TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/22 W193 2146172-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.10.2020
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Entscheidungsdatum

22.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W193 2146172-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Michaela RUSSEGGER-REISENBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX 1998, StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH-ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48, 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.09.2018, Zl. 1138988700-180891848, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., V. und VI. wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter um weitere zwei Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am XXXX 2016 statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) fand am 03.01.2017 statt.

2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 04.01.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 04.01.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben.

4. Am 03.01.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, worauf der Beschwerdeführer am 16.07.2018 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen wurde.

5. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 01.03.2018, Zl. W253 2146172-1/11E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

6. Mit angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 20.09.2018 wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.) Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 03.01.2018 wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt VII.).

7. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX alias XXXX und das Geburtsdatum XXXX 1998. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Logar, im Distrikt Kharwar, im Dorf XXXX geboren. In der Provinz Ghazni in Afghanistan leben an Familienangehörigen seine Eltern, seine Ehefrau, seine Tochter sowie seine sechs Geschwister. Der Beschwerdeführer besuchte ca. sechs Jahre lang die Schule. Der Beschwerdeführer erlernte keinen Beruf. Der Beschwerdeführer arbeitete in Afghanistan seit seiner Kindheit in der Landwirtschaft seiner Eltern. Seit dem XXXX 2016 hält sich der Beschwerdeführer in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist in Österreich kurzzeitig einer ordentlichen Beschäftigung nachgegangen und hat sich geringfügig weitergebildet.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers

Im Bescheid vom 04.01.2017 wurde die Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer aufgrund der schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in den Provinzen Logar und Ghazni, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation ausgesetzt sein würde.

Im angefochtenen Bescheid vom 20.09.2018 wurde die Aberkennung des subsidiären Schutzes im Wesentlichen damit begründet, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seinen Herkunftsstaat zugemutet werden könne, da diesem nun drei innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung stehen würden.

Seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten mit Bescheid vom 04.01.2017 ist keine wesentliche und nachhaltige Änderung der maßgeblichen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers eingetreten.

2.       Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt.

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde und in der Beschwerde. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seiner Schul- und fehlenden Berufsausbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen im Wesentlichen schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde bzw. auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2.    Zu den Feststellungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers

Die Feststellungen hinsichtlich der Lage in Afghanistan und einer möglichen Änderung ergeben sich insbesondere aus einem Vergleich der dem Bescheid der belangten Behörde vom 04.01.2017 und dem Bescheid der belangten Behörde vom 20.09.2018 zugrundeliegenden Länderberichte, nämlich dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 21.01.2016 (letzte Kurzinformation eingefügt am 19.12.2016) und dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018 (letzte Kurzinformation eingefügt am 11.9.2018).

Vergleicht man die allgemeinen sicherheitsrelevanten Vorfälle, so ist ersichtlich, dass sich diese über die Jahre leicht erhöht haben. Vergleicht man die Länderberichte in Bezug auf Kabul, so zeigt sich, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert hat und Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen ist. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle haben sich seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erhöht. Auch in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers Logar ist es zu keiner maßgeblichen Verbesserung gekommen. In dem dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Länderbericht wird ausgeführt, dass aufgrund der Nähe zu den Außendistrikten der Stadt Kabul heftige Gefechte zwischen den Taliban und den Sicherheitskräften stattfinden und Logar zu den volatilen Provinzen in Afghanistan zählt. Auch in der Provinz Ghazni ist es zu keiner maßgeblichen Verbesserung gekommen. In dem dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Länderbericht wird ausgeführt, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt. Es kommt regelmäßig zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den Sicherheitskräften. Auch in Bezug auf Herat ist keine wesentliche Veränderung erkennbar. Zwar gilt Herat aktuell als relativ friedliche Provinz, während Herat zu den früheren Zeitpunkten als schwierig einzuschätzen deklariert wurde, allerdings ist auch ersichtlich, dass sich die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle über die Jahre hinweg nicht wesentlich verändert hat. Auch in Bezug auf die Provinz Balkh zeigt sich ein ähnliches Bild. Schon zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde im Länderbericht ausgeführt, dass die Hauptstadt Mazar-e Sharif eine Art „Vorzeigeprojekt“ Afghanistans fu?r wichtige ausländische Gäste darstellt und die Provinz Balkh zu den relativ friedlichen Provinzen in Nordafghanistan zählt. Auch im Bereich der Grundversorgung sind keine wesentlichen Verbesserungen erkennbar. Die Arbeitslosenquote ist seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten angestiegen. Auch in vielen anderen Bereichen zeigt sich ein sehr ähnliches Bild. Ebenso verhält es sich mit dem Angebot von diversen Unterstützungsnetzwerken (internationale und nationale Rückkehrorganisationen bzw. NGO‘s), sodass nicht von einer wesentlich geänderten Situation für Rückkehrer auszugehen ist. Im Ergebnis ist daher nicht zu erkennen, dass es zu einer nachhaltigen und maßgeblichen Verbesserung der Lage in Afghanistan gekommen ist.

Die Feststellungen hinsichtlich der subjektiven und persönlichen Situation und einer möglichen Änderung erfolgte durch einen Vergleich der individuellen Situation des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes und der damit verbundenen Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung und dem Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides bzw. im nunmehrigen Entscheidungszeitpunkt andererseits.

Hinsichtlich der sozialen und familiären Situation des Beschwerdeführers in Afghanistan ist keine wesentliche Veränderung eingetreten. Die Familie des Beschwerdeführers lebt, wie auch vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren gleichbleibend angegeben und wie auch zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes, in der Provinz Ghazni in Afghanistan. Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid anführt, dass der Beschwerdeführer wieder Kontakt zu seiner Familie haben würde und die Familie über beachtliche finanzielle Ressourcen verfügen würde, dann verkennt diese, dass der Beschwerdeführer bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde am 04.01.2017 angegeben hat, dass sein Vater neben einer Landwirtschaft über ein Bauunternehmen verfügen würde und die komplette Familie davon leben würde und es diesen in Afghanistan finanziell gut gehen würde. Zudem führte der Beschwerdeführer an, dass dieser in Kontakt zu seiner Familie stehen würde. Wenn die belangte Behörde nun davon ausgeht, dass die Familie des Beschwerdeführers diesen bei einer Rückkehr unterstützen könne, so verkennt diese, dass die Familie des Beschwerdeführers diesen auch zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bei einer Rückkehr unterstützen hätte können und eine wesentliche Sachverhaltsänderung somit nicht dargetan wird. Eine bloße unterschiedliche Beweiswürdigung eines im Wesentlichen gleichen Vorbringens ohne maßgebliches neues Sachverhaltssubstrat berechtigt für sich genommen nicht zu einer Aberkennung, da darin keine Änderung des Kenntnisstandes des Aufnahmemitgliedstaates liegt (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, mit Hinweis auf EuGH 23.5.2019, Bilali, C- 720/17, Rn 50).

Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid sohin meint, eine Änderung der Umstände liege darin, dass der Beschwerdeführer sich in Österreich neue Kenntnisse und Erfahrungen habe aneignen können, so kann dem nicht beigepflichtet werden. Der Beschwerdeführer hat bereits in Afghanistan mehrere Jahre eine Schule besucht und hat zudem viele Jahre Berufserfahrung in der Landwirtschaft sammeln können. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zudem selbst angeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich nur kurzzeitig einer Arbeit nachgegangen sei und ansonsten von staatlicher Unterstützung abhängig gewesen sei. Zudem habe der Beschwerdeführer lediglich den Deutschkurs A1 besucht. Weder die Bildung des Beschwerdeführers noch seine Berufserfahrung haben sich sohin im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes wesentlich verbessert.

Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zudem implizit anführt, dass sich die subjektive Lage des Beschwerdeführers geändert habe, weil sich die Rechtsprechung im Hinblick auf die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Hinblick auf gesunde, alleinstehende, erwachsene, männliche afghanische Staatsangehörige geändert habe, so verkennt die belangte Behörde, dass die alleinige Änderung der Rechtsprechung keine Änderung des im Einzelfall relevanten Sachverhalts bedingt.

Auch den weiteren Ausführungen der belangten Behörde kann nicht entnommen werden warum es zu einer nachhaltigen und maßgeblichen Änderung der subjektiven bzw. persönlichen Situation des Beschwerdeführers bzw. zu einer Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan gekommen ist, da diese in ihren weiteren Ausführung weitgehend nur auf die aktuelle Situation abstellt, ohne dabei eine Prüfung dahingehen vorzunehmen, ob in den einzelnen Punkten eine maßgebliche Veränderung seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stattgefunden hat.

Insgesamt ist somit nicht ersichtlich, dass sich die subjektive und persönliche Situation des Beschwerdeführers, welche zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt hat, wesentlich und nachhaltig geändert hat.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

3.1.1. § 9 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet:

„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1.        die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2.       er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3.       er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1.        einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2.       der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3.       der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“

3.1.2. § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 enthält zwei unterschiedliche Aberkennungstatbestände: Dem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) nicht oder nicht mehr vorliegen. Der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 erfasst die Konstellation, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 betrifft hingegen jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005, mwN).

Die Heranziehung des Tatbestands des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. dazu etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN). Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).

Als maßgeblich erweist sich, dass gerade in Bezug auf die Frage, ob sich die Umstände, die für die Zuerkennung von subsidiären Schutz von Bedeutung waren, so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, sodass Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht, es regelmäßig nicht allein auf den Eintritt eines einzelnen Ereignisses ankommt. Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich durchaus auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (vgl. in diesem Zusammenhang sowohl die […] Rechtsprechung zu den Leitlinien der Prüfung, ob ein „real risk" der Verletzung des Art. 3 MRK droht, nach der die "die konkrete Einzelsituation des Fremden in ihrer Gesamtheit" zu beurteilen ist bzw. es einer „ganzheitlichen Bewertung" der individuellen Situation des Fremden bedarf) (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Bei einer Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

3.1.3. Aufgrund der oben getroffenen Feststellung ist keine wesentliche und nachhaltige Änderung der maßgeblichen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan unter Berücksichtigung der persönlichen Situation des Beschwerdeführers seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten eingetreten.

An diesem Ergebnis kann auch eine allenfalls geänderte Rechtsprechung zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz von gesunden, alleinstehenden, erwachsenen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen nichts ändern. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder (wie gegenständlich auch nicht der Fall) neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden („nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (VwGH 09.01.2020, Ra 2019/19/0496, mwN).

Die Voraussetzungen für die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 - sowie auch gemäß erster Fall leg.cit. - lagen und liegen weiterhin sohin gegenständlich nicht vor.

3.1.4. Der Beschwerde ist daher zu diesem Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides stattzugeben. Damit mangelt es den Spruchpunkten II. bis VI. an einer rechtlichen Grundlage, weshalb diese (ebenfalls) ersatzlos aufzuheben waren.

3.2.    Zu Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides – Abweisung des Antrags auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung

3.2.1. § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet:

„Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. …

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

…“

3.2.2. Da der Beschwerde gegen die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stattzugeben war und dem Beschwerdeführer aufgrund der Behebung der Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zukommt, ist nunmehr die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005 um zwei weitere Jahre zu verlängern.

3.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Eine mündliche Verhandlung konnte im Fall des Beschwerdeführers deshalb unterbleiben, weil aus dem Inhalt des dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakts die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern.

Zu B)   Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung Bindungswirkung ersatzlose Teilbehebung Rechtskraft Rechtskraftwirkung Rückkehrentscheidung behoben Sicherheitslage Verlängerung Versorgungslage wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W193.2146172.2.00

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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