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L0350 GemeindewahlNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Kein Verstoß einer Bestimmung der NÖ Gemeindeordnung gegen die Bundesverfassung und das Unionsrecht betreffend die Nichtwählbarkeit von EU-Bürgern in den Gemeindevorstand; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers bei der Regelung der Wahl des Gemeindevorstandes nicht überschritten; Funktion des Gemeindevorstandes umfasst in Niederösterreich auch hoheitliche – teilweise über den eigenen (autonomen) Wirkungsbereich der Gemeinde hinausgehende – Aufgaben und setzt ein hohes Maß an Verbundenheit seiner Mitglieder zum Staat voraus; passives Wahlrecht von EU-Bürgern bei den Kommunalwahlen umfasst nur unmittelbare Wahlen durch das Gemeindevolk, jedoch nicht die Wahl des vom Gemeinderat gewählten GemeindevorstandesRechtssatz
Keine Stattgabe der Anfechtung der Wahl des Gemeindevorstandes (Stadtrates) der Stadtgemeinde Mödling:
Der Gemeinderat der Stadtgemeinde Mödling besteht aus 41 Mitgliedern. Die Voraussetzung einer Anfechtung durch ein Zehntel der Mitglieder des Gemeinderates nach §67 Abs2 VfGG erfordert demnach im vorliegenden Fall eine Anfechtung durch fünf Gemeinderatsmitglieder. Die vorliegende, bloß von drei Gemeinderatsmitgliedern erhobene Anfechtung erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die Erstanfechtungswerberin war dabei als Wahlpartei nicht zu berücksichtigen. Ihr kommt auch keine eigenständige Anfechtungslegitimation zu, weil §67 Abs2 erster Satz VfGG eine Anfechtung durch Wahlparteien bei der Wahl des Gemeindevorstandes nicht vorsieht. Unter Aberkennung der Wählbarkeit ist insbesondere auch die Nichtzulassung zur Wahl aus in der Person des Wahlwerbers gelegenen Gründen zu verstehen, nicht hingegen die Zurückweisung eines Wahlvorschlages aus anderen Gründen. Da der Zweitanfechtungswerber auf dem ursprünglichen Wahlvorschlag der Erstanfechtungswerberin aufgeschienen ist und dieser Wahlvorschlag wegen der fehlenden österreichischen Staatsbürgerschaft des Zweitanfechtungswerbers zurückgewiesen wurde, steht die Zurückweisung des Wahlvorschlages auch mit der Person dieses Anfechtungswerbers in Zusammenhang; ihm wurde durch die Zurückweisung des Wahlvorschlages die Wählbarkeit aberkannt. Die Anfechtungslegitimation hinsichtlich des Zweitanfechtungswerbers ist daher gegeben. Hinsichtlich des Erst-, Dritt- und Viertanfechtungswerbers ist die Anfechtung mangels Legitimation zurückzuweisen.
Die Ausgestaltung des Wahlrechts zum Gemeindevorstand fällt nach Art117 Abs5 iVm Art115 Abs2 B-VG in die Zuständigkeit des jeweiligen Landesgesetzgebers. In einer je nach Bundesland unterschiedlichen Inanspruchnahme dieser Kompetenz (zur Wählbarkeit von Unionsbürger in den Stadtsenat) kann von vornherein keine Unsachlichkeit liegen.
Dem Landesgesetzgeber kommt bei der Ausgestaltung der Wahl des Gemeindevorstandes nach Art117 Abs5 B-VG ein größerer Gestaltungsspielraum zu als bei der Ausgestaltung der Wahl des Gemeinderates, die jedenfalls nach den in Art117 Abs2 B-VG festgelegten Grundsätzen zu erfolgen hat. Schon vor diesem Hintergrund kann angesichts des vorliegenden Falles keine Unsachlichkeit des §98 Abs1 NÖ GO 1973 darin erkannt werden, dass nach dieser Bestimmung die Wählbarkeit zum Gemeindevorstand anknüpfend an Art117 Abs2 B-VG österreichischen Staatsbürgern vorbehalten bleibt, selbst wenn gleichzeitig nach §17 Abs1 NÖ GRWO 1994 entsprechend der Ermächtigung des Art117 Abs2 vierter Satz B-VG zum Gemeinderat auch Unionsbürger wählbar sind.
Zu demselben Ergebnis führt auch die Berücksichtigung der konkreten Ausgestaltung der Befugnisse des Gemeindevorstandes nach der NÖ GO 1973. Demnach wird der Gemeindevorstand nicht bloß als Hilfsorgan des Gemeinderates tätig, sondern es sind ihm auch umfassende hoheitliche Befugnisse eingeräumt. Insbesondere kann der Gemeindevorstand auch in überörtlichen Angelegenheiten tätig werden (§39 Abs3 NÖ GO 1973). Im Übrigen fallen gemäß §36 Abs1 NÖ GO 1973 sämtliche Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches, die nicht einem anderen Gemeindeorgan gesetzlich zugewiesen sind, in die Zuständigkeit des Gemeindevorstandes. Der Gemeindevorstand vertritt den Bürgermeister, sofern sowohl dieser als auch der Vizebürgermeister verhindert sind, entscheidet im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde über Berufungen gegen Bescheide des Bürgermeisters und übt die oberbehördlichen Befugnisse nach den Verfahrensgesetzen gegenüber dem Bürgermeister aus. Im Hinblick auf die Funktion des Gemeindevorstandes, die ihm durch diese hoheitlichen, teilweise über den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde hinausgehenden Aufgaben eingeräumt wird und die deshalb ein hohes Maß an Verbundenheit seiner Mitglieder zum Staat voraussetzt, bestehen keine Bedenken gegen die Sachlichkeit des Staatsbürgervorbehalts für die Wahl zum Gemeindevorstand nach §98 Abs1 NÖ GO 1973.
Nach Art2 Abs1 litb der Kommunalwahlrichtlinie sind unter "Kommunalwahlen" jene allgemeinen, unmittelbaren Wahlen zu verstehen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaates den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen; gemäß dem Anhang zu dieser Richtlinie gelten in Österreich als lokale Gebietskörperschaften der Grundstufe "die Gemeinden" und die "Bezirke in der Stadt Wien".
Die Kommunalwahlrichtlinie ist somit nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur auf "unmittelbare" Wahlen anwendbar. Dieser Begriff erfasst unmissverständlich nur die Wahl eines Gemeindeorgans unmittelbar durch das Gemeindevolk selbst, nicht hingegen die mittelbare Wahl eines Gemeindeorgans durch ein anderes (allenfalls unmittelbar gewähltes) Gemeindeorgan. Als unmittelbare Wahlen in diesem Sinn sind in Österreich auf Gemeindeebene nach Art117 Abs2 B-VG die Wahl des Gemeinderates und nach Art117 Abs6 B-VG, sofern landesverfassungsgesetzlich vorgesehen, die Wahl des Bürgermeisters eingerichtet. Die Wahl des Gemeindevorstandes erfolgt hingegen nach Art117 Abs5 B-VG durch den Gemeinderat und somit nicht unmittelbar durch das Gemeindevolk. Das durch die unionsrechtlichen Bestimmungen gemäß Art40 GRC, Art20 Abs2 litb und Art22 Abs1 AEUV sowie Art1 Abs1 Kommunalwahlrichtlinie eingeräumte Wahlrecht erstreckt sich nicht auf die Wahl des Gemeindevorstandes nach Art117 Abs5 B-VG. Schon deshalb kann kein Verstoß gegen diese Bestimmungen darin erkannt werden, dass die Wählbarkeit zum Gemeindevorstand nach §98 NÖ GO 1973 die österreichische Staatsbürgerschaft voraussetzt.
An diesem Ergebnis würde sich im Übrigen selbst im Fall der Anwendbarkeit der Kommunalwahlrichtlinie auf die Wahl des Gemeindevorstandes nichts ändern. Nach Art5 Abs3 Kommunalwahlrichtlinie können die Mitgliedstaaten bestimmen, dass unter anderem die Wählbarkeit zum Mitglied eines kollegialen Exekutivorganes einer lokalen Gebietskörperschaft - worunter auch die Wahl des Gemeindevorstandes nach Art117 Abs5 B-VG fällt - nur den eigenen Staatsangehörigen zukommt. Solche Vorschriften müssen nach Art5 Abs3 letzter Satz Kommunalwahlrichtlinie "den Vertrag und die allgemeinen Prinzipien des Rechts beachten und geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein". Diese Voraussetzungen wären jedoch angesichts der konkreten Funktion des Gemeindevorstandes nach der NÖ GO 1973 und des Umstandes, dass der Gemeindevorstand im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde an die Weisungen des Gemeinderates gebunden ist, jedenfalls erfüllt.
Schlagworte
Wahlen, VfGH / Wahlanfechtung, Wahlrecht passives, Gemeindevorstand, EU-Recht Richtlinie, Rechtspolitik, Ausländerwahlrecht, VfGH / Legitimation, Kompetenz Bund - Länder, GemeinderatEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:WI9.2020Zuletzt aktualisiert am
06.04.2022