TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/5 W250 2234827-3

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Veröffentlicht am 05.11.2020
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Entscheidungsdatum

05.11.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77

Spruch

W250 2234827-3/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX über die weitere Anhaltung von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet), ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 20.03.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, nachdem er bereits am 31.05.2011 in Italien und am 03.04.2012 in der Schweiz Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatte. Am 23.06.2014 reiste der BF freiwillig aus Österreich aus, nachdem sein Asylantrag zurückgewiesen und er aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde.

2. Am 14.05.2020 wurde der BF von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Bundesgebiet aufgegriffen. Dabei wies er sich mit einem gültigen nigerianischen Reisepass sowie einer italienischen Meldebestätigung aus. Einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel konnte er nicht vorweisen. Der BF wurde festgenommen und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vorgeführt. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesamt gab der BF am 15.05.2020 im Wesentlichen an, dass er vor etwa zwei Monaten mit dem Zug nach Österreich eingereist sei, da er in Italien Angst vor dem Corona-Virus gehabt habe. Er habe weder Verwandte noch Freunde in Österreich und besitze EUR 80,--. Er nächtige bei der XXXX oder in einer Kirche. Weitere Angaben wolle er nicht machen.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 15.05.2020 wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG iVm § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Seither wird der BF in Schubhaft angehalten.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.07.2020 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und gegen den BF ein auf die Dauer von sechs Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde aberkannt. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

5. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.09.2020 und 09.10.2020 wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig war.

6. Am 27.10.2020 legte das Bundesamt den Verwaltungsakt neuerlich zur amtswegigen Prüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG vor.

7. Dem BF wurde im Wege seiner ausgewiesenen Rechtsvertreterin Parteiengehör gewährt, wobei er im Wesentlichen vorbrachte, dass das Bundesamt nicht dargelegt habe, aus welchen Gründen eine Abschiebung des BF im November 2020 tatsächlich stattfinden könne, zumal der in der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2020 genannte Abschiebetermin im Oktober 2020 nicht stattgefunden habe. Das Bundesamt teilte daraufhin auf Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes mit, dass die für 22.10.2020 geplante Charterabschiebung wegen Unruhen in Nigeria kurzfristig abgesagt worden sei. Der BF sei für die Charterabschiebung am 12.11.2020 angemeldet, wobei nach derzeitigem Informationsstand davon ausgegangen werde, dass dieser Flug auch stattfinden werde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Zum Verfahrensgang (I.1. – I.7.)

Der unter Punkt I.1. – I.7. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Zur Person des BF und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

2.1. Der BF führt die im Spruch dieses Erkenntnisses genannten Identitätsdaten, er ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er verfügt über einen bis XXXX gültigen nigerianischen Reisepass. Die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht, ebensowenig verfügt der BF über einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel. Der BF ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

2.2. Der BF wird seit 15.05.2020 in Schubhaft angehalten, die gesetzliche Frist zur neuerlichen Überprüfung der Schubhaft endet am 06.11.2020.

2.3. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Er hat in Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

3. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

3.1. Der BF stellte am 20.03.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, nachdem er bereits am 31.05.2011 in Italien und am 03.04.2012 in der Schweiz Anträge auf internationalen Schutz gestellt hatte. Bereits am 01.04.2013 wurde der BF von der Grundversorgung abgemeldet, da sein Aufenthaltsort unbekannt war.

3.2. Der BF reiste ca. Mitte März 2020 unrechtmäßig nach Österreich ein und tauchte unter. Er entzog sich damit einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

3.3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.07.2020 wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem auf die Dauer von sechs Monaten befristeten Einreiseverbot erlassen. Die Unterschrift zur Bestätigung der Übernahme dieses Bescheides wurde vom BF verweigert. Es liegt eine rechtskräftige, durchführbare und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.4. Der BF befand sich von 29.06.2020 bis 01.07.2020 sowie am 02.07.2020 im Hungerstreik.

3.5. Der BF verfügt weder über familiäre noch soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte in Österreich, er verfügt über keinen gesicherten Wohnsitz und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

4. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

4.1. Der BF weist folgende Vorstrafen in Österreich auf:

4.1.1. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 21.05.2013 wurde der BF rechtskräftig nach §§ 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, 27 Abs. 3 Suchtmittelgesetz – SMG und § 15 Strafgesetzbuch – StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, wovon ein Teil von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Die letzte dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 24.04.2013 begangen. Der unbedingte Teil dieser Strafe wurde bis 24.07.2013 vollzogen.

4.1.2. Mit Urteil eines Landesgerichtes vom 13.09.2013 wurde der BF rechtskräftig nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall, 27 Abs. 3 SMG und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Gleichzeitig wurde die mit Urteil vom 21.05.2013 gewährte bedingte Strafnachsicht widerrufen. Die letzte dieser Verurteilung zu Grunde liegende Tat hat der BF am 03.08.2013 begangen. Der BF wurde bis 23.06.2014 in Strafhaft angehalten.

4.2. Die Abschiebung des BF nach Nigeria im Wege eines Charterfluges ist für den 12.11. bzw. 13.11.2020 geplant.

Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des BF in seinen Herkunftsstaat innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft besteht weiterhin.

4.3. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit der letzten Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungs- und Gerichtsakt, in die Akte des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des Bundesamtes, den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.2. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf der im Verwaltungsakt einliegenden Kopie seines gültigen nigerianischen Reisepasses. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Da sein Asylantrag rechtskräftig vollinhaltlich zurückgewiesen wurde, handelt es sich beim BF weder um einen Asylberechtigten noch um einen subsidiär Schutzberechtigten. Dass der BF über keinen gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfügt steht insofern fest, als auf Grund der im Verwaltungsakt einliegenden Anfrage Österreichs von den italienischen Behörden mitgeteilt wurde, dass der BF über keinen gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfügt. Die Gültigkeit seines letzten Aufenthaltstitels ist am 17.01.2018 abgelaufen.

1.3. Der Zeitpunkt, seit dem der BF in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei. Da die letzte Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des BF in Schubhaft am 09.10.2020 erfolgte, endet die vierwöchige Frist zur neuerlichen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit am 06.11.2020.

1.4. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus den Angaben des BF im bisherigen Verfahren, in dem er bis auf eine Ohrenentzündung keine weiteren gesundheitlichen Beschwerden geltend machte.

2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

2.1. Die Feststellungen zu den bisher im Bereich der Mitgliedstaaten gestellten Asylanträgen ergibt sich aus den im Zentralen Fremdenregister eingetragenen Eurodac-Treffern. Dass der BF bereits am 01.04.2013 wegen unbekannten Aufenthaltes von der Grundversorgung abgemeldet wurde ergibt sich aus den diesbezüglichen Eintragungen im Grundversorgungs-Informationssystem.

2.2. Aus den Angaben des BF im Zuge seiner Befragung am 15.05.2020 ergibt sich, dass er ca. Mitte März 2020 von Italien kommend mit dem Zug nach Österreich eingereist ist. Dass diese Einreise unrechtmäßig war ergibt sich insbesondere daraus, dass der BF weder im Besitz eines Aufenthaltstitels eines anderen Mitgliedstaates noch eines entsprechenden Visums war. Dass der BF unmittelbar nach seiner Einreise untertauchte und sich damit einem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme entzog steht insofern fest, als er – wie sich aus dem Zentralen Melderegister – ergibt, seiner Meldeverpflichtung nicht nachkam und er entsprechend seiner Angaben am 15.05.2020 entweder bei der XXXX oder in einer Kirche nächtigte.

2.3. Die Feststellungen über die durchsetzbare Rückkehrentscheidung sowie das damit verbundene Einreiseverbot beruhen auf der vom Bundesamt vorgelegten Bescheidausfertigung. Dass der BF die Unterschrift zur Bestätigung der Übernahme dieses Bescheides am 02.07.2020 verweigert hat, ergibt sich aus den diesbezüglichen Eintragungen in der Anhaltedatei.

2.4. Die Feststellungen zum Hungerstreik des BF beruhen auf den diesbezüglichen Eintragungen in Anhaltedatei.

2.5. Die Feststellungen zu den mangelnden familiären, sozialen und beruflichen Anknüpfungspunkten des BF in Österreich sowie zum mangelnden Wohnsitz ergeben sich aus seinen Angaben am 15.05.2020. Gegenteiliges wurde auch in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.09.2020 sowie am 09.10.2020 nicht vorgebracht.

3. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

3.1. Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF beruhen auf den Eintragungen im Strafregister.

3.2. Das Datum der geplanten Abschiebung des BF ergibt sich aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 27.10.2020. Da entsprechend den auf der Homepage des österreichischen Außenministeriums veröffentlichen Informationen der internationale Flugverkehr in Nigeria nach dessen Einstellung auf Grund der Corona-Pandemie ab 05.09.2020 eingeschränkt wieder aufgenommen wurde, besteht die realistische Möglichkeit einer Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer. Entsprechend der Stellungnahme des Bundesamtes vom 03.11.2020 wurde die Abschiebung nach Nigeria per Charterflug am 22.10.2020 kurzfristig wegen Unruhen in Lagos abgesagt. Die Corona-Pandemie stellte daher bereits im Oktober 2020 keinen grundsätzlichen Hinderungsgrund für die Durchführung einer Abschiebung auf dem Luftweg nach Nigeria mehr dar. Da nunmehr konkrete Vorbereitungen für eine Charterabschiebung am 12.11.2020 vorgenommen werden, konnte die Feststellung getroffen werden, dass die Abschiebung des BF innerhalb der Schubhafthöchstdauer möglich sein wird.

3.3. Eine Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft zu Gunsten des BF seit ihrer letzten Überprüfung ist dem Verwaltungsakt nicht zu entnehmen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

§ 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

3.1.3. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist.

3.1.4. Die Anhaltung in Schubhaft und die Fortsetzung derselben gründen sich im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG, mit der Abschiebung des BF ist insofern zu rechnen, als eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorliegt, der BF über einen gültigen nigerianischen Reisepass verfügt, seine Abschiebung mit einem Charterflug am 12. bzw. 13.12.2020 vorgesehen ist und der internationale Flugverkehr nach Nigeria seit 04.09.2020 wieder möglich ist.

3.1.5. Hinsichtlich der Fluchtgefahrtatbestände des §76 Abs. 3 FPG hat sich in Hinblick auf die letzte Überprüfung der Verhältnismäßigkeit zur gegenständlich zu überprüfenden Schubhaft die Fluchtgefahr nicht vermindert. Die Schubhaft ist weiterhin jedenfalls wegen hoher Fluchtgefahr aufrechtzuerhalten, weil aus dem Verhalten des BF mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden kann, dass er seine Abschiebung mit allen Mitteln zu verhindern oder jedenfalls zu behindern beabsichtigt. Es besteht daher jedenfalls Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG. und ist auch weiterhin Sicherungsbedarf gegeben.

3.1.6. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der BF hatte keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung überwiegen würde. Die Schubhaft ist vor dem Hintergrund, dass die Behörde sich laufend um die Abschiebung des BF bemüht hat, auch verhältnismäßig. Der Flugverkehr kam zwar aufgrund der COVID-19-Krise im März 2020 beinahe gänzlich zum Erliegen, seit 04.09.2020 sind jedoch internationalen Flüge nach Nigeria wieder möglich. Anhaltspunkte, dass innerhalb der Schubhafthöchstdauer von 6 Monaten keine Abschiebung des BF möglich wäre, sind jedoch nicht gegeben. Es erscheint daher realistisch, dass die für November 2020 geplante Charterabschiebung möglich sein wird.

Die Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist im Wesentlichen auf die aktuell vorherrschende COVID-19 Pandemie sowie auf Unruhen in Nigeria im Oktober 2020 zurückzuführen. Verzögerungen, die in der Sphäre des Bundesamtes liegen, sind nicht zu erkennen.

Der BF verfügt über keine nennenswerten familiären Kontakte in Österreich und über keine substanziellen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Er ging in Österreich keiner legalen Beschäftigung nach und ist mittellos.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände bleibt im Zuge der durchzuführenden Abwägung festzuhalten, dass aufgrund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens (Stellung von Asylanträgen in mehreren Mitgliedstaaten, Untertauchen im Asylverfahren im Jahr 2013, neuerliche unrechtmäßige Einreise nach Österreich mit abermaligem Untertauchen), das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung seiner Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des BF weiterhin überwiegt und auch der Gesundheitszustand des BF der weiteren Anhaltung in Schubhaft nicht entgegensteht.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF weist Vorstrafen nach dem Suchtmittelgesetz auf, die zwar aus dem Jahr 2013 stammen, jedoch insofern bemerkenswerte Aspekte beinhalten, die auch für die hier durchzuführende Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant sind. So beging der BF seine erste zu einer Verurteilung führende Straftat am 24.04.2013. Zu diesem Zeitpunkt lag sein in Österreich gestellter Asylantrag erst ca. einen Monat zurück und war der BF im laufenden Asylverfahren untergetaucht. Auf Grund seiner Verurteilung vom 21.05.2013 wurde er drei Monate in Strafhaft angehalten und am 24.07.2013 aus der Strafhaft entlassen. Bereits am 03.08.2013 – nur wenige Tage nach seiner Entlassung – beging er neuerlich eine einschlägige Straftat, die wiederum zu seiner Verurteilung führte.

Es ist auf die mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen verbundene große Wiederholungsgefahr hinzuweisen, von der auch im vorliegenden Fall angesichts der Mittellosigkeit des BF in Verbindung mit dem in der Vergangenheit gezeigten Verhalten auszugehen ist, da der BF jeweils wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen unerlaubten Umganges mit Suchtgiften bestraft wurde und er nicht einmal durch das verspürte Haftübel von der weiteren Begehung einschlägiger Straftaten abgehalten werden konnte. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554).

Es ist daher davon auszugehen, dass der BF auch künftig Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz begehen wird, sodass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährdet und ein besonders hohes öffentliches Interesse an der baldigen Außerlandesbringung des BF besteht.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung.

Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass die seit 15.05.2020 durchgehende Anhaltung in Schubhaft unter Berücksichtigung einer höchstzulässigen Anhaltedauer von 6 Monaten sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Abschiebung des BF in ca. einer Woche erfolgen wird, auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt.

3.1.7. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens und angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des neuerlichen Untertauchens des BF besteht. Insbesondere steht auch das vom BF während seiner Anhaltung in Schubhaft gezeigte Verhalten der Anordnung eines gelinderen Mittels entgegen. So versuchte er durch Hungerstreik seine Haftunfähigkeit herbeizuführen und war nicht einmal bereit, durch seine Unterschrift die Übernahme jenes Bescheides, mit dem eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot erlassen wurde, zu bestätigen. Der BF lässt daher jegliche Kooperationsbereitschaft vermissen, die jedoch unabdingbare Voraussetzung für die Anordnung eines gelinderen Mittels ist.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

3.1.8. Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

3.1.9. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte unterbleiben, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.

3.2. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Suchtmitteldelikt Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W250.2234827.3.00

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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