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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des J in B, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 10. Oktober 1996, Zl. 5/04-14/966/2-1996, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 19. Juli 1996 wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 73 Abs. 1 und 66 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B entzogen, wobei gleichzeitig gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen wurde, daß vor Ablauf von zehn Monaten, gerechnet ab dem 11. Feber 1996, eine neue Lenkerberechtigung nicht erteilt werden dürfe. Einer gegen diesen Bescheid allfällig eingebrachten Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 73 Abs. 2a KFG 1967 wurde angeordnet, daß sich der Beschwerdeführer vor einer allfälligen Wiedererteilung der Lenkerberechtigung auf eigene Kosten einer besonderen Nachschulung für alkoholauffällige Lenker im Sinne des § 29b KDV 1967 bei einer gemäß § 64a Abs. 5 KFG 1967 hiezu ermächtigten Stelle zu unterziehen habe.
Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. Oktober 1996 wurde der dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid bestätigt.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß der Beschwerdeführer am "1.2.1996" (richtig: 11. Feber 1996) Verwaltungsübertretungen nach § 97 Abs. 5 StVO 1960 und nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO 1960 in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen habe. Hiefür sei er mit rechtskräftigem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Johann/Pongau vom 19. Juni 1996 bestraft worden. Schon allein das vom Beschwerdeführer am 11. Feber 1996 begangene Alkoholdelikt sei als bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 anzusehen, das die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers annehmen lasse. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer bereits im Jahre 1994 ein Alkoholdelikt begangen habe, weshalb ihm mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 21. Dezember 1994 die Lenkerberechtigung auf die Dauer von vier Wochen vorübergehend entzogen worden sei, und unter Berücksichtigung der Begleitumstände beim nunmehrigen Vorfall vom 11. Feber 1996 (der Beschwerdeführer habe versucht, sich durch Flucht der Amtshandlung zu entziehen, sei dann nach der Aufforderung zur Ablegung des Alkomattests erneut davongelaufen, gestolpert, über eine Böschung heruntergekollert, habe wegen seiner starken Alkoholisierung nur mit Hilfe des Meldungslegers aufstehen können, habe sich danach am Dienstkraftfahrzeug anlehnen müssen, um nicht umzufallen und habe schließlich die große und kleine Notdurft in die Hose verrichtet) erweise sich die Annahme eines Mangels an Verkehrszuverlässigkeit in der Dauer von zehn Monaten, wie von der Erstbehörde festgesetzt, als unbedenklich.
Darüberhinaus führte die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, daß es im Anlaßfall geboten sei, dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung trotz Festsetzung einer Entziehungszeit in der Dauer von zehn Monaten gemäß § 73 KFG 1967 - somit nicht bloß vorübergehend - zu entziehen, weil der Beschwerdeführer nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 7. Mai 1996, welches unter Verwertung des Befundes des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 22. März 1996 erstellt worden sei, derzeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich nicht geeignet und anzunehmen sei, daß dieser gesundheitliche Mangel auch nach Ablauf der gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 festgesetzten Zeit noch vorhanden sein werde. Das amtsärztliche Gutachten sei schlüssig und unbedenklich, der Beschwerdeführer habe es unterlassen, ein auf gleicher fachlicher Ebene stehendes Gegengutachten beizubringen.
Der Beschwerdeführer wendet demgegenüber ein, daß die belangte Behörde kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe, weil sie nicht ein eigenes Sachverständigengutachten eingeholt habe. Auf Grund des von der Erstbehörde eingeholten Gutachtens liege lediglich eine nicht verifizierte Verdachtslage vor. Durch Einholung eines entsprechenden Gutachtens durch die belangte Behörde wäre hervorgekommen, daß seine Eignung nach Ablauf einer Frist von zehn Monaten jedenfalls wieder vorliege, weshalb in der Nichteinholung eines solchen Gutachens ein wesentlicher Verfahrensmangel liege.
Der Beschwerdeführer bekämpft somit nicht die von der belangten Behörde bei ihm angenommene Verkehrsunzuverlässigkeit für die gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 festgesetzte Dauer von zehn Monaten, gerechnet ab Abnahme des Führerscheins am 11. Februar 1996. Strittig ist die Frage, ob die belangte Behörde berechtigt war, eine nicht bloß vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers auszusprechen. Die belangte Behörde stützte hiezu ihre Annahme, dem Beschwerdeführer fehle die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen, auf das Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen der Erstbehörde vom 7. Mai 1996. Der Amtssachverständige verwertete in seinem Gutachten sowohl die von ihm vorgenommene Untersuchung des Beschwerdeführers vom 6. März 1996 als auch den Befund des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 25. März 1996 über die am 22. März 1996 durchgeführte verkehrspsychologische Untersuchung des Beschwerdeführers.
Der Amtssachverständige beurteilte, daß der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B derzeit nicht geeignet sei, und führte im einzelnen aus:
"Bei der Untersuchung am 6.3.1996 wurde folgendes festgestellt:
Auffallend beim körperlichen Zustand des Untersuchten ist die deutliche Gesichtsröte und die Gefäßinjektion der Conjunktiven (deutlich vermehrt bzw. vergrößerte Gefäße in der Augenbindehaut). Der Blutdruck ist mit 185/95 deutlich erhöht, auffallend noch beim körperlichen Zustand der deutliche Tremor, also das Händezittern.
Als Beurteilungshilfe war nunmehr notwendig eine verkehrspsychologische Untersuchung zu veranlassen sowie eine hausärztliche Untersuchung vor allem zur Bestimmung der Leberparameter einzuholen.
Der Untersuchungsbefund bezüglich der Blutwerte zeigt ein normales rotes Blutbild mit einer leichten Leukozytose beim weißen Blutbild, was eine leichte Vermehrung der weißen Blutkörperchen bedeutet. Eine diskrete Rechtsverschiebung im Differenzialblutbild ist ebenfalls erkennbar. Bei den chemischen Parametern findet sich eine leichte Erhöhung der sogenannten GGT, dieser Wert ist leberspezifisch und weist auf Stoffwechselstörungen bze. Leberzellschädigung hin.
Bei der verkehrspsychologischen Untersuchung wird ausdrücklich auch auf den deutlichen Tremor an Armen und Händen hingewiesen. Herr J erklärte diesen damit, daß er ziemlich nervös sei. Bei den kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen finden sich Mängel an der Reaktionszeit und vor allem in der reaktiven Belastbarkeit. Diese ist doch deutlich herabgesetzt und eindeutig als nicht mehr ausreichend beurteilt worden.
Auch die Konzentrationsfähigkeit bzw. die konzentrative Belastbarkeit ist deutlich herabgesetzt und kann als nicht mehr ausreichend beurteilt werden. Auch wird die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch die Befundlage zur Persönlichkeit deutlich in Zweifel gezogen. Es handelt sich um eine labile Persönlichkeit mit reduzierter Frustrationstoleranz. Insgesamt ist lt. Kuratorium für Verkehrssicherheit derzeit eine Nichteignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A und B festzustellen."
Im Befund des Kuratoriums für Verkehrssicherheit finden sich unter der Rubrik "Kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen" unter anderem folgende hier wesentliche Feststellungen:
"Reaktionsverhalten
...
Belastbarkeit
Deutlich herabgesetzt und nicht mehr ausreichend, da der U. im Versuch am Wr. Determinationsgerät auf der Geschwindigkeitsstufe VI bei 180 gebotenen Signalen 24 richtig und zeitgerecht und 104 richtig, aber zeitverzögert beantwortet, wobei er 5 Fehler setzt (50 Auslassungen).
Konzentrationsfähigkeit
...
Konzentrative Belastbarkeit
Wesentlich herabgesetzt und insgesamt nicht mehr ausreichend, da der U. im Versuch am Wr. Determinationsgerät bei jeweils 180 gebotenen Signalen auf der Geschwindigkeitsstufe X 143 reizadäquat beantwortet, wobei er 25 Fehler setzt, auf der Geschwindigkeitsstufe VII 135, wobei er 4 Fehler setzt (45 Auslassungen) und auf der Geschwindigkeitsstufe VI 128, wobei er 5 Fehler setzt (50 Auslassungen).
...
Unter der Rubrik "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten" wird unter anderem ausgeführt:
Deutlich eignungserschwerend zeigt sich auch die Befundlage zur Persönlichkeit in Zusammenschau mit den Delikten der Vorgeschichte. Hier beschreibt sich der U. trotz Dissimulationstendenzen als emotional labile Persönlichkeit mit reduzierter Frustrationstoleranz bei gleichzeitig hoher Beeinflußbarkeit im sozialen Kontext, was eine starke Gefährdung in sozial determinierten Trinksituationen bedeutet."
Dem Befund sind Beilagen angeschlossen, in denen die einzelnen angewandeten Untersuchungsverfahren und die dabei erzielten Werte angeführt sind.
Die Rüge des Beschwerdeführers, der Befund und das darauf gestützte Amtssachverständigengutachten seien unvollständig und nicht hinreichend begründet, ist im Ergebnis berechtigt.
In Ansehung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten wird im Befund des Kuratoriums für Verkehrssicherheit zur Frage des Reaktionsverhaltens und der Konzentrationsfähigkeit des Beschwerdeführers zwar auf die bei ihm durchgeführten Untersuchungen Bezug genommen und es wird dargelegt, daß eine gewisse Fehleranzahl in mehreren Fällen vorgelegen sei, daraus ist jedoch nicht schlüssig ableitbar, daß die einzelnen Leistungsfunktionen in einem solchen Ausmaß beeinträchtigt sind, daß deshalb die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit insgesamt nicht ausreichend gegeben ist. Insbesondere ist mangels Angabe der nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie jeweils maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar, wie der Befundersteller von den im Befundblatt über "Kraftfahrspezifische Leistungsfunktionen" aufscheinenden Testwerten zu den wiedergegebenen Wertungen gelangte. Mangels näherer Ausführungen geht aus der Beilage (und auch aus dem weiters angeschlossenen Befundblatt über "Fahrrelevante Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale") nicht hervor, welcher Aussagewert den angegebenen Testwerten (einzeln oder in Verbindung mit anderen) jeweils zukommt und aus welchen wissenschaftlichen Erfahrungssätzen die angegebenen Schlußfolgerungen abzuleiten sind.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Anforderung an ein GutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996110346.X00Im RIS seit
12.06.2001