TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/4 W279 2231891-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2020
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Entscheidungsdatum

04.11.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §77
VwGVG §35

Spruch

W279 2231891-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2020, Zahl: XXXX , sowie die erfolgte Anhaltung der Beschwerdeführerin in Schubhaft von 10.03.2020 bis 19.03.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft von 10.03.2020 bis 19.03.2020 für rechtmäßig erklärt.

II. Die Beschwerdeführerin hat gemäß § 35 VwGVG dem Bund (Bundesminister für Inneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF) reiste spätestens am 12.08.2017 in das österreichische Bundesgebiet ein.

2. Mit Schreiben vom 20.09.2017 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) über die erfolge Anklage der BF durch das Landesgericht für Strafsachen Wien in Kenntnis gesetzt. Demnach habe die BF im Zeitraum 12.08.2017 bis 26.08.2017 in Wien einer durch sie zu pflegenden Person Schmuck durch Einbruch weggenommen, in dem sie Schmuckstücke aus einem verschlossenen Kasten herausnahm, nachdem sie mit einem widerrechtlich erlangten Schlüssel eingedrungen sei bzw. das versperrte Schloss anderweitig manipuliert habe.

3. Am 15.02.2020 wurde die BF bei der Einreise nach Österreich aus Ungarn kommend wegen des Verdachts gem. §§ 127, 129 Abs. 1 Z 2 StGB festgenommen und die Justizanstalt XXXX gebracht. In weiterer Folge wurde über die BF die Untersuchungshaft verhängt.

4. Am 17.02.2020 erließ das BFA einen Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs. 3 Z 1 iVm § 34 Abs. 5 und § 47 Abs. 1 BFA-VG, da die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG vorliegen würden. Es sei beabsichtigt, gegen die sich in Haft befindliche BF eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen und eine Abschiebung durchzuführen.

5. Mit Schreiben vom 26.02.2020 wurde die BF über die voraussichtliche Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gem. § 67 FPG, in eventu die Erlassung eines ordentlichen Schubhaftbescheides gem. § 76 FPG informiert und ihr eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme binnen 10 Tagen gewährt.

6. Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 10.03.2020, XXXX , wurde die BF gem. §§ 127, 129 (1) Z 2 StGB unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, bedingt, verurteilt. Die BF wurde aus der Haft entlassen und aufgrund des Festnahmeauftrages vom 17.02.2020 festgenommen und dem BFA vorgeführt.

7. Ebenfalls am 10.03.2020 wurde die BF durch das BFA niederschriftlich in der Sprache Rumänisch einvernommen. Dabei gab sie an, dass sie nach Deutschland habe reisen wollen, da sie dort einer Arbeit nachgehe und in einer Lebensgemeinschaft lebe. Sie sei seit kurzem in Besitz eines rumänischen Personalausweises, der bis 2030 gültig sei. Ihre Mutter und ihr 15-jähriger Sohn würden in Rumänien leben, der 17-jährige Sohn lebe in Deutschland bei ihrem Lebensgefährten. In Rumänien habe sie acht Jahre die Grundschule besucht, jedoch keinen Beruf erlernt. Sie habe als Arbeiterin in einer Fabrik für Autoersatzteile gearbeitet. In Deutschland habe sie einen alten Mann gepflegt. Auch in Österreich habe sie 34 Tage als Pflegerin gearbeitet. Zuletzt sei sie 2017 in Österreich gewesen. Sie habe hier keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte und auch keine Unterkunft.

8. Mit Bescheid des BFA vom 10.03.2020 wurde über die BF gem. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

Das BFA führte begründend aus, dass die BF keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgehe, nicht über ausreichend Barmittel verfüge, um ihren Unterhalt zu finanzieren, über keinen ordentlichen Wohnsitz verfüge und in keinster Weise integriert sei. Die BF sei im Bundesgebiet straffällig geworden und verfüge weder über familiäre noch berufliche oder soziale Bindungen. Durch die Mittellosigkeit und die daraus resultierende Gefahr der illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt gefährde sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit und widerlaufe ihr Aufenthalt den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 EMRK. Es sei von erheblicher Fluchtgefahr und Verfahrensentzug auszugehen.

9. Mit E-Mail vom 11.03.2020 teilte ein Mitarbeiter des LPD XXXX auf Nachfrage mit, dass die BF am 26.10.2009 nach Deutschland eingereist sei. Seit 29.09.2015 sei sie nach unbekannt verzogen, ein Wohnsitz sei aktuell nicht ermittelbar.

10. Mit Bescheid vom 11.03.2020 wurde gem. § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von drei Jahren erlassen und gem. § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub gewährt. Einer Beschwerde gegen den Bescheid wurde gem. § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Das BFA führte begründend aus, dass die BF von einem inländischen Gericht zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt worden sei. Die BF habe ihr unionsrechtliches Aufenthaltsverbot und ihre Arbeitstätigkeit zur Ausübung gerichtlich strafbarer Handlungen missbraucht. Sie verfüge im Bundesgebiet keinen ordentlichen Wohnsitz und es bestünden keine relevanten familiären oder sozialen Bindungen. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit dringend geboten, da das Verhalten der BF eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft darstelle.

11. Die BF wurde am 19.03.2020 auf dem Landweg nach Rumänien abgeschoben.

12. Gegen den Schubhaftbescheid vom 10.03.2020 erhob die BF mit Schreiben vom 12.06.2020 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 22a BFA-VG an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG).

Sie brachte vor, dass sich die belangte Behörde im Wesentlichen darauf beschränkt habe, unterschiedliche Punkte einer fehlenden sozialen Verankerung ins Treffen zu führen, ohne sich nachvollziehbar mit dem Verhalten der BF zu befassen. Die BF habe vorgehabt, nach Deutschland zu ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn zu reisen und sei daher in Österreich lediglich auf der Durchreise gewesen. Die Straftat der BF stamme bereits aus dem Jahr 2017, eine aktuelle Gefahr der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sei daher nicht gegeben. Die Begründung des angefochtenen Bescheides sei widersprüchlich und aktenwidrig.

13. Am 17.06.2020 übermittelte das BFA eine Stellungnahme zur gegenständlichen Schubhaftbeschwerde und brachte vor, dass im Rahmen einer minutiös durchgeführten Einzelfallprüfung das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes sowie das Vorliegen einer ultima-ratio-Situation nachvollziehbar geprüft worden sei. Es existiere langjährige Judikatur des BVwG und VwGH, im Zuge welcher bei gleichgelagerten Sachverhalten Schubhaft jedenfalls als verhältnismäßig angesehen worden sei. Auffällig sei einzig, dass die erteilte Vollmacht zur Beschwerdeerhebung bereits vom 12.03.2020 stamme, die Schubhaftbeschwerde selbst jedoch erst am 12.06.2020 (am letzten Tag der Frist) per Fax eingebracht worden sei. Das erlassene Aufenthaltsverbot sei ebenfalls nicht bekämpft worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1 Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde vom 12.06.2020 gegen den angefochtenen Schubhaftbescheid des BFA vom 10.03.2020, sowie der Einsicht in den bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.2      Zur Person der BF:

Die volljährige BF, XXXX , ist am XXXX geboren und Staatsangehörige Rumäniens. Sie besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Die BF arbeitete als Altenpflegerin in Österreich und war in den Jahren 2016 bis 2019 an zehn unterschiedlichen Adressen mit Nebenwohnsitz gemeldet. Ab 29.12.2017 war die BF bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen und ab 01.01.2018 bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen – GW XXXX als gewerblich selbstständige Erwerbstätige versichert.

Die BF hat einen Lebensgefährten in Deutschland und zwei Söhne, wovon einer in Rumänien bei der Mutter der BF und einer in Deutschland bei ihrem Lebensgefährten wohnt. Die BF verfügte über keine aufrechte Meldung in Deutschland.

Die BF wurde am 15.02.2020 bei der Einreise nach Österreich aus Ungarn kommend wegen den Verdachts der strafbaren Handlung festgenommen und über sie die Untersuchungshaft verhängt. Am 17.02.2020 wurde ein Festnahmeauftrag gem. § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG erlassen.

Mit Urteil des LG für Strafsachen Wien vom 10.03.2020, XXXX , wurde die BF gem. §§ 127, 129 (1) Z 2 StGB unter Setzung einer Probefrist von drei Jahren zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die BF hat im Zeitraum 12.08.2017 bis 26.08.2017 in Wien der von ihr zu pflegenden Person Schmuck (Goldringe, Armbanduhren, Silberring, Echtgoldkette und Goldohrringe) mit Bereicherungsvorsatz durch Einbruch in einen verschlossenen Kasten weggenommen.

Mit Bescheid vom 11.03.2020 wurde über die BF gem. § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen, gem. § 70 FPG kein Durchsetzungsaufschub gewährt und einer Beschwerde gegen den Bescheid gem. § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Die BF befand sich von 10.03.2020 bis 19.03.2020 in Schubhaft und wurde am 19.03.2020 auf dem Landweg nach Rumänien abgeschoben.

1.3. Zur Fluchtgefahr der BF, der Verhältnismäßigkeit der Schubhaftverhängung und der Frage nach einem gelinderen Mittel.

Es wird festgestellt, dass die BF zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft in Österreich keiner ordentlichen Beschäftigung nachgegangen ist. Die BF war mittellos. Eine familiäre, berufliche oder soziale Verankerung der BF im Bundesgebiet kann nicht festgestellt werden. Darüber hinaus verfügte die BF über keinen ordentlichen, gesicherten Wohnsitz im Bundesgebiet.

Die BF ist nicht vertrauenswürdig.

Der BF war zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft haftfähig. Es gibt keine stichhaltigen Hinweise für substanzielle gesundheitliche Probleme körperlicher oder psychischer Natur.

Das erkennende Gericht stellt fest, dass für die BF eine konkrete Fluchtgefahr gegeben und die Verhängung der Schubhaft verhältnismäßig war. Des Weiteren kann festgestellt werden, dass der Zweck der Schubhaft im gegenständlichen Fall nicht durch ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG hätte erreicht werden können. Aufgrund des Verhaltens der BF und dem daraus folgenden, überwiegenden öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung der BF im Bundesgebiet war im gegenständlichen Fall von einem erhöhten Sicherungsbedarf auszugehen.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu Namen, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit der BF ergeben sich aus der im Akt einliegenden Kopie der rumänischen ID-Karte.

Die Feststellungen zum Leben der BF in Deutschland und in Rumänien ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 10.03.2020.

Die Feststellung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ergibt sich zweifelsfrei aus dem Verwaltungsakt der BF. Dass sich die BF von 10.03.2020 bis 19.03.2020 in Schubhaft befand und am 19.03.2020 auf dem Landweg nach Rumänien abgeschoben worden, ergibt sich aus einer Einsicht in die Anhaltedatei.

Dass die BF aus Ungarn kommend festgenommen und über sie die Untersuchungshaft verhängt wurde, ergibt sich ebenso wie die Tatsache, dass gegen die BF ein Festnahmeauftrag gem. § 34 BFA-VG erlassen wurde, aus einer Einsicht in den Verwaltungsakt der BF.

Die Feststellung der strafgerichtlichen Verurteilung ergibt sich aus einer Einsicht in das Strafregister.

Die Feststellungen zur mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit der BF fußen auf dem Umstand, dass sie zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft im Bundesgebiet keiner ordentlichen Beschäftigung nachging und in Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme selbst angab, keiner Beschäftigung in Österreich nachzugehen und lediglich über € 120 zu verfügen. Woher das Geld stamme, wisse sie jedoch nicht (AS 30).

Dass die BF im Bundesgebiet weder sozial, familiär noch beruflich verankert ist, ergibt sich aus ihren Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme. Die BF gab an, in Österreich keine Familienangehörigen zu haben. Ihre Mutter würde mit ihrem 15-jährigen Sohn in Rumänien leben, ihr 17-jähriger Sohn lebe gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in Deutschland (AS 31).

Die Feststellung, dass die BF über keinen gesicherten Wohnsitz verfügte, ergibt sich aus den Angaben der BF in der Einvernahme. Sie erklärte, keine Möglichkeit der Unterkunftnahme in Österreich zu haben, da sie kein Geld habe und niemanden kenne (AS 32).

Hinweise auf schwerwiegende, gesundheitliche Probleme der BF sowie eine mögliche Haftunfähigkeit sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen und wurden insbesondere auch in der gegenständlichen Beschwerde nicht von der BF behauptet.

Die BF war als Person unglaubwürdig, da sie angab, lediglich 34 Tage in Österreich gearbeitet zu haben und zuletzt 2017 in Österreich gewesen zu sein. Ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister ergab jedoch, dass die BF vor August 2017 an insgesamt fünf und nach August 2017 an gesamt vier unterschiedlichen Adressen mit Nebenwohnsitz genmeldet war und seit 01.01.2018 bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen – GW XXXX sozialversichert ist. Auf diese Widersprüche angesprochen erklärte die BF lediglich: „Ich war im August 2017 lediglich einmal in Wien, sonst war ich niemals in Österreich. Da ist jemand anderer auf meinen Namen angemeldet worden. […]“ (AS 32).

Konkrete Fluchtgefahr war gegeben, da die BF über keinen ordentlichen Wohnsitz und keine familiären, sozialen oder beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfüge, nicht über ausreichend Barmittel verfügte und keiner geregelten Arbeit nachging. Zudem war die BF unglaubwürdig und erklärte, in Österreich nur auf der Durchreise gewesen zu sein, weshalb von erheblicher Fluchtgefahr ausgegangen werden musste.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchteil A. – Spruchpunkt I. – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

§ 77 Gelinderes Mittel:

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

3.2 Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

3.3 Die BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, sie ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Sie ist volljährig und in Österreich weder Asylberechtigte noch subsidiär Schutzberechtigte, weshalb die Anordnung der Schubhaft über die BF grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung ist das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Zur Sicherung der Abschiebung kommt Schubhaft darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

3.4 Im vorliegenden Fall wurde Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Mit der Abschiebung der BF war auch zu rechnen, da diese über eine rumänische ID-Karte verfügte. Die Abschiebung erfolgte zudem am 19.03.2020.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht entsprechend den Ausführungen der belangten Behörde von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus.

Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Die BF verfügte über keine sozialen, familiären oder beruflichen Verankerungen im Bundesgebiet. Sie ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und war in Österreich weder gemeldet noch verfügte sie über einen gesicherten Wohnsitz. Zudem war die BF als mittellos anzusehen.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten der BF vor Anordnung der Schubhaft sowie ihre familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Mangels Verankerung der BF im Bundesgebiet ist in Zusammenschau der mit der Unglaubwürdigkeit der Person der BF die Behörde berechtigterweise von einer Fluchtgefahr, die die Verhängung einer Schubhaft rechtfertigt, ausgegangen.

3.5. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse der Betroffenen an der Schonung ihrer persönlichen Freiheit abzuwägen.

In einem Verfahren betreffend Anordnung der Schubhaft muss bei der Prüfung des Sicherungsbedarfs auch das massive strafrechtliche Verhalten des Fremden in Bezug auf Gewalt- und Vermögensdelikte in Verbindung mit der wegen seiner Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr, die sich auch in dem erlassenen Aufenthaltsverbot manifestiert, einbezogen werden. Diesen Umständen kann nämlich im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung insofern Bedeutung zukommen, als eine erhebliche Delinquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität seiner (baldigen) Abschiebung - in Abhängigkeit von der Schwere der Straftaten - maßgeblich vergrößern kann (VwGH 25.03.2017, Ra 2009/21/0276).

Die BF wurde aufgrund eines verübten Einbruchsdiebstahls an einer von ihr zu betreuenden Person rechtskräftig verurteilt. Aufgrund der Mittellosigkeit der BF ist mit einer Wiederholungsgefahr eines strafrechtlich relevanten Verhaltens zu rechnen. Gegen die BF wurde aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung auch ein Aufenthaltsverbot erlassen, dass die BF unangefochten lies.

Zudem ging die BF im Bundesgebiet keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, verfügte über keine Barmittel und keinen gesicherten Wohnsitz und hatte keine maßgeblichen sozialen, familiären oder beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Die BF war darüber hinaus nicht vertrauenswürdig.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen der BF daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung. Die BF hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass sie die österreichische Rechtsordnung nicht einhält. Im Verfahren liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie dieses Verhalten in Zukunft unter Berücksichtigung der bevorstehenden Abschiebung ändern wird.

Die angeordnete Schubhaft erfüllte daher auch das Kriterium der Verhältnismäßigkeit.

3.6. Die Prüfung, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt, führt zu dem Ergebnis, dass ein gelinderes Mittel zu Recht nicht zur Anwendung kam.

Aufgrund der mangelnden Bereitschaft, sich an österreichische Gesetze zu halten und der unglaubhaften sowie widersprüchlichen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme hat sich die BF als nicht vertrauenswürdig erwiesen. Die Möglichkeit der Auferlegung von in § 77 Abs. 3 vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten erscheint dem erkennenden Gericht vor dem Hintergrund des durch das bisherige Verhalten der BF begründeten konkreten Risikos des Abtauchens ihrer Person kein probates Sicherungsmittel gewesen zu sein.

Aufgrund der von der BF angegebenen Mittellosigkeit kam auch die Auferlegung einer finanziellen Sicherheitsleistung nicht in Betracht.

3.1.7. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt eine „ultima ratio“ dar, da sowohl ein Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung der BF zu gewährleisten.

Die Beschwerde war daher gemäß § 76 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abzuweisen.

Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme der BF konnte daher unterbleiben.

Zu Spruchteil A. – Spruchpunkte II. und III. – Kostenersatz

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der BF die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom BF vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der BF die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Die belangte Behörde ist auf Grund der Abweisung der Beschwerde obsiegende Partei, weshalb sie Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang hat. Der BF gebührt als unterlegener Partei kein Kostenersatz.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung Aufenthaltsverbot Einreiseverbot Fluchtgefahr gelinderes Mittel Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Ultima Ratio Verhältnismäßigkeit Vertrauenswürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2231891.1.00

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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