TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/3 G310 2231121-1

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Veröffentlicht am 03.06.2020
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Entscheidungsdatum

03.06.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G310 2231121-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch Dr. XXXX , Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es zu lauten hat:

„I. Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von achtzehn Monaten befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wird dem Beschwerdeführer ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Am XXXX .2020 wurde der BF festgenommen und danach in Untersuchungshaft genommen. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2020, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens des teils versuchten, teils vollendeten schweren, teils gewerbsmäßigen Diebstahls, teils im Rahmen einer kriminellen Vereinigung – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe – zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Am 19.02.2020 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA).

Mit dem oben angeführten Bescheid wurde gegen den BF gemäß §67 Abs. 1 und 2 FPG ein zweijähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit einem Verweis auf die strafgerichtliche Verurteilung begründet und dass davon auszugehen sei, dass er bei einem Verbleib im Bundesgebiet neuerlich straffällig werde.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass kein Aufenthaltsverbot erlassen wird, in eventu, die Dauer des Aufenthaltsverbotes zu reduzieren, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass ein Durchsetzungsaufschub erteilt wird, und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Hilfsweise wird auch ein Aufhebungs- und Rückverweisungsantrag gestellt. Begründend wird ausgeführt, dass eine unrichtige rechtliche Beurteilung erfolgt sei und im Rahmen der Gefährdungsprognose nicht ausreichend auf das Gesamtverhalten des BF eingegangen worden sei, welcher das erste Mal ein Haftübel verspürt habe. Zudem habe er bedingt entlassen werden können. Bis zu seiner Festnahme habe der BF in gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin und seinen beiden Kindern in XXXX gelebt.

Der BF wurde mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2020, XXXX , am XXXX .2020 unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen.

Nach seiner bedingten Entlassung wurde über den BF mit Bescheid des BFA vom XXXX .2020, Zl. XXXX , die Schubhaft angeordnet und wurde er am XXXX .2020 nach Rumänien abgeschoben.

Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vorgelegt. In der Stellungnahme zur Beschwerdevorlage beantragte das BFA, die Beschwerde abzuweisen.

Mit Teilerkenntnis des BVwG vom 25.05.2020, G310 2231121-1/4Z, wurde der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurückgewiesen (Spruchteil A)) sowie der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids Folge gegeben, dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben und gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchteil B)).

Feststellungen:

Der Beschwerdeführer (BF) ist rumänischer Staatsbürger. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der BF verfügt über einen am 17.01.2018 ausgestellten und bis 17.01.2023 gültigen rumänischen Reisepass sowie über einen am 12.12.2013 ausgestellten und bis 11.12.2023 gültigen spanischen Führerschein. Er spricht Rumänisch und Spanisch. Seine Eltern und mehrere Onkel leben in Rumänien. Er hatte mit seinen Eltern während seinem Aufenthalt in Österreich telefonischen Kontakt. In Rumänien ging der BF keiner Beschäftigung nach. Er hat in seinem Herkunftsland sieben Jahre die Schule besucht. Im Alter von siebzehn Jahren zog er nach Spanien, wo er gelebt und gearbeitet hat.

Der BF hält sich seit 31.10.2018 durchgehend in Österreich auf und wurde ihm am 14.10.2019 eine unbefristete Anmeldebescheinigung (sonstiger Angehöriger) ausgestellt.

Er ist ledig und war von 31.10.2018 bis zu seiner Abschiebung mit seiner Lebensgefährtin und seinen beiden Söhnen, vier und sechszehn Jahre alt, an derselben Wohnadresse in XXXX mit Hauptwohnsitz gemeldet. Sein ältester Sohn besitzt die spanische Staatsbürgerschaft; der Jüngste ist deutscher Staatsbürger. Auch lebt eine Schwester des BF in XXXX .

Von 02.05.2019 bis 19.09.2019 weist der BF lediglich kurzfristige Beschäftigungszeiten im Bundesgebiet auf, wobei das längste Beschäftigungsverhältnis nicht länger als einen Monat gedauert hat. Ein Bezug von Leistungen des Arbeitsmarktservice liegt nicht vor. Seine Lebensgefährtin war von 07.01.2019 bis 27.03.2020 als Arbeiterin beschäftigt, seit 11.04.2020 bezieht sie Arbeitslosengeld.

In Österreich wurde der BF einmal strafgerichtlich verurteilt. Anhaltspunkte für strafgerichtliche Verurteilungen in anderen Ländern liegen nicht vor.

Der Verurteilung durch das Landesgericht XXXX vom XXXX .2020, XXXX , liegt zugrunde, dass der BF am XXXX .2019 in XXXX aus einem Geschäft fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er Getränke, Erdnüsse und Babyfeuchttücher im Gesamtwert von EUR 35,31 an sich nahm und ohne zu bezahlen das Geschäft im Wege der Eingangstür verließ. Weiters hat er mit einer anderen im Urteil namentlich genannten Person zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Dezember 2019 in Graz nicht näher bekannten Berechtigten Spirituosen im unbekannten Gesamtwert, indem sie diese ohne zu bezahlen an sich nahmen und das Geschäft verließen. Im Zeitraum Anfang Dezember 2019 bis 16.01.2020 hat der BF mit zwei im Urteil namentlich genannten Personen an im Urteil angeführten Orten bei insgesamt 46 Angriffen im bewussten und gewolltem Zusammenwirken als unmittelbarer Täter und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung Berechtigten von Lebensmittelgeschäften fremde bewegliche Sachen in einem EUR 5.000,00 nicht aber EUR 300.000,00 übersteigenden Gesamtwert von zumindest EUR 13.880,85 mit dem Vorsatz teils weggenommen, teils wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Spirituosendiebstählen eine längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, wobei sie ab der dritten Tathandlung bereits zwei solche Taten begangen haben, indem sie in zahlreichen Angriffen Lebensmittelgeschäfte aufsuchten und hochwertige Spirituosen ohne Bezahlung des Kaufpreises an sich nahmen, wobei der BF das Fluchtfahrzeug lenkte, während einer der beiden anderen Mittäter das Diebsgut, teils nach Entfernen der Diebstahlssicherung in einem unter der Straßenkleidung getragenen Badeanzug und der zweite Mittäter das Diebsgut in einer Umhänge- oder Einkaufstasche verstaute, wobei der erste Mittäter das Geschäft über den Kassenbereich mit den Mittätern telefonierend verließ und anschließend dem zweiten Mittäter durch Öffnen der Eingangstür das ungehinderte Verlassen des Geschäfts ermöglichte.

Der BF hat hiedurch das Vergehen der teils versuchten, teils vollendeten schweren, teils gewerbsmäßigen Diebstahls, teils im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5 StGB, teils iVm § 130 Abs. 1 erster und zweiter Fall StGB, teils iVm § 15 Abs. 1 StGB begangen und wurde – ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe – zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Bei der Strafbemessung wurde die mehrfache Qualifikation (schwere gewerbsmäßige kriminelle Vereinigung), das zweifache Übersteigen der EUR 5.000,00 Grenze, die zahlreichen Angriffe und die Tatbegehung in Gesellschaft als erschwerend gewertet. Mildernd wirkten sich die Unbescholtenheit, der teilweise Versuch und das Geständnis aus.

Der BF verbüßte seine Strafhaft in der Justizanstalt XXXX .

Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2020, XXXX , wurde die bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der über den BF verhängten Freiheitsstrafe abgelehnt und die bedingte Entlassung nach Verbüßung von vier Monaten am XXXX .2020 angeordnet, wobei die restlichen zwei Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet und die Weisung erteilt, in einem sozialversicherungspflichtigen Ausmaß einer Beschäftigung nachzugehen oder sich für den Fall der Unmöglichkeit zumindest beim Arbeitsmarktservice als arbeitssuchend zu melden und dem Gericht die Aufnahme einer Beschäftigung oder Meldung beim AMS bis längstens XXXX .2020 unaufgefordert nachzuweisen.

Begründend wird ausgeführt, dass angesichts der (großteils) gewerbsmäßigen sowie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung erfolgten Tatbegehung, der planvoll organisierten Vorgehensweise sowie der überaus zahlreichen (46) Angriffen liegt fallaktuell ein solch hoher sozialer Störwert der Anlasstat(en) vor, welcher den Vollzug eines Strafteils von mehr als drei Monaten, respektive der Hälfte bedarf, um einerseits (und insbesondere) das Vertrauen der rechtsunterworfenen Bevölkerung in eine adäquate Strafrechtspflege zu erhalten und andererseits potentielle weitere Täter bzw. Tätergruppierungen von der Begehung derartiger Straftaten abzuhalten. Gegenteilig würde eine bedingte Entlassung des BF zum gesetzlich frühestmöglichen Zeitpunkt den genannten Personengruppen (strikt vermeidend) signalisieren, dass die Strafjustiz derartige Malversationen bagatellisiert bzw. diesen nicht entgegentritt. Zudem weist der BF ein tadelloses Vollzugsverhalten auf und ist – soweit überblickbar – sozial integriert.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens. Entscheidungswesentliche Widersprüche liegen nicht vor.

Die Feststellungen zur Identität des BF beruht auf den im Akt aufliegenden Kopien seines rumänischen Reisepasses und des spanischen Führerscheins. Die Feststellungen zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen erfolgte aufgrund seiner Angaben vor dem BFA und in der Beschwerde.

Die Sprachkenntnisse des BF folgen aus seiner Herkunft und Staatsangehörigkeit sowie aus dem Schulbesuch in Rumänien. Aufgrund seines Aufenthaltes in Spanien ist es plausibel, dass der BF über Kenntnisse der spanischen Sprache verfügt.

Es sind keine Indizien für gesundheitliche Beeinträchtigungen aktenkundig. Da der BF bereits erwerbstätig war, ist (auch angesichts seines Alters) von seiner Erwerbsfähigkeit auszugehen.

Die Beschäftigungszeiten des BF und seiner Lebensgefährtin gehen aus den entsprechenden Sozialversicherungsdatenauszügen hervor. Den Auszügen aus dem Zentralen Melderegister ist der gemeinsame Haushalt des BF mit seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern ab 31.10.2018 zu entnehmen. Daraus geht auch die Staatsbürgerschaft seiner Söhne hervor. Die Anmeldebescheinigung ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister dokumentiert.

Seine Festnahme und die anschließende Untersuchungshaft beruhen auf dem im Akt aufliegenden Abschlussbericht und der Vollzugsinformation. Die Feststellungen zu den vom BF in Österreich begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung, zu den Strafzumessungsgründen und zur bedingten Entlassung basieren auf dem Strafurteil sowie dem Beschluss des Landesgerichts XXXX . Anhaltspunkte für weitere strafgerichtliche Verurteilungen des BF bestehen nicht, zumal sein bisher ordentlicher Lebenswandel als Milderungsgrund berücksichtigt wurde.

Die Anordnung der Schubhaft ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister dokumentiert. Die erfolgte Abschiebung nach Rumänien geht aus dem Mail der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX .2020 hervor.

Rechtliche Beurteilung:

Als Staatsangehöriger von Rumänien ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Wenn der EWR-Bürger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (so etwa, wenn er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075).

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

§ 67 FPG setzt Art. 28 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG) um. Diese mit „Schutz vor Ausweisung“ betitelte Bestimmung lautet:

„(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.

(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.

(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie

a)       ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder

b)       minderjährig sind, es sei denn, die Ausweisung ist zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.“

Nach dem 24. Erwägungsgrund der Freizügigkeitsrichtlinie soll der Schutz vor Ausweisung in dem Maße zunehmen, wie Unionsbürger und ihre Familienangehörigen in den Aufnahmemitgliedstaat stärker integriert sind.

Bei Unionsbürgern, die nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG und Art 16 Freizügigkeitsrichtlinie erworben haben, ist nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots der in Art 28 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab – der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist – heranzuziehen (VwGH 19.05.2015, Ra 2014/21/0057). Ein Aufenthaltsverbot gegen Personen, denen das Recht auf Daueraufenthalt zukommt, setzt demnach voraus, dass ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 9 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG, durch das in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration

(Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Mangels eines längeren Aufenthalts des BF in Österreich ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") anzuwenden.

Der BF wurde unter anderem wegen teils gewerbsmäßigen Diebstählen, teils im Rahmen einer kriminellen Vereinigung strafgerichtlich verurteilt. Der BF hat zahlreiche Angriffe auf fremdes Vermögen begangen, wobei diese planvoll organsiert waren. Dies im Wissen um die Gefahr sein Aufenthalts- und Einreiserecht und hat damit auch die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und seinen Kindern aufs Spiel zu setzen. Der BF bemühte sich auch augenscheinlich nicht um die Erlangung einer Vollzeitbeschäftigung um auf seinen Lebensunterhalt auf legale Weise zu sichern. Bei Vermögensdelikten, insbesondere, wenn diese gewerbsmäßig ausgeführt werden, kann jedenfalls von einer die öffentliche Sicherheit und Ordnung beeinträchtigenden Fehlverhalten ausgegangen werden (vgl. VwGH 10.12.2008, 2008/22/0568; 23.03.1992, 92/18/0044).

Auch spricht gegen den BF, dass das Strafgericht trotz der Milderungsgründe der bisherigen Unbescholtenheit und des Geständnisses die Verhängung einer unbedingten Freiheitsstrafe für erforderlich erachtete und er nicht bereits nach Verbüßung der Hälfte der angeordneten Freiheitsstrafe, sondern erst nach zwei Drittel, bedingt entlassen wurde.

Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der Straftaten, auf das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt, und das Gesamtverhalten des BF ist die für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots erforderliche aktuelle Gefährdung von öffentlichen Interessen in maßgeblicher Intensität zu bejahen. Die Vermögensdelinquenz des BF, die eine unbedingte Freiheitsstrafe erforderlich machte, indiziert, dass von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 67 Abs. 1 FPG ausgeht.

Aufgrund der Straffälligkeit in Verbindung mit der wegen seiner Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr stellt das persönliche Verhalten des BF daher eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr dar, zumal die Straftat noch nicht lange zurückliegen und die seit der Haftentlassung des BF verstrichene Zeit noch nicht ausreicht, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der durch die strafgerichtliche Verurteilung indizierten Gefährlichkeit ausgehen zu können. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Der BF wird den Wegfall der durch seine strafgerichtlichen Verurteilungen indizierten Gefährlichkeit erst durch einen längeren Zeitraum des Wohlverhaltens in Freiheit nach dem Strafvollzug unter Beweis stellen müssen. Aktuell kann ihm noch keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.

Das Aufenthaltsverbot greift in das Privat- und Familienleben des BF ein. Daher ist eine einzelfallbezogene gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit seinen gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei sind sein rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet seit 2018, die Beziehung zu seinen ebenfalls im Bundesgebiet aufhältigen Kindern und seiner Lebensgefährtin zu berücksichtigen, wobei der Kontakt zu ihnen zuletzt haftbedingt nur eingeschränkt möglich waren.

Das daraus resultierende erhebliche Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich steht das Fehlen der strafgerichtlichen Unbescholtenheit und das große öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere von Vermögensdelikten wie den vom BF begangenen, gegenüber. Es bestehen auch noch Bindungen des BF zu seinem Herkunftsstaat. Der BF verbrachte den Großteil seines Lebens in Rumänien, hat dort die Schule besucht, kennt die Gepflogenheiten und spricht die übliche Sprache. Auch leben seine Eltern in Rumänien, zu welchen er während seinem Aufenthalt in Österreich telefonischen Kontakt hatte. Daher ist nicht davon auszugehen, dass der BF gar keine Bindungen iSd § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG mehr zu seinem Heimatstaat hat, sodass es ihm trotz der langen Abwesenheit ohne größere Probleme gelingen wird, dort wieder Fuß zu fassen, zumal auch Besuche und die finanzielle Unterstützung durch seine in Österreich lebenden Bezugspersonen möglich sind. Außerdem können die privaten und familiären Kontakte des BF in Österreich auch durch diverse Kommunikationsmittel (Telefon, Internet etc.) gepflegt werden. Der mit der Erlassung des Aufenthaltsverbots verbundene Eingriff in sein Familien- und Privatleben ist daher grundsätzlich verhältnismäßig. Allfällige damit verbundene Schwierigkeiten bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse sind im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen und an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit hinzunehmen.

Die vom BFA verhängte zweijährige Dauer des Aufenthaltsverbotes ist jedoch insbesondere angesichts des Umstand, dass der Strafrahmen bei weitem nicht ausgeschöpft wurde und der BF zum ersten Mal in Haft war, unverhältnismäßig. Außerdem ist dem Erstvollzug eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zu attestieren ist und zeigte sich der BF reumütig. Die Dauer des Aufenthaltsverbots ist auf ein seinem Fehlverhalten sowie seinen privaten und familiären Umständen angemessenes Maß zu reduzieren. Das Gericht geht davon aus, dass aufgrund des konkreten Unrechtsgehalts der vom BF begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe und der bedingten Entlassung ein achtzehnmonatiges Aufenthaltsverbot ausreicht, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn zu einem Umdenken hin zu einem rechtstreuen Verhalten zu bewegen. Ein Aufenthaltsverbot in dieser Dauer ist aber notwendig, um eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken. Das Aufenthaltsverbot laut Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist somit in Stattgebung des entsprechenden Eventualantrags in der Beschwerde auf achtzehn Monate zu reduzieren.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbots von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Dafür genügt es nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind. Dies gilt sinngemäß auch für die unter den (im Wesentlichen) inhaltsgleichen Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG 2014 mögliche Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Bezug auf die Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot. Es bedarf daher einer über die Erwägungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 67 FrPolG 2005 hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung des Fremden schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides -ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - erforderlich ist (VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360).

Solche besonderen Umstände sind hier angesichts der sozialen Verankerung des BF im Bundesgebiet nicht erkennbar. Dem BF ist daher in Abänderung von Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG. Von deren Durchführung ist keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten, zumal das BVwG ohnedies von den Behauptungen des BF zu seinen familiären Anknüpfungen im Inland ausgeht, sodass kein klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattet wurde.

Zu Spruchteil B):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Durchsetzungsaufschub Herabsetzung Milderungsgründe Unrechtsgehalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2231121.1.01

Im RIS seit

22.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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