TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/9 W279 2228003-1

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Veröffentlicht am 09.11.2020
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Entscheidungsdatum

09.11.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
FPG §77
VwGVG §35
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W279 2228003-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Volksrepublik China, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.01.2020, Zahl XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 21.01.2020 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft von 21.01.2020 bis 27.01.2020 für rechtswidrig erklärt.

III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

IV. Gemäß § 35 VwGVG iVm Aufwandersatzverordnung, BGBl. II Nr. 517/2013, hat der Bund (Bundesminister für Inneres) der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF), eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und wurde am 20.01.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten und einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen. Mangels eines gültigen Reisedokumentes bzw. einer gültigen Aufenthaltsberechtigung wurde die BF gem. § 39 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (in der Folge FPG) festgenommen und ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.

Eine VIS-Abfrage ergab, dass die BF bereits dreimal ein Visum (zweimal für Frankreich, einmal für Lettland) beantragt, jedoch nicht erhalten hat.

2. Noch am selben Tag wurde der Haftgrund durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) von § 39 FPG auf § 40 BFA-VG geändert, da aufgrund der Angaben der BF eine Zurückschiebung aus faktischen und rechtlichen Gründen nicht möglich sei.

3. Ebenfalls am 20.01.2020 wurde die BF durch Organe der Landespolizeidirektion (LPD) Steiermark niederschriftlich einvernommen und zu ihrem rechtswidrigen Aufenthalt gem. § 120 Abs. 1a FPG befragt. Sie gab an, seit zwei Tagen in Österreich zu sein. Sie sei von China mit einem Flugzeug weggeflogen, wohin, wisse sie jedoch nicht, da sie Analphabetin sei. Ihre Eltern und ihre Kinder würden nach wie vor in China leben. In Österreich habe sie keine sozialen bzw. familiären Anknüpfungspunkte. Sie wolle hier arbeiten und Geld verdienen, da ihre Tochter krank sei.

4. Mit Mandatsbescheid vom 21.01.2020 ordnete das BFA gem. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung an und stellte fest, dass die BF sich illegal im Bundesgebiet befinde, um hier einer illegalen Beschäftigung nachzugehen. Zudem verfüge sie nicht über ausreichend Barmittel um ihren Unterhalt zu finanzieren und habe auch keinen ordentlichen Wohnsitz im Bundesgebiet.
5. Mit Bescheid des BFA vom 22.01.2020, Zahl XXXX , wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen die BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG festgestellt, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt V.).

Der Bescheid wurde durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge BVwG) vom 26.02.2020, XXXX , ersatzlos behoben, da die Erlassung einer Rückkehrentscheidung die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraussetze und daher nicht zulässig sei, bevor über den Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen worden sei.

6. Die BF stellte im Stande ihrer Anhaltung am 23.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG. Mit Aktenvermerk vom selben Tag hielt das BFA fest, dass die Schubhaft trotz Stellung eines Asylantrages gem. § 76 Abs. 6 FPG aufrechterhalten werden könne, wenn anzunehmen sei, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei.

7. Mit Schreiben vom 27.01.2020 erhob die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gem. § 22a BFA-VG und brachte vor, dass sie bereits bei ihrem ersten Kontakt mit der Polizei einen Asylantrag habe stellen wollen, dies vom Dolmetscher jedoch nicht weitergeleitet worden sei. Die Behörde habe im konkreten Fall überhaupt nicht ermittelt, ob sich die BF im betroffenen Verfahren kooperativ zeige und ob sie, wie von der Behörde angenommen, einer illegalen Beschäftigung nachgehen würde. Es würden im Fall der BF weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit vorliegen. Fehlende berufliche oder soziale Verankerung würde nach ständiger Judikatur bei noch nicht lange in Österreich befindlichen Asylwerbern keine besonderen Umstände darstellen, um ein Sicherungsbedürfnis zu begründen. Zudem sei das Kriterium des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG nicht erfüllt, da sie aufgrund der Asylantragstellung einen Anspruch auf Versorgung in einer Betreuungseinrichtung des Bundes habe.

8. Am 27.01.2020 wurde die BF aus der Schubhaft entlassen, da der Schubhaftgrund aufgrund der Zulassung im Asylverfahren weggefallen war.

9. Ebenfalls am 27.01.2020 legte das BFA die Schubhaftbeschwerde dem BVwG vor und gab an, dass der Grund der Einreise der BF ausschließlich die Arbeitsaufnahme zur finanziellen Unterstützung der Familie im Herkunftsland gewesen sei. Gründe, die gegen eine Außerlandesbringung gesprochen hätten, hätte die BF bei der Befragung vor der Polizei am 20.01.2020 nicht vorgebracht. Der Asylantrag sei ausschließlich zur Verfahrensverzögerung gestellt worden, aufgrund der Verfahrenszulassung im Asylverfahren sei jedoch die Entlassung aus der Schubhaft veranlasst worden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter I. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Die volljährige BF ist Staatsangehörige der Volksrepublik China und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Sie ist daher Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.

Die BF verfügt über kein gültiges Reise- oder Ausweisdokument. Laut VIS-Abfrage beantragte sie bereits mehrfach europäische Visa (zweimal für Frankreich, einmal für Lettland), die jedoch nicht genehmigt wurden.

Die BF ist gesund, leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten und ist strafgerichtlich unbescholten.

Die BF befand sich von 21.01.2020 bis 27.01.2020 in Schubhaft. Sie stellte am 23.01.2020 im Stande ihrer Anhaltung einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Das BFA hielt mit Aktenvermerk vom 23.01.2020 fest, dass die Schubhaft trotz Stellung des Asylantrages aufrechterhalten werde, da anzunehmen sei, dass die BF den Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt habe.

Mit Bescheid vom 22.01.2020 wurde der BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig ist. Es wurde ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Mit Erkenntnis des BVwG vom 26.02.2020, XXXX , wurde der Bescheid ersatzlos behoben.

Die BF verfügt über keine existenzsichernden Mittel, ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und verfügte über keinen gesicherten Wohnsitz im Bundesgebiet. Sie hat keine familiären, beruflichen oder sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

Die Feststellungen zur Person der BF und ihrer Staatsangehörigkeit ergeben sich aus ihren Angaben im Verfahren vor dem BFA sowie vor der LPD Steiermark.

Dass die BF über kein gültiges Reisedokument verfügte, ergibt sich aus ihren Angaben vor den Organen der LPD Steiermark am 20.01.2020. Dass die BF bereits dreimal Visa für verschiedene europäische Länder (Frankreich und Lettland) beantragte, welche ihr jedoch nicht ausgestellt wurden, ergibt sich aus der VIS-Abfrage vom 20.01.2020.

Die Feststellung der Antragstellung auf internationalen Schutz ergibt sich aus einer Einsicht in den Verwaltungsakt sowie aus dem Aktenvermerk des BFA vom 23.01.2020. Die Feststellung, dass sich die BF von 21.01.2020 bis 27.01.2020 in Schubhaft befand, ergibt sich aus einem Auszug aus der Anhaltedatei.

Dass gegen die BF eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ergangen ist, die durch Erkenntnis des BVwG ersatzlos behoben wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt des BFA und dem zugehörigen Gerichtsakt des BVwG.

Die Feststellung, dass die BF über keine existenzsichernden Barmittel und keinen gesicherten Wohnsitz verfügte und keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, ergibt sich ebenso wie die Tatsache, dass die BF keine sozialen, familiären oder beruflichen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet hatte, aus den Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme vor Organen der LPD Steiermark.

Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsicht in das Strafregister.

Dass die BF gesund ist beruht auf dem Umstand, dass Gegenteiliges nicht vorgebracht wurde.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt A)

3.1 Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

§ 77 Gelinderes Mittel:

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

3.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

3.3 Zu Spruchpunkt I. – Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides und der Anhaltung in Schubhaft vom 21.01.2020 bis 27.01.2020

Die volljährige BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Sie ist weder Asyl- noch subsidiär Schutzberechtigte, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist. Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. zur Sicherung der Abschiebung ist das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Zur Sicherung der Abschiebung kommt Schubhaft darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

3.4 Im vorliegenden Fall wurde Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Die belangte Behörde ging vom Vorliegen der Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG aus.

Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen. Die BF verfügte zwar über keine sozialen, familiären oder beruflichen Verankerungen im Bundesgebiet. Sie ging keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und war in Österreich weder gemeldet noch verfügte sie über einen gesicherten Wohnsitz.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist jedoch das gesamte Verhalten der BF vor Anordnung der Schubhaft sowie ihre familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen.

Nach der Rechtsprechung des VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021, wird im Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG auf den Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes Bezug genommen. Die auf das Bestehen integrationsbegründender Umstände abstellende Formulierung dieses Tatbestandes und die dabei vorgenommene Zusammenfassung verschiedenster Aspekte erschweren ein Verständnis, dass es sich dabei um Kriterien handelt, die annehmen ließen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen könnte. Um § 76 Abs. 3 Z 9 FPG nicht "leer laufen" zu lassen, wird es daher umgekehrt darauf ankommen, dass keine maßgebliche - der Annahme einer Entziehungsabsicht entgegen stehende - soziale Verankerung des Fremden in Österreich vorliegt, was an Hand der genannten Parameter ((Nicht)bestehen familiärer Beziehungen, ...) zu beurteilen ist. Dem kam in diesem Sinn schon in der bisherigen Judikatur des VwGH Bedeutung zu (Hinweis E 8. September 2005, 2005/21/0301). Dass eine demnach abstrakt gegebene "Fluchtgefahr" im Rahmen der gebotenen Gesamtbewertung allerdings unter Umständen nicht ausreichen kann, halten die ErläutRV zu § 76 Abs. 3 Z 9 FPG (582 BlgNR 25 GP 21 ff), unter Verweis auf das E 28. Mai 2008, 2007/21/0233, selbst fest, wenn dort ausgeführt wird, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines "Sicherungsbedarfs" sind.

Die BF verfügte zwar über keine maßgeblichen sozialen Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet, ein die Fluchtgefahr bzw. den Sicherungsbedarf begründendes Verhalten konnte aber von Seiten des Gerichts nicht erkannt werden. Die BF stellte am 23.01.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, der am 24.01.2020 im Rahmen einer Prognoseentscheidung zugelassen wurde. Die BF hatte daher spätestens ab diesem Zeitpunkt auch Anspruch auf Grundversorgung sowie Unterkunftnahme in einer Betreuungseinrichtung.

Da das Verhalten der BF keine Fluchtgefahr begründete, bestand bereits von vornherein kein Sicherungsbedarf und war die Schubhaft als rechtswidrig anzusehen.

3.5 Da von vorn herein kein Sicherungsbedarf gegeben war, war die angeordnete Schubhaft nicht verhältnismäßig bzw. als Ultima Ratio zu qualifizieren. Bei einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse der Betroffenen an der Schonung der persönlichen Freiheit abzuwägen.

3.6 Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs. 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17. März 2009, 2007/21/0542; E 30. August 2007, 2007/21/0043).

Da bereits von vorn herein kein Sicherungsbedarf gegeben war, war der Schubhaftbescheid rechtswidrig. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH 08.09.2009, 2009/21/0162; 26.01.2012, 2008/21/0626; 11.06.2013, 2012/21/0114).

Selbst unter der Annahme des Bestehens einer Fluchtgefahr bzw. eines Sicherungsbedarf hätte die belangte Behörde im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung von der Schubhaft absehen und die Anwendung eines gelinderen Mittels (insbesondere der periodischen Meldeverpflichtung) anordnen müssen.

Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt werden. Eine Einvernahme der BF konnte daher unterbleiben.

Zu A) III. und IV. Kostenanträge

1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der BF die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom BF vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der BF die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

3. Nach § 35 Abs. 4 VwGVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der BF aufzukommen hat (Z 1), die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren (Z 2), sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (Z 3). Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht. Aufwandersatz ist laut Abs. 7 auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die BF vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu.

B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH und EuGH ist zwar teilweise zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asylantragstellung Fluchtgefahr gelinderes Mittel illegale Einreise Kostenersatz Mittellosigkeit Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Verhältnismäßigkeit Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2228003.1.00

Im RIS seit

23.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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