TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/6 G310 2225066-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2020
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Entscheidungsdatum

06.05.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G310 2225066-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX, bulgarischer Staatsangehöriger, vertreten durch den XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2020, Zl. XXXX, nach der Beschwerdevorentscheidung vom 14.04.2020 aufgrund des Vorlageantrags vom 28.04.2020 betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Mir Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde der Beschwerdeführer (BF) wegen Suchtgiftdelikten zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Schreiben vom 30.08.2019 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern. Seine Stellungnahme langte am 09.09.2019 beim BFA ein.

Nach vorangegangener Erlassung eines Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2019, GZ. G310 2221588-1/2E, wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein sechsjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Delinquenz und der damit einhergehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit begründet.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit den Anträgen den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben, in eventu das damit gegen den BF erlassene Aufenthaltsverbot aufzuheben, in eventu die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes zu verringern sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass eine unzureichende Betrachtung seines Gesamtverhaltens erfolgt sei. Er habe ein gesundes soziales Umfeld, das ihn unterstütze. Der BF lebe bei seinen Eltern, welche auch die Miete für ihn bezahlen. Auch sei der Strafrahmen nicht gänzlich ausgeschöpft worden und habe der BF bedingt entlassen werden können. Er könne ab 20.02.2020 zu arbeiten beginnen und habe mittlerweile eine Lebensgefährtin.

Gegen die daraufhin ergangene Beschwerdevorentscheidung vom 14.04.2020, mit welcher das BFA die Beschwerde als unbegründet abgewiesen hat, erstattete der BF fristgerecht einen Vorlageantrag.

Die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt, wo sie am 05.05.2020 einlangten.

Feststellungen:

Der BF ist bulgarischer Staatsangehöriger und spricht bulgarisch. Der BF hat auch Kenntnisse der deutschen Sprache. In seinem Herkunftsstaat besuchte er 11 Jahre lang Schule. Er lebt zusammen mit seinen Eltern in Österreich, die ihn finanziell unterstützen, und hat eine Lebensgefährtin. Er ist ledig und es treffen ihn keine Sorgepflichten. Er hat Schulden von unbekannter Höhe.

Seit 06.03.2014 ist der BF mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Am 11.06.2015 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung (Arbeitnehmer ausgestellt).

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Von 13.05.2014 bis 19.12.2014, von 15.01.2015 bis 10.04.2015 und von 01.02.2016 bis 08.04.2016 war der BF bei einer Baufirma in XXXX als Arbeiter beschäftigt. Dazwischen bezog er Arbeitslosengeld. Von 17.05.2016 bis 07.02.2017 erfolgte ein Bezug von Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe. Von 08.02.2017 bis 11.05.2017, von 25.06.2017 bis 22.08.2017, von 22.09.2017 bis 30.09.2017, von 01.10.2017 bis 22.12.2017, von 22.01.2018 bis 04.06.2018 und von 20.06.2018 bis 14.09.2018 war der BF bei verschiedenen Baufirmen als Arbeiter beschäftigt. Von 17.09.2018 bis 11.11.2018, von 24.12.2018 bis 08.01.2019 und von 08.05.2019 bis 17.06.2019 erfolgte erneut ein Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Dazwischen war er von 18.03.2019 bis 20.03.2019 als Arbeiter beschäftigt. Zuletzt ging er von 20.02.2020 bis 16.03.2020 einer Arbeit nach.

Der BF weist in Österreich zwei rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen auf:

Mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgericht XXXX vom XXXX.2015, XXXX, wurde der BF für schuldig befunden, am 12.05.2014 in Wien, wenn auch nur fahrlässig, eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring, unbefugt besessen zu haben. Er hat hierdurch das Vergehen nach § 50 Abs. 1 Z 2 WaffG begangen und wurde zu einer Geldstrafe in der Höhe von 60 Tagessätzen zu je EUR 4,00, im Falle der Uneinbringlichkeit zu 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Mit dem oben genannten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX.2019, XXXX, wurde der BF wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 2 und 3 zweiter Fall SMG und der Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG gemäß § 28a Abs. 3 zweiter Fall SMG – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe - zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei 12 Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Als mildernd wurden das reumütige Geständnis, der Beitrag zur Wahrheitsforschung und die Sicherstellung von Suchtgift gewertet, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen und die einschlägige Vorstrafe. Als erwiesen wurde angenommen, dass der BF selbst an „ XXXX“ gewöhnt ist und die Taten vor allem deshalb beging um sich selbst damit versorgen zu können. Demnach hat der BF in XXXX und anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich „ XXXX“ (Wirkstoff: XXXX, XXXX zumindest XXXX), in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, erstens aus Ungarn bzw. der Slowakei mit dem PKW ausgeführt und nach Österreich eingeführt, wobei er die Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung beging und zwar im Herbst 2018 bei zumindest fünf Fahrten insgesamt zumindest XXXX Gramm „XXXX“, im Zeitraum von Winter 2018/2019 bis zum Februar 2019 bei zumindest drei Fahrten insgesamt zumindest XXXX Gramm „XXXX“ und im Dezember 2018 bei zumindest einer Fahrt insgesamt XXXX Gramm „XXXX“; zweitens hat er vorschriftswidrig Suchtgift zum teilweise eigenen Gebrauch erworben und besessen, und zwar im Zeitraum von 21.06.2019 bis zum 24.06.2019 eine Exctasy-Tablette und XXXX Marihuana, im Zeitraum zwischen Sommer 2018 bis zum Juni 2019 insgesamt zumindest XXXX Gramm „XXXX“, im Zeitraum vom März 2018 bis Ende März 2019 insgesamt zumindest XXXX Gramm „XXXX“ und in einem noch festzustellenden Zeitraum eine noch festzustellende Menge „XXXX“ von drei Personen.

Der BF befand sich von 26.06.2016 bis zu seiner bedingten Entlassung in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Am 24.10.2019 wurde er unter Erteilung der Weisung eine Arbeits- bzw. AMS-Bestätigung binnen einem Monat nach Haftentlassung zu übermitteln und Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt aus der Haft entlassen und noch am selben Tag nach Bulgarien abgeschoben.

Zuvor wurde das BFA am 09.10.2019 per Mail vom Landesgericht für Strafsachen XXXX verständigt, dass gegen den BF eine (rechtswirksame) Anklage wegen „minder schweren“ Raub nach § 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB vorliegt und die Hauptverhandlung für den 24.10.2019 geplant ist.

Weitere wesentliche familiäre oder soziale Bindungen des BF in Österreich können nicht festgestellt werden.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.

Die Feststellungen zur Identität des BF beruht auf der im Akt aufliegenden Kopie seiner bulgarischen Identitätskarte. Die Feststellungen zu seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen erfolgte auf seinen Angaben vor dem BFA, in der Beschwerde und den entsprechenden Feststellungen in den vorliegenden Strafurteilen. Die festgestellten familiären Verhältnisse des BF stimmen mit den Angaben in seiner Stellungnahme und der Beschwerde überein, welcher auch die bestehende Beziehung zu seiner Lebensgefährtin entnommen werden kann. Anhaltspunkte für ein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis des BF zu seiner Partnerin kamen nicht hervor, zumal der BF bei seinen Eltern wohnt.

Die Sprachkenntnisse des BF folgen aus seiner Herkunft und Staatsangehörigkeit sowie aus dem Schulbesuch in Bulgarien. Aufgrund seines jahrelangen Aufenthaltes in Österreich ist es plausibel, dass der BF über Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

Die Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert; die Wohnsitzmeldungen im Zentralen Melderegister (ZMR).

Es sind keine Indizien für gesundheitliche Beeinträchtigungen aktenkundig. Da der BF bereits erwerbstätig war, ist (auch angesichts seines Alters) von seiner Erwerbsfähigkeit auszugehen. Seine Beschäftigungszeiten in Österreich sowie der Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gehen aus dem Sozialversicherungsdatenauszug hervor.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF werden anhand des Strafregisters sowie der Strafurteile festgestellt. Es gibt keine Anhaltspunkte für weitere strafrechtliche Verurteilungen der BF oder andere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung. Die Verbüßung der Haftstrafe ergibt sich aus dem Strafregister in Zusammenschau mit den Wohnsitzmeldungen in den Justizanstalten. Der Beschluss über die bedingte Entlassung liegt im Akt auf, ebenso das Mail des Landesgerichts für Strafsachen XXXX bezüglich der erneuten Anklageerhebung.

Seine Abschiebung nach Bulgarien basiert auf dem Bericht der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom 25.10.2019.

Das Verfahren hat keine Anhaltspunkte für eine über die Feststellungen hinausgehende Integration oder Anbindung des BF in Österreich ergeben.
Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Der BF ist Staatsangehöriger von Bulgarien und somit als Angehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

§ 67 FPG setzt Art. 28 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG) um. Diese mit „Schutz vor Ausweisung“ betitelte Bestimmung lautet:

„(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a)       ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b)       minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Nach dem 24. Erwägungsgrund der Freizügigkeitsrichtlinie soll der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind.

Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art 16 Freizügigkeitsrichtlinie erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots der in Art 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab – der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist – heranzuziehen (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057). Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt demnach voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Der auch in Art. 83 Abs. 1 AEUV angeführte illegale Drogenhandel ist als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und kann damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen, mit denen nach der Freizügigkeitsrichtlinie eine Ausweisung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Dies ist aufgrund einer individuellen Prüfung des konkreten Falls zu klären. Auch Straftaten, die die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar bedrohen, führen nicht zwangsläufig zur Ausweisung des Betroffenen. Eine Ausweisungsverfügung setzt voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Im Allgemeinen muss daher eine Neigung des Betroffenen bestehen, sein Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH Rs C-348/09).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art. 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Mangels eines zehnjährigen kontinuierlichen Aufenthalts des BFs im Bundesgebiet ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG hier nicht maßgeblich.

Da der BF durch seinen mehr als fünfjährigen rechtmäßigen Aufenthalt bereits das Recht auf Daueraufenthalt erworben hatte, ist der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab ("schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit") anzuwenden.

Die Erfüllung des Gefährdungsmaßstabs des § 66 Abs. 1 fünfter Satz FPG ergibt sich aus der hohen Sozialschädlichkeit des Verhaltens des BF, zumal er sich trotz Vorverurteilung nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten ließ, sondern sein strafrechtliches Verhalten über einen längeren Zeitraum fortsetzte und Suchtmittel aus Ungarn bzw. der Slowakei aus- und nach Österreich einführte. Nach der Rechtsprechung des VwGH handelt es sich bei Suchtgiftdelinquenz um ein besonders verpöntes Fehlverhalten, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (vgl. VwGH 01.03.2018, Ra 2018/19/0014), zumal es sich bei Delikten iSd § 28a SMG, auf denen die letzte Verurteilung des BF beruht, um qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz handelt. Im Fall von strafbaren Handlungen infolge Gewöhnung an Suchtmittel bedarf es neben dem Abschluss einer Therapie noch eines maßgeblichen Zeitraums des Wohlverhaltens, um einen Wegfall der Gefährdung annehmen zu können (vgl. etwa VwGH 22.5.2014, Ro 2014/21/0007).

Im Hinblick auf den eigenen Suchtmittelmissbrauch des BF in Zusammenschau mit der aufgrund der erneuten Arbeitslosigkeit verbundenen Gefahr finanzieller Schwierigkeiten, ist zu befürchten, dass der BF sein sozialschädliches Verhalten in Zukunft beibehalten wird. Hierbei ist sowohl die hohe Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelinquenz als auch die bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Allgemeinen höhere Rückfallquote (vgl. RZ 2014, 91) Die Verhinderung von strafbaren Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten, ist angesichts der massiven negativen Konsequenzen des Konsums illegaler Drogen ein Grundinteresse der Gesellschaft, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Daher ist davon auszugehen, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde und ein Aufenthaltsverbot aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit notwendig ist.
Die in der Beschwerde bekundete Reue führt nicht zu einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom BF ausgehenden Gefährlichkeit, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe z.B. VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Der BF wird den Wegfall der durch seine strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit nach dem Strafvollzug unter Beweis stellen müssen. Die bisher verstrichene Zeitspanne seit seiner Entlassung aus der Haft erweist sich als zu kurz, um dem BF bereits jetzt eine positive Zukunftsprognose zu attestieren.

Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben des BF ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei sind sein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet seit 2014, die Beziehung zu seinen ebenfalls seit vielen Jahren im Bundesgebiet aufhältigen Eltern, mit denen ein gemeinsamer Haushalt besteht, und der Kontakt zu seiner Lebensgefährtin zu berücksichtigen, wobei diese Kontakte haftbedingt nur eingeschränkt möglich waren. Für den BF spricht auch, dass er nach der Entlassung aus der Strafhaft, erneut versucht hat, sich am Arbeitsmarkt zu integrieren.

Das daraus resultierende erhebliche Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich steht das Fehlen der strafgerichtlichen Unbescholtenheit und das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von Suchtgiftdelikten wie den vom BF begangenen, gegenüber. Es bestehen auch noch Bindungen des BF zu seinem Herkunftsstaat. Der BF verbrachte die prägende Jahre seiner Kindheit in Bulgarien, kennt die Gepflogenheiten, absolvierte dort einen Teil seiner Schulbildung und spricht die übliche Sprache. Daher ist nicht davon auszugehen, dass der BF gar keine Bindungen iSd § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG mehr zu seinem Heimatstaat hat, sodass es ihm trotz der langen Abwesenheit ohne größere Probleme gelingen wird, dort wieder Fuß zu fassen, zumal auch Besuche und die finanzielle Unterstützung durch seine in Österreich lebenden Bezugspersonen möglich sind. Außerdem können die privaten und familiären Kontakte des BF in Österreich auch durch diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet etc.) gepflegt werden. Der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbots verbundene Eingriff in sein Familien- und Privatleben ist daher grundsätzlich verhältnismäßig. Allfällige damit verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen.

Es bedarf in Hinblick auf die Delinquenz des BF eines angemessenen Zeitraumes der Beobachtung seines Wohlverhaltens, um sicherzustellen, dass er im Bundesgebiet keine Straftaten mehr begehen wird. Aufgrund seiner Suchtmitteldelinquenz, der, der mit Suchtgiftkriminalität verbundenen Wiederholungsgefahr und dem eigenen Suchtgiftkonsum des BF, kommt in einer Gesamtbetrachtung keine Aufhebung des Aufenthaltsverbots in Betracht.

Die vom BFA verhängte sechsjährige Dauer des Aufenthaltsverbotes ist jedoch unverhältnismäßig, weil die Straftaten des BF nicht der Schwerkriminalität zuzurechnen sind und der Strafrahmen von fünf Jahren bei weitem nicht ausgeschöpft wurde. Außerdem ist dem Erstvollzug eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zu attestieren ist und zeigte sich der BF reumütig. Die Dauer des Aufenthaltsverbots ist auf ein seinem Fehlverhalten und seinen privaten und familiären Umständen angemessenes Maß zu reduzieren. Das Gericht geht davon aus, dass aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe und der offenen Probezeiten trotz seines belasteten Vorlebens ein dreijähriges Aufenthaltsverbot ausreicht, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn zu einem Umdenken hin zu einem rechtstreuen Verhalten zu bewegen. Ein Aufenthaltsverbot in dieser Dauer ist aber notwendig, um eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken. Das Aufenthaltsverbot laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit in Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde auf drei Jahre zu reduzieren.

Zu den Spruchpunkten II. und III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn die sofortige Ausreise der Betroffenen oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist.

Dafür genügt es nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind. Dies gilt sinngemäß auch für die unter den (im Wesentlichen) inhaltsgleichen Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG 2014 mögliche Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot. Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FrPolG 2005 hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung des Fremden schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides -ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist (VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360).

Solche besonderen Umstände sind hier angesichts der sozialen Verankerung des BF im Bundesgebiet nicht erkennbar. Dem BF ist daher in Abänderung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen; Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung hat ersatzlos zu entfallen.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen familiären, privaten und beruflichen Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde.

Zu Spruchteil B):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot geringfügiges Verschulden Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen strafrechtliche Verurteilung Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2225066.2.00

Im RIS seit

22.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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