Entscheidungsdatum
10.11.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G303 2225766-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 21.10.2019, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF sowie § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 16.07.2019 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel“ in den Behindertenpass.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde das medizinische Sachverständigengutachten aus dem vorangegangenen Behindertenpassverfahren als Entscheidungsgrundlage herangezogen.
2.1. In diesem medizinischen Gutachten von Dr. XXXX , Facharzt für Chirurgie, vom 10.06.2019, wurde nach erfolgter persönlicher Untersuchung des BF am 03.06.2019, zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgehalten, dass dem BF das Zurücklegen kurzer Wegstrecken sowie das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel möglich sei, zumal ein entsprechender Beugegrad von Seiten des linken Hüft- und Kniegelenkes erreicht werde. Es werde auf die gute Funktionalität des rechten Beines und die uneingeschränkte Funktionalität der rechten oberen Extremität und nur geringgradigen Beschwerden von Seiten der Schulter links verwiesen.
3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 02.08.2019 wurde dem BF zum oben angeführten Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
3.1. Mit undatiertem Schreiben, bei der belangten Behörde eingelangt am 14.08.2019, teilte der BF im Rahmen seines Parteiengehörs mit, dass sich sein Gesundheitszustand in den letzten beiden Jahren nicht verbessert, sondern verschlechtert habe. Aufgrund seiner starken Schmerzen in beiden Hüften habe der BF eine Spritzenkur erhalten, die nicht geholfen habe. Zurzeit mache der BF für die Hüfte und den linken Unterschenkel eine Physiotherapie, um einigermaßen beweglich zu bleiben. Die Untersuchung beim Sachverständigen XXXX habe ziemlich kurz gedauert, der BF habe lediglich seine Hose herunterziehen und wenige Schritte durchs Zimmer gehen müssen. Dabei habe der Sachverständige offensichtlich bereits feststellen können, dass er sein linkes Knie bis 90 Grad beugen könne, was jedoch tatsächlich nicht stimme. Er könne auch nur eine ganz kurze Wegstrecke von ca. 100 m zurücklegen, danach müsse er sich hinsetzen. Häufige Gicht- und Rheumaschübe würden dem BF „höllische“ Schmerzen in den Gelenken bereiten, derzeit speziell zwischen den Fingern und im rechten Handgelenk. Der BF könne gar nicht greifen und sich im öffentlichen Verkehrsmittel auch nicht festhalten. Der BF ersuche um nochmalige Überprüfung.
4. Die belangte Behörde ersuchte aufgrund der im Rahmen des Parteiengehörs erstatteten Einwendungen des BF den ärztlichen Sachverständigen XXXX um eine ergänzende medizinische Stellungnahme.
Im Rahmen der medizinischen Stellungnahme vom 15.10.2019 verweist der Sachverständige XXXX auf sein Sachverständigengutachten von Juni 2019, das sehr aussagekräftig sei. Es enthalte einen umfassenden Untersuchungsstatus; es würden sich keine Änderungen dazu ergeben.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 21.10.2019 wurde der Antrag vom 16.07.2019 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das oben angeführte ärztliche Sachverständigengutachten von XXXX samt der ergänzenden Stellungnahme. Dieses sei als schlüssig erkannt und der Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt worden. Danach würden die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen.
In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.
6. Gegen den oben genannten Bescheid brachte der BF mit Schreiben vom 31.10.2019 Beschwerde ein. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF keine 300 bis 400 m gehen könne. Er habe nur einige Schritte vor dem Sachverständigen machen müssen, woraus dieser falsche Schlüsse gezogen habe. Das rechte Bein des BF sei ca. 2 cm kürzer und er habe ständig Kreuzschmerzen, egal ob beim Bewegen, Liegen oder Sitzen. Beide Hüften des BF seien kaputt und er tue sich beim Zurücklegen kurzer Wegstrecken unglaublich schwer. Beim Stiegensteigen müsse er sich ständig anhalten und könne nur Stufe für Stufe schaffen. Das schmerzhafte Rheuma- und Gichtleiden in sämtlichen Gelenken schränke den BF in der Bewegungsfähigkeit extrem ein. Der BF brachte weitere medizinische Beweismittel in Vorlage. Der BF sei aus den oben angeführten Gründen auf sein Auto angewiesen und ersuche um Zuerkennung des Parkausweises.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 26.11.2019 vorgelegt.
8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichts ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.
8.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX , Arzt für Allgemein- und Sportmedizin, vom 20.07.2020 werden, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF am selben Tag, folgende Gesundheitsschädigungen angeführt:
- Zustand nach zweimaligem Bruch im Bereich des linken Unterschenkels mit mehrmaligen Operationen und entsprechender Beinlängendifferenz und Fußfehlstellung
- Schulterbewegungseinschränkung beidseits in erster Linie bei Sehnenkappenabnützung
- Abnützung beider Hüftgelenke
- Sprunggelenksbewegungseinschränkung links nach Trümmerbruch im Bereich des linken Unterschenkels
- Symptomatische Gelenksentzündung (Rheuma) sowie Gichterkrankung betreffend die Hand- und Fingergelenke
- Degenerative Wirbelsäulenerkrankung der Hals- als auch der Lendenwirbelsäule ohne neuromotorische Ausfallserscheinungen
Zur beantragten Zusatzeintragung wurde im Sachverständigengutachten folgendes festgehalten:
Aufgrund der durchgeführten Untersuchung und der Anamnese seien die oben angeführten Erkrankungen objektivierbar. Die Schmerzen seien nachvollziehbar, jedoch als subjektiv zu bewerten. Das Gangmuster sei eingeschränkt, sodass auf alle Fälle das schnelle Überwinden von Niveauunterschieden und der sichere Transport auf Grund der Funktionseinschränkung der unteren Extremität als auch der oberen Extremitäten als eingeschränkt zu bewerten sei. Der sichere Transport erscheine ebenso nur im Sitzen gewährleistet.
Beim BF würden keine direkten erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vorliegen, jedoch würden deutliche Funktionseinschränkungen diesbezüglich bestehen.
9. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 23.07.2020 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.
9.1. Die Verfahrensparteien erstatteten dazu keine Äußerung beziehungsweise Stellungnahme.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist am XXXX geboren und im Besitz eines Behindertenpasses mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 70 von Hundert.
Der BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:
- Zustand nach zweimaligem Bruch im Bereich des linken Unterschenkels mit mehrmaligen Operationen und entsprechender Beinlängendifferenz und Fußfehlstellung
- Beidseitige Schulterbewegungseinschränkung
- Abnützung beider Hüftgelenke
- Sprunggelenksbewegungseinschränkung links nach Trümmerbruch im Bereich des linken Unterschenkels
- Symptomatische Gelenksentzündung (Rheuma) sowie Gichterkrankung betreffend die Hand- und Fingergelenke
- Degenerative Wirbelsäulenerkrankung der Hals- als auch der Lendenwirbelsäule ohne neuromotorische Ausfallserscheinungen
Durch diese Leiden bestehen deutliche Einschränkungen der Funktionen der linken unteren Extremität und eine mittelgradige Bewegungseinschränkung im Bereich beider Hüftgelenke. Zudem ist das Gangbild des BF deutlich humpelnd und kurzschrittig.
Die beidseitige Schulterbewegungseinschränkung sowie die Rheuma- und Gichterkrankung bedingen eine Funktionseinschränkung der oberen Extremitäten.
Das Ein- und Aussteigen in beziehungsweise aus einem öffentlichen Verkehrsmittel ist dem BF nicht zügig möglich. Insgesamt ist der sichere Transport des BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen aufgrund der festgestellten Gesundheitsschädigungen nicht gewährleistet.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
Im seitens des erkennenden Gerichts eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX , Arzt für Allgemein- und Sportmedizin, vom 20.07.2020, welches auf einer persönlichen Untersuchung des BF basiert, wurde auf die Art der Leiden des BF und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Feststellungen diesbezüglich gründen sich darauf.
Insbesondere wurde schlüssig ausgeführt, dass beim BF eine Bewegungseinschränkung des linken Sprunggelenkes, ein Zustand nach zweimaligem Bruch im Bereich des linken Unterschenkels mit mehrmaligen Operationen und entsprechender Beinlängendifferenz und Fußfehlstellung sowie eine mittelgradige Bewegungseinschränkung beider Hüftgelenke vorliegt. Dadurch konnte festgestellt werden, dass deutliche Einschränkungen im Bereich der Funktionen der unteren Extremitäten, insbesondere der linken unteren Extremität, vorliegen.
Der Gutachter führte zudem aus, dass es dem BF nicht möglich ist, schnell Niveauunterschiede zu überwinden. Daraus lässt sich schließen, dass das zügige Ein- und Aussteigen in ein öffentliches Verkehrsmittel nicht möglich ist.
Gutachterlich erscheint der sichere Transport des BF nur im Sitzen gewährleistet, zumal auch Funktionseinschränkungen bei den oberen Extremitäten bestehen. Aus Sicht des erkennenden Senates ist dies nicht ausreichend, damit die Feststellung getroffen werden kann, dass ein sicherer Transport im öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen insgesamt gewährleistet ist, da nicht generell davon ausgegangen werden kann, dass immer ein Sitzplatz zur Verfügung steht und auch ein kurzes Fortbewegen im öffentlichen Verkehrsmittel aus verschiedensten Gründen (Ticketkauf, Sitzplatzsuche etc.) notwendig werden kann.
Der Inhalt dieses ärztlichen Sachverständigengutachtens von XXXX Dr. XXXX wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Die Parteien erstatteten keinerlei Stellungnahme dazu. Es blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung von XXXX Dr. XXXX basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung des BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint und auch unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, da auch von den Verfahrensparteien keine mündliche Verhandlung beantragt wurde.
Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind entsprechend der Erläuterungen zur oben angeführten Verordnung ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung“ regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Wie oben unter Punkt II.2 ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte, als nachvollziehbar und widerspruchsfrei gewertete Sachverständigengutachten von XXXX Dr. XXXX vom 20.07.2020 zugrunde gelegt.
Auch wenn beim BF keine direkten erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten im Sinne der oben angeführten Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen vorliegen, so ist doch entscheidungsmaßgeblich festzuhalten, dass durch die vorliegenden Gesundheitsschädigungen in den Beinen (Zustand nach zweimaligem Bruch des linken Unterschenkels, Sprunggelenksbewegungseinschränkung nach Trümmerbruch, Abnützung beider Hüftgelenke) deutliche Einschränkungen bei den unteren Extremitäten bestehen.
Der BF verfügt nicht über die Fähigkeit ein öffentliches Verkehrsmittel insgesamt sicher zu benützen, da ein sicherer Transport des BF nur im Sitzen gewährleistet ist. Bei der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind jedoch auch Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen zügig zu überwinden, oftmals mangels eines Sitzplatzes ein längeres Stehen notwendig und eine Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt erforderlich.
Dem steht die demonstrative ("insbesondere") Aufzählung der Fälle in § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, in denen die Feststellung der genannten Unzumutbarkeit gerechtfertigt erscheint, nicht entgegen (vgl. VwGH 09.11.2016, Ra 2016/11/0137; 21.04.2016, Ra 2016/11/0018 zur demonstrativen Aufzählung).
Da der BF Inhaber eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass jedenfalls vor.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Vollständigkeitshalber wird angemerkt, dass nunmehr die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) mit der gegenständlichen Entscheidung vorliegen. Die belangte Behörde wird daher in weiterer Folge auch über den noch offenen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO zu entscheiden haben.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2225766.1.00Im RIS seit
23.12.2020Zuletzt aktualisiert am
23.12.2020