TE Vwgh Beschluss 2020/11/25 Ra 2020/22/0010

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Veröffentlicht am 25.11.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs1 Z5
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §46 Abs1 Z2
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des E K, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 3/14, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Dezember 2019, VGW-151/058/9042/2019/E-22, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (belangte Behörde) vom 2. November 2017 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines nordmazedonischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestützt auf § 11 Abs. 2 Z 4 in Verbindung mit Abs. 5 NAG abgewiesen.

2        Mit Erkenntnis vom 29. Juni 2018 gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers statt und erteilte ihm den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ für die Gültigkeitsdauer von zwölf Monaten.

3        Mit Erkenntnis vom 28. Mai 2019, Ra 2018/22/0228, hob der Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes auf, weil - auf das Wesentliche zusammengefasst - der Nachweis von Deutschkenntnissen gemäß § 21a NAG nicht erbracht worden sei.

4        Mit dem nunmehr angefochtenen, im fortgesetzten Verfahren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis vom 2. Dezember 2019 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gestützt auf § 11 Abs. 1 Z 5 und Abs. 2 Z 4 NAG als unbegründet ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für unzulässig erklärt.

5        Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass der Revisionswerber zwischen 2005 und 2013 wiederholt nach Österreich eingereist sei; seine Anträge auf internationalen Schutz bzw. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels seien aber nicht positiv erledigt worden. Seit 2016 sei er mit der nordmazedonischen Staatsangehörigen SL verheiratet, die in Österreich über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ verfüge und mit der er eine - 2010 geborene - gemeinsame Tochter habe. SL habe zudem aus erster Ehe eine weitere Tochter, die österreichische Staatsbürgerin sei. Am 15. Dezember 2016 habe der Revisionswerber gestützt auf seine Ehe mit SL den gegenständlichen Antrag gestellt; dass die erlaubte visumfreie Zeit zum Zeitpunkt der Antragstellung überschritten gewesen sei, habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Zuletzt sei der Revisionswerber am 17. Mai 2018 in das Bundesgebiet eingereist und in der Folge - auch nach der (eingangs dargestellten) aufhebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sowie nach der Rückgabe seiner „Aufenthaltskarte“ am 30. August 2019 - im Inland verblieben.

Das Verwaltungsgericht traf nähere Feststellungen zur Wohnsituation und zur finanziellen Situation der Ehegattin. Der Revisionswerber, der sehr gut Deutsch spreche, sei von 6. Dezember 2018 bis 11. Jänner 2019 angestellt gewesen; im Februar und im Oktober 2019 habe er jeweils ein Gewerbe angemeldet. Da der Revisionswerber trotz Aufforderung keine entsprechenden Unterlagen bzw. Belege vorgelegt habe, sei nicht feststellbar gewesen, welchen Gewinn er erwirtschaftet habe bzw. dass er schuldenfrei sei.

6        In seinen rechtlichen Erwägungen hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass der Revisionswerber grundsätzlich für einen Zeitraum von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen zum visumfreien Aufenthalt berechtigt sei. Durch die Aufhebung der (im ersten Verfahrensgang erfolgten) Erteilung eines Aufenthaltstitels mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai 2019 sei der Revisionswerber auf Grund der ex tunc-Wirkung so gestellt, als hätte er nie einen Aufenthaltstitel erhalten. Zwar könne dem Revisionswerber daraus, dass er im Vertrauen auf den ihm erteilten Aufenthaltstitel die visumfreie Zeit überschritten habe, kein Vorwurf gemacht werden; allerdings sei er auch nach Erlassung des aufhebenden Erkenntnisses Ra 2018/22/0228 (mit 11. Juli 2019) in Österreich verblieben. Seit diesem Zeitpunkt habe er sich bis zur mündlichen Verhandlung (am 26. November 2019) insgesamt 136 Tage in Österreich aufgehalten und die visumfreie Zeit bei weitem überschritten, weshalb der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 5 NAG verwirklicht sei. Auch die Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG sei - so das Verwaltungsgericht mit näherer Begründung - nicht erfüllt.

Bei der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG verwies das Verwaltungsgericht zugunsten des Revisionswerbers auf seine Ehe mit SL sowie auf deren Aufenthalt (sowie denjenigen ihrer Töchter) in Österreich. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass die Heirat zu einem Zeitpunkt stattgefunden habe, zu dem der Revisionswerber noch über keinen Aufenthaltstitel verfügt habe und sich die Ehegatten des unsicheren Aufenthaltes des Revisionswerbers bewusst gewesen sein mussten. Das Familienleben sei bisher durch regelmäßige Aufenthalte innerhalb der visumfreien Zeit aufrechterhalten worden. Der Revisionswerber sei erst seit ca. eineinhalb Jahren durchgehend in Österreich aufhältig und verfüge nach wie vor über soziale und familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat. Er sei nur sehr kurz unselbständig erwerbstätig gewesen. Nachweise für die tatsächliche Ausübung der angemeldeten Gewerbe seien nicht vorgelegt worden, zudem habe sich der Revisionswerber bei der Anmeldung des zweiten Gewerbes im Oktober 2019 unrechtmäßig in Österreich aufgehalten und sei zur Gewerbeausübung nicht berechtigt gewesen. Es könne daher nicht von einer erheblichen beruflichen Integration ausgegangen werden. Bei einer Gesamtwürdigung aller Aspekte sei von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses auszugehen.

7        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Der Revisionswerber verweist in seinem Zulässigkeitsvorbringen auf den hg. Beschluss vom 10. Dezember 2019, Ro 2018/22/0015, demzufolge bei einer Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG auch der konkrete Verfahrensablauf miteinzubeziehen sein könne. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner Interessenabwägung auf den unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers bei der Eheschließung verwiesen. Der Revisionswerber sei nach der Aufenthaltstitelerteilung mit Erkenntnis vom 29. Juni 2018 aber der festen Überzeugung gewesen, sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufzuhalten. Der Verwaltungsgerichtshof habe dieses Erkenntnis zwar aufgehoben, allerdings für das fortzusetzende Verfahren auf § 21a Abs. 5 NAG verwiesen, nach dessen Z 2 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK von einem Sprachnachweis abgesehen werden könne. Der Revisionswerber durfte daher die berechtigte Erwartung hegen, „ihm werde der beantragte Aufenthaltstitel ehebaldigst erteilt werden“. Indem das Verwaltungsgericht den konkreten Verfahrensablauf nicht einbezogen habe, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

10       Diesbezüglich ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, der zufolge die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG bekämpft werden kann (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0130, Rn. 12, mwN).

11       Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 10. Dezember 2019, Ro 2018/22/0015, im Zusammenhang mit einer Sachverhaltskonstellation, in der einem Drittstaatsangehörigen vom Verwaltungsgericht zunächst ein Aufenthaltstitel erteilt worden war, diese Entscheidung in der Folge vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde und der Betreffende im Inland verblieben ist, Folgendes festgehalten:

„19 Im Zusammenhang mit der Interessenabwägung im Sinn des § 11 Abs. 3 NAG ist zudem Folgendes zu beachten: Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich im bereits zitierten Erkenntnis 2010/21/0460 mit der Konstellation zu befassen, in der die Einreise der Fremden nach der Antragstellung im Ausland und nach Ausstellung eines Visums durch die (von der zunächst zuständigen Aufenthaltsbehörde dazu angewiesene) Botschaft rechtmäßig erfolgt ist, der Antrag auf Titelerteilung von der danach zuständig gewordenen Behörde abgewiesen wurde und die Fremde im Bundesgebiet verblieben ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich zwar einen Verstoß gegen die Verpflichtung nach § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG bejaht, bei der sodann gebotenen Interessenabwägung aber dem konkreten Verfahrensablauf unter Beachtung der Parameter nach § 11 Abs. 3 Z 1, 7 und 8NAG eine ausschlaggebende Bedeutung zugunsten der Fremden beigemessen.

20  Ausgehend davon wäre auch vorliegend dem zugrunde liegenden Verfahrensablauf im Rahmen einer Interessenabwägung jedenfalls eine wesentliche Bedeutung beizumessen gewesen (ungeachtet des Umstandes, dass auch alle weiteren in § 11 Abs. 3 NAG genannten Parameter in die Beurteilung einfließen). [...]“

12       Dem Revisionswerber ist zwar einzuräumen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Interessenabwägung den unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der Eheschließung betont, hingegen den konkreten Verfahrensablauf nicht ausdrücklich in Anschlag gebracht hat. Soweit der Revisionswerber dem Verwaltungsgericht insoweit einen Begründungsmangel anlastet, legt er allerdings weder eine Relevanz des so behaupteten Verfahrensfehlers dar, noch zeigt er - im Hinblick auf die weiteren vom Verwaltungsgericht in die Beurteilung einbezogenen Parameter des § 11 Abs. 3 NAG - auf, dass die Außerachtlassung des genannten Umstandes eine Unvertretbarkeit der Interessenabwägung nach sich zieht (vgl. auch VwGH 11.11.2020, Ra 2019/22/0126, Rn. 22). Zudem ist zu beachten, dass das Verwaltungsgericht seiner abweisenden Entscheidung nicht nur das-mit dem konkreten Verfahrensablauf in Zusammenhang stehende - Vorliegen des Erteilungshindernisses nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG (Überschreiten des visumfreien Aufenthaltes), sondern auch das Fehlen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG (fehlende Unterhaltsmittel) zugrunde gelegt hat. Im Ergebnis vermag die Revision jedenfalls nicht aufzuzeigen, dass der konkret zugrunde gelegene Verfahrensablauf fallbezogen zu einem Überwiegen der persönlichen Interessen des Revisionswerbers bei der Interessenabwägung hätte führen müssen.

13       Daran vermag das abschließend ins Treffen geführte Argument - nämlich der Verweis auf § 21a Abs. 5 NAG im hg. Erkenntnis Ra 2018/22/0228 - nichts zu ändern. Gemäß § 21a Abs. 5 Z 2 NAG kann auf begründeten Antrag von einem Nachweis von Deutschkenntnissen zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK abgesehen werden, wobei eine Belehrung über die Möglichkeit der Antragstellung zu erfolgen hat. Mit dem Verweis auf diese Bestimmung wird daher zum Ausdruck gebracht, dass - für den Fall eines auch im fortgesetzten Verfahren fehlenden Sprachnachweises - eine Belehrung über die Antragstellung und in der Folge eine dahingehende Abwägung zu erfolgen hat. Eine inhaltliche Aussage über den Ausgang dieser Abwägung lässt sich diesem Hinweis nicht entnehmen, zumal die Parameter des § 11 Abs. 3 NAG im hg. Erkenntnis Ra 2018/22/0228 keine Rolle gespielt haben. Ausgehend davon konnte der Revisionswerber aus diesem Hinweis auch keine berechtigte Erwartungshaltung hinsichtlich der Erteilung eines Aufenthaltstitels im fortgesetzten Verfahren ableiten, zumal das Verwaltungsgericht (auch in einem fortgesetzten Verfahren) das Vorliegen sämtlicher Erteilungsvoraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel zum Entscheidungszeitpunkt prüfen muss (vgl. etwa VwGH 21.2.2017, Ra 2016/22/0080).

14       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

15       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 25. November 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220010.L00

Im RIS seit

11.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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