TE Bvwg Beschluss 2020/2/24 L507 2221439-3

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Veröffentlicht am 24.02.2020
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Entscheidungsdatum

24.02.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
GVG-B 2005 §2 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §8a

Spruch

L507 2221439-3/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Habersack über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Jordanien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.01.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

I. In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

II. Die Verfahrenshilfe wird im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr bewilligt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang

1. Der erste Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin, einer Staatsangehörigen von Jordanien, vom 07.03.2019 wurde mit hg. Erkenntnis vom 21.08.2019, Zl. L502 2221439-1/5E, als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung erwuchs am 22.08.2019 in Rechtskraft.

Am 27.11.2019 stellte die Beschwerdeführerin einen zweiten (Folge-) Antrag auf internationalen Schutz. Infolge dieses Antrages wurde die Beschwerdeführerin in die Grundversorgung aufgenommen und ihr ein Quartier in der Betreuungsstelle Ost zugewiesen.

Aufgrund mehrerer Verstöße der Beschwerdeführerin gegen die Hausordnung der Betreuungsstelle Ost und nach entsprechenden Ermahnungen durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wurde der Beschwerdeführerin ab 21.12.2019 ein Quartier in der Betreuungsstelle XXXX zugewiesen.

2. Infolge von beinahe täglich weiteren Verstößen der Beschwerdeführerin gegen die Hausordnung der Betreuungsstelle XXXX und nach einer neuerlichen Ermahnung der Beschwerdeführerin durch das BFA am 13.01.2020, wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben des BFA vom 17.01.2020 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihr das Taschengeld für die Dauer von drei Monaten nicht zu gewähren, um sie zu einer Änderung ihres Verhaltens und zur Einhaltung der Hausordnung zu bewegen. Diesbezüglich wurde der Beschwerdeführerin zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme eine Frist von einer Woche eingeräumt. Ferner wurde die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass sie – für den Fall, dass sie keine schriftliche Stellungnahme abgeben werde – das Vorgehen der Behörde akzeptieren würde, und sodann davon ausgegangen werde, dass die Beschwerdeführerin das Vorgehen des BFA akzeptiere und gestützt auf den Akteninhalt eine Entscheidung getroffen werde.

Dieses Schreiben wurde der Beschwerdeführerin am 20.01.2020 persönlich zugestellt.

Die Beschwerdeführerin brachte keine Stellungnahme beim BFA ein.

3. Mit Bescheid des BFA vom 28.01.2020, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführerin die ihr aufgrund des GVG-B bisher gewährte Versorgung gemäß
§ 2 Abs. 4 GVG-B insofern eingeschränkt, als ihr für den Zeitraum vom 01.02.2020 bis 30.04.2020 das Taschengeld nicht gewährt wird. Zudem wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid gemäß § 13 Abs. 2 VB GVG ausgeschlossen.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin an mehreren – im angefochtenen Bescheid näher aufgezählten – Tagen gegen die Hausordnung einer Betreuungseinrichtung verstoßen habe. Insofern habe die Beschwerdeführerin mehrfach gegen das Verbot des Besitzes, Konsums und Vertriebs von Alkohol und Suchtmittel auf dem Areal der Betreuungseinrichtung verstoßen, sie habe die Nachtruhe mehrfach nicht eingehalten und innerhalb der Unterkunftsgebäude an einer hierfür nicht vorgesehenen Örtlichkeit mehrfach geraucht.

In der rechtlichen Begründung des angefochtenen Bescheides wurde unter anderem ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin durch ihre fortgesetzten Verstöße gegen die in der Hausordnung enthaltenen Bestimmungen verstoßen habe, indem sie sich nicht an die Hausordnung gehalten habe. Durch ihr sittenwidriges Verhalten werde die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Betreuungseinrichtung gefährdet.

Der Entscheidung, die Versorgung nach Abs. 4 [gemeint: § 2 Abs. 4 GVG-B] einzuschränken oder zu entziehen, habe eine Anhörung des Betroffenen, soweit diese ohne Aufschub möglich ist, voranzugehen. Die Anhörung des Betroffenen sei insbesondere dann nicht möglich, wenn er zwar zur Anhörung geladen wurde, jedoch zu dieser nicht erscheint oder wenn sein Aufenthalt unbekannt ist.

Die Beschwerdeführerin habe in grober Weise gegen die Hausordnung verstoßen und damit fortgesetzt bzw. nachhaltig die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Betreuungseinrichtung gefährdet. Sie habe mehrmals, einmal sogar in betrunkenem Zustand, die Nachtruhe gestört und somit die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Betreuungsstelle gefährdet. Sie habe zweimal gegen das allgemeine Rauchverbot in den Unterkünften der Betreuungsstelle verstoßen und habe somit die Sicherheit der übrigen Bewohner und des Betreuungspersonales der Betreuungsstelle gefährdet. Sie sie habe mehrere Male unangemessenes, sittenwidriges Verhalten an den Tag gelegt und habe dieses Verhalten trotz Ermahnung und Gesprächen mit Psychologen der Betreuungsstelle weiter fortgesetzt. Somit habe die Beschwerdeführerin mehrmals die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb der Betreuungsstelle gefährdet.

Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass Sie der Einhaltung der Hausordnung d.h. insbesondere dem Umstand, dass der Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle von allen Bewohnern im gemeinsamen Interesse ein großes Maß an gegenseitiger Rücksichtnahme erfordert – nicht den unbedingt notwendigen Stellenwert beigemessen und erscheine es aufgrund des bisherigen Verhaltens der Beschwerdeführerin angebracht, sie durch eine sofortige Einschränkung der Versorgung – in Form der Nichtgewährung von Taschengeld für den oben angeführten Zeitraum – zur hinkünftigen Einhaltung der Hausordnung zu bewegen. Die ausgesprochene Dauer der Einschränkung erscheine der erkennenden Behörde ausreichend, um Sie hinkünftig von weiteren Verletzungen der Hausordnung abzuhalten.

3. Gegen diesen der Beschwerdeführerin am 29.01.2020 zugestellten Bescheid wurde am 11.02.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin an einer bipolar affektiven Störung leide. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Schweregrad der Erkrankung der Beschwerdeführerin sehr hoch sei, da ihr sonst das Medikament Olanzapin, welches für Psychosen eingesetzt werde, nicht verschrieben worden wäre. Gemäß ICD – 10 würden psychotische Symptome ebenfalls nicht ausgeschlossen werden können. Symptome dieser Erkrankung würden unter anderem mit gesteigerter Aktivität, Konzentrationsschwierigkeiten, vermindertes Schlafbedürfnis, gesteigerter Libido, leichtsinnigem Verhalten, übermäßiger Vertraulichkeit und in der Ausprägung einer schweren Erkrankung auch mit Wahn beschrieben werden. Das von der Beschwerdeführerin gesetzte Verhalten sei offensichtlich mit ihrer schweren psychischen Erkrankung zu erklären und verfüge sie offensichtlich nicht über die notwendige Dispositionsfähigkeit, das Unrecht des von ihr gesetzten Verhaltens zu erkennen und einzusehen, wenn sie eine manische Episode hat.

Die Erkrankung der Beschwerdeführerin sei aktenkundig und hätte in die Beurteilung des Sachverhaltes einfließen müssen. Darüber hinaus wäre es die Verpflichtung der belangten Behörde und des BMI gewesen, die Beschwerdeführerin in einer geeigneten Einrichtung unterzubringen, da es ihr offensichtlich psychisch nicht möglich sei, sich an das Leben in der Betreuungseinrichtung anzupassen. Die Beschwerdeführerin müsse in einer Einrichtung mit besonderem Betreuungsbedarf unterbracht werden und könne der Entzug des Taschengeldes der Beschwerdeführerin seinen Zweck gar nicht erreichen, da es der Beschwerdeführerin in ihrer nächsten manischen Episode erneut an Dispositionsfähigkeit mangeln werde.

Sollte das Bundesverwaltungsgericht nicht davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin an einer psychischen Erkrankung leidet, welche ihr Unrechtsbewusstsein so stark einschränke, dass sie sich gar nicht an die Hausordnung halten könne, so werde ein Antrag auf Einholung eines ein psychiatrisches Gutachten zur Ermittlung der Dispositionsfähigkeit der Beschwerdeführerin gestellt.

Durch den Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Grundversorgungseinrichtung und dem Versagen der Behörde einen adäquaten Unterbringungsplatz für die Beschwerdeführerin zu organisieren werde ihre körperliche und geistige Unversehrtheit gefährdet und die Antwort darauf könne keinesfalls ein Entzug von Leistungen aus der Grundversorgung sein.

Die Einschränkung der Versorgung bzw. Nichtgewährung des Taschengelds für einen Zeitraum von 3 Monaten sei jedenfalls nicht verhältnismäßig, da das Ziel, die Beschwerdeführerin von weiteren Verletzungen der Hausordnung abzuhalten, gar nicht erreicht werden könne, da es immer wieder zu einer manischen Episode kommen kann.

Des Weiteren sei zu beachten, dass die Richtlinie 2013/33/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, die Einschränkung oder den Entzug der Grundversorgung nur in den in Art 20 Abs. 1 genannten Gründen vorsieht. Daher sei
§ 2 Abs. 4 GVG-B dahingehend unionsrechtskonform zu interpretieren, dass die Grundversorgung in den nicht in der Aufnahme-RL genannten Fällen zwar unter Auflagen gewährt werden könne, aber nicht gänzlich eingeschränkt oder entzogen werden dürfe.

Die belangte Behörde hat den psychischen Zustand der Beschwerdeführerin überhaupt nicht in ihre Entscheidung einbezogen. Alleine deswegen sei der Bescheid rechtswidrig und zu beheben.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte VwGVG geregelt. Gemäß
§ 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A) I.:

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).

Gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen relevanter behördlicher Sachverhaltsermittlungen. Hinsichtlich dieser Voraussetzung gleicht die Bestimmung des § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG jener des § 66 Abs. 2 AVG, der als – eine – Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung gleichfalls Mängel der Sachverhaltsfeststellung normiert, sodass insofern – auch wenn § 66 Abs. 2 AVG im Gegensatz zu § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG als weitere Voraussetzung der Behebung und Zurückverweisung auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraussetzt – auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG zurückgegriffen werden kann.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3.1. Die materielle Rechtsgrundlage im gegenständlichen Fall ist das Bundesgesetz, mit dem die Grundversorgung von Asylwerbern im Zulassungsverfahren und bestimmten anderen Fremden geregelt wird (Grundversorgungsgesetz-Bund 2005 – GVG-B 2005).

§ 2 GVG-B 2005 lautet auszugsweise:

„[]

(4) Die Versorgung von Asylwerbern und sonstigen Fremden gemäß Abs. 1, die

1. die Aufrechterhaltung der Ordnung durch grobe Verstöße gegen die Hausordnung der Betreuungseinrichtungen (§ 5) fortgesetzt oder nachhaltig gefährden oder

2. gemäß § 38a Sicherheitspolizeigesetz – SPG, BGBl. Nr. 566/1991 aus der Betreuungseinrichtung weggewiesen werden oder

3. innerhalb der Betreuungseinrichtung einen gefährlichen Angriff (§ 16 Abs. 2 und 3 SPG) gegen Leben, Gesundheit oder Freiheit begangen haben und aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie werden einen weiteren solchen begehen,

kann von der Behörde eingeschränkt, unter Auflagen gewährt oder entzogen werden. Diese Entscheidung darf jedoch nicht den Zugang zur medizinischen Notversorgung beschränken.

(5) Die Grundversorgung von Asylwerbern und sonstigen Fremden gemäß Abs. 1, die wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden sind, die einen Ausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 darstellen kann, kann eingeschränkt, unter Auflagen gewährt oder entzogen werden. Abs. 4 letzter Satz gilt.

(6) Der Entscheidung, die Versorgung nach Abs. 4 oder 5 einzuschränken oder zu entziehen, hat eine Anhörung des Betroffenen, soweit dies ohne Aufschub möglich ist, voranzugehen. Die Anhörung des Betroffenen ist insbesondere nicht möglich, wenn er zwar zur Anhörung geladen wurde, jedoch zu dieser nicht erscheint oder wenn sein Aufenthalt unbekannt ist.

[ ]“

3.2. Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als höchst mangelhaft:

§ 2 Abs. 6 GVG-B ordnet an, dass der Entscheidung, die Versorgung nach § 2 Abs. 4 oder 5 GVG-B einzuschränken oder zu entziehen, eine Anhörung des Betroffenen voranzugehen hat, soweit dies ohne Aufschub möglich ist. Die Anhörung des Betroffenen ist insbesondere nicht möglich, wenn er zwar zur Anhörung geladen wurde, jedoch zu dieser nicht erscheint oder wenn sein Aufenthalt unbekannt ist.

Im gegenständlichen Fall wurde die Beschwerdeführerin vom BFA vor der Entscheidung, ihr die Versorgung gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B einzuschränken zu einer Anhörung im Sinne des
§ 2 Abs. 6 GVG-B nicht geladen und war der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt auch nicht unbekannt.

Weshalb die Beschwerdeführerin zu dieser durch das GVG-B angeordneten Anhörung vom BFA nicht geladen wurde, geht weder aus dem Akteninhalt noch aus dem angefochtenen Bescheid hervor.

Zudem war dem BFA aus dem Inhalt der Akte betreffend die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin bekannt, dass die Beschwerdeführerin an einer bipolaren affektiven Störung leidet.

Vor diesem Hintergrund im Zusammenhang mit der gesetzlichen Anordnung des § 2 Abs. 6 GVG-B wäre es nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes unbedingt erforderlich gewesen, die Beschwerdeführerin vor Erlassung einer Entscheidung zur Einschränkung der gewährten Versorgung iSd § 2 Abs. 4 GVG-B zu einer Anhörung zu laden, um sich einen unmittelbaren Eindruck über die Person bzw. die Persönlichkeit der Beschwerdeführerin und deren Gesundheitszustand zu verschaffen. Aufgrund der persönlichen Wahrnehmungen wäre es sodann dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des BFA möglich gewesen, weitere Verfahrensschritte – wie etwa die Einholung eines medizinischen oder psychiatrischen Gutachtens im Hinblick auf das Vorliegen einer psychischen Erkrankung der Beschwerdeführerin, sowie bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung die Abklärung der Frage betreffend der Schwere der Erkrankung und den Einfluss der Erkrankung auf die Dispositionsfähigkeit der Beschwerdeführerin – anzuordnen.

Gestützt auf das Ergebnis der Anhörung bzw. weiterer erforderlicher Ermittlungsergebnisse hätte die belangte Behörde sodann im angefochtenen Bescheid konkrete Feststellungen insbesondere zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu treffen gehabt.

Aufgrund der Unterlassung der gesetzlich angeordneten Anhörung und der erforderlichen Ermittlungen durch die belangte Behörde sowie darauf gestützt nach Feststellungen, insbesondere zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin erweist sich der angefochtene Bescheid als massiv mangelhaft.

Insgesamt gesehen hat die belangte Behörde im gegenständlichen Verfahren im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Ermittlungen gänzlich unterlassen, wobei diese Ermittlungen nunmehr durch das Bundesverwaltungsgericht erstmals vorgenommen werden müssten.

Da im gegenständlichen Verfahren aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhaltes für die abschließende Beurteilung, ob der Beschwerdeführerin aufgrund ihr zurechenbarer Verstöße gegen die Hausordnung der Betreuungseinrichtung bisher gewährte Versorgungsleistungen eingeschränkt werden können, gänzlich unterlassen wurden und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (erstmals) durch das Bundesverwaltungsgericht selbst vorgenommen werden müsste, war der angefochtene Bescheid zu beheben und das Verfahren zur neuerlichen Durchführung und Erlassung eines Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil A) II.:

4.1. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist gemäß
§ 8a Abs. 1 VwGVG einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.

Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei der Regelung der Verfahrenshilfe im VwGVG um eine sogenannte "subsidiäre Bestimmung" handelt: Sie soll nur dann zur Anwendung gelangen, wenn durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, also dann, wenn das sogenannte "Materiengesetz" keine Regelung enthält, deren Gegenstand der Verfahrenshilfe entspricht. Gemäß § 52 BFA-VG ist einem Fremden oder Asylwerber im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in bestimmten Angelegenheiten von Amts wegen kostenlos ein Rechtsberater zur Seite zu stellen. § 52 BFA-VG entspricht damit den Vorgaben des Art. 47 GRC. Im Anwendungsbereich des BFA-VG gelangt daher die Bestimmung des § 8a VwGVG (überhaupt) nicht zur Anwendung (siehe ErläutRV 1255 BlgNR 25. GP zu § 8a VwGVG).

Das BFA-VG sieht für seinen, das verwaltungsgerichtliche Verfahren betreffenden Anwendungsbereich allerdings keine ausdrückliche Regelung vor, ob oder inwieweit im Rahmen der kostenlosen Rechtsberatung nach § 52 BFA-VG auch eine Befreiung von allfälligen zu entrichtenden Gerichtsgebühren oder anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren (§ 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO) möglich ist. Da im vorliegenden Fall eine gesetzliche Gebührenbefreiung nicht besteht, unterliegt die gegenständliche Beschwerde der Verpflichtung zur Entrichtung der Eingabengebühr nach § 14 Tarifpost 6 Abs. 5 Z 1 lit. b Gebührengesetz 1957 in Verbindung mit der BuLVwG-Eingabengebührverordnung, BGBl. II Nr. 387/2014 idgF.

4.2. Der gegenständliche Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr findet somit in § 8a VwGVG iVm § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO grundsätzlich eine geeignete Rechtsgrundlage.

Mit dem vorliegenden Vermögensbekenntnis wurde glaubhaft dargelegt, dass die Beschwerdeführerin nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt und sie daher außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten.

Es war daher gemäß § 8a iVm § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO dem Antrag stattzugeben und durch Beschluss die Verfahrenshilfe im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr zu bewilligen.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß
Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.

Schlagworte

Befragung Ermittlungspflicht Gesundheitszustand Grundversorgung Kassation Ladungen mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L507.2221439.3.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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