Ausmaß und wechselseitige Leidensbeeinflussung vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen.
Von der vom Bundesverwaltungsgericht befassten Sachverständigen wurden die im Verfahren von der Beschwerdeführerin vorgelegten Befunde einbezogen, die im Übrigen nicht in Widerspruch zur gutachterlichen Beurteilung stehen und kein höheres Funktionsdefizit dokumentieren, als anlässlich der Begutachtung festgestellt werden konnte.
Der vorliegende Sachverständigenbeweis wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes als schlüssig erachtet. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen einer persönlichen Untersuchung sowie aufgrund der Aktenlage erhobenen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen (diesbezüglich wird auch auf die auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen); die Gesundheitsschädigungen wurden nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung korrekt eingestuft.
Diesbezüglich ist im Lichte der Anlage zur Einschätzungsverordnung festzuhalten, dass der Zustand nach Beckenringbruch (Leiden 1) im Sachverständigengutachten vom 23.11.2019 zutreffend der Positionsnummer 02.04.03 (Beckenschäden mit funktionellen Auswirkungen schweren Grades und Deformierung) mit dem unteren Rahmensatz von 30 v.H. zugeordnet wurde. Begründend wurde diesbezüglich seitens der Sachverständigen darauf verwiesen, dass zwar belastungsabhängige Beschwerden im Bereich des linken ISG und eine Symphysendiastase mit anhaltenden Beschwerden vorliegen, jedoch bereits im Vergleich zum Vorgutachten vom 07.12.2018 eine Verbesserung, insbesondere der Gangbildbeschreibung eingetreten. Die von der Beschwerdeführerin beschriebenen Schmerzen, insbesondere beim Drehen im Bett und beim Gehen, wurden bei der Einstufung des Leidens berücksichtigt.
Die mittelgradige posttraumatische Funktionseinschränkung beider Handgelenke (Leiden 2) wurde von der Sachverständigen unter Berücksichtigung der Pseudoarthrose im linken Radius schlüssig der Positionsnummer 02.06.23 (Funktionseinschränkung im Handgelenk mittleren Grades beidseitig) mit dem fixen Rahmensatz von 30 v.H. zugeordnet, zumal eine wesentliche Verbesserung oder Verschlimmerung der Beschwerden durch die erst kürzlich erfolgte Metallentfernung im Bereich der linken Ulna (noch) nicht objektivierbar ist.
Bezüglich des in Leiden 3 eingeschätzten Carpaltunnelsyndroms links wurde die Positionsnummer 04.05.06 (Lähmung des nervus medianus) unter Heranziehung des Rahmensatzes von 20 v.H. gewählt, da bei der Beschwerdeführerin nur mäßige Sensibilitäts- und Kraftabschwächungen vor allem im Bereich des linken Daumens vorliegen.
Die geheilte operierte Harnröhrenverletzung mit Mischinkontinenz wurde unter Heranziehung der Positionsnummer 08.01.06 (Entleerungsstörung der Blase und der Harnröhre leichten bis mittleren Grades) und des Rahmensatzes von 20 v.H. eingeschätzt, wobei nachvollziehbar begründet wurde, dass unter medikamentöser Therapie eine Belastungsinkontinenz vorliegt und eine von der Beschwerdeführerin behauptete höhergradige posttraumatische Harninkontinenz weder durch entsprechende fachärztliche Befunde noch durch Behandlungsdokumentationen objektiviert wurden.
Den Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin von 40 v.H. begründet die Sachverständige schlüssig damit, dass Leiden 1 durch Leiden 2 und 3, die gemeinsam eine relevante Zusatzbehinderung darstellen, um eine Stufe erhöht wird und dass Leiden 4 den Gesamtgrad der Behinderung nicht erhöht, da kein ungünstiges Zusammenwirken mit dem führendem Leiden 1 besteht.
Die Einwendungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde waren nicht geeignet, eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Diese wurden von der befassten Sachverständigen in ihrem Gutachten vom 23.11.2019 gehörig gewürdigt und mittels einer ebenso schlüssigen wie ausführlichen Begründung in fachlicher Hinsicht entkräftet. Die befasste Sachverständige nahm zu den Einwendungen im Einzelnen Stellung und erläuterte nachvollziehbar, warum eine höhere Einschätzung der bei der Beschwerdeführerin festgestellten Funktionseinschränkungen nicht gerechtfertigt ist.
Auch das vorgelegte, im Rahmen der Abwicklung der zivilrechtlichen schadenersatzrechtlichen Ansprüche nach dem Motoradunfall der Beschwerdeführerin erstattete unfallchirurgische Sachverständigengutachten eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen vom 07.05.2019 vermag an dieser Einschätzung nichts zu ändern, zumal es sich bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 100 % – anders als bei der Einschätzung des Grades der Behinderung, bei der Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden, eingeschätzt werden – lediglich um eine vorübergehende Bewertung handelt und darüber hinaus bei der Einschätzung des Grades der Behinderung die Kriterien der Einschätzungsverordnung heranzuziehen sind.
Auch die weiteren Einwendungen der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde sind nicht geeignet, den vorliegenden Sachverständigenbeweis in Zweifel zu ziehen und eine Änderung des Ermittlungsergebnisses herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin vermochte insbesondere nicht darzulegen, wie sich wegen der bei ihr festgestellten – im Rahmen des Gutachtens bereits schlüssig eingeschätzten – Funktionseinschränkungen eine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung auf über 40 v.H. ergeben sollte. Darüber hinaus hat sie das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten unwidersprochen zur Kenntnis genommen.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.2. Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin neben dem durch den angefochtenen Bescheid erledigten Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses auch die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass und die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO beantragt hat.
Ausgehend davon ist aus Sicht des erkennenden Gerichtes allerdings nicht nachvollziehbar, dass über die Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO nicht (auch) – entweder im Rahmen gesonderter Bescheide oder im Wege zusätzlicher Spruchpunkte im angefochtenen Bescheid – abgesprochen wurde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist „Sache“ des Berufungs- bzw. (nach Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs – jedenfalls nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl. dazu etwa VwGH 17.12.2014, Ra 2014/03/0049; VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066; VwGH 22.01.2015, Ra 2014/06/0055; VwGH 26.03.2015, Ra 2014/07/0077; VwGH 27.04.2015, Ra 2015/11/0022).
Aufgrund dieser Beschränkung der Sache des Beschwerdeverfahrens ist das Verwaltungsgericht nicht befugt, ein zusätzliches Begehren zum Gegenstand seiner Entscheidung zu machen, das über den bei der belangten Behörde gestellten und entschiedenen Antrag hinausginge. Insofern ist es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, über die Anträge auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass sowie auf Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b StVO zu entscheiden.
3.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:
„BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.“
„§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
(…)“
„§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(…)“
„§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
(…)“
3.4. §§ 2 und 3 der Einschätzungsverordnung, BGBl. II 261/2010 idF BGBl. II 251/2012, sehen Folgendes vor:
„Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.“
„Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.“
3.5. Zunächst ist festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war. Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen hat nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 Einschätzungsverordnung sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN). Bei ihrer Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, wobei es dem Antragsteller freisteht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. VwGH 30.04.2014, 2011/11/0098; 21.08.2014, Ro 2014/11/0023; 20.05.2015, 2013/11/0200).
3.6. Wie oben eingehend ausgeführt, wird der Entscheidung das schlüssige Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 23.11.2019 zugrunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin 40 v.H. beträgt. Das auf Basis einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin erstattete Gutachten entspricht – sowohl hinsichtlich der Einschätzung der einzelnen Funktionseinschränkungen als auch hinsichtlich der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung – den von der Judikatur (sowie von der Einschätzungsverordnung) aufgestellten Anforderungen. Die Einwendungen in der Beschwerde waren nicht geeignet, den Sachverständigenbeweis zu entkräften, zumal das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Sachverständigengutachten von der Beschwerdeführerin unwidersprochen blieb.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt 40 v.H. beträgt.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, nicht erfüllt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
3.7. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
3.7.1. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat die Beschwerdeführerin die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
3.7.2. Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 23.11.2019, welches von den Verfahrensparteien unwidersprochen zur Kenntnis genommen wurde. Die strittigen Tatsachenfragen gehören dem Bereich an, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache – trotz deren Beantragung – nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die angewendeten Teile des Bundesbehindertengesetzes und der Einschätzungsverordnung sind – soweit im Beschwerdefall relevant – eindeutig. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W262.2221961.1.00Im RIS seit
23.12.2020Zuletzt aktualisiert am
23.12.2020