TE Bvwg Beschluss 2020/8/13 W161 2233715-1

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Veröffentlicht am 13.08.2020
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Entscheidungsdatum

13.08.2020

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2233716-1/3E

W161 2233715-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Lassmann über die Beschwerden

1. der XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2020, Zl. 1258980706-200099985;

2. des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2020, Zl. 1258980804-200100024;

beide StA. Russische Föderation, beide vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich,

beschlossen:

A) Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3, zweiter Satz BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) stattgegeben und die bekämpften Bescheide werden behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (1.BF) ist die Mutter des volljährigen Zweitbeschwerdeführers (2.BF). Beide stellten am 26.01.2020 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Im Zuge der Erstbefragung vom 27.01.2020 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die 1.BF zusammengefasst an, sie habe keine Beschwerden oder Krankheiten, die sie an der Einvernahme hindern oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigen könnten. Sie habe ihren Wohnort am 23.01.2020 gemeinsam mit ihrem Sohn, dem 2.BF., am 23.01.2020 legal mit einem Flugzeug von Tschetschenien nach Moskau verlassen. Von dort seien sie legal in die Slowakei geflogen und von dort mit dem Zug nach Österreich gefahren. Ihr Sohn und sie hätten nach Österreich gewollt, weil ihr Bruder seit 19 Jahren in XXXX lebe. Sie habe außer jetzt in Österreich noch in keinem anderen Land um Asyl angesucht. Ihr Visum sei von Italien im Jänner 2020 ausgestellt worden.

Befragt nach ihrem Fluchtgrund gab die Erstbeschwerdeführerin an, ihr Sohn sei am 16.08.2019 in Russland von unbekannten Männern entführt worden. Sie wisse nicht warum er entführt worden wäre. Nach drei Wochen sei ihr Sohn zurück nach Hause gebracht worden. Seitdem könne er nicht mehr sprechen. Vor der Entführung und auch nach der Entführung sei ihr Sohn von unbekannten Leuten bedroht worden. Das habe ihr ihre Schwiegertochter gesagt. Den Grund dafür wisse sie nicht. Sie habe nun alle ihre Fluchtgründe genannt, andere Fluchtgründe habe sie nicht. Bei einer Rückkehr in die Heimat habe sie Angst, dass ihrem Sohn in Russland etwas passiere.

Eine tatsächliche Erstbefragung des 2.BF erfolgte nicht. Die Angaben für diesen tätigte die 1.BF

3. Aus der österreichischen Visa-Datenbank konnte erhoben werden, dass die Beschwerdeführer im Besitz von gültige italienische Schengen Visa, gültig von 10.01.2020 bis 10.07.2020, waren.

Am 30.01.2020 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 2 bzw. 3 Dublin III-VO an Italien.

Mit Schreiben vom 02.04.2020 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO Verfristung eingetreten und Italien nunmehr für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens zuständig sei; dies beginnend mit dem 31.03.2020.

4. Zur Anregung des BFA auf Bestellung einer Erwachsenenvertretung teilte das Bezirksgericht XXXX mit, dass das Verfahren a limine einzustellen wäre, es seien keine Angelegenheiten ersichtlich, zu denen eine Erwachsenenvertretung erforderlich wäre.

5. Am 15.07.2020 wurde die Erstbeschwerdeführerin, nach durchgeführter Rechtsberatung und in Anwesenheit einer Rechtsberaterin, einer Einvernahme vor dem BFA unterzogen. Hierbei gab diese im Wesentlichen an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Sie sei ausdrücklich damit einverstanden, für sich und ihren Sohn zu sprechen. Sie habe eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen. Sie habe bisher im Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt. Befragt nach ihrem momentanen Gesundheitszustand gab die Erstbeschwerdeführerin an, sie sei früher gestresst gewesen, zurzeit sei alles in Ordnung. Befragt nach dem Gesundheitszustand ihres Sohnes gab sie an, dieser habe am 30.07.2020 die nächste Kontrolle. Es gäbe sichtbare Verbesserungen. Er habe früher oft Kopfschmerzen und Übelkeit gehabt, zurzeit gehe es ihm etwas besser. Er habe einen Gehirntumor. Dieser wachse. Er unterziehe sich einer Strahlentherapie, er habe den dritten Zyklus schon beendet, dieser sei vom 06.07.2020 bis 11.07.2020 gewesen. Ihr Sohn bekomme jeden Monat fünf Tage eine Chemotherapie und danach dürfe er einen Monat lang keine Medikamente zu sich nehmen. Zurzeit nehme er keine Medikamente, erst in drei Wochen müsse er wieder eine Chemotherapie absolvieren. Sie selbst nehme Beruhigungsmittel, den Namen könne sie nicht angeben. Sie begleite ihren Sohn zum Arzt, sie würden hin und zurückgeführt werden. Zu ihrer Person gab die 1.BF an, sie sei russische Staatsangehörige, verwitwet, habe zwei Söhne und sei gemeinsam mit dem 2.BF nach Österreich gereist. Sie verfüge über keine Berufsausbildung, habe aber zuletzt als Unternehmerin gearbeitet und Kindermode verkauft. Ihr Sohn XXXX (Zweitbeschwerdeführer) sei verheiratet und habe zwei Töchter. Er sei zuletzt Bauarbeiter gewesen. Er verfüge über keine Berufsausbildung. XXXX sei ihr Bruder. Er lebe in XXXX , die Adresse kenne sie leider nicht. Er arbeite in einer Fabrik, sie wisse nicht, welchen Status er habe. Ihre Cousine heiße XXXX . Sie sei jung, ca. 23 Jahre alt. Sie sei auch aus Tschetschenien und noch nicht verheiratet. Sie sei schon lange hier. Sie sei nicht das Kind ihres Bruders. Sie sei das Kind von Verwandten ihres verstorbenen Mannes. Zu diesen Personen bestehe kein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis, sie erhalte von diesen moralische Unterstützung. Sie betreue ihren Sohn die ganze Zeit. Sie sei noch nie in Italien aufhältig gewesen. Befragt warum sie kein österreichisches Visum beantragt habe, gab die 1.BF an, sie bekämen solche Visa nicht. Die Verwandten hätten ihnen ein Visa besorgt, von einem Land von dem sie es hätten erhalten können. Ihr Ziel sei gewesen, nach Österreich zu kommen. Sie möchte nicht nach Italien. Sie kenne Italien überhaupt nicht. Sie möchte hier in Österreich bleiben.

Für den 2.BF wurden zahlreiche medizinische Unterlagen vorgelegt, darunter ein Entlassungsbrief eines russischen Krankenhauses sowie ärztliche Unterlagen des Landesklinikums XXXX , Abteilung innere Medizin – onkologische Ambulanz, vorgelegt. Dort ist als Diagnose jeweils festgehalten:

„Glioblastom parietookzipital links (ED 12/2019) ICD: C71.9 WHO Grad IV MGMT Status und IDH nicht vorhanden (Histo aus Moskau) KI67: 18-20% ND: 11/2019 Erster epilept. Anfall mit Desorientierung, Gedächtnisverlust + Sprachstörung 11/2019 2 Wo später zweiter epilept. Anfall mit Sehstörung St.p AE (2001)

Z.n. stereotaktischer Radiatio li occipital 1x20Gy am 1.4.20 im LK XXXX

Lfd Temodal po seit 5/20“

6. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2020 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 2 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.), sowie gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung der Beschwerdeführer angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Zusammengefasst wurde in den Bescheiden festgehalten, dass nicht festgestellt werden könne, dass im Fall der Erstbeschwerdeführerin schwere psychische Störungen oder schwere bzw. ansteckende Krankheiten bestehen würden.

Der Zweitbeschwerdeführer habe an einem Tumor gelitten, welcher operativ in Russland entfernt worden wäre. Er unterziehe sich in Österreich zurzeit einer Strahlentherapie, betreffend die Chemotherapie müsse er drei Mal morgens das Medikament Temodal einnehmen. Er habe laut den Angaben seiner Mutter bereits drei Zyklen erhalten, weitere Kontrollen würden nach sechs Zyklen gemacht, die nächste ambulante Akutblutbildkontrolle wäre am 30.07.2020. Es werde festgestellt, dass der Zweitbeschwerdeführer im Falle einer weiteren Chemotherapie diese auch in Italien weiterführen könne auch könne ein Tumor in Italien behandelt werden. Betreffend die medikamentöse Einstellung sei es nicht ausschlaggebend, ob dasselbe Medikament in Italien verfügbar sei, sondern derselbe Inhalt- bzw. Wirkstoff. Festgestellt werde, dass es keine Unterbrechung der Chemotherapie ohne Rücksprache der behandelten Ärzte bei einer allfälligen Überstellung in den Mitgliedstaat Italien gäbe, bei Notwendigkeit begleite ein Arzt die Überstellung.

Es liege ein Familienverfahren vor. Der Zweitbeschwerdeführer werde von seiner Mutter, der Erstbeschwerdeführerin unterstützt.

Aus den Angaben der Erstbeschwerdeführerin seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass die Beschwerdeführer tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Mit den angeführten in Österreich aufhältigen Verwandten bestünden weder ein gemeinsamer Haushalt noch ein finanzielles oder ein sonstiges Abhängigkeitsverhältnis.

Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer Verletzung der Dublin-III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu; ein zwingender Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts habe sich nicht ergeben.

In den angefochtenen Bescheiden wurden auch Feststellungen zur derzeit herrschenden COVID-19 Pandemie getroffen aus denen sich ergibt, dass vor allem alte Menschen und immungeschwächte Personen von einem tödlichen Ausgang der Erkrankung betroffen sind und schwere Krankheitsverläufe am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen auftreten.

7. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und erneut vorgebracht, dass der 2.BF nach viermonatiger Chemotherapie und zweimonatiger Bestrahlung körperlich sehr schwach und seelisch sehr belastet sei. Er brauche weiterhin eine Chemotherapie und werde diese Behandlung voraussichtlich bis Oktober 2020 dauern. Daher sei aus medizinischer und menschlicher Sicht eine Unterbrechung der gesamten Therapie nicht zumutbar, vor allem, weil es zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen würde. Im vorliegenden Fall wäre es notwendig gewesen, alle Befunde zu bewerten und dementsprechend eine Anfrage an die italienischen Behörden zu richten. Es sei allgemein bekannt, dass der 2.BF nach Überstellung nach Italien nicht gleich versichert wäre. Dieses Prozedere werde mehrere Wochen in Anspruch nehmen und befürchte die 1.BF, dass es durch die Unterbrechung der derzeitigen Behandlung des 2.BF zu einer Verschlechterung oder sogar zum Tod kommen könne.

Der Beschwerde ist ein weiterer Arztbrief des Landesklinikums XXXX vom 30.07.2020 beigelegt. Daraus ergibt sich, dass eine nächste ambulante Akutblutbildkontrolle für den 06.08.2020 vorgesehen ist. Der vierte Zyklus der Chemotherapie sei wegen Thrombopenie nach Zyklus III um eine Woche verschoben worden. Eine Therapie mit Temodal sei für sechs Zyklen geplant, die voraussichtliche Dauer sei bis Oktober 2020.

8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.08.2020 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des volljährigen Zweitbeschwerdeführers. Beide stellten am 26.01.2020 die vorliegenden Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
Die Beschwerdeführer waren im Besitz eines vom 10.01.2020 bis zum 10.07.2020 gültigen italienischen Schengen-Visums und sind von Moskau nach Bratislava geflogen. Von dort fuhren sie mit dem Zug bis XXXX . In Italien waren die Beschwerdeführer nie.

Am 30.01.2020 wurde ein Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 2 bzw. 3 Dublin III-VO an Italien gestellt. Die Zuständigkeit Italiens ergab sich letztlich aufgrund Verfristung. Mit schriftlicher Mitteilung vom 02.04.2020 wies das Bundesamt die italienische Dublin-Behörde auf diesen Umstand hin.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an keinen lebensbedrohenden Erkrankungen.

Der Zweitbeschwerdeführer wurde bereits in der russischen Föderation wegen eines bösartigen Gehirntumors operiert. Er absolviert derzeit in Österreich eine Chemo- sowie eine Strahlentherapie. Laut medizinischer Unterlagen erlitt er auch bereits zwei epileptische Anfälle (erster Anfall mit Desorientierung, Gedächtnisverlust und Sprachstörung, zweiter Anfall mit Sehstörung). Laut den Angaben seiner Mutter kann er seit einer Entführung im Heimatland nicht mehr sprechen und sei ein Pflegefall.

In Österreich leben seit ca. 19 Jahren der Bruder der Erstbeschwerdeführerin (Onkel des Zweitbeschwerdeführers) sowie eine etwa 23 Jahre alte Cousine der Erstbeschwerdeführerin, welche seit Kindheit in Österreich ist. Eine besondere Abhängigkeit in finanzieller oder sonstiger Hinsicht kann nicht festgestellt werden.

2.       Beweiswürdigung: 

Die festgestellten Tatsachen zur Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten mittels italienischer Visa und zur grundsätzlichen Zuständigkeit Italiens, ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Zweitbeschwerdeführers basieren auf den unbedenklichen (oben angeführten) medizinischen Befunden.

Die Feststellungen zum Familienbezug der Beschwerdeführer und der Intensität desselben, ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus den diesbezüglichen Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenord-nung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß an-zuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegan-genen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerden:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) i.d.g.F. lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

...

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 12 Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Art 22

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

In den gegenständlichen Beschwerdefällen ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zwar zutreffend davon aus, dass eine Zuständigkeit Italiens zur Prüfung der in Rede stehenden Anträge auf internationalen Schutz in materieller Hinsicht in Art. 12 Abs. 2 bzw. 3 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO begründet ist, da die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung im Besitz eines gültigen italienischen Visums waren. Da die italienischen Behörden das Aufnahmegesuch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht fristgerecht beantwortet haben, ergab sich letztlich eine Zuständigkeit Italiens aufgrund Verfristung. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuständigkeit Italiens in der Zwischenzeit untergegangen sein könnte, bestehen nicht. Die grundsätzliche Zuständigkeit Italiens wird von den Beschwerdeführern auch nicht bestritten.

Angesichts der schweren Erkrankung des Zweitbeschwerdeführers, wird im Falle der Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs eine mögliche Verletzung von Bestimmungen der EMRK in den Raum gestellt. Zur Frage eines allenfalls gebotenen Selbsteintritts Österreichs ist Folgendes festzuhalten:

Gemäß Art 3 Abs 1 Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art 7 bis 15) Dublin III-VO bestimmt wird.

Ungeachtet dessen sieht Art 17 Abs 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn er nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art 17 Abs 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (vgl etwa VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art 17 K2).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (VfGH 17.6.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114; 2.12.2014, Ra 2014/18/0100 u.a.) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die – in Österreich in Verfassungsrang stehenden – Bestimmungen der EMRK erforderlich und ist das Selbsteintrittsrecht aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

In Hinblick auf die festgestellte Erkrankung des Zweitbeschwerdeführers ist zunächst Folgendes auszuführen:

Gemäß Art 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Italien nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin-VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die damals relevante Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

Zusammenfassend führte der VfGH aus, dass sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

Aus den Judikaturlinien des EGMR ergibt sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab. In seiner rezenten Entscheidung im Fall „Paposhvili vs. Belgium“ hat der EGMR am 13.12.2016 seine Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass ein Betroffener auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben muss und auch die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks zu berücksichtigen sind. „Außergewöhnliche Umstände“ würden bereits auch dann vorliegen, wenn stichhaltige Gründe dargelegt würden, dass eine schwer kranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde.

Der Zweitbeschwerdeführer leidet an einem bösartigen Gehirntumor. Nach einer erfolgten Operation im Heimatland wird der Zweitbeschwerdeführer in Österreich nunmehr mittels Chemotherapie und Strahlentherapie weiter behandelt. Im Zuge dessen hat er auch bereits zwei epileptische Anfälle in Österreich erlitten. Auch ist er laut Angaben der Erstbeschwerdeführerin seit einer Entführung im Heimatstaat stumm.

In casu hat sich die erstinstanzliche Behörde mit dem Gesundheitszustand des Zweitbeschwerdeführers nicht näher auseinandergesetzt und es unterlassen, ein ärztliches Sachverständigengutachten zu dessen Gesundheitszustand einzuholen.

Vom Zweitbeschwerdeführer wurden im Verfahren zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei einem bösartigen Gehirntumor sehr wohl um eine ernsthafte Erkrankung handelt, welche auch lebensbedrohend sein kann, wäre die Einholung eines Sachverständigen – Gutachtens sehr wohl indiziert gewesen und ist vor einer Abschiebung des Zweitbeschwerdeführers nach Italien abzuklären, wie sich sein aktueller Gesundheitszustand darstellt und ob eine Fortsetzung der in Österreich begonnenen Behandlung in Italien ohne Unterbrechung möglich ist bzw. welche Folgen eine Unterbrechung der Behandlung nach sich ziehen könnte.

Insbesondere wird im vorliegenden Fall aber auch abzuklären sein, ob aufgrund der herrschenden Corona-Pandemie, von welcher insbesondere Italien stark betroffen war, der Zweitbeschwerdeführer, der nach den Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid sehr wohl zu jener Gruppe gehört, bei welcher aufgrund seiner Immunschwäche nach der Krebsbehandlung ein schwerer oder letaler Verlauf zu befürchten ist, durch eine Überstellung nach Italien einem erhöhten Risiko ausgesetzt wird, in lebensbedrohender Art und Weise an Corona zu erkranken.

Auch wird jedenfalls abzuklären sein, ob der Zweitbeschwerdeführer tatsächlich nicht mehr sprechen kann, ob er mit der Vertretung durch seine Mutter in diesem Verfahren einverstanden ist und in welchem Ausmaß er tatsächlich pflegebedürftig ist. Immerhin ist der Beschwerdeführer volljährig, selbst bereits Familienvater und liegt entgegen der Feststellung in den angefochtenen Bescheiden kein Familienverfahren im Sinne des Asylgesetzes vor.

Nach Vorliegen der entsprechend erhobenen Ermittlungsergebnisse wird von der belangten Behörde letztlich zu prüfen sein, ob eine Einzelfallprüfung in dem gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt Österreichs gebieten würde.

Im vorliegenden Fall kann zum Entscheidungszeitpunkt das BVwG aufgrund der mangelnden Sachverhaltserhebungen durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob beim Zweitbeschwerdeführer eine reale Gefährdung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Falle seiner Überstellung nach Italien vorliegt.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehenden Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zwingend vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht gesundheitliche Beeinträchtigung individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W161.2233715.1.00

Im RIS seit

22.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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