TE Bvwg Beschluss 2020/9/16 W236 2234955-1

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W236 2234955-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2020, Zl. 730560905/181169407:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Dem damals minderjährigen Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation und Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, wurde nach seiner Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 2003 mit Bescheid des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenates vom 11.02.2004, Zl. 239.953/0-VII/20/03, durch Erstreckung über seinen Vater der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

2. Dem Vater des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.06.2017, Zl. 67316607/150619135, der ihm zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt. Begründend wurde ausgeführt, dass sich der Vater des Beschwerdeführers nach der Gewährung von Asyl in Österreich einen russischen Reisepass ausstellen lassen habe und sich damit wieder unter den Schutz seines Herkunftsstaates gestellt habe; es könne somit davon ausgegangen werden, dass die Gründe, die zur Anerkennung des Vaters des Beschwerdeführers als Flüchtling geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden und dem Vater des Beschwerdeführers nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Gefahr drohen würde. Am 13.06.2017 sei dem Vater des Beschwerdeführers der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ gewährt worden; der Status des Asylberechtigten könne ihm daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt werden, obwohl seit der Anerkennung mehr als fünf Jahre vergangen seien.

3. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich (rechtskräftig) sechsmal strafrechtlich verurteilt:

1.       mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 11.07.2007, 14 Hv 132/2007y, wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener rechtskräftig wegen falscher Beweisaussage gemäß § 288 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) BGBl. I Nr. 60/1974, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt;

2.       mit Urteil des Bezirksgerichtes Leoben vom 02.02.2010, 3 U 228/2008y, wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener rechtskräftig wegen Sachbeschädigung gemäß § 125 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagsätzen zu je 3,00 Euro (210,00 Euro), im Nichteinbringungsfall 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt;

3.       mit Urteil des Landesgerichtes Graz vom 04.05.2011, 13 Hv 54/2010h, wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen Urkundenfälschung und der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren (verlängert auf fünf Jahre mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24.08.2011, 50 Hv 63/2011h) verurteilt;

4.       mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24.08.2011, 50 Hv 63/2011h, wurde der Beschwerdeführer neuerlich rechtskräftig wegen Urkundenfälschung und der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß §§ 223 Abs. 2, 224 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren sowie zu einer Geldstrafe von hundert Tagsätzen zu je 4,00 Euro (400,00 Euro), im Nichteinbringungsfall 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt;

5.       mit Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur vom 10.01.2019, 6 U 125/2018d, wurde der Beschwerdeführer wegen versuchtem Diebstahl gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren (verlängert auf fünf Jahre mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.12.2019, 13 Hv 168/2019x) verurteilt;

6.       mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11.12.2019, 13 Hv 168/2019x, wurde der Beschwerdeführer wegen versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 13 Monaten gemäß §§ 127, 130 Abs. 1 1. Fall, 15 StGB verurteilt.

Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit (voraussichtlich bis 11.12.2020) in der Justizanstalt Leoben in Strafhaft.

4. Mit Schreiben vom 03.04.2020 wurde der Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl davon in Kenntnis gesetzt, dass ein Aberkennungsverfahren gemäß § 7 AsylG 2005 gegen ihn eingeleitet worden sei. Unter einem wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, binnen zwei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens zu den näher angeführten Fragen Stellung zu nehmen. Der Beschwerdeführer hat zu diesem, ihm am 10.04.2020 zugestellten Schreiben keine Stellungnahme abgegeben.

5. Am 17.08.2020 wurde die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers im Aberkennungsverfahren des Beschwerdeführers niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab zusammengefasst an, dass sie mit dem Beschwerdeführer traditionell verheiratet gewesen sei, sich jedoch scheiden habe lassen und bereits seit zwei Jahren alleine mit den vier gemeinsamen minderjährigen Kindern wohne; sie habe auch die alleinige Obsorge. Der Beschwerdeführer als Kindesvater sei vor seiner Inhaftierung nicht finanziell für die Kinder aufgekommen und hätten die Kinder seit fast zwei Jahren keinen Kontakt zum Beschwerdeführer. Das Leben mit dem Beschwerdeführer sei schwer gewesen; er sei drogensüchtig gewesen, habe gespielt und mit ihr gestritten. Der Beschwerdeführer habe von der Polizei eine Verfügung bekommen, dass er sie und die Kinder ein Jahr nicht sehen dürfe. Früher hätten sie zusammengewohnt und hätten die Kinder eine normale Beziehung zum Beschwerdeführer gehabt; der Beschwerdeführer habe ihr aber dann wegen der Scheidung die Kinder wegnehmen wollen. Von ihr aus könne der Beschwerdeführer die Kinder sehen, sie wolle aber auf keinen Fall mehr Kontakt mit dem Beschwerdeführer haben.

6. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 01.09.2020 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer den ihm mit Bescheid vom 11.02.2004 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von „0“ Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass vom Beschwerdeführer oder für den Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt eigene Fluchtgründe vorgebracht oder festgestellt worden seien; ihm sei im Familienverfahren Asyl erstreckt worden. Seiner Bezugsperson sei der Asylstatus aberkannt worden und könne somit davon ausgegangen werden, dass die Gründe, die zur Anerkennung des Beschwerdeführers als Flüchtling geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Nach einer Rückkehr in sein Herkunftsland würde dem Beschwerdeführer keine Gefahr drohen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über kein schützenswertes Privat- und Familienleben. Er sei mehrfach straffällig geworden und habe in Österreich überwiegend von der Sozialhilfe gelebt. Er sei nach traditionellem Recht verheiratet gewesen, sei jedoch geschieden und habe seitdem, auch vor seiner Inhaftierung, getrennt von seinen Kindern gelebt.

7. Gegen oben genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde fristgerecht am 07.09.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in vollem Umfang erhoben, wobei begründend zusammengefasst ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer seit über siebzehn Jahren in Österreich lebe, davon sechzehn Jahre als Asylberechtigter. Die gesamte Kernfamilie, die nahen Familienangehörigen des Beschwerdeführers, sowie seine Ex-Ehefrau und seine minderjährigen Kinder würden sich in Österreich befinden. Es sei zu keiner Änderung der Lage gekommen und habe die Behörde keine konkrete Beweiswürdigung in Bezug auf den Beschwerdeführer selbst vorgenommen. Auch werde mit keinem Wort erwähnt, weshalb dem Vater des Beschwerdeführers der Status des Asylberechtigten aberkannt worden sei, welcher laut den Angaben des Beschwerdeführers einen Aufenthaltstitel nach dem NAG besitze. Es stelle sich die Frage, weshalb dem Beschwerdeführer nicht bereits im Jahr 2017 der Status des Asylberechtigten aberkannt worden sei, als dieser auch seinem Vater aberkannt worden sei, und die Behörde zwei weitere Jahre verstreichen lassen habe. Der Beschwerdeführer sei seit siebzehn Jahren in Österreich aufhältig, habe sich ein entsprechendes Privat- und Familienleben aufgebaut, sei um eine geregelte Erwerbstätigkeit sowie Weiterbildung bemüht und könne auch gute Deutschkenntnisse vorweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

1. Zu A):

1.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Gemäß § 18. Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

1.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus den folgenden Gründen als mangelhaft:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es unterlassen, den Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren persönlich einzuvernehmen. Das dem Beschwerdeführer übermittelte Schreiben über das eingeleitete Aberkennungsverfahren samt Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahe ist nicht geeignet, die Behörde von ihrer Pflicht, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, zu entbinden.

In seiner ständigen Rechtsprechung betont der Verwaltungsgerichtshof, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (zuletzt Ra 2017/22/0007 vom 27.07.2017 mit Hinweis auf Ra 2014/22/0181 vom 23.06.2015). Hinsichtlich der Beurteilung der Rückkehrentscheidung ist daher eine Einvernahme zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet unerlässlich, zumal sonst die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung in den Herkunftsstaat nicht erfolgen kann.

Im durchgeführten Verfahren wurde der Beschwerdeführer aber keinerlei persönlicher Befragung unterzogen, sondern lediglich schriftlich zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert, was in Anbetracht der Tatsache, dass der Beschwerdeführer als Minderjähriger im Jahr 2003 in das österreichische Bundesgebiet einreiste und sich der Aktenlage nach seither durchgehend rechtmäßig als Asylberechtigter in Österreich aufhält, einen gravierenden Ermittlungsmangel darstellt. Auch der Umstand, dass die Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen wurde, ändert dabei nichts an der Tatsache, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dazu angehalten gewesen wäre, den Beschwerdeführer selbst einer persönlichen Befragung in dem ihn treffenden Aberkennungsverfahren zu unterziehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat verkannt, dass weder eine schriftliche Stellungnahme noch die Befragung der Ex-Ehefrau des Beschwerdeführers den sich zu verschaffenden persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers ersetzen können. Die belangte Behörde hat damit nur eine ansatzweise Ermittlung der für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände vorgenommen. Allein die wiederholte Delinquenz des Beschwerdeführers macht eine alle Aspekte berücksichtigende Interessenabwägung nicht obsolet. Zudem wurde auch die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers nicht ausreichend eruiert; so wurde der Beschwerdeführer der Aktenlage nach überhaupt nie persönlich einvernommen. Für den Beschwerdeführer wurde im Jahr 2003 die Gewährung von internationalem Schutz durch seine gesetzliche Vertreterin beantragt und im Jahr 2004 durch Erstreckung über seinen Vater der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Im gegenständlichen Aberkennungsverfahren stützte sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ausschließlich auf den Umstand, dass dem Vater des Beschwerdeführers als Bezugsperson des Beschwerdeführers – welcher im Übrigen in seinem Aberkennungsverfahren ebenfalls keiner persönlichen Befragung unterzogen wurde – der Asylstatus aberkannt worden sei und deshalb davon ausgegangen werden könne, dass die Gründe, die zur Anerkennung des Beschwerdeführers als Flüchtling geführt hätten, nicht mehr vorliegen würden. Eine persönliche Befragung des Beschwerdeführers im nunmehrigen Aberkennungsverfahren zu allfälligen eigenen, neu entstandenen, aktuellen Rückkehrbefürchtungen fand nicht statt. Es mangelt sohin aufgrund des Unterlassens der Ermittlungstätigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auch in dieser Hinsicht an einem Ermittlungsergebnis, das die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgenommene Beurteilung tragen könnte.

In Anbetracht dieser Verfahrensmängel kann a priori auch nicht ausgeschlossen werden, dass bei Vermeidung der genannten Verfahrens- bzw. Ermittlungsmängel in der Sache ein anderes, für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können.

1.3. Zusammengefasst ist festzustellen, dass sich das Bundesamt in unzureichender und im Ergebnis untauglicher Weise mit der Frage des Vorliegens eines Aberkennungsgrundes gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sowie einem möglichen Grund für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 auseinandergesetzt hat. Im gegenständlichen Fall erweisen sich daher der angefochtene Bescheid des Bundesamtes sowie das diesem zugrundeliegende Verfahren als mangelhaft. Die entscheidenden Ermittlungshandlungen, welche grundsätzlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchzuführen sind (umso mehr es sich gegenständlich um ein von diesem von Amts wegen eingeleitetes Verfahren handelt), wären demnach nahezu zur Gänze erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Die dargetanen Mängel lassen sohin im Ergebnis nur die Feststellung zu, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Damit erweist sich der vorliegende Sachverhalt für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten für den Beschwerdeführer nicht mehr vorliegen, sowie der Beurteilung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich sind.

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten und insbesondere des Umstandes, dass der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weder hinsichtlich der relevanten Aspekte seines Privat- und Familienlebens noch seiner Rückkehrsituation einvernommen wurde, kann auch ausgeschlossen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) „ergänzende“ Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).

Eine Nachholung des – infolge einer amtswegigen Einleitung eines Aberkennungsverfahrens – durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer sowie des Vorliegens allfälliger eigener, neu entstandener, aktueller Rückkehrhindernisse bzw. –befürchtungen des Beschwerdeführers nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

1.4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der gegenständliche Bescheid aufzuheben ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Privat- und Familienleben Rückkehrsituation strafrechtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W236.2234955.1.00

Im RIS seit

22.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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