TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/2 G303 2219624-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

02.07.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §8a
ZPO §64 Abs1 Z1 lita

Spruch

G303 2219624-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Italien und Argentinien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.04.2019, Zahl: XXXX,

I.       zu Recht erkannt:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass in Spruchpunkt I. die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zwei (2) Jahre herabgesetzt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II.       beschlossen:

C)       Die beantragte Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a VwGVG iVm. § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO im Umfang der Befreiung von der Entrichtung der Eingabengebühr bewilligt.

D)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, (im Folgenden: belangte Behörde oder BFA), wurde über den Beschwerdeführer (im Folgenden: der BF) gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF begründet. Der BF sei wegen der beharrlichen Verfolgung und des Widerstands gegen die Staatsgewalt zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Der BF sei in Österreich rund ein Monat am Feld, daher in der Landwirtschaft, tätig gewesen. Der BF sei diesbezüglich nicht zur Sozialversicherung angemeldet worden. Er sei weder familiär, noch sozial integriert und verfüge über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet und über kein regelmäßiges Einkommen. Sein Aufenthalt stelle eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar und seine sofortige Ausreise sei im öffentlichen Interesse dringend erforderlich. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes in der angegebenen Dauer sei gerechtfertigt und notwendig, um die vom BF ausgehende, erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Die sofortige Umsetzung des Aufenthaltsverbots sei im Interesse der Bevölkerung geboten.

2. Mit Mandatsbescheid des BFA, Regionaldirektion Wien, Zl. XXXX, vom 02.05.2019, wurde über den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm. § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3. Mit Schriftsatz vom 28.05.2019 brachte der BF durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung fristgerecht bei der belangten Behörde Beschwerde gegen den oben im Spruch angeführten Bescheid ein. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme des BF durchführen, den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes verkürzen sowie dem BF Verfahrenshilfe im Umfang der im beiliegenden Antrag genannten Gebühren, Auslagen und Verfahrenshandlungen gewähren.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF vom Vorwurf der beharrlichen Verfolgung gemäß § 107a Abs. 1 StGB – entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid - freigesprochen worden sei und eine Verurteilung hinsichtlich des versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgte. Die belangte Behörde habe ihre rechtliche Beurteilung daher offenkundig auf einem unrichtigen Sachverhalt aufgebaut. Der angefochtene Bescheid lasse zudem eine nachvollziehbare Gefährlichkeitsprognose vermissen und enthalte keinerlei konkrete Feststellungen zu der der Verurteilung zugrunde liegenden Straftat. Das Strafgericht habe mehrere Umstände als mildernd gewertet, nämlich das teilweise Geständnis, den bislang ordentlichen Lebenswandel sowie dass es beim Versuch geblieben sei. Erschwerend sei hingegen kein Umstand gewertet worden. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von 5 Jahren erweise sich jedenfalls als unverhältnismäßig hoch. Insbesondere vor dem Hintergrund des Freispruchs sei die Dauer des Aufenthaltsverbotes entsprechend herabzusetzen. Die belangte Behörde habe auch die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht nachvollziehbar darlegen können, daher sei die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes sowie die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung rechtswidrig erfolgt.

4. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben der belangten Behörde vom 29.05.2019 vorgelegt und langten diese am 03.06.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der BF wurde am XXXX in Argentinien geboren. Er ist Staatsangehöriger von Argentinien und Italien und spricht spanisch. Er ist ledig und kinderlos.

Der BF weist keine Wohnsitzmeldungen – mit Ausnahme seines Aufenthaltes in der Justizanstalt XXXX – im Bundesgebiet auf.

Der BF wurde am XXXX.2019 festgenommen und befand sich von XXXX.2019 bis XXXX.2019 in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft.

Der BF hielt sich bis zu ca. vier Wochen vor seiner Festnahme am XXXX.2019 in Österreich auf und war in dieser Zeit als Feldarbeiter in der Landwirtschaft beschäftigt. Der BF war nicht zur Sozialversicherung angemeldet.

Der BF weist in Österreich folgende rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung auf:

01) LG F. XXXX XXXX vom XXXX.2019 RK XXXX.2019
§ 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB
Datum der (letzten) Tat XXXX.2019
Freiheitsstrafe 7 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

Der BF wurde mit dem oben angeführten Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2019 wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Bei der Strafbemessung wurden das teilweise Geständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel, sowie dass es beim Versuch geblieben ist, als mildernd gewertet. Erschwerend wurde kein Umstand gewertet.

Dieser strafgerichtlichen Verurteilung liegt zugrunde, dass der BF in Wien am XXXX .2019 drei Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Vorführung zur sofortigen Vernehmung, zu hindern versuchte, indem er um sich schlug, sich loszureißen versuchte und in Bauchlage mit den Beinen um sich trat.

Mit demselben Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2019 wurde der BF von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe im Zeitraum von XXXX.2019 bis XXXX.2019 in Wien eine Frau widerrechtlich beharrlich verfolgt, freigesprochen.

Mit Mandatsbescheid des BFA vom 02.05.2019 wurde zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung des BF die Schubhaft angeordnet.

Der BF wurde am XXXX.2019 auf dem Landweg nach Italien abgeschoben.

Familiäre oder private Anknüpfungspunkte des BF im Bundesgebiet konnten nicht festgestellt werden.

Der BF verfügt über keine Barmittel. Er ist gesund und arbeitsfähig. Der BF hat in Argentinien die Grundschule und ein Technikum absolviert. Der BF lebt seit fünf Jahren in Spanien, wo auch ein Bruder des BF lebt. Die weitere Familie des BF lebt in Argentinien.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen zur Identität und Staatsangehörigkeiten des BF ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt und einer im Akt einliegenden Kopie einer italienischen Identitätskarte Nr. XXXX sowie eines argentinischen Personalausweises Nr. XXXX , der bis XXXX.2033 gültig ist. Seine Spanischkenntnisse ergeben sich daraus, dass der BF in Argentinien geboren wurde und dort seine Ausbildung absolvierte sowie aus dem Umstand, dass die belangte Behörde für seine Einvernahme einen Dolmetscher für die Sprache Spanisch heranzog.

Die Feststellungen zum Familienstand und zu den Familienverhältnissen beruhen auf den eigenen Angaben des BF vor dem BFA bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 30.04.2019.

Die Feststellung, dass der BF im Bundesgebiet – mit Ausnahme seines Aufenthaltes in der JA XXXX - amtlich nicht gemeldet war, konnte anhand eines Auszuges aus dem Zentralen Melderegister festgestellt werden.

Die Feststellungen zur Festnahme und zur Untersuchungshaft beruhen auf der Verständigung des Landesgerichts XXXX vom 01.04.2019 und der Eintragung im Zentralen Melderegister.

Das genaue Einreisedatum des BF nach Österreich konnte nicht festgestellt werden, der BF gab in der niederschriftlichen Einvernahme am 30.04.2019 lediglich an, dass er sich bis zu einem Monat vor seiner Festnahme in Österreich aufgehalten hat. Auch gab er an, dass er als Feldarbeiter gearbeitet habe.

Die fehlende sozialversicherungsrechtliche Anmeldung ergibt sich aus einem eingeholten Auszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Die strafgerichtliche Verurteilung des BF und die zugrundeliegende strafbare Handlung, die Strafbemessungsgründe sowie der Freispruch können anhand des vorliegenden Strafurteils des Landesgerichtes XXXX, GZ: XXXX, vom XXXX.2019, und des Strafregisters festgestellt werden.

Die Verhängung der Schubhaft beruht auf den im Verwaltungsakt einliegenden Mandatsbescheid des BFA vom 02.05.2019. Dass der BF am XXXX.2019 nach Italien abgeschoben wurde, konnte durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister sowie anhand des Berichtes der Landespolizeidirektion XXXX vom 02.05.2019 festgestellt werden.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass der BF über finanzielle Mittel verfügt, zumal er bei seiner Einvernahme vor dem BFA selbst angab, derzeit nicht im Besitz von Barmitteln zu sein und für seine Feldarbeit noch keine Entlohnung bekommen zu haben.

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des BF beruht darauf, dass der BF nichts Gegenteiliges behauptete. Anhaltspunkte für Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des BF sind nicht zutage getreten, zumal der BF selbst angab am Feld gearbeitet zu haben.

Die Feststellung, dass der BF keine familiären und privaten Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet besitzt, basiert auf dessen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 30.04.2019 und auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.

Ebenso richten sich die Feststellungen zur familiären und privaten Situation nach dessen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vom 30.04.2019.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Als Staatsangehöriger von Italien ist der BF EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Gemäß § 67 Abs. 4 FPG ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK sind insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und die Frage ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, Zl. 2013/22/0309).

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs. 4 FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Zl. Ra 2016/21/0075).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF hat sich weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes aufgehalten, noch konnte ein durchgehendender und rechtmäßiger Aufenthalt von fünf Jahren des BF im Bundesgebiet im Sinne des § 53a NAG festgestellt werden. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter Satz FPG ("tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt") maßgeblich.

In der Beschwerde wird richtigerweise beanstandet, dass die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot unter anderem mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF wegen beharrlicher Verfolgung gemäß § 107a Abs. 1 StGB begründet hat, obwohl der BF hinsichtlich dieses Strafdelikts mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX.2019 freigesprochen wurde.

Im Mittelpunkt der zu erstellenden Gefährdungsprognose steht somit lediglich die strafgerichtliche Verurteilung des BF wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der BF in Wien drei Polizeibeamte mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Vorführung zur sofortigen Vernehmung zu hindern versuchte, indem er um sich schlug, sich loszureißen versuchte und in Bauchlage mit den Beinen um sich trat.

Der BF hat durch seine Tathandlung gezeigt, dass er nicht gewillt ist, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten. Zudem war er im Bundesgebiet nie amtlich gemeldet, war nicht im Besitz von Barmittel und ging als Feldarbeiter einer Beschäftigung nach, ohne zur Sozialversicherung angemeldet worden zu sein. Außerdem besaß der BF kein gültiges Reisedokument.

Das öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafbaren Handlungen ist als sehr groß zu bewerten. Zudem kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 09.03.2003, Zl. 2002/18/0293).

Zu beurteilen ist weiters die Frage der Gegenwärtigkeit der Gefahr im Sinn des § 67 FPG, welche kumulativ mit der Tatsächlichkeit und Erheblichkeit vorliegen muss. Ein allfälliger Gesinnungswandel kann nicht am Verhalten in der Strafhaft, sondern nur daran geprüft werden, wie lange sich der BF in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa VwGH 13.02.2007, 2006/18/0497 mwN; 28.01.2016, Ra 2016/21/0013; 26.01.2017, Ra 2016/21/0233). Der BF wurde zwar am XXXX .2019 aus der Untersuchungshaft entlassen, befand sich jedoch in weiterer Folge zur Sicherung der Abschiebung von XXXX.2019 bis XXXX.2019 in Schubhaft.

Das persönliche Verhalten des BF zeigt, dass er eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, zumal die Straftat noch nicht lange zurückliegt, der Bewährungszeitraum von drei Jahren noch nicht verstrichen ist, und somit der seit der Verurteilung verstrichene Zeitraum als zu kurz anzusehen ist, um gänzlich von einem Wegfall der Gefährdung zu sprechen.

Bei einer Gesamtbetrachtung liegt daher eine tatsächliche, erhebliche und auch gegenwärtige Gefahr vor, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 FPG sind somit gegeben.

Auch die im Lichte des § 9 BFA-VG gebotene Abwägung der privaten und familiären Interessen des BF mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen konnte eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht rechtfertigen.

Es konnten keinerlei maßgeblichen familiären und privaten Bindungen des BF in Österreich festgestellt werden. Zudem hatte der BF zu keinem Zeitpunkt einen Wohnsitz in Österreich begründet, weshalb davon auszugehen ist, dass sich der Lebensmittelpunkt des BF außerhalb des Bundesgebietes befindet. Der BF ist ein gesunder Mann in einem arbeitsfähigen Alter, weshalb er in der Lage sein wird, sich in Italien oder in Spanien am Erwerbsleben zu beteiligen und sich dort eine Lebensgrundlage zu erwirtschaften.

Angesichts des mit der strafgerichtlichen Verurteilung zu Tage getretenen und in seiner Gesamtheit gravierenden Fehlverhaltens des BF verstößt das Aufenthaltsverbot nicht gegen Art 8 EMRK, ist es doch zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte Dritter) dringend geboten.

Das von der belangten Behörde gemäß § 67 Abs. 1 FPG angeordnete Aufenthaltsverbot erweist sich somit dem Grunde nach als zulässig, weshalb eine Aufhebung des Aufenthaltsverbotes nicht in Betracht kam und die Beschwerde insoweit als unbegründet abzuweisen war.

Im gegenständlichen Fall erweist sich allerdings die von der belangten Behörde verhängte Dauer des Aufenthaltsverbotes von fünf Jahren als nicht angemessen. Dies aus folgenden Erwägungen:

In Anbetracht der vom BF begangenen Straftat „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist festzuhalten, dass der für die Bestimmung des Strafrahmens maßgebliche § 269 Abs. 1 erster Fall StGB einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Das Strafgericht hat den BF rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der mögliche Strafrahmen wurde vom Strafgericht demnach bei weitem nicht zur Gänze ausgeschöpft. Die Strafe wurde vielmehr im unteren Drittel des Strafrahmens angesetzt. Zudem fällt dabei auch ins Gewicht, dass bei der Strafbemessung kein Umstand als erschwerend gewertet wurde und der BF bis zu dieser Verurteilung in Österreich unbescholten war.

Die von der belangten Behörde verhängte Dauer des Aufenthaltsverbotes von fünf Jahren steht im Vergleich zu der im gegenständlichen Fall tatsächlich verhängten bedingten Freiheitsstrafe und dem konkreten Unrechtsgehalt der begangenen Straftat unter Berücksichtigung aller Milderungsgründe demnach außer Relation.

Im Hinblick darauf und unter Berücksichtigung der auf Grund des Fehlverhaltens und der sonstigen persönlichen Umstände getroffenen Gefährlichkeitsprognose war die Dauer des Aufenthaltsverbotes daher spruchgemäß in angemessener Weise auf zwei Jahre herabzusetzen und der Beschwerde insoweit Folge zu geben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. und III. des angefochtenen Bescheides:

Die belangte Behörde hat mit dem angefochtenen Bescheid (Spruchpunkte II. und III.) gemäß § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub erteilt und gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgen, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Durchsetzungsaufschub und zur aufschiebenden Wirkung ausgeführt, dass gesondert zu begründen ist, inwieweit die sofortige Ausreise eines BF geboten sein soll. Die auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Bezug nehmenden Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes nicht zu ersetzen (VwGH 21.11.2006, Zl. 2006/21/0171 mwN).

Gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG kann bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortigen Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Der BF hat durch sein Gesamtfehlverhalten unzweifelhaft gezeigt, dass er bislang nicht gewillt war, sich rechtskonform zu verhalten.

In Anbetracht der Tatsachen, dass der BF mittellos ist, über keinen Wohnsitz im Bundesgebiet verfügt, einer illegalen Erwerbstätigkeit zur Finanzierung seines Aufenthaltes in Österreich nachgegangen ist sowie in Österreich sozial nicht verankert ist, war konkret zu befürchten, dass er auch nach der Entlassung aus der Untersuchungs- bzw. Schubhaft im Bundesgebiet erneut untertauchen würde, wofür nicht zuletzt auch das Fehlen eines gültigen Reisedokumentes spricht.

Im Ergebnis erfolgten sowohl die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes als auch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung trotz der vergleichsweise geringen Strafe, zu Recht. Seine sofortige Ausreise unmittelbar nach Entlassung aus der Schubhaft war zur Verhinderung weiterer Übertretungen der Rechtsordnung im Bundesgebiet notwendig.

Damit war weder die Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubes gemäß § 70 Abs. 3 FPG noch die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG zu beanstanden, sodass die Beschwerde in Bezug auf die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheids unbegründet ist.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt erscheint und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, unterbleibt die beantragte Beschwerdeverhandlung gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG, zumal von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist.

Zu Spruchteil II. (Bewilligung der Verfahrenshilfe):

Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art 6 Abs. 1 EMRK oder des Art 47 GRC geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Voraussetzungen und Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe sind gemäß § 8a Abs. 2 VwGVG nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen.

Da sich aus dem vorgelegten Vermögensbekenntnis im Einklang mit dem übrigen Akteninhalt ergibt, dass der BF über keinerlei finanzielle Mittel verfügt, beeinträchtigt sogar die geringe Eingabegebühr seinen notwendigen Unterhalt, sodass ihm die Verfahrenshilfe antragsgemäß zu bewilligen ist.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da im gegenständlichen Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung weder im Zusammenhang mit der Entscheidung in der Sache (Spruchpunkt A.) noch im Zusammenhang mit dem Beschluss über die Verfahrenshilfe (Spruchpunkt C.) vorliegt, war die Revision jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig zu erklären (Spruchpunkte B. und D.). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen. Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist teilweise zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Eingabengebühr Gefährdungsprognose Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen strafgerichtliche Verurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2219624.1.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten