TE Bvwg Beschluss 2020/9/21 W220 2234715-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2020
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Entscheidungsdatum

21.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z2
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W220 2234715-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2020, Zahl 781306306/200126605:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Dezember 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 23.10.2009 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 09.12.2010, C17 410.058-1/2009, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Beschwerdeführer jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zu und erteilte dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbewilligung als subsidiär Schutzberechtigter bis 08.12.2011.

Mit Bescheid des vormals zuständigen Bundesasylamtes vom 04.11.2011 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 wegen Straffälligkeit aberkannt, die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan unzulässig sei.

Dem Beschwerdeführer wurde in weiterer Folge erstmals am 23.08.2012 eine Karte für Geduldete ausgestellt und diese sodann regelmäßig verlängert; zuletzt verfügte der Beschwerdeführer über eine Karte für Geduldete mit Gültigkeit bis 20.02.2020.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich dreimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt:

1.       mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 10.2011, GZl.: XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen Erpressung, gefährlicher Drohung und beharrlicher Verfolgung gemäß § 144 Abs. 1 StGB, § 107 Abs. 1 StGB und § 107a Z 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren und einer Geldstrafe von zweihundert Tagsätzen zu je 4,00 Euro (800,00 Euro), im Nichteinbringungsfall hundert Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt;

2.       mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX 11.2015, GZl.: XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen Annahme, Weitergabe oder Besitz falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden gemäß § 224a StGB zu einer Geldstrafe von hundertfünfzig Tagsätzen zu je 4,00 Euro (600,00 Euro), im Nichteinbringungsfall fünfundsiebzig Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt;

3.       mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .10.2019, GZl.: XXXX , wurde der Beschwerdeführer neuerlich wegen gefährlicher Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von zweihundert Tagsätzen zu je 4,00 Euro (800,00 Euro), im Nichteinbringungsfall hundert Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Am 03.02.2020 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 04.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 abzuweisen und insbesondere ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten im November 2011 aberkannt worden wäre, wobei die Abschiebung des Beschwerdeführers unzulässig gewesen sei. Der Beschwerdeführer sei zuletzt von 12.09.2019 bis 23.10.2019 in einer Justizanstalt aufhältig gewesen, da er wegen „gefährlicher Drohung gegen die eigene Familie inhaftiert“ worden sei. Der Beschwerdeführer habe einen Mietvertrag, eine Betreuungsvereinbarung des Arbeitsmarktservice und eine Kopie seiner e-Card vorgelegt und habe im Antragsformular angegeben, dass er eine afghanische Frau heiraten und nach Österreich bringen wolle; seine Integrationsgründe wären „wegen Reisen“. Ihm sei am 07.02.2020 ein Verbesserungsauftrag zugestellt worden; diesbezüglich habe der Beschwerdeführer keine nachgeforderten Unterlagen eingebracht. Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit gegeben, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieser Verständigung eine schriftliche Stellungnahme abzugeben und/oder die näher angeführten Fragen (hinsichtlich der Lebensumstände des Beschwerdeführers in Österreich, dem Kennenlernen sowie dem Wohnort seiner angeblichen Verlobten, allfälliger Kontakte des Beschwerdeführers nach Afghanistan sowie der Tatsache, dass er „seine Familie bedrohe“ und sich gleichzeitig auf ein Privat- und Familienleben mit dieser in Österreich berufe) zu beantworten.

Mit E-Mail vom 13.07.2020 übermittelte der Beschwerdeführer eine auf Deutsch verfasste schriftliche Stellungnahme an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und führte im Wesentlichen aus, dass er sich seit dem Tod seines Vaters um seine Familie gekümmert habe; seinen Lebensunterhalt in Österreich bestreite er, indem er arbeite. Er habe diverse Kurse besucht. Seine Verlobte habe er über Verwandte kennengelernt; mittlerweile kenne er sie seit zwei Jahren und wolle sie deshalb zu sich bringen. In Afghanistan habe er ein gutes Verhältnis zu seinem Onkel gehabt, der mittlerweile verstorben sei. Von dem Verbesserungsauftrag habe er nie etwas gewusst, anscheinend habe seine Mutter diesen versteckt. Seine Familie habe er nie bedroht; es möge sein, dass er etwas gesagt habe, das er heute bereue. Es habe vielleicht Streit gegeben zwischen ihnen, aber er sei der älteste Sohn und habe sich seit dem Tod des Vaters stets um die Familie gekümmert.

Mit oben genanntem, gegenständlich angefochtenem Bescheid (berichtigt mit Bescheid vom 17.08.2020) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 03.02.2020 gemäß § 55 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise, erkannte einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt IV.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 2 und 6 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Laghman geboren sei und im Dezember 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten sei ihm im November 2011 aberkannt worden, nachdem er als „damaliger Hauptschüler“ wegen Erpressung, gefährlicher Drohung und beharrlicher Verfolgung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Der Beschwerdeführer sei als Einzelhandelskaufmann-Lehrling beschäftigt gewesen. Am 24.10.2019 sei er wegen gefährlicher Drohung gegen die eigene Familie verurteilt worden. Der Beschwerdeführer könne sich auf seine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich nicht berufen, da er diese mit dem „Abstechen“ bedroht habe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan Hilfe von seiner Verlobten erwarten könne. Der Beschwerdeführer sei in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig; derzeit verfügte er über einen bis 12.08.2020 befristeten Arbeitsvertrag, wobei der Beschwerdeführer keinen Nachweis über die Höhe seines Einkommens vorgelegt habe. Die Beschäftigungsverhältnisse des Beschwerdeführers seien nie von langer Dauer gewesen; der Beschwerdeführer sei oft auf Arbeitslosengeld angewiesen gewesen. Es habe kein schützenswertes Privatleben festgestellt werden können; vielmehr habe der Beschwerdeführer gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstoßen. Der Beschwerdeführer wohne derzeit mit seinem Bruder und einer weiteren Person in einer Wohnung. Die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers habe sich seit 2011 erheblich verbessert; Laghman würde im Länderinformationsblatt vom 13.11.2019, letzte Kurzinformation vom 21.07.2020, als eine der relativ ruhigen Provinzen Afghanistans beschrieben.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und insbesondere vorgebracht, dass der Beschwerdeführer guten Kontakt mit seiner Familie und diese ihm verziehen habe. Zudem habe der Beschwerdeführer infolge seines zwölfjährigen Aufenthaltes in Österreich viele Freunde und Bekannte, sei längere Zeit arbeitstätig gewesen und spreche fließend Deutsch. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer niemanden, der ihn unterstützen könne; seine Verlobte sei eine Frau und dürfe daher nicht arbeiten. Der Beschwerdeführer lebe schon lange in Österreich und habe sich seiner Heimat völlig entfremdet, weshalb Österreich seine Heimat geworden sei. Dem Beschwerdeführer wäre es nicht möglich, eine Arbeit zu finden, da er in Afghanistan keine Schule besucht habe. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe hinsichtlich des Erlasses des Einreiseverbotes lediglich die Verurteilungen des Beschwerdeführers aufgezählt, jedoch keine Gefährdungsprognose erstellt und die für das Urteil ausschlaggebenden Milderungsgründe nicht berücksichtigt. Verwiesen wurde weiters auf die schwierige Situation von Rückkehrern aus Europa sowie die schlechte Gesundheits- und Versorgungslage in Afghanistan, unter anderem im Zusammenhang mit COVID-19.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

1. Zu A):

1.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. (Z 2)

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):

„Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).“

Gemäß § 18. Abs. 1 AsylG haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

1.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus den folgenden Gründen als mangelhaft:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es unterlassen, den Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren persönlich einzuvernehmen. Die dem Beschwerdeführer übermittelte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme samt Einräumung der Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahe ist nicht geeignet, die Behörde von ihrer Pflicht, sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, zu entbinden.

In seiner ständigen Rechtsprechung betont der Verwaltungsgerichtshof, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (zuletzt Ra 2017/22/0007 vom 27.07.2017 mit Hinweis auf Ra 2014/22/0181 vom 23.06.2015). Hinsichtlich der Beurteilung der Rückkehrentscheidung ist daher eine Einvernahme zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im österreichischen Bundesgebiet unerlässlich, zumal sonst die Beurteilung der Rechtsmäßigkeit der Ausweisung in den Herkunftsstaat nicht erfolgen kann.

Im durchgeführten Verfahren wurde der Beschwerdeführer aber keinerlei persönlicher Befragung unterzogen, sondern ihm lediglich die Gelegenheit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme gewährt, was in Anbetracht der Tatsache, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2008 in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist und sich der Aktenlage nach seitdem in Österreich aufhält, einen gravierenden Ermittlungsmangel darstellt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat verkannt, dass eine schriftliche Stellungnahme den persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer ersetzen kann und nur eine ansatzweise Ermittlung der für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände vorgenommen. Allein die wiederholte Delinquenz des Beschwerdeführers sowie sein seit Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im November 2011 lediglich geduldeter Aufenthalt in Österreich machen eine alle Aspekte berücksichtigende Interessenabwägung nicht obsolet. Im Übrigen hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch nicht ersichtlich mit der Urteilsbegründung, insbesondere der letzten strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Zudem wurde auch die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers nicht eruiert; so wurde der Beschwerdeführer der Aktenlage nach jedenfalls seit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten samt der Feststellung, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers unzulässig sei, keiner persönlichen Befragung mehr unterzogen. Auch in der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme findet sich diesbezüglich keine einzige, an den Beschwerdeführer gerichtete Frage, sondern wurde in Bezug auf Afghanistan nur gefragt, ob der Beschwerdeführer noch Verwandte in Afghanistan habe bzw. wie der Kontakt und das Verhältnis zu diesen seien. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im angefochtenen Bescheid zudem weder dargelegt, aus welchen Gründen die Abschiebung des Beschwerdeführers seinerzeit für unzulässig erklärt worden sei, noch, was sich – abgesehen davon, dass die Provinz, in welcher der Beschwerdeführer geboren sei, Laghman, im Oktober 2018 und Jänner 2019 als eine der relativ ruhigen Provinzen beschrieben würde, wobei in einigen abgelegenen Distrikten ein Anstieg der Aktivitäten von Taliban und ISKP-Militanten verzeichnet worden sei – gegenüber dem nunmehrigen Beurteilungszeitpunkt geändert hat, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nunmehr, im Unterschied zur rechtskräftigen Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung im Jahr 2011, zulässig erscheine. Abgesehen von der nicht einmal ansatzweisen Bezugnahme auf die seinerzeitigen Gründe für die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch sonst nicht begründet, wie sich die aktuelle Versorgungslage in Afghanistan darstellt und welche Rückkehrsituation den Beschwerdeführer – abgesehen von der in einem Satz dargelegten Sicherheitslage in der Provinz Laghman – erwartet.

Es mangelt sohin aufgrund des Unterlassens der Ermittlungstätigkeit des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auch in dieser Hinsicht an einem Ermittlungsergebnis, das die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgenommene Beurteilung tragen könnte.

In Anbetracht dieser Verfahrensmängel kann a priori auch nicht ausgeschlossen werden, dass bei Vermeidung der genannten Verfahrens- bzw. Ermittlungsmängel in der Sache ein anderes, für den Beschwerdeführer günstigeres, Ergebnis hätte erzielt werden können.

1.3. Zusammengefasst ist festzustellen, dass sich das Bundesamt in unzureichender und im Ergebnis untauglicher Weise mit der Frage der Erforderlichkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK und der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie darauf aufbauenden Spruchpunkte, insbesondere der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan, auseinandergesetzt hat. Im gegenständlichen Fall erweisen sich daher der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie das diesem zugrundeliegende Verfahren als mangelhaft. Die entscheidenden Ermittlungshandlungen, welche grundsätzlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchzuführen sind, wären demnach nahezu zur Gänze erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Die dargetanen Mängel lassen sohin im Ergebnis nur die Feststellung zu, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Damit erweist sich der vorliegende Sachverhalt für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vorliegen, sowie der Beurteilung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer sowie der darauf aufbauenden Spruchpunkte, insbesondere die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan, als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich sind.

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten und insbesondere des Umstandes, dass der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weder hinsichtlich der relevanten Aspekte seines Privat- und Familienlebens noch seiner Rückkehrsituation einvernommen wurde (bzw. hinsichtlich seiner Rückkehrsituation nicht einmal zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme aufgefordert wurde) und auch nicht dargelegt wurde, aus welchen Gründen die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan seinerzeit für unzulässig erklärt wurde, kann auch ausgeschlossen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) „ergänzende“ Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers bzw. der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer samt der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes – nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

1.4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der gegenständliche Bescheid aufzuheben ist, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrsituation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W220.2234715.1.00

Im RIS seit

22.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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